Deutscher Bundestag Behandlung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge Rechtslage und Verfahrenspraxis in Deutschland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2014 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 – 217/14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 2 Behandlung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge Rechtslage und Verfahrenspraxis in Deutschland Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 217/14 Abschluss der Arbeit: 30. September 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: ( Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 3 Inhalt 1. Vorbemerkung 4 2. Alter und Handlungsfähigkeit 5 2.1. Handlungs- und Verfahrensfähigkeit 5 2.2. Fiktive Altersfestsetzung 7 3. Verfahren beim Aufgreifen durch die Bundespolizei oder an der Grenze 8 3.1. Zurückweisung und Zurückschiebung 8 3.2. Flughafenverfahren 9 4. Jugendhilfeverfahren 11 4.1. Inobhutnahme 11 4.2. Clearingverfahren 12 4.3. Vormundschaft 12 4.4. Unterbringung und spezifische Hilfen 12 5. Asylrechtliches Verfahren 13 5.1. Verfahren nach der sog. Dublin III-Verordnung 13 5.2. Asylverfahren 14 5.3. Zeitweiliger oder dauerhafter Schutz vor Ausweisung bei Ablehnung eines Asylantrags 15 6. Zugang zu Sozial- und weiteren Leistungen 16 6.1. Sozialleistungen und medizinische Versorgung 16 6.2. Zugang zu Bildung und Ausbildung 17 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 4 1. Vorbemerkung Der Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) ist in Deutschland nicht einheitlich geregelt. Die rechtliche Situation der Betroffenen ist Regelungsgegenstand verschiedener Normen. Neben allgemeinen nationalen Bestimmungen bilden Regelungen des Unionsrechts und darüber hinaus auch internationale Übereinkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention und die UN-Kinderrechtskonvention eine Grundlage für die rechtliche Stellung von UMF. Hinzu treten Erlasse des Bundesinnenministeriums sowie Verwaltungsvorschriften und Erlasse in den einzelnen Bundesländern. Die wichtigsten nationalen aufenthaltsrechtlichen Regelungen finden sich im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und im Asylverfahrensgesetz (AsylVfG). Der Zugang zu Sozialleistungen für UMF richtet sich nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und nach mehreren Büchern des Sozialgesetzbuchs (SGB). Eine zentrale Stellung nimmt dabei das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) – Kinder- und Jugendhilfe ein, das besonders relevante Regelungen für UMF enthält, darunter Bestimmungen zur Inobhutnahme, Unterbringung und zu spezifischen Hilfen für UMF. In der vorliegenden Arbeit werden die Rechtslage und Hinweise auf die Verfahrenspraxis des Umgangs mit UMF in Deutschland anhand wesentlicher Themenkomplexe dargestellt, die die tatsächliche und rechtliche Situation von UMF maßgeblich kennzeichnen. Die Darstellung orientiert sich dabei wesentlich an der umfassenden Aufbereitung der Rahmenbedingungen des Umgangs mit UMF in der Veröffentlichung „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland – Rechtliche Vorgaben und deren Umsetzung“ des Deutschen Caritasverbandes.1 Der in dieser Quelle verwendete Begriff des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings wird auch den hier gemachten Ausführungen zugrunde gelegt. Dabei gilt nach den Vorgaben des deutschen Zivilrechts2 jede Person unter 18 Jahren als „minderjährig“. Art. 1 der UN-Kinderrechtskonvention 3 definiert als Kind jeden Menschen, „der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt“ Ebenso definiert die hier einschlägige Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 (Qualifikationsrichtlinie )4 Drittstaatsangehörige oder Staatenlose unter 18 Jahren als Minderjährige.5 Dieselbe Richtlinie definiert einen Minderjährigen als „unbegleitet“, wenn dieser ohne Begleitung eines für ihn nach dem Gesetz oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaats verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreist, solange er sich nicht tatsächlich 1 Schmieglitz u.a.: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland – Rechtliche Vorgaben und deren Umsetzung , Deutscher Caritasverband e.V., Referat Migration und Integration, Freiburg, 2014. 2 Gemäß § 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) tritt die Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres ein. 3 Konvention über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989, durch die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet am 26. Januar 1990, in Kraft getreten am 5. April 1992 gemäß § 2 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vom 17. Februar 1992, BGBl. II S. 122 und Bekanntmachung vom 10. Juli 1992, BGBl. II S. 990. 4 Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, EU-ABl. L 337/9. 5 Art. 2 lit. k der Richtlinie 2011/95/EU. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 5 in der Obhut eines solchen Erwachsenen befindet. Die Definition schließt Minderjährige ein, die nach der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats dort ohne Begleitung zurückgelassen wurden.6 Der in der hier zugrunde gelegten Quelle verwendete Flüchtlingsbegriff geht über den der Genfer Flüchtlingskonvention7 sowie den entsprechend verwendeten Flüchtlingsbegriff der Richtlinie 2011/95/EU8 hinaus. Als „Flüchtling“ wird hier auch jede minderjährige Person bezeichnet , die noch nicht über den Status eines anerkannten Flüchtlings oder eine andere Form des humanitären Aufenthalts in Deutschland verfügt, sondern diesen bisher lediglich anstrebt.9 2. Alter und Handlungsfähigkeit 2.1. Handlungs- und Verfahrensfähigkeit Das deutsche Ausländerrecht wird durch eine Besonderheit hinsichtlich des Umgangs mit UMF gekennzeichnet: Sowohl nach dem Asylverfahrens- als auch nach dem Aufenthaltsrecht werden Ausländer bereits mit dem vollendeten 16. Lebensjahr als aktiv und passiv verfahrens- bzw. handlungsfähig angesehen.10 Minderjährige werden somit ab Vollendung des 16. Lebensjahres einem Volljährigen gleichgestellt.11 Vor diesem Hintergrund können und müssen UMF in asylund ausländerrechtlichen Verfahren auch ohne Vormund rechtlich wirksame Handlungen vornehmen . Sofern kein Vormund bestellt ist, stellen sie folglich z.B. ihre Asylanträge selbständig.12 In der rechtswissenschaftlichen Literatur und in der jüngeren politischen Debatte wird diese Ausnahmeregelung als insoweit bestehendes Spannungsfeld charakterisiert, in dem sich das Ausländerrecht sowohl zum Jugendhilferecht als auch zu den völkerrechtlichen Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention befindet:13 6 Art. 2 lit. l der Richtlinie 2011/95/EU. 7 Der Begriff Flüchtling findet danach Anwendung auf jede Person, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will. Art. 1 Abschn. A Nr. 2 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention), verkündet mit Gesetz vom 01.09.1953 (BGB. II S. 559), in Kraft getreten am 22.04.1954 gemäß Bekanntmachung des Bundesministers des Auswärtigen vom 25.04.1954 (BGBl. II S. 619). 8 Art. 2 lit. d der Richtlinie 2011/95/EU. 9 Vgl. Schmieglitz, Fn. 1, S. 17f. 10 § 12 Abs. 1 AsylVfG sowie § 80 Abs. 1 AufenthG. 11 Zu § 12 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG als Grundlage der Anerkennung der Handlungsfähigkeit vgl. Krieger, Die UN-Kinderrechtskonvention und die Handlungsfähigkeit unbegleiteter Minderjähriger im deutschen Asyl- und Ausländerrecht , RdJB 2/2012, 206 (207). 12 Vgl. Schmieglitz, Fn. 1, S. 31f. 13 Vgl. Schmieglitz, Fn. 1, S. 29 ff. Zur Frage der Vereinbarkeit mit der UN-Kinderrechtskonvention: Krieger, Fn. 11, S. 208 ff. mit weiteren Verweisen; Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht, BT-Drs. 17/9187, S. 5 ff. Unterschiedliche Auffassungen zur Vereinbarkeitsfrage, darunter auch zu ihrer mangelnden aktuellen Relevanz, sind Gegenstand der Stellungnahmen der Sachverständigen zur Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 15. April 2013 zum Gesetzentwurf auf BT-Drs. 17/9187, Ausschussdrucksachen 17(4)706 A-F. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 6 So sind die örtlich zuständigen Jugendämter gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII verpflichtet, UMF in Obhut zu nehmen. Darüber hinaus hat das Jugendamt für UMF unverzüglich die Bestellung eines Vormunds oder eines Pflegers zu veranlassen (§ 42 Abs. 3 S. 4 i. V. m. § 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VIII). Die Bestimmungen finden auf Kinder und Jugendliche im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr, 1 und 2 SGB VIII, also auf alle Minderjährigen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anwendung . Die UN-Kinderrechtskonvention erlegt in Art. 22 den Vertragsstaaten auf, geeignete Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass ein minderjähriger Flüchtling angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung seiner Rechte aus dieser Konvention und aus anderen internationalen Übereinkünften über Menschenrechte oder über humanitäre Fragen erhält. Dies gilt unabhängig davon, ob er sich in Begleitung seiner Eltern oder einer anderen Person befindet oder nicht. Zur umstrittenen Frage eines Verstoßes der Bestimmungen von § 12 Abs. 1 AsylVfg und § 80 Abs. 1 AufenthG gegen die UN-Kinderrechtskonvention wurde in der jüngeren politischen Debatte auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts14 hingewiesen. Danach widerspreche die Regelung zur Festsetzung der Verfahrensfähigkeit auf 16 Jahre gemäß § 80 Abs. 1 Aufenth G nicht der UN-Kinderrechtskonvention. Es wird vertreten, die zu dieser Entscheidung führenden Überlegungen ließen sich „größtenteils auch auf das Asylverfahrensrecht übertragen“.15 Zur Frage der Vereinbarkeit von § 12 Abs. 1 AsylVfg mit Art. 22 der UN-Kinderrechtskonvention wird – mangels einer einschlägigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts – auf das bejahende Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster16 verwiesen. In ihrem am 16. Dezember 2013 unterzeichneten Koalitionsvertrag unterstreichen CDU/CSU und SPD die maßgebliche Bedeutung der UN-Kinderrechtskonvention für den Umgang mit UMF und kündigen an, die Handlungsfähigkeitsschwelle im Asylverfahrens- und Aufenthaltsrecht auf 18 Jahre anzuheben und dadurch den Vorrang des Jugendhilferechts für UMF festzuschreiben.17 Handlungsbedarf für den nationalen Gesetzgeber ergibt sich aus der Neufassung der Asyl-Verfahrens -Richtlinie18 und der Asyl-Aufnahme-Richtlinie19 durch den europäischen Gesetzgeber. Art. 25 Abs. 1 lit. a der Asyl-Verfahrens-Richtlinie und Art. 24 Abs. 1 der Asyl-Aufnahme-Richtlinie verpflichten die Mitgliedstaaten, für unbegleitete Minderjährige bis zur Vollendung des 18. 14 BVerwG, Urteil vom 29.November 2012 (Az. 10 C 4.12). 15 Stellungnahme des Vertreters des bayerischen Innenministeriums zur Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 15. April 2013 zum Gesetzentwurf auf BT-Drs. 17/9187, Ausschussdrucksachen 17(4)706 E, S. 3 ff., online verfügbar unter: http://webarchiv.bundestag.de/archive/2013/1212/bundestag/ausschuesse 17/a04/Anhoerungen/Anhoerung30/Stellungnahmen_SV/Stellungnahme_05.pdf (zuletzt abgerufen am 26. September 2014). 16 OVG Münster, Beschluss vom 22. Mai 2012 (Az. 5 A 609/11.A), BeckRS 2012, 51872. 17 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, „Deutschlands Zukunft gestalten“, 18. Legislaturperiode, 2013, S. 110, online verfügbar unter: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag .pdf;jsessionid=15F60FD63F204F0CEB6FEA72F13E3FC4.s2t2?