© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 215/20 Rechtliche Zulässigkeit einer postalischen Versendung von Informationsmaterial durch Bundestagsfraktionen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 215/20 Seite 2 Rechtliche Zulässigkeit einer postalischen Versendung von Informationsmaterial durch Bundestagsfraktionen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 215/20 Abschluss der Arbeit: 25. September 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung (Gliederungspunkte 1, 2 und 4) WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung (Gliederungspunkt 3) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 215/20 Seite 3 1. Fragestellung Dieser Sachstand behandelt die Zulässigkeit der postalischen Versendung von Informationsmaterial durch eine Bundestagsfraktion unter verschiedenen rechtlichen Aspekten. Erläutert werden zunächst die Vorgaben des Abgeordnetengesetzes (2.), gefolgt von den sich gegebenenfalls aus dem Zivil- und Lauterkeitsrecht ergebenden Einschränkungen (3.) und den datenschutzrechtlichen Bestimmungen (4.). 2. Zulässigkeit nach dem Abgeordnetengesetz Die allgemeine Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit durch Fraktionen gem. § 47 Abgeordnetengesetz (AbgG) sowie ihre Grenzen, die sich gem. § 50 Abs. 4 S. 2 AbgG für die Verwendung von Fraktionsmitteln für Parteiaufgaben ergeben, sind in der folgenden Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste ausführlich dargestellt. Ebenfalls ist dort die Rechtsprechung der verschiedenen Verfassungsgerichtshöfe der Länder sowie ein Beschluss der Präsidentinnen der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder mit jeweils einzelnen Kriterien zur Abgrenzung zulässiger von unzulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen angeführt. Ferner wird in dieser Ausarbeitung auch explizit das umfassende Verteilen von Fraktionsmaterial als Hauswurfsendung geprüft und als grundsätzlich unzulässig bewertet. Schließlich werden mögliche Rechtsfolgen der Verstöße in Form von Rückforderungen an den Bundeshaushalt bis hin zu Strafbarkeit wegen Untreue nach § 266 StGB genannt. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Rechtliche Zulässigkeit der Verteilung politischer Hauswurfsendungen, WD 3 - 3000 - 139/19 vom 20. Juni 2019, S. 5 ff., abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/655088/6e39fdae55d7ed74a8e136644b1eb18e/WD-3-139-19-pdf-data.pdf. (zuletzt aufgerufen am 24. September 2020). 3. Zulässigkeit nach dem Zivil- und Lauterkeitsrecht Grenzen für die Zulässigkeit von nichthoheitlichen Briefsendungen können sich auch aus zivilrechtlichen Abwehransprüchen der Empfänger ergeben. So stellt etwa nach der herrschenden zivilrechtlichen Rechtsprechung die Übersendung von Werbematerial dann eine Besitz- bzw. Eigentumsstörung und gegebenenfalls darüber hinaus eine Störung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Empfängers dar, wenn sie trotz dessen erklärten entgegenstehendem Willen erfolgt.1 Diese Grundsätze finden nach der zivilrechtlichen, vom Bundesverfassungsgericht2 gebilligten Rechtsprechung 3 auch auf einschlägige Briefsendungen politischer Parteien Anwendung und dürften 1 BGH, Urteil vom 20. Dezember 1988 – VI ZR 182/88; KG Berlin, Urteil vom 21. September 2001 – 9 U 1066/00; OLG Frankfurt, Urteil vom 1. Juni 1995 – 1 U 80/94; OLG Bremen, Urteil vom 18. Juni 1990 – 6 U 1/90. 2 BVerfG, Beschluss vom 1. August 2002 – 2 BvR 2135/01. 3 KG Berlin, Urteil vom 21. September 2001 – 9 U 1066/00; OLG Bremen, Urteil vom 18. Juni 1990 – 6 U 1/90; AG Rostock, Urteil vom 28. Januar 2003 – 43 C 68/02. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 215/20 Seite 4 – unbeschadet einer gegebenenfalls vorliegenden öffentlich-rechtlichen Unzulässigkeit4 – insofern auch auf entsprechendes Handeln einer Fraktion grundsätzlich zu übertragen sein.5 Ob sich daneben auch aus dem Lauterkeitsrecht rechtliche Grenzziehungen ergeben könnten, erscheint hingegen fraglich, da Anwendungsvoraussetzung des UWG6 das Vorliegen einer „geschäftlichen Handlung“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist. In jedem Fall könnten Gläubiger eines lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs gemäß § 8 Abs. 3 UWG nur Mitbewerber, rechtsfähige Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen, qualifizierte Einrichtungen sowie Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern sein 4. Datenschutzrechtliche Zulässigkeit Die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)7 gilt unmittelbar in Deutschland, verdrängt sämtliche ihr entgegenstehenden nationalen Vorschriften und ist daher der Ausgangspunkt für die Prüfung