© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 215/15 Rauchverbot in Autos in Anwesenheit von Kindern Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 215/15 Seite 2 Rauchverbot in Autos in Anwesenheit von Kindern Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 215/15 Abschluss der Arbeit: 8. Oktober 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 215/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Formelle Verfassungsgemäßheit – Gesetzgebungskompetenz des Bundes 4 2.1. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG – Schutz vor Passivrauchen als Maßnahme gegen Krankheiten 5 2.2. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG – öffentliche Fürsorge 6 2.3. Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG – Straßenverkehr 7 3. Materielle Verfassungsgemäßheit – betroffene Grundrechte 7 3.1. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG 8 3.2. Art. 2 Abs. 1 GG 9 3.2.1. Schutzbereich 9 3.2.2. Rechtfertigung 10 3.2.2.1. Legitimer Zweck, Eignung und Erforderlichkeit 10 3.2.2.2. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 215/15 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung beschäftigt sich mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Einführung eines bundesweiten Rauchverbots in Autos in Gegenwart von Kindern. In Großbritannien ist das Rauchen im Auto in Gegenwart von Kindern seit dem 1. Oktober 2015 verboten1. Auch in Australien, Griechenland, Kanada und den USA gelten entsprechende Regelungen 2; Frankreich, Italien und Polen diskutieren ebenfalls über den Erlass eines Verbots3. Während die Drogenbeauftragte der Bundesregierung die Einführung eines Rauchverbots im Auto in Gegenwart von Kindern befürwortet4, bezweifeln die Bundesministerien für Gesundheit (BMG) und für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) die Verfassungsgemäßheit einer derartigen Regelung5. So hat das BMG im März 2014 zu einer Petition Stellung genommen, die die Einführung eines derartigen Rauchverbots zum Gegenstand hatte. Nach dieser Stellungnahme liege in einem entsprechenden Gesetz ein unzulässiger Eingriff in das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantierte Erziehungsrecht der Eltern6. Auch sei nicht ersichtlich, dass der Bund für den Erlass eines entsprechenden Gesetzes die Gesetzgebungskompetenz innehabe7. 2. Formelle Verfassungsgemäßheit – Gesetzgebungskompetenz des Bundes Die folgende Darstellung konzentriert sich auf die durch die Ministerien angesprochenen Kompetenznormen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 (Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten), Nr. 7 1 Zahlreiche Presseberichte, vgl. nur Wittmann, 70 Euro Strafe für Rauchen im Auto, Berliner Morgenpost vom 5. Oktober 2015. 2 Ärzte fordern Rauchverbot bei Autofahrt mit Kindern, Spiegel Online vom 6. Oktober 2015, http://www.spiegel .de/gesundheit/schwangerschaft/zigaretten-aerzte-fordern-rauchverbot-im-auto-mit-kindern-a-1056264.html; Wann kommt das Rauchverbot im Auto auch bei uns? Hamburger Morgenpost vom 18. August 2015, http://www.mopo.de/motor/in-england-beschlossen-wann-kommt-das-rauchverbot-im-auto-auch-bei-uns- ,5066778,31494044.html. 3 Kommt jetzt das Rauchverbot im Auto? Bild vom 28. August 2015, http://www.bild.de/auto/auto-news/rauchverbot /zigaretten-gesundheit-sicherheit-42349378.bild.html; England verbietet Rauchen im Auto, tz vom 1. Oktober 2015, https://www.tz.de/auto/england-verbietet-rauchen-auto-kindern-zr-5588658.html. 4 Vgl. entsprechende Pressemitteilung auf http://drogenbeauftragte.de/; außerdem Ärzte fordern Rauchverbot bei Autofahrt mit Kindern, Spiegel Online vom 6. Oktober 2015, http://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft /zigaretten-aerzte-fordern-rauchverbot-im-auto-mit-kindern-a-1056264.html; siehe auch: Fürsorge statt Verbot, Interview mit Marlene Mortler, Pegnitz Zeitung vom 3. September 2015; Die Kinder im Auto – Drogenbeauftragte fordert Raucherverbot, Interview mit Marlene Mortler, WAZ vom 1. September 2015, http://www.derwesten.de/politik/kinder-im-auto-drogenbeauftragte-fordert-rauchverbot-id11040969.html. 5 Vgl. schriftliche Stellungnahme des BMG zur Petition Nr. 2-18-15-21270-003191 aus März 2014. So wohl auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) laut mündlicher Auskunft gegenüber dem Abgeordnetenbüro (vgl. Email des Büros vom 15. September 2015). 