© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 221/17 Zur Aufnahme des Grundrechts der ungestörten Religionsausübung in die Verwirkungsregelung des Art. 18 GG Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 221/17 Seite 2 Zur Aufnahme des Grundrechts der ungestörten Religionsausübung in die Verwirkungsregelung des Art. 18 GG Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 221/17 Abschluss der Arbeit: 14. November 2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 221/17 Seite 3 1. Fragestellung und Einleitung Gefragt wird, ob die Regelung des Art. 4 Abs. 2 GG in die Vorschrift des Art. 18 GG zur Grundrechtsverwirkung aufgenommen werden kann. Bevor sogleich auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer entsprechenden Erweiterung des Art. 18 GG eingegangen wird, soll zunächst kurz der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 2 GG bestimmt und die Bedeutung des Art. 18 GG angesprochen werden. 1.1. Grundrecht der ungestörten Religionsausübung Art. 4 GG lautet: „(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. […]“ Ob die in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG genannten Freiheiten verschiedene Grundrechte beinhalten oder lediglich Ausprägungen ein und desselben Grundrechts sind, ist nicht gänzlich geklärt.1 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnis zwischen Art. 4 Abs. 1 GG (Glaubens- und Bekenntnisfreiheit) und Art. 4 Abs. 2 GG (Religionsausübung) handelt es sich insoweit um ein einheitliches Grundrecht.2 In seiner Entscheidung zur „Aktion Rumpelkammer“ führt das Bundesverfassungsgericht hierzu aus: „Das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) ist an sich im Begriff der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) enthalten. Dieser Begriff umfaßt nämlich – gleichgültig, ob es sich um ein religiöses Bekenntnis oder eine religionsfremde oder religionsfreie Weltanschauung handelt – nicht nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, d. h. einen Glauben zu bekennen, zu verschweigen, sich von dem bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern ebenso die Freiheit des kultischen Handelns, des Werbens, der Propaganda (BVerfGE 12, 1 [3 f.]). Insofern ist die ungestörte Religionsausübung nur ein Bestandteil der dem Einzelnen wie der religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung (BVerfGE 19, 129 [132]) zustehenden Glaubens- und Bekenntnisfreiheit .“3 In der rechtswissenschaftlichen Literatur ist diese Ansicht umstritten.4 Da es sich bei diesem Streit jedoch nur um eine Vorfrage zu der vorliegenden Fragestellung handelt, soll auf ihn an dieser 1 Kokott, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 4 Rn. 11 ff., dort zum Folgenden. 2 Siehe aus der jüngeren Vergangenheit nur BVerfGE 108, 282 (297). 3 BVerfGE 24, 236 (245). 4 Siehe die Nachweise aus der Literatur bei Kokott, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 4 Rn. 13 – Fn. 48. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 221/17 Seite 4 Stelle nicht näher eingegangen werden. Den folgenden Ausführungen wird allgemein die Idee der Aufnahme des Grundrechts der ungestörten Religionsausübung in den Art. 18 GG zugrunde gelegt. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass beim Begriffsverständnis des Bundesverfassungsgerichts die isolierte Aufnahme des Art. 4 Abs. 2 GG in den Art. 18 GG weitere Fragen aufwerfen könnte. 1.2. Bedeutung und Gesetzgebungsgeschichte des Art. 18 GG Art. 18 GG regelt die Verwirkung von Grundrechten bei einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.5 Die Vorschrift lautet in ihrer jetzigen Fassung: „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“ Die praktische Bedeutung der Vorschrift wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur als sehr gering eingeschätzt.6 Die bislang insgesamt vier Verwirkungsverfahren wurden sämtlich bereits im Vorprüfungsstadium abgelehnt.7 Art. 18 GG wird deshalb insbesondere eine Appell- und Signalfunktion zugesprochen. Eine Aufnahme der Religionsfreiheit in den Kreis der verwirkungsfähigen Grundrechte wurde bereits in den Beratungen des Grundsatzausschusses des Parlamentarischen Rates 1948 erwogen. Im