© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 222/13 Sind Mietpreisgrenzen für Gewerbeflächen verfassungsrechtlich zulässig? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 222/13 Seite 2 Sind Mietpreisgrenzen für Gewerbeflächen verfassungsrechtlich zulässig? Verfasserin: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 222/13 Abschluss der Arbeit: 11. Dezember 2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 222/13 Seite 3 1. Einleitung Die Entwicklung der Mietpreise für Gewerbeimmobilien schwankt im Vergleich zu Wohnimmobilien erheblich und ist abhängig von Standort (bestimmte Großstädte, mittlere und Kleinstädte etc.), Lage und Nutzung. In den Jahren zwischen 2002 und 2007 sind die Mietpreise für Büroimmobilien im Durchschnitt um 15 Prozent gesunken und erhöhen sich seit 2008 leicht. Die Mieten für Flächen des Einzelhandels stiegen hingegen seit 2004 kontinuierlich und weisen seit 2007 eine Erhöhung um insgesamt 11 Prozent in den 1a- und 1b-Lagen auf.1 Für die Spitzenmieten für Büroimmobilien in den teuersten Bürostädten Deutschlands wird eine leichte Steigerung für das Jahr 2014 prognostiziert.2 Auch in Berlin scheint der Mietpreis für Einzelhandelsflächen nur leicht zu steigen3; auf eine besonders weite Spreizung der Bestlagen für Einzelhandelsflächen in Großstädten sei nur ergänzend hingewiesen.4 Während es im Recht der Wohnraummiete in den §§ 557 ff. BGB5 bereits umfangreiche Bestimmungen zur zulässigen Höhe des Mietzinses gibt, finden diese Vorschriften für die Miete von Gewerberäumen keine Anwendung (§ 578 Abs. 2 BGB), so dass die Miethöhe zwischen Mieter und Vermieter frei verhandelbar ist. Anders als im Bereich der Wohnraummiete sind auch die Strafvorschriften bei überhöhter Miete der § 5 WiStrG6 und § 291 StGB7 auf Gewerbemietverträge nicht anwendbar. Eine Grenze für die Miethöhe besteht nur in § 138 Abs. 1 BGB für den Fall, dass eine – praktisch schwer nachweisbare – erhebliche Störung der Gleichwertigkeit zwischen vermieteten Objekt und Mietzins vorliegt8, so dass der Vertrag gegen die guten Sitten verstoßen würde. Ein auffälliges Missverhältnis wird angenommen, wenn die Gegenleistung um 100 Prozent über der angemessenen Leistung liegt. 1 Bericht über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland, Unterrichtung durch die Bundesregierung, BT-Drs. 17/11200, S. 14 f. 2 Studie der DZ-Bank, http://de.statista.com/statistik/daten/studie/181005/umfrage/spitzenmieten-vonbueroimmobilien -in-deutschland-in-ausgewaehlten-staedten/ (Stand für alle Internet-Quellen: 10. Dezember 2013). 3 IHK: Mietspiegel Orientierungsrahmen 2011 http://www.berlin.de/imperia/md/content/basteglitzzehlendorf/wirtschaftsfoerderung/orientierungsrahmen_gewerb emieten_2011_data.pdf. 4 Teuerste Einkaufsstraßen in Deutschland nach Monatsmiete im 2. Halbjahr 2013 (in Euro pro Quadratmeter): http://de.statista.com/statistik/daten/studie/37802/umfrage/einkaufsstrassen-in-deutschland-nach-monatsmiete/. 5 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das durch Artikel 4 Absatz 5 des Gesetzes vom 1. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3719) geändert worden ist. 6 Wirtschaftsstrafgesetz 1954 in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Juni 1975 (BGBl. I S. 1313), das zuletzt durch Artikel 55 des Gesetzes vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1864) geändert worden ist. 7 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das durch Artikel 5 Absatz 18 des Gesetzes vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3799) geändert worden ist. 8 Zu diesem Problem s. Keckemeti, Mietwucher bei Gewerbemieträumen, NZM 2000, 598. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 222/13 Seite 4 Im Folgenden soll geprüft werden, ob es verfassungsrechtlich zulässig wäre, eine Höchstgrenze für Gewerbemieten einzuführen. 2. Kompetenz des Bundesgesetzgebers zum Erlass eines Gesetzes zur Begrenzung der Miethöhe bei Gewerbeimmobilien Die Begrenzung der Miethöhe von Gewerbeimmobilien könnte – vergleichbar den Regelungen für die Erhöhung der Wohnraummiete – im BGB erfolgen. Die Änderung des BGB fällt unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG – bürgerliches Recht – und liegt damit in der konkurrierenden Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers. Ferner käme eine Verordnungsermächtigung für den Landesgesetzgeber entsprechend dem Verbot zur Zweckentfremdung von Wohnraum9 in Betracht, um nur für bestimmte Gebiete eine gesetzliche Obergrenze für Gewerbemieten einzuführen. 3. Vereinbarkeit einer Begrenzung der Miethöhe bei Gewerbeimmobilien mit dem Eigentumsrecht der Eigentümer, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG Eine gesetzliche Begrenzung der Miethöhe bei Gewerbeimmobilien könnte das Recht auf Eigentum , das Art. 14 GG gewährleistet, verletzen. Das Eigentumsrecht schützt das Recht am Eigentum von Grund und Boden; hiervon sind auch Immobilien, die vermietet werden, umfasst. Eine Begrenzung der Miethöhe bei Gewerbeimmobilien schränkt den Eigentümer bei der wirtschaftlichen Verwertung seines Eigentums ein. Dies könnte als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG aber gerechtfertigt sein. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG stellt den Gebrauch des Eigentums in den Dienst des „Wohles der Allgemeinheit “. Daher geht die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung um so weiter, je mehr die Nutzung des Eigentums in einem sozialen Kontext steht. Die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers ist insbesondere weit, wenn Dritte die Nutzung des Eigentums für die Verwirklichung ihrer verantwortlichen Lebensgestaltung bedürfen, wie dies bspw. im Wohnungsmietrecht der Fall ist.10 Bei Einschränkungen der Befugnisse von Eigentümern hat der Gesetzgeber allerdings den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.11 Äußerste Grenze einer Inhalts- und Schrankbestimmung ist, dass das Eigentumsrecht nicht in seiner Substanz verletzt werden darf.12 9 Art. 6 Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur - und Architektenleistungen vom 4. November 1971 (BGBl. I S. 1745), das zuletzt durch Artikel 209 Absatz 5 des Gesetzes vom 19. April 2006 (BGBl. I S. 866) geändert worden ist. 10 BVerfGE 84, 382 (385). 11 BVerfGE 75, 78 (97 f).; 76, 220 (238); 92, 262 (273); 110, 1 (28); Jarass in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz , 12. Auflage 2012, Art. 14, Rn. 38 ff. 12 BVerfGE 75, 78 (97 f.); 76, 220 (238); 92, 262 (273); 110, 1 (28); Jarass (Fn.11), Art. 14, Rn. 38 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 222/13 Seite 5 Der Gesetzgeber muss ein dem öffentlichen Interesse dienendes Ziel mit der Regelung verfolgen.13 Ziel der Miethöhenbegrenzung könnte zum einen sein, einen Verdrängungsprozess in den Innenstädten durch Filialen zahlungskräftiger, teilweise internationaler Handelsunternehmen zu Lasten kleinerer Gewerbebetriebe und damit eine bundesweite Nivellierung der Innenstädte zu verhindern . Zum anderen könnten auf diese Weise Fehlentwicklungen am Immobilienmarkt – wie der starke Anstieg des Baus von Büro- oder Hotelflächen, die