© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 220/15 Verfahrens- und Prüfungsschritte im Asylverfahren Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 2 Verfahrens- und Prüfungsschritte im Asylverfahren Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 220/15 Abschluss der Arbeit: 22.09.2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Rechtsgrundlagen für die Gewährung von Asyl- und Flüchtlingsschutz 4 3. Verfahrensschritte 5 3.1. Einleitung des Asylverfahrens 5 3.2. Antragstellung 6 3.3. Persönliche Anhörung 6 3.4. Aufklärung des Sachverhalts 7 3.5. Antragsprüfung und Entscheidung 7 4. Prüfungsschritte 8 4.1. Dublin-Verfahren 8 4.2. Flüchtling 9 4.2.1. Voraussetzungen 9 4.2.2. Ausschlussgründe 10 4.3. International subsidiär Schutzberechtigter 11 4.3.1. Voraussetzungen 11 4.3.2. Ausschlussgründe 12 4.4. Asylberechtigter 12 4.4.1. Voraussetzungen 12 4.4.2. Ausschlussgründe 14 4.5. National subsidiär Schutzberechtigter 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 4 1. Fragestellung Vor dem Hintergrund der Dauer von Asylverfahren1 wird die Frage gestellt, wie ein typisches Asylverfahren von der Antragstellung bis zur ersten behördlichen Entscheidung abläuft (Verfahrensschritte ) und welche gesetzlichen Vorschriften das nach § 5 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bei seiner Entscheidung über die Gewährung von Asyl- und Flüchtlingsschutz zu prüfen hat (Prüfungsschritte).2 Bevor ein Überblick über die einzelnen Verfahrens- und Prüfungsschritte gegeben wird (Ziff. 3 und 4), sind zunächst kurz die einschlägigen Rechtsgrundlagen für die Gewährung von Asyl- und Flüchtlingsschutz (Ziff. 2) zu erörtern. 2. Rechtsgrundlagen für die Gewährung von Asyl- und Flüchtlingsschutz Das nationale Asylrecht wird wesentlich durch unionsrechtliches Sekundärrecht bestimmt. Von besonderer Bedeutung sind insoweit die Aufnahmerichtlinie (RL 2003/9/EG), die Asylverfahrensrichtlinie (RL 2005/85/EG), die Anerkennungs- bzw. Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU) sowie die Dublin-III-Verordnung (VO [EU] Nr. 604/2013).3 Die Aufnahmerichtlinie regelt u.a. die Unterbringung, Verpflegung, den Zugang zum Arbeitsmarkt, die medizinische Versorgung und den Zugang zu Bildungseinrichtungen von Asylbewerbern. Die Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) enthält Vorgaben zum Zugang und zur Durchführung von Prüfverfahren, u.a. mit der Zielvorgabe, dass „Prüfungsverfahren innerhalb von sechs Monaten nach förmlicher Antragstellung zum Abschluss gebracht“ werden (Art. 31 Abs. 3 RL 2013/32/EU).4 Mit der Anerkennungsbzw . Qualifikationsrichtlinie werden der Status der Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigten sowie die ihnen zu gewährenden Rechte konkretisiert (z.B. Zugang zu Bildung und Beschäftigung ). Die ebenfalls für das Europäische Asylsystem bedeutsame Dublin-Verordnung sieht in ihrer geänderten Fassung aus dem Jahr 2013 u.a. eine besondere Berücksichtigung von Minderjährigen vor (Art. 8 Abs. 4 VO [EU] Nr. 604/2013) und verbietet Überstellungen in zuständige EU-Mitgliedstaaten mit „systemischen Schwachstellen“ (Art. 3 Abs. 2 VO [EU] Nr. 604/2013). Bei dem im Rahmen von Asylverfahren zu gewährenden Schutzstatus kann man zwischen dem internationalen und dem nationalen Schutz unterscheiden. Der internationale Schutz knüpft terminologisch an die EU-Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) an und umfasst die dort geregelten Schutzstatus des Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 9 ff. Richtlinie 2011/95/EU) sowie den (international) subsidiär Schutzberechtigten (Art. 15 ff. Richtlinie 2011/95/EU). Diese Schutzstatus sind in das Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) integriert 1 Die durchschnittliche Dauer von Asylverfahren betrug im Jahr 2014 7,1 Monate, vgl. Vgl. BT-Drs. 18/3850, 11. 2 Unter Asyl- und Flüchtlingsschutz wird hier der Schutz durch Anerkennung als Asylberechtigter, Flüchtling und subsidiär Schutzberechtigter verstanden. Der Asylantrag umfasst grundsätzlich alle Schutzbegehren, vgl. §§ 13 Abs. 2, 24 Abs. 2 AsylVfG, so dass der Asylbegriff auch als Oberbegriff verwendet kann (z.B. Asylbewerber). 