Ergebnis wurde jedoch darauf verzichtet, weil man den Anschein eines Kulturkampfes vermeiden wollte. Im Protokoll der Beratungen heißt es hierzu: „Vors. [Dr. v. Mangoldt]: An sich ist es möglich, daß die Religionsfreiheit zum Kampf gegen die Verfassung ausgenutzt wird, vor allen Dingen wenn man darunter auch das weltanschauliche Bekenntnis versteht. Mit dem weltanschaulichen Bekenntnis kann man geradezu einen neuen Nazismus aufmachen. Es könnte eine neue Weltanschauung sein, die sich religiös tarnt und auf Grund dieser Tarnung nachher die Verfassung bekämpft. […] Frau Dr. Weber: Es klingt schlecht, wenn man das hier hereinbringt. 5 Vertiefend hierzu Schnelle, Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung, 2014. 6 Siehe etwa Butzer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, Stand der Kommentierung: 34. Edition (15. August 2017), Art. 18 Rn. 3. 7 Schnelle, Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung, 2014, S. 94 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 221/17 Seite 5 Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wir könnten es vielleicht an den Anfang setzen und sagen: Wer die Freiheit der Meinungsäußerung einschließlich der Freiheit der Religionsausübung oder die Bekenntnisfreiheit … mißbraucht. Frau Dr. Weber: Dann kommt gleich das Wort Kulturkampf auf. (Dr. Bergsträsser: Daran habe ich auch gedacht.) Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Dann sagen wir, wir verstehen es unter Freiheit der Meinungsäußerung, und wenn jemand es tarnt, fällt es unter Freiheit der Meinungsäußerung.“8 Auf der Ebene der Landesverfassungen und im ausländischen Verfassungsrecht finden sich keine Vorbilder für eine Regelung zur Verwirkung des Grundrechts der ungestörten Religionsausübung.9 2. Aufnahme des Grundrechts der ungestörten Religionsausübung in Art. 18 GG 2.1. Abschließender Katalog der Grundrechte in Art. 18 GG? Zunächst stellt sich die Frage, ob allein die in Art. 18 GG genannten Grundrechte verwirkbar sind oder de lege lata auch andere Grundrechte dem Verwirkungsanspruch anheimfallen können. Nach ganz überwiegender Auffassung in der rechtswissenschaftlichen Literatur ist der Katalog der Grundrechte in Art. 18 GG abschließend.10 Problematisiert wird insoweit lediglich der – hier nicht relevante – Umstand, dass eine Aberkennung auch nur eines einzelnen Grundrechts sich auch an anderen Stellen des Grundrechtssystems auswirken kann, die Art. 18 GG nicht ausdrücklich erwähnt.11 Auch das Bundesverfassungsgericht geht in seiner Rechtsprechung wohl von einem abschließenden Grundrechtekatalog des Art. 18 GG aus: „Allerdings ist grundsätzlich davon auszugehen, daß eine Verwirkungsentscheidung hinsichtlich der nicht in Art. 18 GG genannten Grundrechte nicht zulässig ist und eine Reflexwirkung auf nicht genannte Grundrechte vermieden werden muß.“12 Folglich ist davon auszugehen, dass das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung de lege lata nicht zu den verwirkungsfähigen Grundrechten zählt und daher eine Aufnahme dieses Grundrechts in die Regelung des Art. 18 GG nicht bloß deklaratorische Wirkung hätte. 8 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat, 1948 - 1949, Akten und Protokolle, Band 5/II, 1993, S. 755 f. – Hervorhebungen nicht im Original. 9 Siehe die rechtsvergleichenden Hinweise bei Dürig/Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 58. EL (April 2010), Art. 18, sowie bei Schnelle, Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung , 2014, S. 24 ff., 252 ff., 265 ff. 10 Siehe die Nachweise bei Schnelle, Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung, 2014, S. 126 – Fn. 127. 11 Dürig/Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 58. EL (April 2010), Art. 18 Rn. 35. 12 BVerfGE 25, 88 (97). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 221/17 Seite 6 2.2. Diskussion in der Literatur Die Verfassungsmäßigkeit einer Aufnahme des Grundrechts der ungestörten Religionsausübung in die Regelung des Art. 18 GG wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht unmittelbar erörtert . Allerdings finden sich in der Literatur durchaus Stimmen, die in rechtspolitischer Hinsicht die Aufnahme der Religionsfreiheit in Art. 18 GG fordern, wobei davon auszugehen ist, dass diese Stimmen auch von der Verfassungsmäßigkeit einer entsprechenden Verfassungsänderung ausgehen.13 In der Kommentierung von Dürig/Klein wird der abschließende Grundrechtekatalog des Art. 18 GG zwar als unübersteigbar zwingendes Recht, aber offensichtlich misslungen bezeichnet. Unter besonderer Bezugnahme auf Art. 4 GG wird eine umfassende Erweiterung des Grundrechtskatalogs des Art. 18 GG gefordert: „Eigentlich lässt sich jedes Grundrecht politisch missbrauchen [Fn: Man nehme als stärksten Fall Art. 4, der keinerlei Gesetzesvorbehalt aufweist. …], nicht nur die in Art. 18 abschließend genannten. Man hätte nicht gleichsam vertikal einzelne Grundrechte ‚herauspunkten‘ sollen, sondern horizontal den ganzen Grundrechtsteil erfassen sollen, dann aber mit der materiellrechtlichen klaren Einschränkung, dass jeweils nur die gefährlichen politischen Ausübungen des betreffenden Rechts gestutzt werden dürfen […].“14 Andere Stimmen fordern konkret eine Aufnahme der Religionsfreiheit in die Regelung des Art. 18 GG. Von Coelln führt hierzu aus: „Sofern man das Instrument der Grundrechtsverwirkung in Zukunft wieder zur Bekämpfung von Verfassungsfeinden einsetzen will, wird eine Ergänzung der verwirkbaren Grundrechte unumgänglich sein. Selbst wenn man nicht der Auffassung ist, dass jede Auswahl einzelner Grundrechte verfehlt ist, erscheint in Zeiten zunehmender verfassungsfeindlicher Bestrebungen , die zumindest religiös verbrämt, zum Teil aber auch religiös motiviert sind, zumindest die Nichtberücksichtigung der Religionsfreiheit verfassungspolitisch verfehlt.“15 In der Kommentierung von Pagenkopf heißt es hierzu: „Politischer Extremismus tritt verstärkt im Gewande der Religion (Art. 4) auf, […]. Dennoch enthält Art. 18 derzeit eine abschließende Regelung, die aber namentlich nach den einschneidenden Erfahrungen der letzten Jahre im Hinblick auf eine falsch verstandene Religionsfreiheit („der mordende Terrorist gelangt nach seiner Gewalttat ins Paradies“, der islamistische „Märtyrer“ – völlig konträr zum christlichen Märtyrer, der allein passiv-erduldend um seines Glaubens willen den Tod erleidet – nimmt Unschuldige mit in den gewählten Tod) de lege ferenda zu erweitern ist. Schon bei den Beratungen des GG ist die Einbeziehung ‚religiöser 13 Vgl. hierzu auch Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, 2004, S. 396 f. 14 Dürig/Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 58. EL (April 2010), Art. 18 Rn. 17. 15 von Coelln, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 49. EL (Juli 2016), § 39 Rn. 17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 221/17 Seite 7 Fanatiker‘, die ihre Religionsfreiheit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, in die Verwirkungsregelung erwogen worden. Der Verzicht hierauf mit der Überlegung , der Kulturkampf von 1871 – also der Kampf zwischen Staat und kath. Kirche – dürfe nicht neu belebt werden, ist schlicht anachronistisch. Gerade aus anderen, aufklärungslosen Kulturkreisen stammende religiöse Fanatiker, politische Extremisten und aggressive Religionsführer (wie der ‚Kalif von Köln‘, der rechtskräftig abgeurteilt und in die Türkei abgeschoben wurde) bekämpfen zur Durchsetzung ihrer grundgesetzwidrigen Ziele (z.B. Einführung des Scharia-Rechts, Eliminierung des Rechtsstaats und der Neutralität des Staates, Unterdrückung der Frauen und Errichtung eines Gottesstaates) die grundgesetzliche Ordnung unter dem Deckmantel der Religionsausübung. […]“16 In der Literatur finden sich jedoch auch Stimmen, die hinsichtlich des beschränkten und abschließenden Grundrechtekatalogs des Art. 18 GG die Verhinderung der Rechtslosigkeit des Betroffenen betonen: „Hieraus ergibt sich, dass selbst ein Feind der Freiheit nicht rechtlos wird, sondern gerade die wesentlichen Grundrechte der Persönlichkeit, der Freiheit, der Gleichheit, der Religionsfreiheit u.a. behält. Insbesondere bleibt in jedem Falle seine Menschenwürde geachtet und geschützt.