© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 210/19 Zur Unanfechtbarkeit der Auferlegung einer Missbrauchsgebühr durch das Bundesverfassungsgericht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 210/19 Seite 2 Zur Unanfechtbarkeit der Auferlegung einer Missbrauchsgebühr durch das Bundesverfassungsgericht Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 210/19 Abschluss der Arbeit: 29. August 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 210/19 Seite 3 1. Einleitung Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist grundsätzlich kostenfrei. Das Gericht kann allerdings gemäß § 34 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) eine Gebühr von bis zu 2.600 Euro auferlegen, wenn eine Verfassungsbeschwerde, eine Wahlprüfungsbeschwerde oder ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung missbräuchlich eingelegt bzw. gestellt wurde. Die Missbrauchsgebühr existiert bereits seit der Einführung des BVerfGG im Jahr 1951.1 Die Zahl der Fälle, in denen eine Missbrauchsgebühr auferlegt wurde, ist seit Jahren rückläufig und hat 2018 mit 9 Fällen den bisher niedrigsten Wert erreicht.2 Der Sachstand befasst sich mit der Frage, ob es zulässig ist, dass die Auferlegung der Missbrauchsgebühr unanfechtbar ist. 2. Unanfechtbarkeit der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entfalten unmittelbar formelle und materielle Rechtskraft.3 Die formelle Rechtskraft geht darauf zurück, dass die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts unanfechtbar sind.4 Da die Entscheidungen nach § 31 Abs. 1 BVerfGG alle Gerichte binden, ist eine Überprüfung durch ein anderes Gericht ausgeschlossen.5 Entscheidungen eines Senats können zudem weder vor dem anderen Senat noch vor dem Plenum angefochten werden.6 Auch Kammerbeschlüsse können nicht vor dem Senat angegriffen werden.7 Eine Ausnahme zur grundsätzlichen Unanfechtbarkeit besteht in § 32 Abs. 3 BVerfGG für einstweilige Anordnungen.8 Wird eine solche Anordnung durch Beschluss – also ohne mündliche 1 Vgl. den damaligen § 34 Abs. 4 BVerfGG (BGBl. I 1951, S. 243). 2 Siehe die Statistik des Bundesverfassungsgerichts für die Jahre 1962 bis 2018, abrufbar unter https://www.bundesverfassungsgericht .de/DE/Verfahren/Jahresstatistiken/2018/gb2018/A-VIII-1.pdf?__blob=publication- File&v=2 (Stand: 28. August 2019). 3 Vgl. Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 56. EL Februar 2019, § 31 Rn. 40 ff.; Lechner/Zuck, in: dieselben, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 31 Rn. 8 ff. 4 Von Ungern-Sternberg, in: Walter/Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 7. Edition Stand: 1. Juni 2019, § 31 Rn. 8. 5 BVerfGE 1, 89 (90). 6 BVerfGE 1, 89 (90 f.); Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 56. EL Februar 2019, § 31 Rn. 40. 7 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 56. EL Februar 2019, § 31 Rn. 40; Lechner/Zuck, in: dieselben, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 31 Rn. 9. 8 Lechner/Zuck, in: dieselben, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 31 Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 210/19 Seite 4 Verhandlung – erlassen oder abgelehnt, kann Widerspruch erhoben werden.9 Über den Widerspruch entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach mündlicher Verhandlung. Zuständig für die Entscheidung ist der für die Hauptsache zuständige Senat.10 3. Unanfechtbarkeit der Missbrauchsgebühr Die Entscheidung über die Auferlegung einer Missbrauchsgebühr ist eine Nebenentscheidung zur Entscheidung in der Hauptsache.11 Die Hauptsacheentscheidung kann entweder ein Nichtannahmebeschluss nach § 93b BVerfGG, ein Beschluss über die Unzulässigkeit oder offensichtliche Unbegründetheit eines Antrags nach § 24 BVerfGG oder eine zurückweisende Entscheidung sein.12 Entsprechend den obigen Ausführungen ist die Entscheidung über die Auferlegung einer Missbrauchsgebühr unanfechtbar.13 Einzig möglicher Rechtsbehelf ist die kostenrechtliche Erinnerung nach § 8 Abs. 1 S. 1 Justizbeitreibungsordnung, die sich aber nur gegen den Kostenansatz, nicht gegen die Verhängung der Missbrauchsgebühr an sich richten darf.14 Eine Ausnahme zur Unanfechtbarkeit wird in der Literatur teilweise dann gesehen, wenn der Betroffene die Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG rüge, den jeweiligen Spruchkörper des Bundesverfassungsgerichts zur Abhilfe anrufe und dieser die Verletzung bejahe.15 In diesen Fällen könne die Nebenentscheidung isoliert abgeändert werden. Soweit ersichtlich, ist dies allerdings noch nie erfolgt.16 9 Dies gilt nach § 32 Abs. 2 S. 2 BVerfGG nicht für den Beschwerdeführer im Verfahren der Verfassungsbeschwerde. 