© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 218/16 Verfassungsrechtlicher Rahmen für branchenspezifische Mindesthonorare Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 218/16 Seite 2 Verfassungsrechtlicher Rahmen für branchenspezifische Mindesthonorare Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 218/16 Abschluss der Arbeit: 18. Oktober 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 218/16 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung untersucht den verfassungsrechtlichen Rahmen gesetzlicher branchenspezifischer Mindesthonorare1 für Selbständige. Dabei wird auf Literatur zum gesetzlichen Mindestlohn zurückgegriffen , soweit sich Argumente aus der dort hauptsächlich im Rahmen der Koalitionsfreiheit geführten Diskussion auf die Zulässigkeit eines Mindesthonorars übertragen lassen. Arbeitsrechtliche Fragen, etwa Gestaltungsmöglichkeiten im kollektiven Arbeitsrecht und Probleme der Scheinselbständigkeit, sind nicht Gegenstand der Ausarbeitung. Auch die Vereinbarkeit branchenspezifischer Mindesthonorare mit europäischem Primär- und Sekundärrecht, insbesondere mit der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsrichtlinie, wird hier nicht untersucht. Insoweit ist der Ausgang eines schwebenden Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) abzuwarten .2 2. Verfassungsrechtlicher Rahmen Da die Regelung eines branchenspezifischen Mindesthonorars – wie zu zeigen sein wird – in Grundrechte der betroffenen Vertragsparteien, insbesondere in die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) eingriffe, bedürfte es eines formellen Gesetzes. Die Verfassungsmäßigkeit eines solchen Gesetzes soll im Folgenden geprüft werden. 2.1. Formelle Verfassungsmäßigkeit Das Gesetz müsste zunächst formell verfassungsgemäß sein, also insbesondere der Kompetenzordnung des Grundgesetzes genügen. Die Verbandskompetenz für das Berufsrecht der Selbständigen ergibt sich – anders als für den Mindestlohn – nicht aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, da dieser Kompetenztitel nur das Arbeitsrecht der abhängig Beschäftigten betrifft.3 Weiterhin ist je nach betroffener Tätigkeit zu differenzieren: Ausdrücklich ordnet Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Regelungsgegenstände der Rechtsanwaltschaft, des Notariats und der Rechtsberatung der konkurrierenden Gesetzgebung zu; zur Rechtsberatung gehört auch die Tätigkeit der Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.4 Hiervon umfasst ist jeweils das Gebührenwesen.5 Demnach besteht eine – konkurrierende – Bundeskompetenz im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG etwa für Honorarregelungen der Rechtsanwälte und Steuerberater. Von 1 Der Begriff des Honorars wird hier nicht nur für die Vergütung freiberuflicher Tätigkeiten, sondern allgemein für tätigkeitsbezogene Vergütungen an Selbständige verwendet. 2 Vgl. die Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 25. Februar 2016, abrufbar unter http://europa.eu/rapid /press-release_IP-16-323_de.pdf, zuletzt abgerufen am 13. Oktober 2016. 3 Vgl. nur Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 77. Lfg. 2016, Art. 74 Rn. 161. 4 S. nur Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 14. Aufl. 2016, Art. 74 Rn. 12. 5 Vgl. zu Rechtsanwaltsgebühren BVerfGE 17, 287, 292. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 218/16 Seite 4 dieser Kompetenz hat der Bund bereits mit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz sowie dem Steuerberatungsgesetz und der Steuerberatervergütungsverordnung Gebrauch gemacht. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zählt zur konkurrierenden Gesetzgebung auch das Recht der Wirtschaft , insbesondere das Gewerberecht. Der Kompetenztitel wird traditionell weit ausgelegt.6 Gewerbe ist grundsätzlich jede selbständige, erlaubte und auf Gewinnerzielung und die Schaffung einer Lebensgrundlage ausgerichtete Tätigkeit, die weder der Urproduktion noch den freien Berufen zuzurechnen ist.7 Der Gewerbebegriff des Art. 74 GG soll aber auch diejenigen freien Berufe erfassen , für die keine spezielleren Kompetenztitel bestehen.8 Im Einzelnen ist der Umfang durchaus umstritten, etwa hinsichtlich des Berufsrechts der Ärzte.9 Nicht hierher gehören soll das Recht solcher Berufe, die sich nach traditionellem Verständnis kaum unter den Gewerbebegriff subsumieren lassen wie etwa selbständige Künstler, Wissenschaftler, Erzieher oder Seelsorger.10 Grenzbereiche bilden wiederum das Kunstgewerbe oder der Fernunterricht.11 Zu beachten ist auch, dass der Begriff des „freien“ oder „höheren“ Berufs dynamisch zu verstehen und stets gesellschaftlichem Wandel unterworfen ist.12 Honorare für selbständige Tätigkeiten können demnach nur dann durch Bundesgesetz geregelt werden, wenn die jeweilige Tätigkeit dem Gewerbebegriff des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG unterfällt. Außerdem müssen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt sein: Eine bundesgesetzliche Regelung muss zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse oder zur Wahrung der Rechtsund Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sein. Andernfalls liegt die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 70 GG bei den Ländern. 2.2. Materielle Verfassungsmäßigkeit Die gesetzliche Bestimmung eines Mindesthonorars griffe in den Schutzbereich der Berufsfreiheit des Selbständigen und in Grundrechte seines Auftraggebers (Bestellers, Mandanten, Kunden etc.) ein. Ein solches Gesetz wäre nur dann materiell verfassungskonform, wenn diese Grundrechtseingriffe gerechtfertigt wären. 2.2.1. Berufsfreiheit des Selbständigen Der Schutzbereich der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG) des selbständigen Honorarempfängers ist eröffnet. Geschützt sind selbständige wie unselbständige Tätigkeiten und freie wie gewerbliche 6 Vgl. nur Wittreck, in: Dreier, Grundgesetz, 3. Aufl. 2015, Art. 74 Rn. 50. 7 Maunz (Fn. 3), Art. 74 Rn. 139; Pieroth (Fn. 4), Art. 74 Rn. 26. 8 Maunz (Fn. 3), Art. 74 Rn. 140 f.; Wittreck (Fn. 6), Art. 74 Rn. 52. 9 Für das Berufsrecht der Ärzte sieht Maunz (Fn. 3), Art. 74 Rn. 141, keine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz , da Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG eine Beschränkung auf das Recht der Zulassung zu Heilberufen enthalte; anders BVerfGE 68, 319: Bundeskompetenz für ärztliche Gebührenordnungen. 10 Maunz (Fn. 3), Art. 74 Rn. 141. 11 Maunz (Fn. 3), a.a.O. 12 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 77. Lfg. 2016, Art. 12 Rn. 269. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 218/16 Seite 5 Berufe.13 Das einheitliche Grundrecht schützt Berufswahl und Berufsausübung. Einen wichtigen Teil der Berufsausübung bildet die berufliche Vertragsfreiheit. Der Berufstätige darf grundsätzlich seinen Vertragspartner frei auswählen und den Vertragsinhalt, insbesondere die Vergütung,14 mit dem Vertragspartner frei aushandeln. Insoweit geht die Berufsfreiheit der allgemeinen Vertragsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG als spezielleres Grundrecht vor.15 Regelmäßig nicht eröffnet ist dagegen der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit, Art. 9 Abs. 3 GG. Grundrechtsträger sind auf Arbeitnehmerseite abhängig Beschäftigte. Zu beachten ist jedoch, dass ausnahmsweise auch Selbständige in eine Berechtigung aus Art. 9 Abs. 3 GG „hineinwachsen“ können, wenn sich etwa Formen freier Mitarbeit in hinreichendem Maß einem Arbeitsverhältnis angenähert haben.16 Vergütungsregeln, die einen nicht nur unerheblichen Einfluss auf die Einnahmen aus der beruflichen Tätigkeit haben, greifen