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 26. September 2014). 18 Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, EU-ABl. L 180/60 vom 29. Juni 2013. 19 Richtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, EU-ABl. L 180/96 vom 29. Juni 2013. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 7 Lebensjahres einen Vertreter zur Wahrnehmung ihrer sich aus den Richtlinien ergebenden Rechte und Pflichten zu bestellen. Die Frist für die Umsetzung dieser Bestimmungen in nationales Recht, für die der nationale Gesetzgeber über einen gewissen inhaltlichen Gestaltungsspielraum verfügt, läuft bis zum 20. Juli 2015. Unmittelbare Gültigkeit entfaltet die vergleichbare Vertreterverpflichtung gemäß Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) 604/201320 (sog. Dublin-III-VO), die am 19. Juli 2013 in Kraft getreten und auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar ist, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass ein unbegleiteter Minderjähriger in allen Verfahren nach dieser Verordnung vertreten und/oder unterstützt wird und dieser Vertreter über die notwendigen Qualifikationen und Fachkenntnisse verfügt, um zu gewährleisteten, dass dem Wohl des Minderjährigen während dieser Verfahren Rechnung getragen wird. Für die Verfahren nach der Dublin-III-VO gibt es folglich eine Vertretungspflicht für UMF bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (Art. 2 Abs. 1 lit i). 2.2. Fiktive Altersfestsetzung Reisen UMF ohne bzw. ohne gültige Ausweisdokumente ein, sind sie nicht in der Lage, gegenüber den Behörden ihr Alter nachzuweisen. Bestehen Zweifel am Lebensalter einer solchen Person haben die Behörden gem. § 49 Abs. 3 AufenthG die zur Feststellung ihres Lebensalters erforderlichen Maßnahmen zu treffen, letztlich das Alter fiktiv festzustellen. Das Ergebnis ist entscheidend für die Frage, ob für die betreffende Person, besondere oder Schutzbestimmungen21 für Minderjährige zur Anwendung kommen oder nicht. Es bestimmt nach aktueller Rechtslage auch die Behandlung von UMF, die das 16. Lebensjahr vollendet haben aber noch nicht volljährig sind, als Handlungsfähige im deutschen Asyl- und Ausländerrecht. Die fiktiven Altersfeststellungen werden durch verschiedene Behörden vorgenommen. Hierzu gehören neben dem örtlichen Jugendamt, die Ausländerbehörde sowie die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die zur fiktiven Altersfeststellung angewandten Methoden sind verschieden. Die Jugendämter greifen überwiegend auf die Methode einer Inaugenscheinnahme durch eigene Mitarbeiter, z.T. auch gemeinsam mit Mitarbeitern der Erstaufnahmeeinrichtung oder der Ausländerbehörde im Rahmen eines Erstgespräches zurück (eigene Amtsermittlung gem. § 20 Abs.1 i.V.m. § 21 Abs. 1 SGB X). Es werden bei bleibenden Zweifeln hinsichtlich des tatsächlichen Alters zusätzlich auch 20 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, EU-ABl. L 180/31 vom 29. Juni 2013. 21 Hierzu gehören u.a. die Gewährung der Leistungen aus § 42 SGB VIII (Pflicht zur Inobhutnahme durch das Jugendamt , die Einleitung eines Clearingverfahrens, die Bestellung eines Vormunds, die Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung anstelle einer Asylbewerberunterkunft etc.) und die Bestellung von Vertretern für die europarechtlich determinierten Verfahren, wie z.B. für das Verfahren nach der Dublin-III-VO. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 8 medizinische Untersuchungen22 auf der Grundlage von § 49 Abs. 6 AufenthG veranlasst. An bereits getroffene Altersfestsetzungen durch z.B. die Ausländerbehörden sind die Jugendämter nicht gebunden.23 Die Bundespolizei nimmt nach Aufgreifen Unbegleiteter Altersfestsetzungen in einigen Fällen auch unter Einbeziehung von Ärzten vor; vorrangig greift sie aber mittels Anfragen bei anderen Behörden und ausländischen Stellen auf deren Feststellungsergebnisse bzw. Hinweise zurück.24 Das BAMF geht regelmäßig von dem durch die zuständige Landesbehörde festgesetzten fiktiven Alter aus. Eine Ausnahme bildet die vom BAMF in alleiniger Zuständigkeit vorzunehmende Feststellung der Handlungsfähigkeit im Asylverfahren (gemäß § 12 AsylVfG) ab Vollendung des 16. Lebensjahres. Medizinische Gutachten werden nicht veranlasst, Ergebnisse anderer Behörden fließen in die Entscheidung des BAMF ein.25 Die Praxis in den Bundesländern bei der fiktiven Altersfestsetzung ist Gegenstand eines umfassenden Überblicks in der bereits zitierten Veröffentlichung des Deutschen Caritasverbandes „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland – Rechtliche Vorgaben und deren Umsetzung“.26 Er ist dieser Arbeit beigefügt als Anlage 1. Die Darstellungen werden ergänzt durch die Ausführungen einer Studie des BAMF aus dem Jahre 2009 mit dem Titel „Unbegleitete minderjährige Migranten in Deutschland - Aufnahme, Rückkehr und Integration“27, die hier beigefügt ist als Anlage 2. 3. Verfahren beim Aufgreifen durch die Bundespolizei oder an der Grenze 3.1. Zurückweisung und Zurückschiebung UMF sind im Regelfall nicht im Besitz eines vor ihrer Einreise nach Deutschland eingeholten Aufenthaltstitels und reisen folglich zumeist unerlaubt nach Deutschland ein.28 Beim Versuch der unerlaubten Einreise sind die deutschen Grenzbehörden gemäß § 15 Abs. 1 AufenthG verpflichtet , Ausländer an der Grenze zurückzuweisen. 22 Kritisch zur Aussagekraft medizinischer Untersuchungen für die fiktive Altersfestsetzung vgl. Schmieglitz, Fn. 1, S. 39 ff. mit weiteren Verweisen. 23 Schmieglitz, Fn. 1, S. 35 ff. 24 Antwort der Bundesregierung vom 21. Oktober 2011 auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bei Aufgriffen durch die Bundespolizei, BT-Drs. 17/7433, S. 3. 