3 Wenig praktische Bedeutung hatte hingegen die Massenzustromrichtlinie (RL 2001/55/EG) zur Gewährung temporären Schutzes, vgl. Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 103. 4 Art. 31 Abs. 3 RL 2013/32/EU ist gemäß Art. 51 Abs. 2 RL 2013/32/EU bis zum 20.7.2018 umzusetzen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 5 worden: Insofern regelt § 3 AsylVfG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und § 4 AsylVfG den internationalen subsidiären Schutz. Zum nationalen Schutz gehören der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Asylberechtigten (Art. 16a Abs. 1 GG, § 2 AsylVfG) sowie der Schutz des einfachgesetzlich geregelten national subsidiär Schutzberechtigten.5 Rechtsgrundlage für den nationalen subsidiären Schutz sind die in den §§ 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) enthaltenen Abschiebungsverbote, die auf die Europäische Menschenrechtskonvention verweisen (§ 60 Abs. 5 AufenthG) oder aus einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit (§ 60 Abs. 7 AufenthG) folgen können. Die genannten Abschiebungsverbote sind zwar im Aufenthaltsgesetz geregelt, doch sind sie in der Regel im Rahmen des Asylverfahrens zu prüfen (§ 24 Abs. 2 AsylVfG), wenn die Asylberechtigung , die Flüchtlingseigenschaft und der internationale subsidiäre Schutzstatus nicht greifen. 3. Verfahrensschritte Der Ablauf des Asylverfahrens lässt sich grob in fünf Verfahrensschritte unterteilen: die Einleitung des Asylverfahrens (Ziff. 3.1.), die Antragstellung (Ziff. 3.2.), die persönliche Anhörung (Ziff. 3.3.), die Aufklärung des Sachverhalts (Ziff. 3.4.) sowie schließlich die Antragsprüfung und Entscheidung (Ziff. 3.5.).6 3.1. Einleitung des Asylverfahrens Asylverfahrensrechtlich relevante Maßnahmen können bereits im Vorfeld einer förmlichen Asylantragstellung und damit vor dem eigentlichen Beginn des auf eine Entscheidung gerichteten Asylverfahrens erfolgen.7 So kommt es schon nicht zu einer förmlichen Asylantragstellung beim BAMF, wenn dem Ausländer, der um Asyl nachsucht, an der Grenze die Einreise verweigert und er zurückgeschoben wird, § 18 AsylVfG. Auch die nach § 16 AsylVfG gegenüber einem Ausländer , der um Asyl nachsucht, vorzunehmenden Maßnahmen zur Sicherung, Feststellung und Überprüfung der Identität setzten keine förmliche Antragstellung beim BAMF voraus, sondern sind neben dem BAMF von den Aufnahmeeinrichtungen, Grenz- und Ausländerbehörden sowie von der Polizei der Länder vorzunehmen, bei denen der Ausländer um Asyl nachsucht, § 16 Abs. 2 AsylVfG. Zur Durchführung eines Asylverfahrens sind die Ausländer, die um Asyl nachsuchen , an die zuständigen oder nächstgelegenen Aufnahmeeinrichtungen weiterzuleiten, § 18 Abs. 1, 19 Abs. 1 AsylVfG.8 Die asylsuchenden Ausländer sind nach § 22 Abs. 3 AsylVfG verpflichtet , der Weiterleitung Folge zu leiten und sich persönlich in der Aufnahmeeinrichtung zu 5 Vgl. dazu Tiedemann, Flüchtlingsrecht (2015), 28, der insoweit nicht von der Verleihung eines Status, sondern einer „singulären Rechtsposition“ des Abschiebungsverbotes spricht. 6 Das Asylverfahrensgesetz gibt diese Verfahrensschritte nicht vor, möglich wäre auch eine weiter ausdifferenzierte oder eine gröbere Einteilung. 7 Zum Beginn des Asylverfahrens durch Stellung eines Asylantrags vgl. Tiedemann (Fn. 5), 111. 8 Zur Durchführung des Asylverfahrens im Rahmen des sog. Flughafenverfahrens vgl. § 18a AsylVfG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 6 melden, § 22 Abs. 1 AsylVfG. Das Asylgesuch (um Asyl „nachsuchen“)9 löst auch aufenthaltsrechtlich relevante Wirkungen aus, nämlich die Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG. 3.2. Antragstellung Nach der Aufnahme in einer Aufnahmeeinrichtung ist der Ausländer nach § 23 Abs. 1 AsylVfG verpflichtet, „unverzüglich oder zu dem von der Aufnahmeeinrichtung genannten Termin bei der Außenstelle des Bundesamtes zur Stellung des Asylantrags persönlich zu erscheinen“. Falls noch keine Identitätsmaßnahmen ergriffen wurden, nimmt das BAMF diese vor, § 16 Abs. 2 AsylVfG. Die Asylantragstellung hat nach § 14 Abs. 1 AsylVfG bei der Außenstelle des Bundesamtes zu erfolgen, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zuzuordnen ist, § 14 Abs. 1 S. 1 AsylVfG. Der Antrag umfasst, wenn er nicht auf den internationalen Schutz beschränkt wird (§ 13 Abs. 2 S. 2 AsylVfG), die Anerkennung als Asylberechtigter, Flüchtling und subsidiär Schutzberechtigter.10 Nach der Antragstellung wird der Asylbewerber nach § 24 Abs. 1 S. 2 AsylVfG über den Ablauf des Verfahrens sowie über seine Rechte und Pflichten im Verfahren informiert. 