der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit eines bestimmten Verhaltens. Das im Jahr 2018 an die DSGVO angepasste Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) enthält Ausführungs- und Ergänzungsregelungen zu der DSGVO. Die DSGVO findet auf die Datenverarbeitungen innerhalb von Parlamenten und ihrer Teile wie Fraktionen nur dann keine Anwendung, wenn die Datenverarbeitung im konkreten Fall dem Bereich der parlamentarischen Kerntätigkeiten zuzuordnen ist.8 Bei der Versendung von Informationsmaterial durch Fraktionen handelt es sich nicht um eine parlamentarische Kerntätigkeit, sodass die DSGVO und auch das BDSG insoweit anwendbar sind. Die Fraktionen fallen dann als öffentliche Stellen des Bundes in den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO. Zu dieser Frage siehe ausführlich im Einzelnen den folgenden Infobrief der Wissenschaftlichen Dienste: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Datenschutzrecht für Abgeordnete, WD 3 - 3010 - 056/18 vom 20. März 2018, S. 2 ff., abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/548352/a8e42041c6b246af6cd602d3e1e41808/datenschutzrecht-fuer-abbgeordnete -data.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. September 2020). Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist gem. Art. 6 Abs. 1 DSGVO nur dann zulässig, wenn eine Einwilligung der betroffenen Person gem. Art. 7 DSGVO vorliegt oder einer der sonstigen 4 Siehe oben Gliederungspunkt 2 m.w.N. 5 So auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Rechtliche Zulässigkeit der Verteilung politischer Hauswurfsendungen, WD 3 - 3000 - 139/19 vom 20. Juni 2019 (siehe oben unter Gliederungspunkt 2), S. 12. 6 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. März 2010 (BGBl. I S. 254), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 18. April 2019 (BGBl. I S. 466) geändert worden ist. 7 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016, ABl. Nr. L 119 vom 4. Mai 2016, S. 1. 8 Siehe Beschluss der Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder – Düsseldorf, 5. September 2018, abrufbar unter: https://www.datenschutzkonferenz-online.de/media /dskb/20180905_dskb_anwendung_dsgvo.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. September 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 215/20 Seite 5 Erlaubnistatbestände greift. Unter personenbezogenen Daten sind dabei gem. Art. 4 Nr. 1 DSGVO alle Informationen zu verstehen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare Person beziehen . Der weite Begriff der Verarbeitung umfasst im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DSGVO: „jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben , das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung“. Die postalische Versendung von Informationsmaterial ist nach diesen Grundsätzen danach zu unterscheiden , ob die Adressaten von vornherein feststehen oder keine gezielte Adressierung erfolgt. Wenn Personen gezielt angeschrieben werden, dann ist die Verarbeitung der Datensätze von Namen und Adressen für die Versendung erforderlich, sodass eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten zu bejahen ist. Die Datenverarbeitung ist in diesem Fall zulässig, wenn eine Einwilligung des Adressaten vorliegt. An diese werden gem. Art. 4 Nr. 11 DSGVO strenge Anforderungen gestellt: „jede freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist“. Liegt keine wirksame Einwilligung des Adressaten vor, so greifen andere Rechtfertigungstatbestände des Art. 6 Abs. 1 DSGVO nicht ein. Insbesondere kann sich eine Fraktion nicht auf das öffentliche Interesse im Sinne des § 50 Abs. 1 Bundesmeldegesetz (BMG) berufen, weil dieser eine Melderegisterauskunft lediglich für Parteien und lediglich für Zwecke des Wahlkampfes vorsieht. Dieses Interesse kann nicht mit dem Interesse einer Fraktion gleichgesetzt werden, Bürger über eigene Tätigkeit im Bundestag zu informieren. Die Datenverarbeitung bleibt in solchen Fällen daher datenschutzrechtlich unzulässig. Wird das Informationsmaterial einer Fraktion dagegen einfach in die Hausbriefkästen eingeworfen, ohne an eine bestimmte Person adressiert zu sein (sog. Hauswurfsendungen), sodass der tatsächliche Adressat letztlich nicht mit Namen erfasst wird, so werden für die Versendung auch keine personenbezogenen Daten verarbeitet.9 Ein solches Verteilen von Informationsmaterial ist aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht problematisch. *** 9 Siehe hierzu Schulz, in: Gola, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Auflage 2018, Art. 6 Rn. 80; Conrad, in: Auer/ Reinstoff/Conrad, Handbuch IT- und Datenschutzurecht, 3. Auflage 2019, § 34 Rn. 811.