6 Stellungnahme des BMG, (Fn. 5), S. 1 f. 7 Stellungnahme des BMG, (Fn. 5), S. 2 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 215/15 Seite 5 (öffentliche Fürsorge) und Nr. 22 (Straßenverkehr)8. Der Stellungnahme des BMG zufolge verfüge der Bund im Rahmen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG über keine umfassende Gesetzgebungszuständigkeit für den Bereich des Gesundheitsschutzes9, könne Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG nicht zur Förderung der Gesundheit von Insassen eines PKW herangezogen werden10 und passten Rauchverbote für Erwachsene nicht in das Regelungssystem des Jugendschutzgesetzes. Dieses regele nur den Jugendschutz in der Öffentlichkeit11. 2.1. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG – Schutz vor Passivrauchen als Maßnahme gegen Krankheiten Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG weist dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten zu. Zwar folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dieser Aufzählung eine Entscheidung der Verfassung, dem Bund für das Gesundheitswesen nur in eingeschränktem Maße Gesetzgebungskompetenzen zuzuweisen12. Zu den gemeingefährlichen Krankheiten im Sinne der Norm zählen jedoch unstreitig auch Krebserkrankungen13. Weiterhin werden unter den Maßnahmenbegriff gemeinhin auch präventive und vorbeugende Bekämpfungsmaßnahmen gefasst14. Die wohl herrschende Meinung in der Literatur geht insoweit davon aus, dass auch Maßnahmen der Prävention gegen Gefahren des Rauchens unter diese Kompetenznorm fallen15. Hiergegen 8 Vgl. Stellungnahme des BMG, (Fn. 5), S. 2. Für die darüber hinaus in Betracht kommenden Kompetenzen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 (Recht der Betäubungsmittel und der Gifte), Nr. 20 GG (Recht der Genussmittel) oder Nr. 24 (Luftreinhaltung) sei auf die umfassende Darstellung bei Stern/Geerlings, Nichtraucherschutz in Deutschland . International- und verfassungsrechtliche Vorgaben, 2008, verwiesen: S. 36 ff. für das Recht der Gifte – Kompetenz bejahend; S. 38 f. für das Recht der Betäubungsmittel – Kompetenz verneinend; S. 39 f. für das Recht der Genussmittel – Kompetenz bejahend; S. 45 f. für Luftreinhaltung – Kompetenz verneinend. 9 Stellungnahem des BMG, (Fn. 5), S. 2. 10 Stellungnahme des BMG, (Fn. 5), S. 2. 11 Stellungnahme des BMG, (Fn. 5), S. 2 f. So wohl auch das BMFSFJ in der mündlichen Auskunft gegenüber dem Abgeordnetenbüro, vgl. Fn. 5. 12 BVerfGE 88, 203 (330). Siehe hierzu auch Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 7. Auflage 2014, Art. 74 Rn. 83: „Die Allgemeine Gesundheitsvorsorge ist Ländersache“. 13 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 13. Auflage 2014, Art. 74 Rn. 238; Degenhart (Fn. 12), Art. 74 Rn. 84. 14 Maunz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 74. EL 2015, Art. 74 Rn. 213; Seiler, in: Epping/ Hillgruber (Hrsg.), Beckscher Online Kommentar zum Grundgesetz, Edition 25 2015, Art. 74 Rn. 70. Anders Sannwald (Fn. 13), Art. 74 Rn. 241, nach dem Maßnahmen grundsätzlich nur solche sind, die gezielt und unmittelbar dem Ausbruch und der Schädigung konkreter Krankheiten entgegenwirken. 15 Vgl. Degenhart (Fn. 12), Art. 74 Rn. 85; Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar , 13. Auflage 2014, Art. 74 Rn. 49; Stern/Geerlings (Fn. 8), S. 33 ff.; Stettner, Der flächendeckende Schutz gegen Passivrauchen ist Kompetenz und Pflicht des Bundes, ZG 2007, 156 (169 ff., insbesondere 172); Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein generelles Rauchverbot, Ausarbeitung vom 21. August 2006, WD 3 – 288/06 – S. 6 ff.; Zuck, Bundeskompetenz für einen gesetzlichen Nichtraucherschutz nach französischem Vorbild, DÖV 1993, 936 (939). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 215/15 Seite 6 wird angeführt, dass für die Eröffnung der Bundeskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 N. 19 GG eine gewisse Unmittelbarkeit zwischen der Maßnahme und dem gesundheitsschützenden Charakter erforderlich sei, die bei Maßnahmen zum Schutz von Nichtrauchern fehle16. Für eine derartige einengende Auslegung bietet Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 aber keine Anhaltspunkte17. Höchstrichterlich ist diese Frage noch nicht entschieden. Jedenfalls in seiner Entscheidung zu den Gaststättennichtraucherschutzgesetzen der Länder Bayern und Berlin hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offen gelassen, ob dem Bund für diesen Bereich eine Gesetzgebungskompetenz zustehen würde18. 2.2. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG – öffentliche Fürsorge Nach ganz herrschender Auffassung wird der Bereich des Jugendschutzes – für den das Grundgesetz keinen expliziten Kompetenztitel kennt19 – unter die öffentliche Fürsorge gefasst20. Durch Maßnahmen der Jugendpflege soll Entwicklungsschwierigkeiten der Jugendlichen begegnet und damit auch Gefährdungen vorgebeugt werden21. Allerdings begründet Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG wegen der Spezialität des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG keine Fürsorgekompetenz des Bundesgesetzgebers im Gesundheitswesen22. Für den allgemeinen Nichtraucherschutz geht die wohl herrschende Meinung insoweit davon aus, das Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG keine Bundeskompetenz eröffnet23. Insoweit kann dahinstehen, ob – wie BMG und 16 In diesem Sinne Rossi/Lenski, Föderale Regelungsbefugnisse für öffentliche Rauchverbote, NJW 2006, 2657 (2658); Ossenbühl/Cornils, Hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass eines Nichtraucherschutzgesetzes ? 1994, S. 21 ff.; So wohl auch der im Zusammenhang mit dem 2007 erlassenen Nichtrauchergesetz des Bundes erstellte Vermerk des Bundesinnenministeriums vom 28. September 2006 – V 1a – M – 131589/216; sowie die Stellungnahme des BMG, (Fn. 5), S. 2. 17 Vgl. hierzu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, (Fn. 15), S. 6 f. 18 BVerfGE 121, 317 – juris, Rn. 97: „Für den Erlass der angegriffenen Rauchverbote in Gaststätten steht den Ländern nach Art. 70 Abs. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz zu. Ob der Bund aufgrund einer Regelungsmaterie der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 GG) ein solches Verbot anordnen könnte, bedarf keiner Entscheidung; denn von dieser etwaigen Zuständigkeit hat der Bund keinen oder zumindest keinen umfassenden Gebrauch gemacht, so dass die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG landesgesetzlichen Bestimmungen nicht entgegensteht“. 19 Pieroth/Barczak, Dürfen die Länder Tabakwarenautomaten verbieten?, DÖV 2014, 66 (67). 20 Jugendschutz bedeutet demnach auch Jugendpflege, die das körperliche, geistige und sittliche Wohl aller Jugendlichen fördern will, ohne dass eine Gefährdung im Einzelfall vorzuliegen braucht, vgl. BVerfGE 97, 332 (341). 21 Vgl. BVerfGE 22, 180 (212 f.); 97, 332 (341). 22 BVerfGE 88, 203 (330); Degenhart (Fn. 12), Art. 74 Rn. 38; Stern/Geerlings (Fn. 8), S. 41. 23 Vgl. Sannwald (Fn. 13) Art. 74 Rn. 87; Stettner, Zwischenruf: Der flächendeckende Schutz gegen Passivrauchen ist Kompetenz und Pflicht des Bundes!, 2007, 156 (167); Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags (Fn. 15), WD 3 – 288/06, S. 11 f.; Siekmann, Die Zuständigkeit des Bundes zum Erlass umfassender Rauchverbote nach In-Kraft-Treten der ersten Stufe der Föderalismusreform, NJW 2006, 3382 (3384). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 215/15 Seite 7 BMFSFJ anzunehmen scheinen – der Bund auf Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ausschließlich zur Regelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit befugt wäre. 2.3. Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG – Straßenverkehr Ob diese vom Bundesministerium für Gesundheit angesprochene Gesetzgebungskompetenz24 für den Erlass des geplanten Verbots herangezogen werden könnte, erscheint fraglich. Das Straßenverkehrsrecht ist ein besonderes, sachlich begrenztes Ordnungsrecht25, das insbesondere die Abwehr von Gefahren und Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs umfasst26. Zwar kann insoweit argumentiert werden, dass auch das Rauchen während der Fahrt zu Gefahren für den Verkehr insgesamt führt, da der rauchende Fahrer von seiner eigentlichen Tätigkeit abgelenkt ist. Diese Gefahr bestünde jedoch unabhängig von der Anwesenheit von Kindern. Das Verbot des Rauchens im Auto zur Vermeidung von Gesundheitsgefahren für Kinder weist insoweit keinen gesicherten Bezug zu den spezifischen Gefahren des Straßenverkehrs auf27. 3. Materielle Verfassungsgemäßheit – betroffene Grundrechte Im Hinblick darauf, dass auch Eltern, die in Gegenwart ihrer Kinder im Auto rauchen, von dem Gesetz betroffen wären, kommt als Grundrecht, an dem die materielle Verfassungsgemäßheit des Gesetzes zu messen wäre, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG in Betracht. Da das Rauchen im Auto in Gegenwart von Kindern jedoch generell verboten werden soll, ist als Maßstab die für jedermann geltende allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) heranzuziehen. Die für jedermann geltende, in Art. 13 Abs. 1 GG garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung scheidet demgegenüber von vornherein aus. Trotz der weiten Auslegung des Wohnungsbegriffs28, nach der auch fahrende befriedete Besitztümer als Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG qualifiziert werden können29, unterliegen Autos im Allgemeinen nicht dem Schutzbereich dieser Bestimmung30. 24 Vgl. Stellungnahme des BMG, (Fn. 5), S. 2. 25 BVerfGE 40, 371 (380); 67, 200 (314). 26 BVerfGE 40, 371 (380); BVerwGE 56, 56 (58). 27 Stellungnahme des BMG, (Fn. 5), S. 2. 28 St.Rspr. seit BVerfGE 32, 54 (69 ff.) 29 Kühne, in: Sachs (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 7. Auflage 2014, Art. 13 Rn. 1; Hofmann, in: Schmidt- Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 13. Auflage 2014, Art. 13 Rn. 7. 30 So ausdrücklich BGH, Beschluss vom 11. April 1997 – 1 BGs 88/97 – juris Rn. 1 f.; wiederholt in BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – 2 StR 509/10 – juris Rn. 15: Ein Kraftfahrzeug dient grundsätzlich der Fortbewegung des Menschen, nicht seinem Aufenthalt und Wirken. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 215/15 Seite 8 3.1. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist zunächst ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in das Erziehungsgeschehen 31. Träger dieses Abwehrrechts können allein die Eltern sein32; als grundsätzlicher Maßstab für die Verfassungsgemäßheit eines Gesetzes, das das Rauchen im Auto in Anwesenheit von Kindern insgesamt verbietet, kommt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG mithin nicht in Betracht. Es ist jedoch zweifelhaft, ob das Rauchen der Eltern im Auto in Gegenwart ihrer Kinder überhaupt in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG fällt33. Die Stellungnahme des BMG setzt die Eröffnung des Schutzbereichs ohne weitere Erklärung voraus34. Dabei ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht unmittelbar, dass das Rauchen im Auto in Gegenwart der eigenen Kinder „Pflege und Erziehung“ im Sinne der Norm ist. Auch die Auslegung dieser Begriffe in der Kommentarliteratur führt hierbei nicht weiter. Nach dieser meint der Ausdruck „Pflege“ die körperliche (Nahrung, Kleidung, Gesundheit) und emotionale Versorgung des Kindes35, während „Erziehung“ die geistige und soziale Dimension betrifft36 und beide eine „Einheit zur Gesamtsorge um das Kind“ bilden37. Dabei dürfte feststehen, dass nicht lediglich die objektiv beste Gesamtsorge vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst ist38. Das Grundgesetz nimmt vielmehr im Hinblick darauf, dass der Staat nur ausnahmsweise in das Pflege- und Erziehungsrecht eingreifen darf, in Kauf, dass dem Kind wegen der unterschiedlichen Fähigkeiten der Eltern nicht die objektiv bestmögliche Pflege und Erziehung zukommt39. Der Schutzbereich scheint vorliegend jedoch bereits aufgrund der Qualität des Handelns nicht eröffnet. Erziehung (als Gesamtsorge) beinhaltet zwar auch die Vermittlung von Werten und 31 So die Beschreibung bei von Coelln, in: Sachs (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 7. Auflage 2014, Art. 6 Rn. 53. 