© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 216/18 Gesetzgebungskompetenzen für das Strafrecht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 216/18 Seite 2 Gesetzgebungskompetenzen für das Strafrecht Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 216/18 Abschluss der Arbeit: 20.07.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 216/18 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung thematisiert Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers in Bezug auf das Strafrecht . Hierbei soll auf eine mögliche Erweiterung der sog. Privatklagedelikte eingegangen werden. Darüber hinaus soll geprüft werden, inwieweit „einfache Diebstähle“ bei der Erstbegehung nur noch als Ordnungswidrigkeit geahndet werden können. 2. Regelungskompetenzen für das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG besitzt der Bund die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis für das Strafrecht sowie für das gerichtliche Verfahren. Der Begriff des Strafrechts wird grundsätzlich weit verstanden.1 Erfasst werden alle auch nachträglichen repressiven und präventiven staatlichen Reaktionen auf Straftaten, die an eine Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung zumindest auch aus der Anlasstat beziehen.2 Zum Kompetenztitel zählt auch die Regelung des Ordnungswidrigkeitenrechts .3 Eine Neuregelung der Sanktionsfolgen für „einfache Diebstähle“ dergestalt, dass diese nur noch als Ordnungswidrigkeit geahndet werden würden, könnte daher auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Strafrecht) gestützt werden. Der Begriff des gerichtlichen Verfahrens nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG erfasst den gesamten Ablauf des Verfahrens vor Gerichten, auch vor den Strafgerichten. Entsprechende Regelungen können daher die Verfahrenseinleitung, die Verfahrensausgestaltung als auch die Entscheidung und Vollstreckung betreffen.4 Eine Erweiterung des Katalogs der Privatklagedelikte würde in erster Linie eine Regelung zur Verfahrenseinleitung darstellen, da sie die Erhebung der öffentlichen Anklage von der Staatsanwaltschaft hin zum Geschädigten verlagern würde. Eine solche Regelung könnte auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (gerichtliches Verfahren) gestützt werden. Einer Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG bedarf es weder für Regelungen des Strafrechts noch für solche des gerichtlichen Verfahrens. Der Bund wäre für entsprechende Neuregelungen daher gesetzgebungsbefugt. 3. Der „einfache Diebstahl“ als Ordnungswidrigkeit Die Schaffung eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes eines „einfachen Diebstahls“ müsste mit höherrangigem Recht im Einklang stehen. Verfassungsrechtliche Anforderungen ergeben sich dabei insbesondere aus Art. 92 GG sowie aus dem Bestimmtheitsgebot. 1 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, 14. Aufl. 2018, Art. 74 GG Rn. 33. 2 BVerfG, Urteil vom 10. Februar 2004 – 2 BvR 834/02 –, juris Ls. 1a. 3 BVerfG, Beschluss vom 08. Juni 1971 – 2 BvL 10/71 –, juris Ls. 1. 4 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, 14. Aufl. 2018, Art. 74 GG Rn. 41. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 216/18 Seite 4 3.1. Vereinbarkeit mit Art. 92 GG Nach Art. 92 GG ist die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut. Zur Rechtsprechung im Sinne dieser Vorschrift zählt auch das Kriminalstrafrecht.5 Die Ahndung von Straftaten obliegt damit in erster Linie den Gerichten. Das Bundesverfassungsgericht lässt jedoch insbesondere für weniger gewichtige Delikte einen Gestaltungsspielraum für den Gesetzgeber. Dieser kann bestimmte, weniger schwere Delikte auch als Ordnungswidrigkeit ahnden. Ausdrücklich führt das Bundesverfassungsgericht hierzu aus: „Nach Art. 92 GG sind der rechtsprechenden Gewalt zunächst alle diejenigen Aufgaben vorbehalten , die die Verfassung selbst an anderer Stelle den Gerichten überträgt. Darüber hinaus werden durch Art. 92 GG die traditionellen Kernbereiche der Rechtsprechung - insbesondere die bürgerliche Rechtspflege und die Strafgerichtsbarkeit - den Richtern anvertraut. Daraus folgt jedoch nicht, daß alles, was herkömmlich zu den Aufgaben der Gerichte gehört, als Rechtsprechung im materiellen Sinn anzusehen und den Richtern vorzubehalten ist. Abgesehen von den gerichtlichen Zuständigkeiten, die von vornherein nicht materielle Rechtsprechung zum Gegenstand haben, kann der Gesetzgeber in gewissem Umfang den Bereich der materiellen Rechtsprechung dadurch verändern, daß er beispielsweise die Materie Strafrecht reduziert oder in einer rechtspolitisch anderen Wertung des Unrechtsgehalts minder gewichtige strafrechtliche Unrechtstatbestände in bloße Ordnungswidrigkeiten umwandelt […].