3.3. Persönliche Anhörung Nach § 25 Abs. 1 S. 3 AsylVfG hat das BAMF den Asylbewerber persönlich anzuhören. Von der persönlichen Anhörung kann nach § 25 Abs. 1 S. 4 und 5 AsylVfG abgesehen werden, wenn das BAMF den Asylbewerber als Asylberechtigten oder international Schutzberechtigten anerkennen will oder wenn der Ausländer nach seinen Angaben aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist. Der Ausländer muss nach § 25 Abs. 1 AsylVfG „selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen“. Zu den erforderlichen Angaben gehören u.a. Auskünfte über Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten sowie über Tatsachen und Umstände, die einer Abschiebung entgegenstehen, § 25 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AsylVfG. Die persönliche Anhörung ist bedeutsam für die Sachverhaltsaufklärung durch das BAMF (§ 24 Abs. 1 S. 1 AsylVfG).11 Über sie ist gemäß § 25 Abs. 7 AsylVfG eine Niederschrift anzufertigen.12 Die persönliche Anhörung ist darüber hinaus von besonderer Bedeutung für den Asylbewerber: verspätetes Vorbringen kann nämlich nach § 25 Abs. 3 S. 1 AsylVfG unter bestimmten Umständen unberücksichtigt bleiben, worüber der Asylbewerber zu belehren ist, § 25 Abs. 3 S. 2 AsylVfG. 9 Zur verwirrenden Verwendung der Begriffe Asylgesuch und Asylantrag im AsylVfG siehe Tiedemann (Fn. 5), 108, der u.a. darauf verweist, dass in § 13 Abs. 1 AsylVfG vom „Asylantrag“ die Rede ist, obwohl damit nicht der förmliche, ein Asylverfahren auslösender Antrag gemeint ist, sondern lediglich ein Asylgesuch. 10 Nach § 24 Abs. 2 AsylVfG obliegt dem BAMF bei Stellung eines Asylantrages auch die Prüfung der national subsidiären Schutzbedürftigkeit (Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG). 11 Siehe dazu auch sogleich unter Ziff. 3.4. 12 Zur Problematik, dass die diejenigen Mitarbeiter des BAMF, die die Anhörung durchführen, nicht zwingend über den Asylantrag entscheiden vgl. Tiedemann (Fn. 5), S. 116. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 7 Informations- und Anhörungspflichten folgen auch aus der Dublin-III-Verordnung. Nach Art. 4 VO [EU] Nr. 604/2013 ist der Ausländer, der Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, umfassend über die Anwendung der Dublin-III-Verordnung zu informieren, ggf. auch mündlich (Art. 4 Abs. 2 S. 3 VO [EU] Nr. 604/2013). Zur Durchführung des sog. Dublin-Verfahrens ist nach Art. 5 VO [EU] Nr. 604/2013 grundsätzlich ein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller zu führen .13 3.4. Aufklärung des Sachverhalts Das BAMF hat nach § 24 Abs. 1 S. 1 AsylVfG den Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweise zu erheben. Die persönliche Anhörung reicht dafür regelmäßig nicht aus. Vielmehr sind z.B. die erforderlichen Kenntnisse über das Herkunftsland des Asylbewerbers zu beschaffen und die Angaben des Asylbewerbers mit Hilfe von unabhängigen Quellen zu prüfen.14 Als Beweismittel kommen z.B. in Betracht: Zeugen, Sachverständigengutachten, amtliche Auskünfte, Berichte und Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen.15 Der Asylbewerber ist zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung verpflichtet, § 15, § 25 Abs. 1, 2 AsylVfG. 