© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 219/20 Wahlrecht Beibringung von Unterstützungsunterschriften Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 219/20 Seite 2 Wahlrecht Beibringung von Unterstützungsunterschriften Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 219/20 Abschluss der Arbeit: 7. Oktober 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 219/20 Seite 3 1. Einleitung Gefragt wird, ob aufgrund der Covid-19-Pandemie Änderungen im Wahlrecht möglich sind, um eine erleichterte Beteiligung von kleineren Parteien an der Bundestagswahl 2021 zu ermöglichen. Im Rahmen der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie haben die Bundesländer Infektionsschutzverordnungen erlassen, die u.a. Abstandsregelungen von mindestens 1,50 m vorsehen. Dies erschwere kleineren Parteien und Einzelbewerbern, die benötigten Unterstützungsunterschriften in der bisher üblichen Weise zu sammeln. Als Ausgleich für diese erschwerten Bedingungen werden ein Aussetzen bzw. ein starkes Herabsetzen der erforderlichen Unterstützungsunterschriften sowie die Einführung einer digitalen Unterschriftensammlung/eines reinen Online-Unterstützungsverfahrens angesprochen. 2. Aktuelle Rechtslage 2.1. Unterstützungsunterschriften Vor Bundestagswahlen ist in bestimmten Fällen die Sammlung von Unterstützungsunterschriften notwendig, um die Ernsthaftigkeit der Bewerbung nachzuweisen.1 Die Regelungen hierzu finden sich im Bundeswahlgesetz (BWahlG)2. Nach § 18 Abs. 2 BWahlG bedürfen Parteien, die nicht im Bundestag oder einem Landtag seit deren letzten Wahl auf Grund eigener Wahlvorschläge ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten waren, einer Feststellung ihrer Parteieigenschaft. Fällt eine Partei in den Anwendungsbereich des § 18 Abs. 2 BWahlG, benötigt sie neben dieser Feststellung auch Unterstützungsunterschriften nach § 20 Abs. 2 S. 2 BWahlG für Kreiswahlvorschläge sowie nach § 27 Abs. 1 S. 2 BWahlG für die Aufstellung von Landeslisten. Parteien, die hingegen gemäß § 18 Abs. 2 BWahlG im Bundestag oder einem Landtag vertreten waren, unterliegen keinem Erfordernis von Unterstützungsunterschriften. Nach § 20 Abs. 2 S. 2 BWahlG benötigen Kreiswahlvorschläge von Parteien im Sinne des § 18 Abs. 2 BWahlG die Unterstützung von 200 Wahlberechtigten des Wahlkreises. Die Unterstützung wird dadurch nachgewiesen, dass die Wahlberechtigten persönlich und handschriftlich den Kreiswahlvorschlag unterzeichnen. Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung muss die Wahlberechtigung bestehen und durch eine Bescheinigung der Gemeindebehörde nachgewiesen werden. Eine Ausnahme vom Unterschriftenerfordernis gilt für Kreiswahlvorschläge von Parteien nationaler Minderheiten . Gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 BWahlG sind Landeslisten von Parteien im Sinne des § 18 Abs. 2 BWahlG von 1 vom Tausend der Wahlberechtigten des Landes bei der letzten Bundestagswahl, höchstens 1 BVerfGE 82, 353, 364. 2 Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. Juni 2020 (BGBl. I S. 1409). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 219/20 Seite 4 jedoch von 2000 Wahlberechtigten, persönlich und handschriftlich zu unterzeichnen. Die Wahlberechtigung muss ebenfalls zum Zeitpunkt der Unterzeichnung gegeben sein. Eine Ausnahme besteht für Parteien nationaler Minderheiten. Kreiswahlvorschläge sind dem Kreiswahlleiter, Landeslisten dem Landeswahlleiter spätestens am neunundsechzigsten Tage vor der Wahl bis 18 Uhr schriftlich einzureichen, § 19 BWahlG. 