sich längerfristig aber wegen Überkapazität oder Wirtschaftskrise nicht vermieten lassen und durch den hieraus resultierenden Leerstand zu einer Verödung der Innenstädte führen könnte – verhindert werden. Der Schutz eines interessanten Stadtbildes durch den Schutz kleinerer Gewerbetreibender kann im öffentlichen Interesse liegen, da hiermit auch die Attraktivität der Stadt für Auswärtige steigen könnte. Ferner könnte durch einen starken Anstieg der Gewerbemieten ein Verdrängungsprozess zu Lasten der Mieter von Wohnungen einsetzen, der zudem zu einer Erhöhung der Wohnraummieten führen könnte. Auch der Schutz bezahlbaren Wohnraums ist ein dem öffentlichen Interesse dienendes Ziel. Allerdings ist bereits fraglich, ob angesichts der eingangs dargestellten Lage auf dem Markt der Gewerbemiete diese Ziele derzeit überall verfolgt werden müssten. Die gesetzliche Regelung müsste zur Erreichung dieses Zieles geeignet und erforderlich sein14, wobei dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum bei der Beurteilung dieser Kriterien zusteht.15 Es stellt sich schon die Frage, ob die „Mietpreisbremse für Gewerbeimmobilien“ geeignet wäre, eine Verödung der Innenstädte zu verhindern, da es eine Vielzahl von Gründen für die Verdrängung kleinerer Gewerbebetrieb gibt (kein Nachfolger bei altersbedingter Geschäftsaufgabe; Bevorzugung geregelter Arbeitszeiten bei einer Festanstellung gegenüber der Selbständigkeit; strenge Kreditvergabe an kleine Gewerbebetriebe durch Banken etc.). Auch ist fraglich, ob sich Fehlentwicklungen in der Immobilienbranche von vorneherein durch Mietobergrenzen vermeiden ließen . Letztlich scheint diese Maßnahme aber zumindest nicht erforderlich, da es mildere Mittel zur Erreichung des Zieles gibt: So können die Gemeinden durch verschiedene städtebauliche oder bauplanungsrechtliche Maßnahmen16 – wie den Erlass von Erhaltungssatzungen sowie entsprechender Bebauungspläne – regelnd auf die Nutzung der Gewerbeimmobilien eingreifen. Durch diese Instrumente kann zwar nicht auf die Mietpreishöhe direkt Einfluss genommen werden ; allerdings können die hierdurch angestrebten Ziele wie das einer belebten Innenstadt mit gemischtem Gewerbe durchaus erreicht werden. Es sprechen damit gute Argumente dafür, dass eine Mietpreisobergrenze nicht geeignet und erforderlich wäre, um infrastrukturerhaltend auf die Innenstädte einzuwirken und damit nicht mit dem Eigentumsrecht der Vermieter vereinbar wäre. Würde die „Mietpreisbremse“ wegen des weiten Beurteilungsspielraums des Gesetzgebers in diesem Bereich dennoch als geeignet und erforderlich angesehen, da die genannten Alternativen das Ziel nicht mit gleicher Wahrscheinlichkeit erreichen könnten, müsste sie ferner in einem ange- 13 Vgl. die die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 1986 (BVerwG NJW-RR 1986, 1139, Tz. 19) über die Verfassungsmäßigkeit der Mietpreisbindung für Altbauwohnungen in Berlin. 14 Jarass (Fn.11), Art. 14, Rn. 38a. 15 St. Rspr., vgl. Nachweise bei BVerfGE 90, 145, 173. 16 S. hierzu Die Auswirkungen bauplanungsrechtlicher Instrumente auf Gewerbeansiedlungen, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, WD 7- 3000 – 225/13, 2013. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 222/13 Seite 6 messenen Verhältnis zu dem mit der Regelung verfolgten Zweck stehen.17 Der Gesetzgeber muss im Rahmen einer solchen Regelung versuchen, „die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen“.18 Angewendet auf zwingende Normen des Mietrechts bedeutet dies, dass der Gesetzgeber die zum Teil divergierenden Interessen von Vermieter und Mieter zu beachten und sie dabei mit Rücksicht auf diverse mögliche Konstellationen unterschiedlich zu gewichten hat.19 Zwar hat der Eigentümer ein Interesse an der rentabelsten Verwertung seines Eigentums. Dieses Interesse ist aber verfassungsrechtlich nicht geschützt.20 Auf der anderen Seite steht die Sozialbindung des Eigentums. Wie bereits eingangs ausgeführt, wiegt die Sozialbindung besonders schwer, wenn Dritte die Nutzung des Eigentums für die Verwirklichung ihrer verantwortlichen Lebensgestaltung bedürfen. Dies ist zwar im Wohnungsrecht der Fall, da eine Vielzahl von Bewohnern gerade in Städten dieses Grundbedürfnis nur durch eine Miet-, nicht aber eine Eigentumswohnung stillen können. Im Bereich des Gewerbemietrechts greift dieser Gedanke weniger. Zwar ist der Gewerbetreibende größtenteils ebenfalls auf Räume zur Ausübung seines Gewerbes – eines von Art. 12 GG geschützten Grundrechts – angewiesen. Allerdings garantiert die Berufsfreiheit keinesfalls, dass dem Gewerbetreibenden ausreichender Gewerberaum – von Privaten oder vom Staat – zur Verfügung gestellt wird, um sein Gewerbe rentabel auszuüben. Vielmehr gehört die Aushandlung des Mietpreises wie aber auch die Möglichkeit, gegebenenfalls überhöhte Mieten an Käufer weitergeben zu können, zu der auch durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Privatautonomie . Der Schutz vor Konkurrenz21 durch größere Handelsketten gehört ebensowenig zum Schutzbereich der Berufsfreiheit. Da der Gewerbetreibende durch überhöhte Mieten damit auch nicht mittelbar in seinen Grundrechten verletzt ist, kann sich hieraus keine erhöhte Sozialbindung für das Eigentum der Vermieter ergeben. Ein Eingriff in das Eigentumsrecht der Vermieter von Gewerberäumen durch eine absolute Preisgrenze ist daher wohl kaum verhältnismäßig. Im Rahmen der Ausgestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers könnte eine Gewichtung der Interessen allenfalls dann anders ausfallen, wenn – bspw. durch eine Verordnungsermächtigung für den Landesgesetzgeber – nur eine zeitlich befristete und räumlich begrenzte „Preisbremse“ für Gebiete eingeführt würde, die unter einem erheblichen Preisdruck mit negativen Auswirkungen auf die Gewerbevielfalt leiden. Allerdings geben die derzeitigen Entwicklungen im Bereich der Gewerbeimmobilien für diese Sorge wohl keinen Anlass. Letztlich wäre aber wohl auch in diesem Bereich auf die bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten als mildere Mittel zu verweisen. 17 Jarass (Fn. 11), Art. 14, Rn. 39. 18 BVerfGE 68, 361 (368). 19 BVerfGE 71, 230 (247). 20 BVerfGE 71, 230 (250). 21 S. hierzu Wieland in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 3. Aufl. 2013, Art. 12 Rn. 73. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 222/13 Seite 7 4. Ergebnis Die Einführung einer Preisobergrenze für Gewerbeimmobilien stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken. Im Hinblick auf das verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsrecht der Vermieter ist fraglich, ob eine Mietpreisobergrenze geeignet und erforderlich wäre, einen Verdrängungsprozess kleinerer Gewerbebetriebe durch große Handelsketten zu vermeiden. Als milderes Mittel kämen vor allem bauplanungsrechtliche und städtebauliche Maßnahmen in Betracht. Auch scheint die einseitige Bevorzugung der gewerblichen Mieter gegenüber den Vermietern nicht angemessen, weil Gewerbetreibende bereits keinen Anspruch auf Bereitstellung von Gewerberäumen haben, die ihnen den rentablen Betrieb eines Gewerbes ermöglichen würde.