32 Vgl. zum Elternbegriff mit Nachweisen aus der Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung Umbach, in: Umbach/ Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch Band I, 2002, Art. 6 Rn. 73. 33 Höfling, in: Isensee (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VII, 3. Auflage 2005, § 155 Rn 17. 34 Stellungnahme des BMG (Fn. 5), S. 1 f. 35 Brosius-Gersdorf, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Art. 6 Rn. 158. 36 Brosius-Gersdorf, (Fn. 35), Art. 6 Rn. 159. 37 Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz Band 1, 6. Auflage 2010, Art. 6 Rn. 143; vgl. für alles auch Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 2015, S. 110 f, die darauf hinweist, dass die Begriffe im rechtlichen Sprachgebrauch nicht klar getrennt, sondern als in den familiären Kontext insgesamt eingebettet behandelt werden. 38 Soweit auch die Stellungnahme des BMG (Fn. 5), S. 1 f. 39 Herrschende Meinung, vgl. statt vieler Brosius-Gersdorf, (Fn. 35), Art. 6 Rn. 141. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 215/15 Seite 9 Grundhaltungen40 und bezieht sich „auf das gesamte elterliche Handeln (oder auch Nichthandeln) gegenüber dem Kind“41. Ob die primär im Rauchen liegende Verhaltensweise eine solche ist, die in diesem Sinne gegenüber dem Kind stattfindet, ist jedoch fraglich. Die beispielhaft im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG genannten Verhaltensweisen sind regelmäßig solche, mit denen die Eltern (wenigstens mittelbar) auch auf das Kind einwirken (wollen), oder wenigstens Verhaltensweisen, die ohne das Kind keinen Sinn ergäben. Auch die in der Stellungnahme des BMG genannten Beispiele für dem Rauchen der Eltern vergleichbares , in den Schutzbereich fallendes Verhalten (gefährliche sportliche Betätigung der Kinder oder deren unsachgemäße Ernährung) unterscheiden sich in diesem Sinne in ihrer Qualität vom Rauchen der Eltern in Gegenwart der Kinder: Ernährung oder sportliche Betätigung betreffen jeweils bewusste Entscheidungen der Eltern im Hinblick auf das Gesamtwohl der Kinder. Das Rauchen im Auto ist demgegenüber zunächst eine Verhaltensweise, die allein die Eltern betrifft. „Die Persönlichkeitsentfaltung der Eltern zu eigennützigen Zwecken ist nicht durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern nur durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt“42. Im Hinblick hierauf ist eher abzulehnen, das elterliche Rauchen in Anwesenheit der Kinder im Auto als Teil eines bewussten Erziehungskonzepts der Eltern zu qualifizieren. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist insoweit als Maßstab für die Verfassungsgemäßheit des Gesetzes nicht heranzuziehen. 3.2. Art. 2 Abs. 1 GG 3.2.1. Schutzbereich Die aus Art. 2 Abs. 1 GG folgende allgemeine Handlungsfreiheit wurde in der Stellungnahme des BMG als möglicherweise betroffenes Grundrecht nicht in Betracht gezogen43. Es dürfte jedoch feststehen, dass das generelle Rauchverbot für Autofahrer in Anwesenheit von Kindern die in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit der Rauchenden (Eltern) berührt. Das Grundgesetz gewährleistet dieses Freiheitsgrundrecht umfassend: In den Schutzbereich fällt jedes menschliche Verhalten unabhängig von qualitativ-wertenden Merkmalen und ohne Rücksicht darauf , welches Gewicht ihm für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt44. Das Rauchen fällt in den 40 Brosius-Gersdorf, (Fn. 35), Art. 6 Rn. 159. 41 Wapler, (Fn. 37), S. 111. 42 Brosius-Gersdorf, (Fn. 35), Art. 6 Rn. 142. 