WD 3 - 3000 - 216/20 (23. September 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Am 7. Juli 2020 konkretisierte das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss die bundesgesetzlichen Kompetenzen zur Aufgabenübertragung auf die Kommunen.1 Anlass war eine kommunale Beschwerde gegen die Regelungen in §§ 34, 34a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) über Bedarfe für Bildung und Teilhabe. Der Beschluss trifft Aussagen zur kommunalen Finanzhoheit und zur Ausformung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) durch das sog. Durchgriffsverbot in Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG. Vor diesem Hintergrund wurde gefragt, welche Bundeskompetenzen im Sozialrecht, insbesondere für die den Kommunen zur Ausführung übertragenen gesetzlichen Leistungen, verbleiben. Die Bundeskompetenz zur Regelung des Sozialrechtes basiert auf der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge).2 Der Bund kann grundsätzlich eigene Aufgaben anderen Körperschaften zuweisen. Nach dem im Zuge der ersten Föderalismusreform eingeführten Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG darf allerdings keine Aufgabenübertragung des Bundes an die Kommunen erfolgen.3 Für vor der Verfassungsänderung erfolgte Zuweisungen gilt die Ausnahmeregelung des Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG. Danach besteht Recht, das als Bundesrecht erlassen wurde, aber aufgrund der Einführung des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden dürfte, als Bundesrecht weiter fort. Bereits erfolgte Aufgabenübertragungen bleiben daher zulässig. Auf der Grundlage von Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG kann der Bund zudem Änderungen an Aufgaben, die er den Kommunen bereits zugewiesen hat, vornehmen, sofern durch die Änderungen den Aufgaben keine andere Tragweite zukommt, die zu einer stärkeren Beeinträchtigung der kommunalen Eigenverantwortung führt.4 1 BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Juli 2020, 2 BvR 696/12. 2 Vgl. Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, 43. Edition, Stand: 15. Mai 2020, Art. 74 Rn. 24. 3 Siehe hierzu den Aktuellen Begriff Nr. 11/20 der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 17. September 2020 – Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur unzulässigen Aufgabenübertragung der Regelungen zu Bedarfen für Bildung und Teilhabe. 4 BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Juli 2020, 2 BvR 696/12, Rn. 81. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Bundeskompetenzen zur Sozialgesetzgebung vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichtsbeschlusses 2 BvR 696/12 Kurzinformation Bundeskompetenzen zur Sozialgesetzgebung vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichtsbeschlusses 2 BvR 696/12 Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Neue Aufgaben darf der Bund nach der Einführung von Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG nur den Ländern zuweisen . Entscheiden sich die Länder, die ihnen zugewiesenen Aufgaben ihrerseits den Kommunen zuzuweisen, müssen sie dies durch eigenen Rechtsakt gestalten. Für diese Fälle existieren in allen Landesverfassungen Regelungen, die die Erstattung der Kosten für die auf die Kommunen übertragenen Aufgaben vorsehen.5 Im Ergebnis würden die Kommunen somit nach wie vor den Vollzug bundesgesetzlicher Aufgaben vornehmen. Allerdings würden ihnen die daraus entstandenen Aufwendungen erstattet, sodass ihre Finanzkraft unangetastet bliebe.6 Mit der Regelung des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG soll somit letztlich nicht die Aufgabenübertragung auf die Kommunen verhindert werden, sondern lediglich der Urheber des Übertragungsaktes „ausgewechselt “ werden.7 Für den Bundesgesetzgeber folgt daraus, dass grundsätzlich sein gesetzgeberischer Handlungsspielraum erhalten bleibt, er aber sicherstellen muss, den richtigen Adressaten der Aufgabenübertragung auszuwählen. Soll eine neue Aufgabe oder eine dazu funktional äquivalente Aufgabenerweiterung übertragen werden, dann muss er sich an die Länder halten.8 Will der Bund hingegen Änderungen an bereits den Kommunen zugewiesenen Aufgaben vornehmen, etwa die Aufgaben an geänderte soziale oder ökonomische Rahmenbedingungen anpassen, so kann er weiterhin die Kommunen adressieren, da dieser Fall im Anwendungsbereich des Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG liegt.9 Im Bereich des Sozialrechts hat das Durchgriffsverbot insbesondere Bedeutung für das Recht der Sozialhilfe, da in § 3 Abs. 2 SGB XII die Kommunen als Träger der Sozialhilfe benannt sind. Für die Kinder- und Jungendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) und die Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sind hingegen die Länder als Aufgabenträger bestimmt (§§ 69 und 82 SGB VIII, § 94 SGB IX). *** 5 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 84 Rn. 155. 6 Vgl. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 84 Rn. 156. 7 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 84 Rn. 157. 8 BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Juli 2020, 2 BvR 696/12, Rn. 83, 86. 9 BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Juli 2020, 2 BvR 696/12, Rn. 48.