Haftung des Stadtrates - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 3 - 223/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Haftung des Stadtrates Ausarbeitung WD 3 - 223/07 Abschluss der Arbeit: 28.06.07 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 4 2. Hintergrund 4 3. Amtshaftung 4 3.1. Amtspflichtverletzung in Ausübung eines öffentlichen Amtes 5 3.2. Drittgerichtetheit der Amtspflicht 5 3.3. Verschulden und Schaden 6 - 4 - Einleitung Im Auftrag wurde danach gefragt, wie man einem vorsätzlich rechtswidrig handelnden Stadtrat in Sachsen haftungsrechtlich in Anspruch nehmen kann, insbesondere wenn ein Bürgerentscheid vom Stadtrat ignoriert wird. 1. Hintergrund Im August 1996 beschloss der Stadtrat von Dresden den Bau einer Brücke über die Elbe , der so genannten Waldschlösschenbrücke. Nachdem aufgrund geänderter Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat der Bau der Brücke in Frage stand, sprach sich im Februar 2005 die Mehrheit der Bürger von Dresden im Wege eines Bürgerentscheids für den Bau der Brücke aus. Im Juli 2006 setzte das Welterbekomitee das Elbtal, das 2004 in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen worden war, wegen des beabsichtigten Baus der Waldschlösschenbrücke auf die „Liste des gefährdeten Erbes der Welt“. Durch mehrere Beschlüsse des Stadtrates wurde der Oberbürgermeister von Dresden daraufhin beauftragt, die Vergabe von Bauleistungen und den Baubeginn der Brücke auszusetzen und mit der UNESCO Gespräche zu führen, um den Welterbestatus zu erhalten. Hierauf ordnete das Regierungspräsidium als Rechtsaufsichtsbehörde an, unverzüglich die Bauaufträge für den Bau der Brücke zu erteilen, um den Bürgerentscheid zu verwirklichen. Da die Stadt Dresden dieser Anordnung nicht nachkam, traf das Regierungspräsidium selbst die für den Bau der Brücke erforderlichen Vergabeentscheidungen und erklärte die Entscheidung für sofort vollziehbar. Der Antrag der Stadt Dresden auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde der Stadt Dresden, verbunden mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, wurde von der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen. 2. Amtshaftung Wegen der fehlenden Umsetzung des Bürgerentscheides kommt die Haftung des Stadtrates (als Kollegialorgan) nach den Grundsätzen der Amtshaftung in Betracht. Diese ergeben sich aus Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB. Der Amtshaftungsanspruch ist gegeben, wenn jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes, die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht schuldhaft verletzt und dadurch einen Schaden verursacht, sofern kein Haftungsausschlussgrund vorliegt. - 5 - 2.1. Amtspflichtverletzung in Ausübung eines öffentlichen Amtes Ein Stadtrat handelt in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes, wenn er seine Aufgaben nach der Gemeindeordnung wahrnimmt, denn Beamte im Sinne von Art. 34 GG sind auch Mitglieder der Bundesregierung,1 der Landesregierung2, der Parlamente , des Kreistages3 und des Gemeinde-/ Stadtrates4 sowie des Gemeinde- /Stadtrates als Kollegium. Das „öffentliche“ Amt ist in diesem Zusammenhang funktionell als hoheitlicher – öffentlich - rechtlicher Tätigkeitsbereich zu verstehen.5 Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne können immer nur natürliche Personen sein.6 Entscheidend ist, dass der Person öffentliche Gewalt anvertraut ist. Auch der Nichtbeamte fällt unter Art. 34 GG, sofern er mit hoheitsrechtlichen Aufgaben betraut ist. Im vorliegenden Fall kann eine Amtspflichtverletzung in dem Beschluss des Stadtrates, den Bürgerentscheid nicht umzusetzen, erblickt werden. Ein solcher Beschluss widerspricht der Aufgabe des Stadtrates nach Art. 28 Abs. 2 GO, die Ausführung der Beschlüsse des Gemeinde-/ Stadtrates zu überwachen. Dies schließt die Überwachung des Bürgerentscheides ein, da dieser nach § 24 Abs. 4 GO einem Stadtratsbeschluss gleichsteht . Darüber hinaus kann man auch aus dem Gedanken der Sperrwirkung eines Bürgerentscheides nach § 24 Abs. 4 und § 25 Abs. 3 Satz 3 GO eine Pflicht zur Umsetzung herleiten. 