“17 3. Art. 79 GG als Maßstab für eine Erweiterung des Grundrechtekatalogs in Art. 18 GG Festgehalten werden kann jedenfalls, dass die Aufnahme des Grundrechts der ungestörten Religionsausübung in Art. 18 GG mittels eines verfassungsändernden Gesetzes nach den Vorgaben des Art. 79 GG erfolgen muss. In formeller Hinsicht ist dabei zunächst die Vorgabe des Art. 79 Abs. 1 GG zu nennen, wonach das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden kann, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Ferner bedarf ein verfassungsänderndes Gesetz nach Art. 79 Abs. 2 GG der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. In materieller Hinsicht sind verfassungsändernde Gesetze an der Schranke des Art. 79 Abs. 3 GG zu messen. Die sog. Ewigkeitsgarantie schließt die Änderung bestimmter Grundsätze des Grundgesetzes dauerhaft aus. Den geschützten Verfassungskern bilden dabei die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und die in den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes niedergelegten Grundsätze. Gemäß Art. 79 Abs. 3 GG dürfen die genannten Grundsätze nicht „berührt“ werden. Eine solche „Berührung“ wird lediglich bei prinzipieller Preisgabe angenommen.18 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden 16 Pagenkopf, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 18 Rn. 10a. 17 Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 10. EL (November 1987), § 39 Rn. 28; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 18 Rn. 6. 18 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 14. Aufl. 2016, Art. 79 Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 221/17 Seite 8 die Grundsätze als solche von vornherein nicht berührt, wenn ihnen im Allgemeinen Rechnung getragen wird und sie nur für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus sachgerechten Gründen modifiziert werden.19 Im Hinblick auf den Ausnahmecharakter dieser Vorschrift und die durch sie hervorgerufene Beschränkung der Volkssouveränität wird allgemein eine enge Auslegung gefordert.20 Da es sich bei den Garantien der Religionsfreiheit in besonderem Maße um Ausprägungen des Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde handelt,21 stellt sich im vorliegenden Fall die Frage, ob durch die Aufnahme des Grundrechts der ungestörten Religionsausübung in die Verwirkungsregelung des Art. 18 GG das Gebot des Schutzes und der Achtung der Menschenwürde als absolut geschützter Grundsatz des Art. 1 GG „berührt“ wird. Hiervon ist nicht auszugehen. Dies gilt insbesondere in Anbetracht des Umstandes, dass die Verwirkung nicht bereits bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 GG, sondern erst mit der entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eintritt. Das Gericht entscheidet insoweit nämlich nicht nur über das Ob, sondern auch über das Ausmaß der Verwirkung, Art. 18 S. 2 GG.22 Dabei ist das Gericht insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtet.23 Denkbar ist beispielsweise die Auferlegung konkreter Beschränkungen im Sinne von Auflagen statt des Ausspruchs der Verwirkung des gesamten Grundrechtsschutzes (siehe § 39 Abs. 1 S. 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz ).24 Mittels dieser Entscheidungsinstanz wird sichergestellt, dass die Grundsätze der Menschenwürde gewahrt bleiben. Zu betonen ist aber, dass die vorstehenden Ausführungen ausschließlich für das forum externum der Religionsfreiheit, also die Religionsausübung gelten, da nur dieses (nicht aber das forum internum) Berührungspunkte mit der öffentlichen Sphäre mit sich bringt und zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden kann.25 *** 19 Siehe BVerfGE 30, 1 (24). 20 Bryde, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 79 Rn. 29. 21 Kokott, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 4 Rn. 3. 22 Vertiefend zum Inhalt der Verwirkungsentscheidung Schnelle, Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung, 2014, S. 97 ff. 23 Schnelle, Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung, 2014, S. 128. 24 Butzer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, Stand der Kommentierung: 34. Edition (15. August 2017), Art. 18 Rn. 13 ff. 25 Vgl. Butzer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, Stand der Kommentierung: 34. Edition (15. August 2017), Art. 18 Rn. 8.2.