“6 Eine Umwandelung der „bedeutsamen Unrechtstatbestände“ in Ordnungswidrigkeiten ist nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung jedoch unzulässig.7 Die Einordnung eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes für einfache Diebstähle gestaltet sich im Lichte dieser Rechtsprechung nicht eindeutig. Der Diebstahlstatbestand zählt sicher zum klassischen Kern der Straftatbestände und kann in diesem Zusammenhang auch als bedeutsamer Unrechtstatbestand angesehen werden.8 Weiterhin bildet die strafrechtliche Sanktionierung auch einen Teil des Grundrechtsschutzes für das Recht auf Eigentum nach Art. 14 GG. In diesem Zusammenhang wird eine Entkriminalisierung auch einfacher Fälle des Diebstahls in der juristischen Literatur zumindest aus Sicht der Generalprävention abgelehnt.9 Für die Vereinbarkeit einer solchen Regelung mit Art. 92 GG spricht jedoch die Begrenzung auf Bagatellfälle. Begrifflich dürften unter „bedeutsamen Unrechtstatbeständen“ in erster Linie Fälle der Schwerstkriminalität zu verstehen sein. Der Straftatbestand des Diebstahls bliebe für entsprechend schwere Fälle aber weiterhin erhalten. Lediglich leichtere Fälle, die bereits im bestehenden Strafrecht teilweise einer gesonderten und herabgesetzten Sanktionierung 5 Vgl. Wolff, in: Umbach/Clemens, 1. Aufl. 2002, Art. 92 GG Rn. 29. 6 BVerfGE 27, 18, (28). 7 BVerfGE 22, 49 (81); 23, 113 (126); 27, 18, (28). 8 Für die Zuweisung des Diebstahls zur klassischen Strafjustiz: Hillgruber, in: Maunz/Dürig, 82. EL Jan. 2018, Art. 92 GG Rn. 23. 9 Vgl. Mosbacher, NJW 2018, 1069 (1071). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 216/18 Seite 5 unterliegen,10 würden nicht mehr als klassische Straftaten geahndet werden. Ähnliche abgestufte Sanktionierungen sind dem bestehenden Recht auch nicht fremd. So kann die Trunkenheitsfahrt etwa als Straftat nach § 316 StGB als auch als Ordnungswidrigkeit nach § 24a des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) geahndet werden. Es spricht jedenfalls aus verfassungsrechtlicher Sicht einiges dafür, dass der Gesetzgeber befugt ist, Bagatellfälle des Diebstahls dem Ordnungswidrigkeitenrecht zuzuweisen. 3.2. Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot Nach Art. 103 Abs. 2 GG müssen Straftatbestände hinreichend bestimmt sein. Die Norm stellt eine besondere Ausgestaltung des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenen allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatzes dar.11 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bildet Art. 103 Abs. 2 GG auch für Ordnungswidrigkeiten einen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab.12 Das Bestimmtheitserfordernis verlangt, dass Sanktionstatbestände vom Gesetzgeber so gefasst werden, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände sich aus dem Gesetz ermitteln und konkretisieren lassen.13 Dies schließt eine Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch nicht aus, solange sich der Regelungsinhalt mittels der üblichen Auslegungsmethoden ermitteln lässt.14 Bei der Schaffung eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes des „einfachen Diebstahls“ hat der Gesetzgeber daher eine hinreichende Bestimmtheit sicherzustellen. Hierbei sollte neben der tatbestandlichen Eingrenzung vor allem auch die klare Abgrenzung zum strafrechtlich sanktionierten Diebstahl sichergestellt werden. Der Bestimmtheitsgrundsatz steht bei Einhaltung dieser Vorgaben der Schaffung eines entsprechenden Ordnungswidrigkeitentatbestandes jedenfalls nicht grundsätzlich entgegen. *** 10 Vgl. etwa: § 247 StGB (Haus und Familiendiebstahl); § 248a StGB (Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen). 11 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, 14. Aufl. 2018, Art. 103 GG Rn. 65. 12 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08. Dezember 2015 – 1 BvR 1864/14 –, juris Rn. 4. 13 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, 14. Aufl. 2018, Art. 103 GG Rn. 65. 14 M.w.N. Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, 14. Aufl. 2018, Art. 103 GG Rn. 67.