25 Vgl. auch zur Methodik: BAMF, Entscheiderbrief 10/2001, Altersbestimmung bei Minderjährigen, S.2 f. 26 Schmieglitz, Fn. 1, S. 171 ff. 27 BAMF, Unbegleitete minderjährige Migranten in Deutschland - Aufnahme, Rückkehr und Integration, Studie im Rahmen des Europäischen Migrationsnetzwerks (EMN), Nürnberg, 2009, S. 24 ff. 28 BAMF, Fn. 27, S. 22 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 9 Ausländer, die nach vollendeter Einreise ohne gültige Aufenthaltstitel aufgegriffen werden, sollen gemäß § 57 Abs. 1 AufenthG zurückgeschoben werden. Beide Verfahren finden gemäß § 80 Abs. 2 AufenthG auch auf nicht handlungsfähige Minderjährige Anwendung. Nach den Ausführungen der Bundesregierung werden Minderjährige bei der Ein- und Ausreise wie Erwachsene kontrolliert; hierbei fänden die einschlägigen Normen des Ausländer- und Asylrechts Anwendung. Es gebe keine speziellen Dienstanweisungen oder Verwaltungsvorschriften zur Behandlung von minderjährigen Alleinreisenden für die Bundespolizei. Die besonderen Belange minderjähriger Alleinreisender würden nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles in die Entscheidungen und Maßnahmen der Bundespolizei einfließen.29 Eine Verständigung der Jugendbehörden findet in der Regel nicht statt, wenn UMF zeitnah, d.h. binnen einiger Stunden zurückgeschoben werden können. Ist die Sicherung der Zurückschiebung durch Haft erforderlich, weist die Bundespolizei im Haftantrag auf die Minderjährigkeit des Betroffenen hin; das Gericht unterrichtet das örtliche Jugendamt.30 Einen Gegensatz zwischen der Verpflichtung der Jugendbehörden nach § 42 SGB VIII, UMF nach Kenntnis des Aufenthalts in Obhut zu nehmen, und der Praxis der Bundespolizei, aufgegriffene UMF auf der Grundlage von § 80 Abs. 2 AufenthG zum Teil ohne Verständigung der Jugendbehörde zurückzuschieben, verneint die Bundesregierung. Zur Frage des Verhältnisses beider Regelungen führt sie aus: „Das örtlich zuständige Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, einen unbegleiteten Minderjährigen gemäß § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 SGB VIII in Obhut zu nehmen, sobald es die Information über seine Ankunft erhalten hat. Die Handlungsmöglichkeiten der Jugendhilfe beginnen mit der Inobhutnahme. Das Jugendamt ist gemäß § 42 Absatz 3 Satz 4 SGB VIII insbesondere verpflichtet, die Bestellung eines Vormunds zu veranlassen. Die mit der Inobhutnahme zusammenhängenden Handlungen des Jugendamtes verlaufen parallel zum asylund ausländerrechtlichen Verfahren. Die gesetzliche Zuständigkeit für aufenthaltsbeendende Maßnahmen wird dadurch nicht berührt.“31 3.2. Flughafenverfahren Bei dem sog. Flughafenverfahren gemäß § 18a AsylVfg handelt es sich um ein beschleunigtes Asylverfahren, das in den Transitbereichen32 internationaler Flughäfen seit 1993 in Deutschland zur Anwendung kommt. Es ist darauf gerichtet, Asylsuchenden mit offensichtlich unbegründeten Asylanträgen die Einreise zu verweigern und sie zurückweisen zu können.33 Das Flughafenverfahren, in dessen Verlauf die Betroffenen bis zu sieben Monate in einer Unterkunft im Transitbereich der Flughäfen festgehalten werden können (§ 15 Abs. 6 AufenthG i.V.m. § 62 Abs. 4 S. 1 AufenthG), wird grundsätzlich auch auf UMF angewandt. § 18a AsylVfG legt 29 BT-Drs. 17/7433, Fn. 24, S. 3. 30 BAMF, Fn. 27, S. 23. 31 BT-Drs. 17/7433, Fn. 24, S. 4. 32 Der Bereich vor dem eigentlichen Grenzübertritt wird fiktiv als exterritorial betrachtet (§ 13 Abs. 2 S. 2 AufenthG). 33 Schmieglitz, Fn. 1, S. 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 10 keine Beschränkung des Personenkreises aufgrund des Alters fest. Die Regelungen über die Inobhutnahme von UMF durch die Jugendbehörden gemäß § 42 SGB VIII kommen zunächst nicht zur Anwendung, weil die Betroffenen noch nicht eingereist sind.34 Da UMF, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, gemäß § 12 AsylVfG als im Asylverfahren handlungsfähig angesehen werden, können sie im Rahmen des Flughafenverfahrens grundsätzlich auch ohne Vormund und anwaltliche Betreuung eigenständig Verfahrenshandlungen vornehmen ; nach einem Ablehnungsbescheid können sie wie Erwachsene in den Unterkünften im Transitbereich der Flughäfen bis zur Zurückweisung festgehalten werden.35 Die Praxis am Flughafen Frankfurt/Main, an dem das Flughafenverfahren im Gegensatz zu den übrigen internationalen Flughäfen in nennenswertem Umfang zur Anwendung kommt36 - wird wie folgt beschrieben :37 Auch sog. asylmündige 16- und 17-Jährige werden zur Anhörung beim BAMF von Rechtsanwälten begleitet, ihnen wird vielfach die Einreise nach maximal drei Tagen gewährt. Ihre Unterbringung erfolgt in der Flüchtlingsunterkunft am Flughafen gemeinsam mit Erwachsenen in Mehrbettzimmern. Jüngere UMF vor der Vollendung des 16. Lebensjahrs sind ebenfalls grundsätzlich nicht vom Flughafenverfahren ausgenommen; ihre Unterbringung erfolgt zunächst wie oben beschrieben. Jedoch wird bereits mit Verfahrensbeginn das Jugendamt zum Pfleger bestellt und ein Rechtsbeistand gestellt. Für die Praxis am Flughafen Frankfurt/Main wird darauf verwiesen, dass jüngeren UMF auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem BAMF, der Bundespolizei und dem Hessischen Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit die Einreise nach wenigen Tagen gestattet wird, sie zügig an geeignete Jugendhilfeeinrichtungen verwiesen werden und für die Dauer des Aufenthalts im Transitbereich in gesonderten Zimmern mit spezifischer Betreuung untergebracht werden.38 Einzelne UMF betreffende Verfahrensschritte und -aspekte innerhalb des Flughafenverfahrens unterfallen spezifischen Bestimmungen dreier EU-Richtlinien: So enthält Art. 17 der Asyl-Verfahrens -Richtlinie a.F.39 einen Katalog von Garantien für UMF im Asylverfahren, Art. 19 Abs. 2 der Asyl-Aufnahme-Richtlinie a.F.40 trifft Festlegungen zur Unterbringung von UMF und Art. 17 34 Schmieglitz, Fn. 1, S. 52; BAMF, Fn. 27, S. 23. 