in die Berufsausübungsfreiheit ein.17 Ein gesetzliches Mindesthonorar stellt daher einen Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit des Selbständigen dar. Während im Fall des Mindestlohns die Koalitionsfreiheit nur durch kollidierendes Verfassungsrecht beschränkt werden kann, unterliegt die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt. Das Gesetz müsste insbesondere verhältnismäßig, das heißt zur Verfolgung eines legitimen Zwecks geeignet und erforderlich sein und sich als angemessen erweisen . Nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten sogenannten Drei-Stufen-Theorie können je nach Eingriffsintensität nur bestimmte Zwecke einen Eingriff in die Berufsfreiheit rechtfertigen . Auf der hier betroffenen Stufe der Berufsausübungsregelungen kann legitimer Zweck jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls sein.18 Hier kommen verschiedene Ansätze in Betracht: Vorliegend würde wohl nicht die Sicherung des Existenzminimums angestrebt werden. Das aus Art. 1 Abs. 1 GG fließende Existenzminimum soll existentielle Not verhindern und Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins sicherstellen. Die hier angestrebten Mindesthonorare dürften deutlich über diesem Existenzminimum liegen.19 Auch dürfte es hier nicht um die Qualität der Arbeitsergebnisse und den Schutz der Allgemeinheit vor Schlechtleistungen gehen. Dieses Ziel soll den bereits bestehenden Honorarordnungen und Vergütungsgesetzen für die freien Berufe zugrunde liegen. So soll die HOAI einen ruinösen Preiswettbewerb verhindern, der die Qualität der Planungsleistungen der Architekten gefährden 13 Scholz (Fn. 12), Art. 12 Rn. 267 ff. 14 BVerfGE 117, 163, 181; 101, 331, 347. 15 BVerfGE 77, 84, 118; 134, 204, 222 f.; Wieland, in: Dreier, Grundgesetz, 3. Aufl. 2015, Art. 12 Rn. 170. 16 Zum ganzen m.w.N. Scholz (Fn. 12), Art. 9 Rn. 178 ff.; beispielhaft werden hier freie Mitarbeiter bei Massenmedien genannt. 17 BVerfGE 101, 331, 347. 18 BVerfGE 103, 1; Zeising/Weigert, Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohngesetzes, in: NZA 2015, 15, 20. 19 Vgl. zum Ganzen im Zusammenhang mit dem Mindestlohn: Fischer, Gesetzlicher Mindestlohn - Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit?, in: ZRP 2007, 20, 21 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 218/16 Seite 6 würde.20 Solche Erwägungen gelten vor allem für besonders gefahrträchtige Tätigkeiten, die typischerweise im Bereich der freien Berufe angesiedelt sein dürften. So ist etwa einer Rechtsanwältin als einem Organ der Rechtspflege mehr als nur der Schutz der individuellen Vermögensinteressen des Mandanten anvertraut; die Schlechtleistung eines Arztes kann unmittelbar das hohe Gut der körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigen. Diese Erwägungen dürften sich nicht ohne weiteres auf andere selbständige Tätigkeiten übertragen lassen. Als legitimer Zweck kommt hier aber die Bekämpfung sozialer oder wirtschaftlicher Ungleichgewichte in Betracht. So führt das Bundesverfassungsgericht zum Anspruch auf Vergütungsanpassung im Urheberrecht aus: „Der Gesetzgeber darf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen einzelvertraglich zu vereinbaren, durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzen, um sozialen oder wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken.“21 Auf dieses Ziel wird auch in der Literatur zum Mindestlohn abgestellt.22 Schließlich kann die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme ein legitimer Zweck sein. Dieser Zweck kann mit branchenspezifischen Mindesthonoraren insbesondere dann verfolgt werden, wenn die Angehörigen einer Branche häufig aufstockend Sozialleistungen beziehen.23 Das Mindesthonorar müsste zur Verfolgung des legitimen Zwecks geeignet sein. Ein Mittel ist bereits dann geeignet, wenn es den gewünschten Erfolg fördern kann; die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt. Der dem Gesetzgeber insoweit zukommende Einschätzungsvorrang ist auf den Gebieten der Arbeitsmarkt-, der Sozial- und der Wirtschaftsordnung besonders groß.24 Legt man diesen Maßstab an, erscheint die Verfolgung der oben genannten Ziele durch gesetzliche Mindesthonorare grundsätzlich möglich. Weiterhin müsste die Einführung eines Mindesthonorars zur Verfolgung des legitimen Zwecks erforderlich sein. Dem Gesetzgeber darf kein milderes, gleichermaßen geeignetes Mittel zur Verfügung stehen. Auch insoweit steht ihm ein weiter Einschätzungsspielraum zu.25 Gleich geeignete mildere Mittel sind hier nicht ersichtlich. Zwar könnte der Gesetzgeber – ohne einen Eingriff in die Berufsfreiheit – die betroffenen Selbständigen durch höhere Sozialleistungen unterstützen. 20 BVerfG NZBau 2006, 121, 122. 21 BVerfGE 134, 204, 1. Leitsatz. Die Entscheidung betrifft die Berufsfreiheit des Verwerters, also des wirtschaftlich überlegenen Vertragspartners; sie dürfte aber insoweit für beide beteiligte Grundrechtsträger gelten. 22 Zeising/Weigert (Fn. 18), S. 20, nennen den „Ausgleich sozialer Gegensätze“ und die „Bekämpfung der ‚Schere zwischen arm und reich‘“, außerdem die Schaffung angemessener Arbeitsbedingungen. 23 Vgl. zum Mindestlohn Barczak, Mindestlohngesetz und Verfassung, in: RdA 2014, 290, 296; Picker, Niedriglohn und Mindestlohn, in: RdA 2014, 25, 29; Löwisch/Rieble, TVG, 3. Aufl. 2012, Grundlagen Rn. 180 ff. 24 Zeising/Weigert (Fn. 18), S. 17; BVerfGE 103, 293, 307 m.w.N. 25 Vgl. etwa BVerfGE 77, 84, 109. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 218/16 Seite 7 Das Mittel wäre aber ungeeignet, da es dem Ziel, die sozialen Sicherungssysteme zu entlasten, zuwiderliefe.26 Ein gesetzliches Mindesthonorar müsste sich schließlich im Rahmen einer Gesamtabwägung als angemessen erweisen. Die Grundrechtsbeeinträchtigung darf zu dem angestrebten Vorteil nicht außer Verhältnis stehen. Dabei kommt es entscheidend auf die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes an. Hier stehen der Berufsfreiheit des Selbständigen die Ziele der Beseitigung sozialer und wirtschaftlicher Ungleichgewichte und der Entlastung und Stabilisierung der Sozialversicherungssysteme gegenüber. Ein Mindesthonorar beträfe mit der beruflichen Vertragsfreiheit einen zentralen Aspekt der Berufsausübungsfreiheit. Innerhalb der Vertragsfreiheit bildet wiederum die Freiheit, einen Preis für zu erbringende Leistungen auszuhandeln, den Kernbereich; dieser Bereich wird in der Regel dem Marktmechanismus überlassen.27 Andererseits hat auch das Ziel des Ausgleichs sozialer und wirtschaftlicher Gegensätze Verfassungsrang, da es Ausfluss des Sozialstaatsprinzips ist, Art. 20 Abs. 1 GG.28 Entscheidend dürfte es darauf ankommen ob in einer betroffenen Branche solche gravierenden Gegensätze bestehen. Dabei kann nicht pauschal unterstellt werden, dass sich Selbständige gegenüber ihren Auftraggebern in einer strukturell schwächeren Verhandlungsposition befänden und schutzbedürftig seien. Auch dürfte nicht die allgemeine Feststellung ausreichen, dass ein erheblicher Teil der sogenannten „Solo-Selbständigen“, also derjenigen Selbständigen ohne eigene Angestellte, tatsächlich ein Einkommen unterhalb des Mindestlohns erwirtschaftet.29 Vielmehr müssten wohl branchenspezifisch entsprechende Missstände feststellbar sein.30 Schließlich ist zu beachten, dass in den meisten Branchen ein wichtiges Argument für die Angemessenheit eines Mindesthonorars entfällt: In den freien Berufen ist ein Unterbietungswettbewerb wegen erheblicher Gefahren für die Allgemeinheit zu verhindern.31 Vergleichbare Gefahren gehen von Schlechtleistungen in den meisten anderen Berufen nicht aus. 2.2.2. Grundrechte des Auftraggebers Auf Seiten des Auftraggebers ist zu differenzieren: Handelt auch er beim Vertragsschluss mit dem Honorarempfänger im Rahmen seiner beruflichen Vertragsfreiheit, wäre auch auf seiner Seite der Schutzbereich der Berufsfreiheit eröffnet. Das ist z.B. der Fall, wenn ein Software-Hersteller einen Auftrag an einen selbständigen Programmierer vergibt. Dann kann im Wesentlichen auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. 