3.5. Antragsprüfung und Entscheidung Das BAMF entscheidet nach Antragsprüfung durch Verwaltungsakt über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 31 Abs. 2 AsylVfG), des internationalen subsidiären Schutzes (§ 31 Abs. 2 AsylVfG), über die Anerkennung der Asylberechtigung (§ 31 Abs. 2 AsylVfG) sowie über die Gewährung national subsidiären Schutzes (§ 31 Abs. 3 AsylVfG). Eine Ablehnung des Asylantrags kann dabei in vier Formen erfolgen: als unbeachtlich (§ 29 AsylVfG), als unzulässig (§ 27a, 31 Abs. 6 AsylVfG), als offensichtlich unbegründet (§ 29a, § 30 AsylVfG) und als (einfach) unbegründet. Gegenüber der einfachen Antragsablehnung (einfache Unbegründetheit) haben die qualifizierten Ablehnungen wegen Unbeachtlichkeit, Unzulässigkeit und offensichtlicher Unbegründetheit strengere verfahrens- und prozessrechtliche Folgen (z.B. kürzere Klagefrist, § 36 Abs. 3 S. 1, § 74 Abs. 1 AsylVfG). Die qualifizierten Ablehnungen sind aber nicht notwendigerweise Ausdruck einer beschleunigten oder weniger intensiven Prüfung. So hat die sichere Herkunftsstaatenregelung nach § 29a AsylVfG zwar grundsätzlich eine verfahrensbeschleunigende Wirkung , da sie die Vermutung der Verfolgungssicherheit aufstellt (Art. 16a Abs. 3 S. 1 GG); gleichwohl kann der Ablehnung eines Asylantrags gegenüber einem Asylbewerber aus einem sicheren Herkunftsstaat als offensichtlich unbegründet (§ 29a Abs. 1 AsylVfG) eine umfangreiche Prüfung vorausgegangen sein, die sich mit den vom Ausländer angegebenen Tatsachen und Beweismitteln zur Widerlegung der Verfolgungssicherheit im Herkunftsstaat befasst. 13 Entsprechende Vorschriften im AsylVfG finden sich dazu nicht, was angesichts der unmittelbaren Wirkung der EU-Verordnung auch nicht notwendig ist. 14 Vgl. Tiedemann (Fn. 5), 117. 15 Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht (10. Aufl., 2013), Rn. 5 zu § 24 AsylVfG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 8 4. Prüfungsschritte Die Entscheidung über den Asylantrag setzt rechtliche und tatsächliche Prüfungen voraus. Wie und in welcher Prüfungsreihenfolge das BAMF dabei konkret vorgeht, kann von hier aus nicht beurteilt werden.16 Die wesentlichen Prüfungsschritte betreffen die Zuständigkeit der Bundesrepublik im Rahmen des Dublin-Verfahrens sowie die Voraussetzungen und Ausschlussgründe für die Zuerkennung der Schutzstatus.17 4.1. Dublin-Verfahren Soweit die Bundesrepublik Deutschland nach der Dublin-III-Verordnung (VO [EU] Nr. 604/2013) nicht für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, kommt eine Überstellung des Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedstaat und eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 27a AsylVfG in Betracht. Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates ist u.a. dann gegeben, wenn auf Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt wird, „dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaates illegal überschritten hat“(Art. 13 Abs. 1 S. 1 VO [EU] Nr. 604/2013). Die Feststellung der illegalen Einreise in einen anderen Mitgliedstaat kann dabei ggf. schon über einen Abgleich mit der EURODAC-Datenbank erfolgen.18 Das Aufnahmegesuch gegenüber dem anderen Mitgliedstaat muss innerhalb einer zweimonatigen oder dreimonatigen Frist gestellt werden, andernfalls wäre die Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Asylantrags zuständig, Art. 21 Abs. 1 VO [EU] Nr. 604/2013. Zu prüfen wäre in diesem Zusammenhang allerdings nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO [EU] Nr. 604/2013 auch, ob „es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen“, mit der Folge, dass eine Überstellung in diese EU-Mitgliedstaaten unmöglich ist (Überstellungshindernisse).19 Die Durchführung des Dublin-Verfahrens ist nicht zwingend. Art. 17 Abs. 1 VO [EU] Nr. 604/2013 lässt es ausdrücklich zu, von einer Zuständigkeitsprüfung abzusehen und „einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist“. In diesem Fall wird der Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat, Art. 17 Abs. 1 S. 2 VO [EU] Nr. 604/2013 (Selbsteintrittsrecht). 16 Eine entsprechende (kurzfristige) Anfrage beim BAMF ist bisher unbeantwortet geblieben. 17 Bei der Prüfungsreihenfolge im Hinblick auf die Schutzstatus wird entsprechend der Reihenfolge in § 31 Abs. 2 AsylVfG zunächst auf die Flüchtlingseigenschaft eingegangen, dann auf den international subsidiären Schutz, die Asylberechtigung und schließlich auf den national subsidiären Schutz. 18 Siehe dazu auch die Verordnung [EU] Nr. 603/2013 (EURODOC-Verordnung). 