35 Schmieglitz, Fn. 1, S. 52 f., BAMF, Fn. 27, S. 24. 36 Schmieglitz, Fn. 1, S. 51. 37 Schmieglitz, Fn. 1, S. 53f.; zur Unterbringung S. 54f. 38 Schmieglitz, Fn. 1, S. 54. 39 Richtlinie 2005/85/EG vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft, EU-ABl. L 326 vom 13. Dezember 2005. Die Richtlinie wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BGBl. I, S. 1970, in nationales Recht umgesetzt. Die Richtlinie wurde inzwischen durch die noch umzusetzende Richtlinie 2013/32/EU abgelöst. Vgl. Fn. 18. Hier einschlägig ist Art. 25 RL 2013/32/EU. 40 Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten, EU-ABl. L 31/18 vom 6. Februar 2003. Die Richtlinie wurde inzwischen durch die noch umzusetzende Richtlinie 2013/33/EU abgelöst. Vgl. Fn. 19. Einschlägig ist Art. 24 RL 2013/33/EU. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 11 der Rückführungsrichtlinie41 begrenzt den Einsatz von Haft für UMF und bestimmt besondere Anforderungen an ihre Unterbringung. 4. Jugendhilfeverfahren 4.1. Inobhutnahme Die Jugendämter sind gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII berechtigt und verpflichtet, UMF, die nach Deutschland kommen, in Obhut zu nehmen, wenn sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte hier aufhalten. Die mit Gesetz vom 8. September 200542 reformierte Bestimmung des § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII schreibt die unbegleitete Einreise von Minderjährigen als eigenständiges Inobhutnahmekriterium fest. Eine Abschätzung der individuellen Gefährdung muss – entgegen der Vorläuferbestimmung – nicht mehr erfolgen; der Gesetzgeber differenziert auch nicht zwischen UMF, die jünger oder älter als 16 Jahre sind. Stattdessen wird bei einem unbegleiteten Minderjährigen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres eine die Inobhutnahme auslösende Situation per se unterstellt.43 In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird vertreten, dass die Bestimmungen von § 42 SGB VIII durch die Regelungen des Asylrechts nicht verdrängt würden. Folglich stünde die Handlungsfähigkeit von 16- und 17jährigen UMF im aufenthaltsund asylrechtlichen Verfahren (§ 12 AsylVfG) einer Inobhutnahme nicht entgegen.44 Bei der Inobhutnahme handelt es sich um eine kurzfristige Schutzmaßnahme, die die Befugnis beinhaltet, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen. Zudem ist die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen. Zu diesem Zweck wird ein Sorgerechtsbeschluss beim Familiengericht beantragt. Dieses Verfahren entspricht den Vorgaben aus Art. 19 Abs. 1 der sog. Aufnahme-Richtlinie 2003/9/EG.45 In der Praxis werden davon UMF ausgenommen, die unverzüglich zurückgewiesen oder zurückgeschoben werden können; insoweit wird auf die erfolgte Einreise nach Deutschland abgestellt (vgl. Tz. 3.1). Zur Praxis in den Ländern wird auf die der Arbeit beigefügte Anlage 1 verwiesen. 41 Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, EU-ABl. L 348/98 vom 24. Dezember 2008. Die Richtlinie wurde mit Gesetz vom 22. November 2011, BGBl. I S. 2258, in nationales Recht umgesetzt. 42 Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz) vom 8. September 2005, BGBl. I S. 2729. 43 Antwort der Bundesregierung vom 20. September 2006 auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nach Aufgriff durch die Bundespolizei, BT- Drs. 16/2633. 44 Schmieglitz, Fn. 1, S. 57 mit Verweis auf Münder, Frankfurter Kommentar SGB VIII - Kinder und Jugendhilfe, Baden-Baden 2009, § 42 Rn. 15 sowie DIJuF e.V. in: JAmt (2010), S. 547. 45 BAMF, Fn. 27, S. 29. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 12 4.2. Clearingverfahren Im Rahmen der Inobhutnahme wird auf der Grundlage von § 42 Abs. 2 S. 1 SGB VIII ein sog. Clearingverfahren durchgeführt, in dessen Rahmen das Jugendamt die Aufgabe hat, die Situation, die zur Inobhutnahme geführt hat, zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen. Das Clearingverfahren wird als Einstieg in einen Hilfeplanungsprozess charakterisiert; zu den Hilfen zählt u.a. die Prüfung geeigneter Maßnahmen der Jugendhilfe nach SGB VIII.46 Die Ausgestaltung des Clearingverfahrens wird als in Abhängigkeit von Bundesland und Kommune unterschiedlich beschrieben.47 Die daran beteiligten Clearingstellen sind häufig nicht-staatliche Organisationen; inzwischen wurden in Deutschland spezielle Clearingeinrichtungen aufgebaut . Diese gewährleisten eine jugendgerechte Unterbringung und Betreuung einschließlich einer Vermittlung der in Obhut genommenen Jugendlichen in Sprachkurse und Schulen.48 Eine differenzierte Übersicht zur Praxis in den Ländern enthält Anlage 1. 4.3. Vormundschaft Gemäß § 42 Abs. 3 S. 4 i.V.m. § 42 Abs. 1 S. 3 SGB VIII hat das Jugendamt für UMF unverzüglich die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers für den UMF zu veranlassen. Da bei UMF ein Vormund durch die Eltern des Mündels nicht benannt werden kann, wählt das Familiengericht nach Anhörung des Jugendamts den Vormund aus (§ 1779 Abs. 1 BGB). Zu den Aufgaben des Vormunds gehören die der Personensorge und der gesetzlichen Vertretung (§ 1793 BGB). Die Vormundschaft endet, sobald das Mündel das 18. Lebensjahr erreicht hat.49 Von den im deutschen Vormundschaftssystem möglichen mehreren Formen der Vormundschaft ist in der Praxis die Bestellung einer Amtsvormundschaft für UMF mit Abstand am weitesten verbreitet.50 Hierbei wird die Führung der Vormundschaft von Mitarbeitern des Jugendamtes übernommen. Die Bestellungspraxis in den Ländern ist dargestellt in Anlage 1. 