26 Außerdem drohten „Mitnahmeeffekte“ durch die Auftraggeber; entsprechend zum Mindestlohn Wank, Der Mindestlohn , in: RdA 2015, 88, 89; Löwisch/Rieble (Fn. 23), Grundlagen Rn. 181. 27 Vgl. BVerfGE 134, 204, 230. 28 BVerfGE 100, 271, 284; Zeising/Weigert (Fn. 18), S. 17. 29 So etwa Brenke, Selbständige Beschäftigung geht zurück, in: DIW Wochenbericht 2015, Nr. 36, 790, 795, unter Verweis auf das sozio-ökonomische Panel des DIW; abrufbar unter https://www.diw.de/documents/publikationen /73/diw_01.c.513229.de/15-36-3.pdf, zuletzt abgerufen am 13. Oktober 2016. 30 Nach BVerfGE 134, 204, 226, können „rechtstatsächlich aufgearbeitete Anzeichen für solche Ungleichgewichte“ und „Stellungnahmen aus interessierten Kreisen und der Wissenschaft“ die Grundlage entsprechender Gesetze bilden. 31 Vgl. BVerfG NZBau 2006, 121, 122. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 218/16 Seite 8 Ist auf Seiten des Auftraggebers der Schutzbereich der Berufsfreiheit nicht eröffnet, so liegt ein Eingriff in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG vor, die auch die Vertragsfreiheit schützt.32 Die allgemeine Handlungsfreiheit unterliegt einem Gesetzesvorbehalt . Auch hier wird die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu keinem anderen Ergebnis führen. 2.2.3. Bestimmtheitsgebot Die gesetzliche Regelung eines Mindesthonorars müsste schließlich dem Bestimmtheitsgebot genügen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) folgt, dass Normen auf Tatbestands- und auf Rechtsfolgenseite so bestimmt formuliert sein müssen, dass ihre Voraussetzungen und Folgen für den Normadressaten verständlich und berechenbar sind.33 Den Gerichten muss eine ausreichende Kontrolle möglich sein.34 Angesichts der erheblichen Eingriffsintensität der Norm wäre vorliegend ein hohes Maß an Bestimmtheit erforderlich.35 In vielen Branchen oder Berufen ergeben sich dabei erhebliche Schwierigkeiten. Während bei einem Mindestlohn in der Regel unproblematisch an die Arbeitszeit angeknüpft werden kann, bedürfte es bei branchenspezifischen Mindesthonoraren jeweils eines hinreichend bestimmten Maßstabs. Ein solcher bestimmter Maßstab mag für einzelne Berufe zu finden sein: So könnte etwa bei selbständiger Dozententätigkeit an die Vortragszeit angeknüpft werden; bei Übersetzern könnte die Zahl der Anschläge oder die Wortzahl den Maßstab bilden.36 Dagegen dürfte es schwerfallen, für die Tätigkeit z.B. einer bildenden Künstlerin ein entsprechendes Kriterium zu finden: Weder die Arbeitszeit, noch die bemalte Leinwandfläche bilden eine geeignete Größe. Für zahlreiche Berufe erscheint daher eine dem Bestimmtheitsgebot genügende Ausgestaltung eines Mindesthonorars ausgeschlossen. Ende der Bearbeitung 32 S. nur Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 14. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 22. 33 Vgl. nur Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 77. Lfg. 2016, Art. 20 Rn. 58 ff. 34 BVerfGE 110, 33, 54 f.; Grzeszick (Fn. 33), a.a.O. 35 Vgl. Jarass (Fn. 32), Art. 20 Rn. 84. 36 Vgl. hierzu § 11 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG); eine weitergehende Argumentation mit dem JVEG als Beispiel eines gesetzlichen Mindesthonorars, wie sie in der öffentlichen Diskussion zum Thema verschiedentlich zu finden ist, verbietet sich jedoch, da Auftraggeber dort kein Grundrechtsträger, sondern der Staat ist.