© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 218/18 Vollzug der Abschiebehaft in Justizvollzuganstalten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 218/18 Seite 2 Vollzug der Abschiebehaft in Justizvollzuganstalten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 218/18 Abschluss der Arbeit: 20.07.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 218/18 Seite 3 1. Fragestellung Der Sachstand thematisiert die Zulässigkeit eines Vollzugs der Abschiebehaft in Justizvollzuganstalten . 2. Vorgaben für den Vollzug der Abschiebehaft Für den Vollzug der Abschiebehaft bestehen europarechtliche Vorgaben in der sog. Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG). In Art. 16 Abs. 1 der RL 2008/115/EG heißt es: „Die Inhaftierung erfolgt grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht.“ Die europarechtlichen Vorgaben werden u.a. durch § 62a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) umgesetzt . Auch nach § 62a Abs. 1 AufenthG wird die Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind solche im Bundesgebiet nicht vorhanden oder geht von dem jeweiligen Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus, kann sie auch in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden. Die Abschiebungsgefangenen sind in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen. Darüber hinaus bestehen für den Vollzug der Abschiebehaft landesgesetzliche Vorgaben.1 Den aufgezeigten Regelungen ist zu entnehmen, dass Abschiebehäftlinge grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen und damit nicht in Justizvollzugsanstalten untergebracht werden dürfen. Dieser Grundansatz deckt sich auch mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Freiheitsentziehungen , die keine Strafhaft darstellen. Demnach besteht zwischen der Strafhaft und anderen Formen der Inhaftierung ein grundsätzliches Abstandsgebot.2 3. Umsetzung des Trennungsprinzips im föderalen Staatsaufbau Wie oben dargelegt lässt Art. 16 Abs. 1 der RL 2008/115/EG eine Unterbringung von Abschiebehäftlingen in Justizvollzugsanstalten nur zu, wenn in einem Mitgliedstaat keine speziellen Hafteinrichtungen vorhanden sind. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie die Vorschrift in föderal aufgebauten Mitgliedstaaten zu verstehen ist, wenn nur einzelne Bundesländer über 1 Vgl. etwa: Gesetz über den Vollzug der Abschiebungshaft in Nordrhein-Westfalen (Abschiebungshaftvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen - AHaftVollzG NRW) vom 17. Dezember 2015 abrufbar unter: https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_text_anzeigen?v_id=71720170529104938957#NORM (Stand: 20.07.2018). 2 Vgl. Degenhart, in: Sachs, 8. Aufl. 2018, Art. 104 GG Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 218/18 Seite 4 spezielle Hafteinrichtungen verfügen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vorgelegt.3 Der EuGH hat die Rechtsfrage zugunsten einer Gesamtbetrachtung des Mitgliedstaates entschieden. Ausdrücklich führt er hierzu aus: „Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat auch dann verpflichtet ist, illegal aufhältige Drittstaatsangehörige grundsätzlich in einer speziellen Hafteinrichtung dieses Staates in Abschiebungshaft zu nehmen, wenn er föderal strukturiert ist und die nach nationalem Recht für die Anordnung und Vollziehung einer solchen Haft zuständige föderale Untergliederung über keine solche Hafteinrichtung verfügt.“4 Der BGH ist dieser Rechtsaufassung ausdrücklich gefolgt.5 Aus der dargestellten Rechtsprechung folgt, dass eine Unterbringung von Abschiebehäftlingen in Justizvollzuganstalten selbst in Bundesländern ohne spezielle Hafteinrichtungen unzulässig ist, solange entsprechende Einrichtungen in anderen Bundesländern bestehen. Der BGH geht damit von einer generellen Unzulässigkeit einer Unterbringung von Abschiebungshäftlingen in einer Justizvollzugsanstalt aus. *** 3 BGH, EuGH-Vorlage vom 11. Juli 2013 – V ZB 40/11 –, juris. 4 EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – C-473/13 und C-514/13 –, juris Ls. 5 BGH, Beschluss vom 12. November 2014 – V ZB 40/11 –, juris Rn. 5.