19 Vgl. dazu BVerwG NVwZ 2014, 1039 mit weiteren Hinweisen zur einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 9 4.2. Flüchtling Ein Ausländer hat Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 4 AsylVfG), wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylVfG vorliegen und keine Ausschlussgründe (§ 3 Abs. 2 AsylVfG, § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG) bestehen. 4.2.1. Voraussetzungen Die Richtlinienvorgaben für die Anerkennung von Flüchtlingen aus den Art. 9 ff. Richtlinie 2011/95/EU (EU-Qualifikationsrichtlinie), die sich auf die Genfer Flüchtlingskonvention beziehen ,20 wurden in den §§ 3, 3a)-e) AsylVfG umgesetzt. Danach ist Flüchtling, wer sich „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“21 außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, § 3 Abs. 1 Nr. 1, 2a) AsylVfG.22 Entscheidend ist dabei der Zusammenhang zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund , § 3a Abs. 3 AsylVfG (und Art. 9 Abs. 3 Richtlinie 2011/95/EU), d.h. die Verfolgungshandlung , z.B. eine diskriminierende Strafverfolgung, muss gerade wegen der Rasse, Religion etc. erfolgen. Entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben wurden Verfolgungshandlung und Verfolgungsgründe im Asylverfahrensgesetz näher konkretisiert, und zwar in § 3a AsylVfG und § 3b AsylVfG. Als Verfolger kommen nach § 3c AsylVfG neben dem Staat auch nichtstaatliche Akteure in Betracht. Zu den einzelnen Tatbeständen und Tatbestandsmerkmalen können zahlreiche Auslegungs- und Anwendungsprobleme entstehen, z.B. im Hinblick auf die Fragen, ob im Einzelfall eine Menschenrechtsverletzung vorliegt, die eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 1 AsylVfG darstellt, oder ob eine persönliche Verfolgung vorliegt und nicht „nur“ allgemein schlechte und im Rahmen des Flüchtlingsbegriffs unbeachtliche Zustände im Herkunftsland herrschen (z.B. Hungersnot, Bürgerkrieg ). Die begründete Furcht vor Verfolgung muss aber nicht darauf beruhen, dass der Ausländer aus dem Herkunftsland wegen Verfolgung geflohen ist (Vorverfolgung), vielmehr reichen sog. Nachfluchtgründe aus, § 28 Abs. 1a AsylVfG.23 Gegen eine begründete Furcht vor Verfolgung spricht die Herkunft aus sicheren Herkunftsstaaten im Sinne des Art. 16a Abs. 3 GG. In den durch Gesetz bestimmten sicheren Herkunftsstaaten (vgl. Anlage II zu § 29a AsylVfG) wird vermutet, dass ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, dass er entgegen 20 Vgl. Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU: „Um als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten, (…).“ 21 Hervorhebung durch Verfasser. 22 Bei Staatenlosigkeit kommt § 3 Abs. 1 Nr. 1, 2 b) AsylVfG zur Anwendung. 23 Zu den insoweit engeren Voraussetzungen im Rahmen der Asylberechtigung siehe unten Ziff. 4.4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 10 dieser Vermutung politisch verfolgt wird. Ohne Widerlegung der vermuteten Verfolgungssicherheit wird der Asylantrag eines Ausländers aus einem sicheren Herkunftsstaat nach § 29a Abs. 1 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Die im Rahmen des Asylgrundrechts vorgesehene sichere Herkunftsstaatenregelung findet auch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Anwendung, die mit dem Asylantrag begehrt wird (§ 13 Abs. 2 AsylVfG).24 Keinen Einfluss auf die Flüchtlingseigenschaft hat hingegen die sichere Drittstaatenregelung, die nur die Asylberechtigung ausschließt, § 26a Abs. 1 AsylVfG.25 Ferner mangelt es dem Ausländer an einer Schutzbedürftigkeit, wenn er Schutz und Beistand einer Organisation oder Institution der Vereinten Nationen genießt (§ 3 Abs. 3 AsylVfG) oder wenn für ihn eine inländische Fluchtalternative (§ 3e AsylVfG) oder eine anderweitige Verfolgungssicherheit (§ 29 AsylVfG) besteht. So kann z.B. eine Verfolgungssicherheit in einem anderen Drittstaat (außerhalb der EU-Mitgliedstaaten) bestanden haben, die zur Unbeachtlichkeit eines Asylantrags nach § 29 AsylVfG führt. Zwar bezieht sich die einschlägige Regelung des § 27 AsylVfG zur Verfolgungssicherheit in einem sonstigen Drittstaat nach dem Wortlaut nicht auf Flüchtlinge. Die Unbeachtlichkeit eines entsprechenden Asylantrags nach § 29a AsylVfG folgt aber aus den Vorschriften der EU-Verfahrensrichtlinie (Art. 33 Abs. 2 lit. b) und Art. 35 RL 2013/32/EU), wonach Asylanträge als unzulässig abgewiesen werden können, wenn Verfolgungssicherheit im ersten Asylstaat, der auch ein sonstiger Drittstaat sein kann, bestand.26 4.2.2. Ausschlussgründe Die Flüchtlingsanerkennung ist nach § 3 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen, wenn „aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er 1. ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, 2. vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder 24 Vgl. dazu nur jüngst VG Saarlouis, Urt. V. 25.6.2015, Az.: GSW3 K 933/14: „Das bedeutet, dass Asylanträge von Ausländern aus sicheren Herkunftsstaaten als offensichtlich unbegründet abzulehnen sind, es sei denn, die von den Ausländern angegebenen Tatsachen oder Beweismitteln begründen die Annahmen, dass ihnen abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsland politische Verfolgung droht. Diese Vermutung der Verfolgungsfreiheit gilt auch für das Begehren auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 3 Abs. 1 AsylVfG. 25 Die Einreise aus sicheren Drittstaaten kann aber schon zur Unzulässigkeit des Asylantrags, § 27a AsylVfG (vgl. Dublin-Verfahren) oder zur Einreiseverweigerung, § 18 Abs. 2 AsylVfG, führen. 26 BVerwG NVwZ-RR 2013, 431: „Ob ein Asylbewerber bereits in einem anderen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war, ist bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach dem in § 29 AsylVfG umgesetzten unionsrechtlichen Konzept des ersten Asylstaats (Art. 25 und Art. 26 der Richtlinie 2005/85/EG) nur für die Beachtlichkeit des Asylantrags von Bedeutung.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 11 3. den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.“ Zudem wird einem Ausländer nach § 3 Abs. 4 AsylVfG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft versagt, wenn er nach § 60 Abs. 8 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes „aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist“. 4.3. International subsidiär Schutzberechtigter Erfüllt der Ausländer die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft nicht, kommt die Gewährung des Schutzstatus des international subsidiär Schutzberechtigten in Betracht. 4.3.1. Voraussetzungen Die Richtlinienvorgaben für die Zuerkennung dieses Status (Art. 15 ff. Richtlinie 2011/95/EU), wurden in § 4 AsylVfG umgesetzt. Danach ist ein Ausländer (international) subsidiär schutzberechtigt (§ 4 Abs.1 AsylVfG), wenn „er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, 2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder 3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.“ Für den subsidiären Schutz bedarf es keiner Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund (z.B. politische Überzeugung), vielmehr reicht insoweit die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 AsylVfG aus. Von besonderer Bedeutung ist die Gefahr eines ernsthaften Schadens nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylVfG, der Bedrohungen von Zivilpersonen durch willkürliche Gewalt im Rahmen von internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikten umfasst. Die z.B. in Bürgerkriegen bedrohten Zivilpersonen fallen regelmäßig nicht unter den Flüchtlingsbegriff, da ihnen keine gezielten Rechtsverletzungen wegen eines bestimmten Verfolgungsgrundes drohen, sondern allgemeine Gefahren.27 Ob eine Schutzbedürftigkeit vorliegt, bestimmt sich nach den für den Flüchtlingsschutz geltenden Vorschriften, § 4 Abs. 3 AsylVfG. Danach besteht u.a. keine Schutzbedürftigkeit, wenn der Ausländer eine inländische Fluchtalternative hat, § 3e AsylVfG. 27 Zu den Anforderungen an den bewaffneten Konflikt vgl. EuGH, Rs. C-285/12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 12 4.3.2. Ausschlussgründe Entsprechend den Vorgaben der EU-Qualifikationsrichtlinie (Art. 17 Richtlinie 2011/95/EU) schließt § 4 Abs. 2 AsylVfG die Zuerkennung des subsidiären Schutzes für einen Ausländer aus, wenn „schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er 1. ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen, 2. eine schwere Straftat begangen hat, 3. sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder 4. eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.“ Die Ausschlussgründe stimmen weitgehend mit den für die Flüchtlingsanerkennung geltenden Ausschlussgründen überein.28 4.4. Asylberechtigter In der Praxis kommt der Asylgewährung nach Art. 16a Abs. 1 GG nur noch geringe Bedeutung zu. Dies liegt zum einen an den Einschränkungen des Asylgrundrechts durch die Drittstaatenund Herkunftsstaatenregelungen (Art. 16a Abs. 2 und 3 GG) und zum anderen an der Angleichung des Flüchtlingsstatus an den Asylberechtigtenstatus, § 2 Abs. 1 AsylVfG. Die Rechte aus dem Asylberechtigtenstatus unterscheiden sich nicht von den Rechten aus dem Flüchtlingsstatus ,29 die Anerkennung als Asylberechtigter unterliegt aber strengeren Voraussetzungen. 4.4.1. Voraussetzungen Die Voraussetzungen der Asylberechtigung sind nicht einfachgesetzlich geregelt, sondern folgen aus Art. 16a Abs. 1 GG, wonach politisch Verfolgte Asyl genießen. 28 Vgl. dazu oben unter Ziff. 4.2.2. 29 Tiedemann (Fn. 5), 29: „Der Eindruck, es gäbe gelichwohl Unterschiede und es lägen folglich zwei verschiedene Status vor, ergibt sich aus § 2 Abs. 2 AsylVfG, wonach die ‚Vorschriften, die den Asylberechtigten eine günstigere Rechtsstellung einräumen‘ unberührt bleiben. Indessen gibt es solche Vorschriften nicht!“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 13 Eine Berufung auf das Asylgrundrecht aus Art. 16a Abs. 1 GG scheidet von vornherein aus, wenn der Ausländer aus einem sicheren Drittstaat (Art. 16a Abs. 2 GG) eingereist ist.30 Sichere Drittstaaten im Sinne des Art. 16a Abs. 2 GG sind nach § 26a Abs. 2 und Anlage I zu § 26a AsylVfG die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Norwegen und die Schweiz.31 Den Begriff der politischen Verfolgung hat das Bundesverfassungsgericht in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention konkretisiert, ihn im Ergebnis aber enger gefasst als den Flüchtlingsbegriff. Politische Verfolgung im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG ist danach grundsätzlich staatliche Verfolgung.32 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Verfolgung dann eine politische, „wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen.“33 Wie beim Flüchtlingsbegriff muss die Verfolgungshandlung an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfen : „Nicht jede gezielte Verletzung von Rechten, die etwa nach der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland unzulässig ist, begründet schon eine asylerhebliche politische Verfolgung . Erforderlich ist, dass die Maßnahme den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen soll. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin ‚wegen‘ eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (…).“34 Im Unterschied zum Flüchtlingsbegriff kommt es für eine Verfolgung im Rahmen des Asylgrundrechts nicht auf eine begründete Furcht, sondern allein auf die objektive Verfolgungswahrscheinlichkeit an.35 Auch muss grundsätzlich eine Vorverfolgung stattgefunden haben, Nachfluchtgründe können nur ausnahmsweise eine Verfolgung begründen, § 28 Abs. 1 AsylVfG.36 Gegen eine objektive Verfolgungswahrscheinlichkeit spricht die Herkunft aus sicheren Herkunftsstaaten im Sinne des Art. 16a Abs. 3 GG.37 Ohne Widerlegung der vermuteten Verfolgungssicherheit wird der Asylantrag eines Ausländers aus einem sicheren Herkunftsstaat nach § 29a Abs. 1 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt. 30 Die Drittstaatenregelung beschränkt insoweit den persönlichen Geltungsbereich des Asylgrundrechts, vgl. BVerf GE 94, 49, 87. 31 Eine Flüchtlingsanerkennung bleibt jedoch möglich, vgl. oben unter Ziff. 4.2.1. 32 BVerfGE 80, 315; zum insoweit weiteren Flüchtlingsbegriff vgl. § 3c AsylVfG. 33 BVerfGE 80, 315. 34 BVerfGE 80, 315, 335 (Hervorhebung nicht im Original). 35 Dazu Tiedemann (Fn. 5), 59. 