4.4. Unterbringung und spezifische Hilfen Stellt das Jugendamt für einen in Obhut genommenen UMF im Rahmen des Clearingverfahrens einen Jugendhilfebedarf fest, erfolgt dessen Folgeunterbringung in der Regel als Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII. Hilfe zur Erziehung, die als Rechtsanspruch ausgestaltet ist, wird gemäß § 27 Abs. 2 S.1 SGB VIII insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt. 46 Schmieglitz, Fn. 1, S. 60 f. 47 BAMF, Fn. 27, S. 29. 48 Schmieglitz, Fn. 1, S. 62. 49 Vgl. umfassend zur Vormundschaftsthematik Schmieglitz, Fn. 1, S. 64 ff. 50 Schmieglitz, Fn. 1, S. 70. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 13 Hierzu gehören ambulante, teilstationäre und stationäre Formen der Hilfe zur Erziehung außerhalb des Elternhauses. Für unbegleitete Flüchtlingskinder kommen insbesondere die Unterbringung in einer Pflegefamilie als Vollzeitpflege gemäß § 27 i.V.m. § 33 SGB VIII, in einer Einrichtung der Heimerziehung oder sonstigen betreuten Wohnform (§ 27 i.V.m. § 34 SGB VIII) in Betracht . Ihnen kann darüber hinaus intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung gemäß § 27 i.V.m. § 35 SGB VIII gewährt werden. Probleme in der Verfahrenspraxis werden insbesondere hinsichtlich der Behandlung von 16- und 17-jährigen UMF geschildert, die häufig in nicht kinder- und jugendgerechten Erstaufnahmeeinrichtungen oder in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden.51 Rechtlicher Hintergrund sei die Kollision der Pflichten des Jugendamts zur Inobhutnahme und Gewährung von Jugendhilfe gem. §§ 42 Abs. 1 Nr. 3 sowie 27 Abs. 1 SGB VIII einerseits mit den Pflichten der Ausländerbehörde zur Zuweisung in eine Aufnahmeeinrichtung gemäß § 47 Abs. 1 AsylVfG andererseits . Der mit § 47 Abs. 1 AsylVfG bestimmten sog. Wohnpflicht unterlägen Ausländer, die den Asylantrag bei einer Außenstelle des Bundesamtes zu stellen haben. Sie seien verpflichtet, bis zu sechs Wochen, längstens jedoch bis zu drei Monaten in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Da 16- bis 17-jährige UMF gemäß § 12 AsylVfG im Asylverfahren handlungsfähig sind, müssten sie einen Antrag auf Asyl beim BAMF stellen und unterfielen damit auch der Wohnverpflichtung gemäß § 47 Abs. 1 AsylVfG. Die Unterbringungspraxis der Länder wird beschrieben in Anlage 1. 5. Asylrechtliches Verfahren 5.1. Verfahren nach der sog. Dublin-III-Verordnung Im Rahmen des nationalen Asylverfahrens wird zunächst das europarechtlich determinierte sog. Dublin-Verfahren durchgeführt, das darauf gerichtet ist festzustellen, welcher Mitgliedstaat der EU52 für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Grundlage des Verfahrens ist die am 19. Juli 2013 in Kraft getretene sog. Dublin-III-VO (VO [EU] 604/2013), die auf Asylanträge Anwendung findet, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden; für zuvor beantragte Asylverfahren gilt die Vorläuferverordnung (Verordnung [EG] Nr. 343/2003). Ziel der Dublin-III-Verordnung ist es, Mehrfachanträge von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten zu verhindern und sicherzustellen, dass jeder Asylbewerber Zugang zu einem Asylverfahren hat. Die Verordnung legt in Art. 8 bis 15 Kriterien fest, anhand derer die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für die Prüfung eines Asylverfahrens bestimmt wird. Dabei ist die in der Verordnung festgelegte Rangfolge der Kriterien eingehalten. Kann anhand dieser Kriterien die Zuständigkeit nicht ermittelt werden, fällt die Zuständigkeit dem Mitgliedstaat zu, in dem der Asylantrag gestellt wurde. Abweichend von den Zuständigkeitskriterien kann jeder Mitgliedstaat auch freiwillig die Prüfung eines Asylantrags übernehmen. Mit Hilfe der Datenbank „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken können die zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten überprüfen, ob ein Asylbewerber bereits in einem anderen 51 Schmieglitz, Fn. 1, S. 87f. 52 Sowie Norwegen, Island, Schweiz und Liechtenstein. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 14 Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat oder illegal die Außengrenze eines Mitgliedstaates überschritten hat und nicht zurückgewiesen wurde. Wird festgestellt, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, wird an diesen Staat ein Übernahmeersuchen gerichtet und der Asylsuchende an diesen Staat überstellt. Die Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung finden auch auf minderjährige Asylantragsteller Anwendung. Ihre Identität ist gemäß § 16 Abs. 1 AsylVfG durch erkennungsdienstliche Maßnahmen zu sichern. Ausgenommen sind UMF, die noch nicht das 14. Lebensjahr vollendet haben. Die Feststellung, ob es sich bei dem Asylsuchenden um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt ist das erstrangige der Zuständigkeitskriterien der Dublin-III-Verordnung. Zutreffendenfalls ist der Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens grundsätzlich zuständig, in dem sich ein Familienangehöriger oder eines der Geschwister des UMF rechtmäßig aufhält, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient (Art. 8 Abs. 1 S. 1 VO [EU] 604/2013). Ist kein Familienangehöriger zu lokalisieren, ist das Asylverfahren in dem Mitgliedstaat durchzuführen, in dem der UMF seinen ersten Asylantrag gestellt hat (Art. 8 Abs. 4 VO [EU] 604/2013). Als UMF-spezifische Probleme im Dublin-Verfahren werden u.a. „Überstellungen in die Volljährigkeit “ beschrieben, bei denen in Deutschland zutreffend als minderjährig registrierte UMF an einen anderen Mitgliedstaat zuständigkeitshalber überstellt werden, der diese unzutreffend als volljährig registriert hat. Das BAMF versuche vergeblich oder gar nicht, die falsch registrierte Volljährigkeit im zuständigen Mitgliedstaat korrigieren zu lassen. Der rücküberstellte UMF werde im zuständigen Mitgliedstaat als Volljähriger