43 Als materiell betroffenes Grundrecht wird ausschließlich Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG genannt, vgl. Stellungnahme des BMG, (Fn. 5), S. 1 f. 44 BVerfGE 90, 145 (171); 80, 137 (152); Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 7. Auflage 2014, Art. 2 Rn. 52; Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Art. 2 Rn. 26 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der (Bundesverfassungsgerichts)Rechtsprechung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 215/15 Seite 10 Bereich privater Lebensgestaltung und ist trotz seiner Gesundheitsschädlichkeit durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt45. Das geplante Verbot würde indes erstmals nicht das Rauchen in der Öffentlichkeit betreffen. Das Auto gehört zwar, wie eingangs festgestellt, nicht in den durch Art. 13 Abs. 1 GG besonders geschützten Bereich der Wohnung. Gleichwohl dürfte ein qualitativer Unterschied zum öffentlichen Raum bestehen. So hat der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit im Auto vorgenommenen akustischen Überwachungsmaßnahmen festgestellt, dass dem Insassen innerhalb dieses geschützten Bereichs der gleiche Intimsphärenschutz zukommen kann, wie in Wohnungen46. Dieser Aspekt muss bei der verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsfrage berücksichtigt werden47. 3.2.2. Rechtfertigung Grundsätzlich entspricht der Weite des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 1 GG seine Einschränkbarkeit : Die allgemeine Handlungsfreiheit wird nur in den Schranken des zweiten Halbsatzes von Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet und steht unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen (Rechts-) Ordnung“48. Insoweit ist im Rahmen der materiellen Prüfung zu fragen, ob das Gesetz dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt49. 3.2.2.1. Legitimer Zweck, Eignung und Erforderlichkeit Mit dem Rauchverbot in Autos in Anwesenheit von Kindern würde der Gesetzgeber ein Gemeinwohlziel verfolgen, das auf vernünftigen Erwägungen beruht und daher die Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit grundsätzlich zu legitimieren vermag50. Ziel des Gesetzes wäre der Schutz von Kindern vor den für sie im Auto entstehenden besonderen Gefahren des Passivrauchens 51. Dabei kommt dem Gesetzgeber, so er zur Verhütung von Gefahren für die Allgemeinheit tätig wird, ein Beurteilungsspielraum zu, der nur der begrenzten verfassungsrechtlichen Überprüfbarkeit unterliegt. Dieser „Beurteilungsspielraum ist erst dann überschritten, wenn die Erwägungen 45 Allgemeine Auffassung, vgl. nur BVerfGE 121, 317 (359); außerdem Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 6. Auflage 2010, Art. 2 Rn. 234; umfassend Stern/Geerlings, (Fn. 8), S. 61 ff. 46 Vgl. BGH, Urteil vom 22.12.2011 - 2 StR 509/10. 47 In der Literatur wird insoweit darauf hingewiesen, dass die Sozialsphäre Einschränkungen eher als im rein privaten Bereich zulässt, vgl. Breitkopf/Stollmann, Praxis der Kommunalverwaltung, H 12 2013, Art. 2 Abs. 1 GG S. 12. Ebenso für eine notwendig andere Bewertung des Rauchverbots in der Privatsphäre Stern/Geerlings, (Fn. 8), S. 66 f. 48 BVerfGE 80, 137 (153) m.w.N. 49 BVerfGE 80, 137 (153) m.w.N. 50 Vgl. BVerfGE 121, 317 – juris Rn. 101. 51 BVerfGE 121, 312 – juris Rn. 102. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 215/15 Seite 11 des Gesetzgebers so offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für die angegriffenen gesetzgeberischen Maßnahmen abgeben können.“52 Hiernach dürfte sich der Gesetzgeber auf die wissenschaftlichen Studien stützen, die insbesondere für Kinder belegen, dass diese in Gegenwart von Rauchern in Autos einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sind53. Um dieses legitime Ziel zu erreichen, ist ein Rauchverbotsgesetz in Autos auch geeignet und erforderlich. Für die Eignung reicht es aus, wenn durch die Regelung der gewünschte Erfolg gefördert werden kann; wobei bereits die Möglichkeit einer Zweckerreichung genügt54. Auch die Erforderlichkeit dürfte wohl gegeben sein; ein milderes, gleich geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich . Auf Freiwilligkeit der Autofahrenden zu setzen, dürfte zu keinem tatsächlichen Unterlassen des Rauchens führen. Weiterhin belegen Studien, dass die Rauchbelastung für Kinder auch bei geöffnetem Fenster gegeben wäre. 3.2.2.2. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn Durch das gesetzliche Verbot würden autofahrende Raucher in ihrer individuellen, privat gehaltenen Entscheidung eingeschränkt. Die Autofahrt selbst würde für an Rauchen gewöhnte Fahrer erschwert; zudem kann das individuelle Verhalten beim Autofahren, während dessen man sich in einem vor der Öffentlichkeit geschützten Bereich befindet, zur persönlichen Identifikation gehören . Hinzu kommt, dass gerade im Hinblick darauf, dass das Rauchen in der Öffentlichkeit immer stärkeren Beschränkungen unterliegt, ein besonderes Bedürfnis besteht, den Menschen Räume zu belassen, in denen sie von staatlichen Einflüssen unbehelligt nach wie vor die Entscheidung fällen können, zu rauchen55. Wegen der herausragenden Bedeutung des mit dem Rauchverbot verfolgten Schutzziels erscheint die Regelung jedoch auch vor diesem Hintergrund nicht unangemessen. Der Staat ist durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet, sich dort schützend und fördernd vor das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen zu stellen und sie 52 BVerfGE 121, 317 – juris, Rn. 103 m.w.N. 53 Vgl. für den Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens der Allgemeinheit in öffentlichen Räumen und die in diesem Zusammenhang vorhandenen Studien BVerfGE 121, 317 – juris, Rn. 104 ff. 54 BVerfGE 121, 317 – juris, Rn. 114 m.w.N. 55 Vgl. hierzu aus dem Bereich des Mietrechts Wietz, Das Gebrauchsrecht und die Selbstauskunft des Mieters, WuM 2014, 518 (528), der darauf hinweist, dass es „auch unter Beachtung der Wertigkeit des bedrohten Rechtsguts der Nichtraucher gerade die schrittweise, auf neuen Erkenntnissen beruhende gesetzliche Regulierung des Rauchens ausschließt, auf der Ebene der Rechtsanwendung jeden ungewollten Kontakt mit Rauch oder seinen Folgen als unzulässig zu werten“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 215/15 Seite 12 vor Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren, wo die Grundrechtsberechtigten selbst nicht dazu in der Lage sind56. Vorliegend ist insoweit zu beachten, dass im Auto von Erwachsenen mitfahrende Kinder regelmäßig keinerlei individuelle Entscheidungsmöglichkeit haben, ob sie an der Fahrt teilnehmen wollen oder nicht. Wenn insoweit schon für erwachsene Nichtraucher in Gaststätten im Hinblick auf die nicht gewährleistete Freiwilligkeit der Gesundheitsgefährdung ein besonderes, die Begrenzung des Freiheitsgrundrechts der Raucher rechtfertigendes Schutzbedürfnis angenommen wurde57, muss dies erst Recht für im Auto von Erwachsenen mitfahrende Kinder gelten. Zudem ist der Schutz der Jugend nach einer vom Grundgesetz selbst getroffenen Wertung ein Ziel von bedeutsamem Rang und ein wichtiges Gemeinschaftsanliegen58. Dem Kinder- und Jugendschutz kommt neben Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG Verfassungsrang zu59. Demgegenüber erscheint der Eingriff in die Freiheitsrechte der Raucher trotz des den privaten Lebensbereich berührenden Umfelds wohl verhältnismäßig. Insbesondere soll das Rauchen nicht grundsätzlich, sondern lediglich in Anwesenheit von Kindern verboten werden. Im Zusammenhang mit dem Rauchverbot in Gaststätten hat das Bundesverfassungsgericht zudem den Umstand, dass den Rauchern die Möglichkeit bleibe, eine Gaststätte zum Rauchen vorübergehend zu verlassen 60, als weiteres Argument für die Verhältnismäßigkeit des Verbots gewertet. Vergleichbar bleibt Autofahrern die Möglichkeit, bei längeren Fahrten Raucherpausen einzulegen. Vor diesem Hintergrund dürfte für das vorliegend geplante Verbotsgesetz auch in materieller Hinsicht verfassungsrechtlich wohl zulässig sein. Ende der Bearbeitung 56 Vgl. BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 121, 317 (356); BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2015 – 2 BvR 1967/12 – juris, Rn. 16. 57 Vgl. zu diesem Aspekt der nicht vorhandenen Freiwilligkeit und der hieraus folgenden besonderen Schutzbedürftigkeit BVerfGE 121, 317 – juris, Rn. 102, 126. 58 BVerfGE 83, 130 – juris Rn. 32 m.w.N. 59 BVerfGE 83, 130 – juris Rn. 34. 60 BVerfGE 121, 317 – juris Rn. 126.