10 Lechner/Zuck, in: dieselben, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 32 Rn. 34; Walter, in: Walter/Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 7. Edition Stand: 1. Juni 2019, § 32 Rn. 98. 11 Scheffczyk, in: Walter/Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 7. Edition Stand: 1. Juni 2019, § 34 Rn. 12; Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 56. EL Februar 2019, § 34 Rn. 71. 12 Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 56. EL Februar 2019, § 34 Rn. 71. 13 Vgl. Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 56. EL Februar 2019, § 34 Rn. 73; Scheffczyk, in: Walter/Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 7. Edition Stand: 1. Juni 2019, § 34 Rn. 33 ff. 14 Scheffczyk, in: Walter/Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 7. Edition Stand: 1. Juni 2019, § 34 Rn. 39. 15 Reiter, in: Burkiczak/Dolinger/Schorkopf (Hrsg.), BVerfGG, Neuausgabe 2015, § 34 Rn. 50; Graßhof, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 56. EL Februar 2019, § 34 Rn. 73. 16 Scheffczyk, in: Walter/Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 7. Edition Stand: 1. Juni 2019, § 34 Rn. 36. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 210/19 Seite 5 4. Beurteilung der Unanfechtbarkeit der Missbrauchsgebühr In der Rechtsprechung findet sich keine Kritik an der Unanfechtbarkeit der Auferlegung einer Missbrauchsgebühr. Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass diese aus der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung folge: „Gegen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist fachgerichtlicher Rechtsschutz ausgeschlossen. Auch eine etwa durch den Senat festgesetzte Missbrauchsgebühr ist vor den Fachgerichten nicht anfechtbar. Für stattgebende oder nichtannehmende Entscheidungen der Kammer statuiert das Gesetz ebenfalls deren Unanfechtbarkeit (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG) und stellt damit klar, dass richterlicher Rechtsschutz gegen eine solche Entscheidung im Rahmen der nationalen Rechtsordnung nicht mehr gegeben ist. Die Regelung zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung der Kammer in § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG bezieht sich ausdrücklich zwar nur auf ihre Nichtannahme- und Stattgabebefugnis nach §§ 93b, 93c BVerfGG. Da den Kammern aber auch die Missbrauchsgebührenkompetenz zukommt, die nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 2 BVerfGG uneingeschränkt für die Verfassungsbeschwerde gilt, erfasst die Unanfechtbarkeit auch den Ausspruch über die Missbrauchsgebühr.“17 Auch in der juristischen Literatur wird die Unanfechtbarkeit der Missbrauchsgebühr – soweit ersichtlich – nicht kritisiert.18 Selbst Autoren, die der Missbrauchsgebühr insgesamt kritisch gegenüberstehen , äußern sich zu diesem Punkt nicht.19 Einige Autoren weisen darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als Kontrollinstanz zur Verfügung stehe, wobei dieser in seinen bisherigen Entscheidungen20 zur Missbrauchsgebühr diese als zulässige außerordentliche Gerichtskosten eingestuft habe.21 *** 17 BVerfGE 133, 163 (167). 18 Vgl. Reiter, in: Burkiczak/Dolinger/Schorkopf (Hrsg.), BVerfGG, Neuausgabe 2015, § 34 Rn. 49 ff.; Scheffczyk, in: Walter/Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 7. Edition Stand: 1. Juni 2019, § 34 Rn. 33 ff.; Graßhof, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 56. EL Februar 2019, § 34 Rn. 73 ff.; Lechner/Zuck, in: dieselben, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 34 Rn. 10. 19 Vgl. etwa Zuck, Weg mit der Missbrauchsgebühr im Verfassungsbeschwerdeverfahren, in: NJW 1996, 1254; Schoreit, 50 Jahre Missbrauchsgebühr, in: ZRP 2002, 148. 20 EGMR, Entscheidung vom 13. Oktober 2009, 4041/06; Urteil vom 16. Dezember 2010, 39778/07. 21 Reiter, in: Burkiczak/Dolinger/Schorkopf (Hrsg.), BVerfGG, Neuausgabe 2015, § 34 Rn. 51; Winker, Die Missbrauchsgebühr im Prozessrecht, 2011, S. 204.