2.2. Formerfordernis für die Unterschriftensammlung Eine Unterschriftensammlung in digitaler Form oder die Einführung eines reinen Online-Unterstützungsverfahrens sehen das Bundeswahlgesetz und die Bundeswahlordnung (BWO)3 nicht vor. Die Unterschriften sind auf amtlichen Formblättern nach Anlage 14 und 21 BWO persönlich und handschriftlich zu erbringen.4 Der Kreis- bzw. Landeswahlleiter liefert die Formblätter auf Anforderung kostenfrei; er kann sie auch als Druckvorlage oder elektronisch bereitstellen, § 34 Abs. 4 Nr. 1 und § 39 Abs. 3 BWO. Das Einstellen des Formblattes, z. B. auf der Internetseite einer Partei, und der beliebige Abruf des eingescannten Formulars über das Internet ist weder im BWahlG noch in der BWO vorgesehen und daher im Wahlverfahren, sofern durch die Wahlbehörde als ein so verfügbar gemachtes Formblatt erkennbar und nachweisbar, nicht anzuerkennen.5 3. Covid-19: Änderung des Wahlrechts in Bayern und Nordrhein-Westfalen Die Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen haben aufgrund der Covid-19-Pandemie zeitlich befristete Änderungen ihrer Landeswahlgesetze beschlossen. Für die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im September 2020 hat der Landtag Nordrhein-Westfalen Anfang Juni das Gesetz zur Durchführung der Kommunalwahlen 20206 beschlossen. Dieses sah insbesondere vor, dass der Stichtag, an dem die Wahlvorschläge für die Kandidaten eingereicht sein mussten, um elf Tage verschoben wurde. Zudem wurde die Zahl der für eine Kandidatur benötigten Unterstützungsunterschriften auf 60 Prozent der bisher erforderten Zahl gesenkt. Der Bayerische Landtag hatte in diesem Zusammenhang das bayerische Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz7 geändert und eine ausschließliche Briefwahl für die Stichwahl Ende März 2020 geregelt. 3 Bundeswahlordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 2002 (BGBl. I S. 1376), zuletzt geändert durch Artikel 10 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). 4 Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz, 10. Aufl. 2017, § 20 Rn. 7. 5 Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz, 10. Aufl. 2017, § 20 Rn. 11. 6 Gesetz zur Durchführung der Kommunalwahlen 2020, Gesetz- und Verordnungsblatt NRW, Ausgabe 2020, Nr. 19 vom 2. Juni.2020, S. 357-380. 7 Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz (GLKrWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. November 2006 (GVBl. S. 834, BayRS 2021-1/2-I), zuletzt geändert durch Art. 9a Abs. 2 des Gesetzes vom 25. März 2020 (GVBl. S. 174). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 219/20 Seite 5 4. Änderung des Wahlrechts auf Bundesebene Für den Fall einer vorzeitigen Auflösung des Bundestages und anschließender Neuwahl innerhalb von 60 Tagen sieht das Gesetz keine Erleichterung in Form einer Reduzierung des Quorums bei abgekürzten Fristen oder einer Totalsuspendierung vor. Hiergegen bestehen verfassungsrechtlich keine Bedenken. Von einer Ausnahmeregelung zum Erfordernis der Beibringung von Unterstützungsunterschiften hat der Gesetzgeber bewusst Abstand genommen. Forderungen auf Absenkung oder Abschaffung des Unterschriftenquorums ist er nicht nachgekommen. Verfassungsrechtlich bestünden gegen eine dahingehende Regelung oder eine Ermächtigung des Bundesinnenministeriums für eine entsprechende Sonderreglung keine durchgreifenden Bedenken.8 Bisher ist es auf Bundesebene zu keiner Änderung im Wahlrecht gekommen. Ein Gesetzentwurf, der die kleineren Parteien und Einzelbewerber in ihren Wahlvorbereitungen mit Blick auf die Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie berücksichtigt, liegt bislang nicht vor. Das Wahlrecht ist weitüberwiegend einfachgesetzlich ausgestaltet. Die im einfachen Recht festgelegten Fristen und das einfachgesetzlich geregelte Wahlsystem kann der Gesetzgeber grundsätzlich ändern. Maßstab für die Änderung im Wahlrecht ist das Grundgesetz, insbesondere mit der Verpflichtung zu einer allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG). Zudem darf es gemäß Art. 21 Abs. 1 GG den Parteien den vorgesehenen Abläufen nach nicht gänzlich unmöglich sein, die Wahl vorzubereiten und ihre Wahlvorschläge fristgerecht einzureichen. *** 8 Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz, 10. Aufl. 2017, § 20 Rn. 7 und § 27 Rn. 7.