behandelt und gehe seiner spezifischen Rechte und Garantien verlustig. Einige Ausländerbehörden hätten sich vor diesem Hintergrund entschlossen, solche Überstellungen aus Gründen des Kindeswohls nicht mehr durchführen zu lassen.53 5.2. Asylverfahren Gegenstand des vom BAMF durchgeführten Asylverfahrens, ist die Prüfung der Voraussetzungen für das Vorliegen des Rechts auf Asyl (Art 16a GG) und für die Anerkennung als Flüchtling gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG. Dem BAMF obliegt zugleich die Aufgabe zu prüfen, ob dem Asylsuchenden subsidiärer Schutz54 zu gewähren ist, weil Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 5 und Abs. 7 AufenthG bestehen. Mit Antragstellung erhält der Asylsuchende gemäß § 55 AsylVfG eine Aufenthaltsgestattung, um ihm die Durchführungen des Asylverfahrens zu ermöglichen. Mit dieser Gestattung unterliegt der Asylsuchende den damit verbundenen Restriktionen, wie z.B. der Residenzpflicht gemäß § 56 AsylVfG. Für UMF gelten die Bestimmungen gleichermaßen wie für erwachsene Asylsuchende. 53 Schmieglitz, Fn. 1, S. 95 f. 54 Subsidiären Schutz erhalten Personen, denen bei Abschiebung in ihr Herkunftsland Folter (§ 60 Abs. 2 Aufenth G), die Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) oder konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit (§ 60 Abs. 7 AufenthG) drohen oder deren Abschiebung eine Verletzung von Rechten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention bewirken würde (§ 60 Abs. 5 AufenthG). Geschützt sind diese Personen auch vor Abschiebungen in dritte Staaten, wenn die Gefahr der Weiterverbringung in den Verfolgerstaat besteht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 15 UMF stellen Anträge auf Asyl selbst, sofern sie das 16. Lebensjahr vollendet haben (§ 12 AsylVfG); ansonsten beantragt der jeweilige Vormund nach seiner Bestellung durch das Vormundschaftsgericht Asyl für sein Mündel. Der Vormund ist gemäß § 80 Abs. 4 AufenthG verpflichtet, für den noch nicht 16-jährigen Ausländer die erforderlichen Anträge auf Erteilung und Verlängerung des Aufenthaltstitels zu stellen. Ihm obliegt insoweit auch die Aufgabe, abzuwägen, ob ein Asylantrag oder ein Antrag auf Gewährung von Abschiebungsschutz angezeigt ist. Bis zur Entscheidung darüber kann der Vormund eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG beantragen; diese ist geeignet , die ansonsten ggf. drohende Abschiebung zu vermeiden.55 Grundsätzlich unterliegen UMF wie erwachsene Asylsuchende dem sog. Verteilverfahren, mit dem diese auf die einzelnen Bundesländer zur Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen (§§ 45 ff. AsylVfG) verteilt werden. UMF, die jünger sind als 16 Jahre werden dem Verteilverfahren nicht unterworfen. Die Gruppe der 16- und 17-Jährigen wird dagegen in den Bundesländern unterschiedlich behandelt: Einige betrachten die Verpflichtung zur unverzüglichen Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII als Hindernis für eine Verteilung, andere erachten eine Verteilung als zulässigen Schritt vor der Inobhutnahme im Zielland der Verteilung.56 5.3. Zeitweiliger oder dauerhafter Schutz vor Ausweisung bei Ablehnung eines Asylantrags Wurde der Antrag auf Asyl gemäß § 1 Abs. 1 AsylVfG oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG abgelehnt, sehen die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen in Deutschland verschiedene andere Möglichkeiten für einen dauerhaften oder vorübergehenden legalen Aufenthalt vor. Dabei sind als Wichtigste zu nennen: Der subsidiäre Schutz gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG, die Geltendmachung dringender humanitärer oder persönlicher Gründe gemäß § 25 Abs. 4 AufenthG, das Bestehen rechtlicher oder tatsächlicher Ausreisehindernisse nach § 25 Abs. 5 AufenthG sowie die Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG. Subsidiärer Schutz Unabhängig von einem Asylverfahren können auch bei der Ausländerbehörde Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG geltend gemacht werden. Stellt die Ausländerbehörde deren Vorliegen fest, so erhält der UMF eine Aufenthaltserlaubnis. Dringende humanitäre oder persönliche Gründe § 25 Abs. 4 AufenthG kann die Möglichkeit einer vorübergehenden Aufenthaltsverlängerung bieten , dabei sind zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden. Nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder ein erhebliches öffentliches Interesse seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Dringende persönliche Gründe können beispielsweise die Durchführung einer Operation, die im Herkunftsland nicht gewährleistet ist, oder der für UMF besonders relevante Fall des Abschlusses einer Schul- oder Berufsausbildung sein. 55 Schmieglitz, Fn. 1, S. 101 f. mit weiteren Verweisen. 56 Schmieglitz, Fn. 1, S. 102. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 16 Nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann eine Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Rechtliche oder tatsächliche Ausreisehindernisse Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG Wird kein Aufenthaltstitel erteilt, kann die Ausweisung eines UMF durch die Ausstellung einer Duldung vorübergehend ausgesetzt werden. 