7 2.2. Drittgerichtetheit der Amtspflicht Die Haftungsnorm (§ 839 Abs. 1 S. 1 BGB) und die Überleitungsnorm (Art. 34 S. 1 GG) stellen in gleicher Weise darauf ab, dass der Amtsträger „die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht“ verletzt hat.8 Man wird im vorliegenden Fall annehmen können, dass die Amtspflicht des Stadtrates den Vertretern des Bürgerentscheides und den Unterzeichnern des Bürgerbegehrens gegenüber bestand. Die Frage, ob im Einzelfall der Geschädigte zu dem Kreis der Dritten gehört, beantwortet sich danach, ob die Amtspflicht den Zweck hat, das Interesse gerade dieses Geschädigten wahrzuneh- 1 Siehe Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 63. Auflage, München 2004, § 839, Rdnr. 29. 2 BGH DB, 67, 985. 3 BGH 11, 197. 4 BGH WM 70, 1252. Siehe hierzu auch G. Brüggen, I. Heckendorf, Sächsische Gemeindeordnung, Berlin 1994, § 35 GO S. 144, die auf die Amtsträgerschaft sächsischer Gemeinderatsmitglieder hinweisen . 5 H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Auflage, München 2000, S. 630. 6 J. von Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Berlin 2002, § 839, Rdnr. 43. 7 So auch: Peine, Gutachten „Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Stadtrates der Landeshauptstadt Dresden vom 20.7.2006“, S. 22, Anlage 1. 8 J. von Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Berlin 2002, § 839 Rdnr.172. - 6 - men.9 Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 4 GO entfaltet ein zulässiges Bürgerbegehren Sperrwirkung 10 gegen ihm zuwiderlaufende Beschlüsse des Gemeinde-/Stadtrats. Zusammen mit § 24 Abs. 4 Satz 2 GO könnte mit der objektiven Verpflichtung des Stadtrates zum Vollzug des Bürgerentscheides ein subjektiver Anspruch auf Vollzug korrespondieren. Aus diesem Gedanken heraus kann man eine Drittgerichtetheit gegenüber den Vertretern des Bürgerbegehrens wie auch den Unterzeichnern gegenüber bejahen. 2.3. Verschulden und Schaden Sehr fraglich ist dagegen, ob der Stadtrat vorsätzlich oder fahrlässig eine Amtspflicht verletzt hat. Hier muss berücksichtigt werden, dass der Stadtrat wegen des von Deutschland ratifizierten UNESCO - Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt (Welterbekonvention)11 den Bürgerentscheid nicht umgesetzt hat. Der Stadtrat musste sich mit einer sehr komplexen Abwägung zwischen völkerrechtlichen und kommunalverfassungsrechtlichen Aspekten befassen. Wegen der Ratifizierung der Welterbekonvention bestand eine Pflicht dieses Übereinkommen in Deutschland auch umzusetzen, 12 gleichzeitig fehlte eine innerstaatliche Transformation in Sachsen, die erst im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit aufgedeckt wurde. Aus diesem Grunde ist es sehr problematisch, dem Stadtrat wegen seiner gegenteiligen Rechtsauffassung eine schuldhafte Amtspflichtverletzung zuzuschreiben. Die Frage des Verschuldens kann letztlich aber dahinstehen, da ein mit der Amtspflichtverletzung kausal zusammenhängender Schaden13 fehlt. Im Amtshaftungsrecht gilt das Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden.14 Besteht die Amtspflichtverletzung in einem Unterlassen (z.B. Vollzug des Bürgerentscheides) so kann ein Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden nur bejaht werden, wenn der Schadenseintritt bei pflichtgemäßem Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre. Fraglich ist, welcher Schaden konkret aus dem unterlassenen Vollzug entstanden sein soll. 9 J. von Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Berlin 2002, § 839 Rdnr.172. 10 Siehe auch: Fastenrath, unveröffentlichte kurzgutachterliche Stellungnahme vom 11.7. 2006, S. 6. 11 Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt vom 23. November 1972 ( BGBl. 1977 II S. 213) 12 Siehe , Innerstaatliche Umsetzung der UNESCO – Konvention, WD 3 137-07. 13 H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Auflage, München 2000, S. 640. 14 J. von Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Berlin 2002, § 839 Rdnr. 231. - 7 -