36 BVerfGE 74, 51, 64 ff. 37 Siehe dazu bereits oben unter Ziff. 4.2.1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 14 An der Schutzbedürftigkeit fehlt es, wenn eine inländische Fluchtalternative38 oder eine anderweitige Verfolgungssicherheit besteht. Im Hinblick auf die anderweitige Verfolgungssicherheit schließt § 27 AsylVfG eine Asylberechtigung aus, wenn der Ausländer „bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war“. Hier wird nicht auf die sicheren Drittstaaten im Sinne des § 26a AsylVfG abgestellt, sondern auf andere Drittstaaten, die dem Antragsteller Verfolgungssicherheit bieten. In diesem Fall kommt eine Ablehnung des Asylantrags als unbeachtlich in Betracht, wenn „offensichtlich ist, dass der Ausländer bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war und die Rückführung in diesen Staat oder in einen anderen Staat, in dem er vor politischer Verfolgung sicher ist, möglich ist“. 4.4.2. Ausschlussgründe Die Gründe, die eine Flüchtlingsanerkennung ausschließen (§ 3 Abs. 2 AsylVfG, § 60 Abs. 8 Aufenth G),39 kommen auch im Rahmen des Asylgrundrechts zum Tragen. Einfachgesetzlich sieht § 30 Abs. 4 AsylVfG vor, dass Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzulehnen sind, wenn die Voraussetzungen des § 3 S. 2 AsylVfG oder des § 60 Abs. 8 AufenthG vorliegen. Da der Asylantrag auch den Schutz als Asylberechtigter umfasst (§ 13 Abs. 2 S. 1 AsylVfG), greifen die Ausschlussgründe auch hinsichtlich der Asylberechtigung.40 4.5. National subsidiär Schutzberechtigter Soweit die Anerkennung als Flüchtling, Asylberechtigter und international subsidiär Schutzberechtigter ausscheidet, prüft das BAMF die Voraussetzungen des national subsidiären Schutzes (§ 31 Abs. 3 AsylVfG). Insoweit können die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) greifen. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, „soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.“41 Ein solches aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) folgendes Abschiebungsverbot liegt insbesondere vor, wenn im Zielland Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (Art. 3 EMRK). Trotz der insoweit bestehenden Übereinstimmung mit den Voraussetzungen 38 BVerfGE 80, 315, 342. 39 Siehe dazu oben unter 4.2.2. 40 Ob die einfachgesetzliche Bestimmung von Ausschlussgründen verfassungsrechtlich zulässig ist, wird teilweise bezweifelt, ausführlich dazu Tiedemann (Fn. 5), 65 ff. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist sie aber unionsrechtlich geboten und im Rahmen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts zu beachten, EuGH, Rs. C-57/09. 41 Das BAMF prüft insoweit die Umstände im Herkunftsland, sog. zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, während die Ausländerbehörde inlandsbezogene Abschiebungshindernisse im Rahmen einer Duldung (§ 60a Abs. 2 AufenthG) prüft. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 220/15 Seite 15 des international subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylVfG wird § 60 Abs. 5 Aufenth G nicht verdrängt.42 Da der nationale subsidiäre Schutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG keinen Ausschlussgründen unterliegt, könnten damit Ausländer Schutz erlangen, denen der Schutz als international subsidiär Schutzberechtigter wegen Vorliegens eines Ausschlussgrundes zu versagen wäre. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll ein Ausländer nicht abgeschoben werden, „wenn dort [erg.: in einem anderen Staat] für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.“ Eine konkrete Gefahr in diesem Sinne liegt beispielsweise bei einer schweren Erkrankung und mangelnder medizinischer Versorgung im Zielland vor.43 Der Anwendungsbereich dieses Abschiebungsverbotes wird allerdings dadurch erheblich eingeschränkt, dass allgemeine Gefahren im Zielland nur im Rahmen der Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 S. 1 AufenthG berücksichtigt werden und damit der dort geregelten Entscheidung einer obersten Landesbehörde vorbehalten sind („Politikvorbehalt“44). Zudem vermittelt § 60 Abs. 7 AufenthG keinen Anspruch darauf, von der Abschiebung abzusehen, sondern sieht lediglich ein gebundenes Ermessen vor („soll“). Auch der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG unterliegt keinem Ausschlussgrund. Ende der Bearbeitung 42 BVerwGE 146, 12. 43 BVerwG, Urt. V. 17.10.2006, Az.: 1 C 18.05. 44 Tiedemann (Fn. 5), 78.