6. Zugang zu Sozial- und weiteren Leistungen 6.1. Sozialleistungen und medizinische Versorgung Sozialleistungen für Nicht-EU-Ausländer hängen in Deutschland vom aufenthaltsrechtlichen Status der betreffenden Personen ab. Dabei gelten grundsätzlich für Minderjährige die gleichen Regeln wie für Volljährige. Es sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden: Leistungen nach dem AsylbLG enthalten gemäß §§ 3, 4 AsylbLG lediglich eine medizinische Grundversorgung, die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber sowie die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Kleidung.57 Zu diesen Leistungen können bei UMF noch Maßnahmen der Jugendhilfe nach SGB VIII hinzukommen. Einem UMF, der Asyl beantragt, ist zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet, damit verbunden sind die beschriebenen Leistungen nach dem AsylbLG. Wird aus humanitären Gründen oder bei einer nicht vom Ausländer selbst zu vertretenden Unmöglichkeit der Ausreise eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, werden ebenfalls Leistungen nach dem AsylbLG gewährt. Hat der Betroffene die Unmöglichkeit seiner Ausreise dagegen selbst zu vertreten, wird eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG erteilt. Ihm stehen dann Leistungen nach dem AsylbLG nur in eingeschränktem Umfang zu. Bei Jugendlichen können durch das Jugendamt noch Maßnahmen der Jugendhilfe ergriffen werden . Die verschiedenen Formen der Jugendhilfe ergeben sich aus dem SGB VIII. Die wichtigsten sind dabei die Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII und die Heimerziehung § 34 SGB VIII. Vollzeitpflege bedeutet die Unterbringung in einer Pflegefamilie. Diese Unterbringungsform erfolgt in der Regel nur bei jüngeren Flüchtlingskindern. Die häufigste Unterbringungsform für UMF ist die Heimerziehung. Sie umfasst alle gängigen Formen von Heimen, Jugendwohngemeinschaften, 57 Auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Az. 1 BvL 10/10) vom 18. Juli 2012, mit dem die Höhe der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG als „evident unzureichend“ charakterisiert wurde, ist zu verweisen. Der Gesetzgeber wurde zur Schaffung einer Neuregelung verpflichtet. Zur analogen Anwendung der Regelbedarfsstufen nach SGB XII vgl. Schmieglitz, Fn. 1, S. 129 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 17 Wohnheimen teilweise auch betreutes Einzelwohnen. Auch die Unterbringung in therapeutischen Wohngruppen kann eine Hilfe gemäß § 34 SGB VIII sein. Unbegleitete Minderjährige haben , wenn sie der Jugendhilfe nach SGB VIII unterfallen in der Regel uneingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung. Allerdings wird bei UMF im Alter von 16 und 17 Jahren häufig kein Bedarf für Jugendhilfe festgestellt . Sie unterfallen dann ausschließlich dem AsylbLG und werden in Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber untergebracht.58 Bei einer Anerkennung als Asylberechtigter nach § 1 Abs. 1 AsylVfG, der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder bei Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG besteht ein Anrecht auf Behandlung wie ein Inländer hinsichtlich aller Sozialleistungen. Dies bedeutet ein Anspruch auf Leistungen zur Lebensunterhaltssicherung und über die Krankenversicherung der Zugang zu allen medizinischen Behandlungsformen .59 6.2. Zugang zu Bildung und Ausbildung Das Recht auf Bildung ist verfassungsrechtlich garantiert durch das in Art. 2 Grundgesetz bestimmte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Die Ausgestaltung der Wahrnehmung des Rechts auf Bildung fällt in die Zuständigkeit der Bundesländer, deren Praxis sich hinsichtlich der UMF uneinheitlich darstellt. Details sind ausgeführt in Anlage 1. Als UMF-spezifische Probleme, die zum Teil am ausländer- oder asylrechtlichen Status der UMF oder an ihrer fluchtspezifischen Situation anknüpfen, werden folgende beschrieben: Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG verfügen nicht über die notwendigen finanziellen Mittel für die Beschaffung von Lehrmitteln und die Bewältigung längerer Schulwege. Der Zugang der UMF, die mit 16 oder 17 Jahren nach Deutschland gelangen, zu Bildungsangeboten ist begrenzt; sie unterfallen zum Teil nicht mehr der allgemeinen Schulpflicht, allgemeinbildende Schulen verneinen eine Zuständigkeit und Berufsschulen sind nicht auf sie ausgerichtet. Auch bildet die mangelnde Kompatibilität bereits erreichter Bildungsstände mit den altersgemäßen Anforderungen deutscher Schulen eine große Hürde für die Unterrichtsteilnahme und die Erreichung eines Schulabschlusses . Fehlende familiäre Unterstützung der UMF kann nur teilweise durch Bildungsförderung kompensiert werden.60 Die Teilnahme an einer Berufsausbildung im dualen System der betrieblichen Ausbildung setzt als Form der unselbstständigen Beschäftigung eine Arbeitserlaubnis voraus (§ 4 Abs. 3 AufenthG). Eine solche kann kraft Gesetzes mit dem Aufenthaltstitel verknüpft sein (§ 4 Abs. 2 AufenthG) oder mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erteilt werden (§ 39 AufenthG); Ausnahmen gelten für bestimmte Berufe und Aufenthaltssituationen. 58 BAMF, Fn. 27, S. 30. 59 Schmieglitz, Fn. 1, S. 131 f. 60 Schmieglitz, Fn. 1, S. 137 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 217/14 Seite 18 UMF mit einer Aufenthaltsgestattung unterliegen einem generellen Arbeitsverbot nach § 61 AsylVfG für den Zeitraum der ersten neun Monate. Im Anschluss wird ihnen nachrangiger Zugang zum Arbeitsmarkt gemäß § 39 AufenthG gewährt; hier ist die Aufnahme einer Berufsausbildung zustimmungsfrei. Sie unterliegen jedoch der Residenzpflicht gemäß § 56 AsylVfG. Letztere verursacht Probleme für UMF mit Ausbildungsabsicht, wenn Ausbildungsbetrieb oder Berufsschule außerhalb des residenzpflichtigen Raums liegen. Zahlreiche Bundesländer erlauben Asylsuchenden inzwischen, sich innerhalb der Landesgrenzen frei zu bewegen. Als weiteres Problem wird die Unsicherheit benannt, der sich potentielle Ausbildungsbetriebe angesichts der Frage ausgesetzt sehen, ob der Aufenthalt in Deutschland für den gesamten Ausbildungszeitraum gesichert ist. Vor diesem Hintergrund schlössen viele Arbeitsgeber UMF mit lediglich einer Aufenthaltsgestattung aus dem Kreis potentieller Auszubildender aus.61 61 Schmieglitz, Fn. 1, S. 138 ff.