Deutscher Bundestag Freie Meinungsäußerung in der Bundesrepublik Deutschland und den USA im Vergleich Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 209/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 2 Freie Meinungsäußerung in der Bundesrepublik Deutschland und den USA im Vergleich Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 209/10 Abschluss der Arbeit: 7. Juni 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Meinungsfreiheit in Deutschland 4 2.1. Schutzbereich der verfassungsrechtlichen Gewährleistung 4 2.2. Grundrechtsschranken 6 2.2.1. Schrankentrias 6 2.2.2. Verfassungsimmanente Schranken 8 2.3. Verwirkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung 9 3. Meinungsfreiheit in den USA 9 3.1. Verfassungsrechtliche Gewährleistung 10 3.2. Einschränkungen der Meinungsfreiheit 11 3.2.1. Regierungskritische Äußerungen 11 3.2.2. Rassistische Äußerungen 13 3.2.3. Beleidigungen 15 4. Fazit 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 4 1. Einleitung Die rechtliche Ausgestaltung der Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland lässt sich (auch) auf amerikanische Vorbilder zurückführen. „Allgemeine Menschenrechte“ wurden erstmals in der Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776 postuliert und als „unveräußerlich“ definiert. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der französischen Nationalversammlung von 1789 griff diese Ideen auf und führte sie weiter aus. So bezieht sich das Bundesverfassungsgericht in seinem grundlegenden Urteil zur Meinungsfreiheit vom 15. Januar 1958 auch auf Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789.1 Das Bundesverfassungsgericht stuft das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung als „eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt“ ein und sieht es für die freiheitliche demokratische Grundordnung als „schlechthin konstituierend“ an.2 Es ist unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft und „im gewissen Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt“.3 Der Wesensgehalt der „politischen“ Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG ist elementarer Bestandteil des Demokratieprinzips und unterliegt der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG, kann also auch durch eine Verfassungsänderung nicht beseitigt werden4. 2. Meinungsfreiheit in Deutschland 2.1. Schutzbereich der verfassungsrechtlichen Gewährleistung Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Unter dem Begriff „Meinung“ im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG sind Werturteile jeder Thematik zu verstehen, mit denen sowohl öffentliche als auch private Zwecke verfolgt werden können.5 Sie müssen Elemente „der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung“ enthalten.6 Das Bundesverfassungsgericht umgrenzt den sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit dahin gehend, dass die Mitteilung von Tatsachen im strengen Sinne keine Meinungsäußerung darstellen , weil es ihnen grundsätzlich an diesen Merkmalen fehlt. Allerdings ist eine Tatsachenbehauptung durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt, „soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinung ist“.7 Zur Gemengelage von Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung führt das Bundesverfassungsgericht aus: 1 BVerfGE 7, 198 (208). 2 BVerfGE 7, 198 (208); 20, 56 (97). 3 BVerfGE 7, 198 (208). 4 Haratsch, in: Sodan, Grundgesetz, 2009, Art. 79, Rn. 39. 5 Sodan, in: Sodan (Fn. 4), Art. 5, Rn. 2. 6 BVerfGE 61, 1 (8); ähnlich BVerfGE 85, 1, 14 (14). 7 BVerfGE 61, 1 (8). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 5 „Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, vor allem deswegen, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme , des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als auschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden.“8 Nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen Formalbeleidigungen und Schmähkritiken. Beleidigende Meinungen als solche sind allerdings geschützt, da sonst die Grundrechtschranke des Art. 5 Abs. 2 GG (Recht der persönlichen Ehre) gegenstandslos wäre.9 Bei Formalbeleidigungen und Schmähkritiken handelt es sich allerdings um Meinungsäußerungen, bei denen nicht die sachliche Auseinandersetzung, sondern die persönliche Diffamierung des Adressaten im Vordergrund steht.10 Das Bundesverfassungsgericht sondert Formalbeleidigungen bereits aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG aus. Demgegenüber wird die Schmähkritik zwar einbezogen, doch hat sie regelmäßig im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung hinter dem Ehrenschutz zurückzustehen.11 Das Grundrecht der Meinungsfreiheit erfasst jede Form der Meinungskundgabe, die auf eine geistige Auseinandersetzung hinzielt und nicht beabsichtigt, dem Adressaten eine Meinung aufzuzwingen, etwa durch wirtschaftlichen Druck.12 Dies setzt als Tatbestandsvoraussetzung Friedlichkeit und Gewaltlosigkeit der Meinungsäußerung voraus, da sie anderenfalls den geistigen Meinungskampf nicht fördern könnte.13 Der sachliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG erfasst nicht die erwiesenermaßen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung, da sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen kann.14 Unrichtige Information ist kein schützenswertes Gut15, da die Meinungsfreiheit die Lüge verpönt16 – ebenso wie das unrichtige Zitat.17 8 BVerfGE 85,1 (15 f.). 9 BVerfGE 33, 1 (15). 10 Sodan (Fn. 4), Art. 5 Rn. 6. 11 BVerfGE 66, 116 (151); 82, 43 (51); 82, 234, 242; 93, 246 (292 ff.) – „Soldaten sind Mörder“. 12 BVerfGE 25, 256 (265). 13 Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 5. Auflage 2009, Art. 5 Rn. 35. 14 Bethge (Fn. 13), Art. 5 Rn. 28. 15 BVerfGE 85, 1 (15); 90, 1 (15). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 6 Die Meinungsfreiheit grenzt sich zur durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Pressefreiheit „um die einzelne Meinungsäußerungen übersteigende Bedeutung der Presse für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung“18 ab. Während die Meinungsfreiheit die Pressemeinung als solche schützt, wird demgegenüber ihre pressespezifische Kommunikation von der Pressefreiheit erfasst. Die Pressefreiheit ist daher kein Spezialgrundrecht gegenüber dem Recht auf freie Meinungsäußerung.19 2.2. Grundrechtsschranken 2.2.1. Schrankentrias Das Grundrecht der Meinungsfreiheit findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Die größte praktische Bedeutung im Rahmen der Schrankentrias haben die allgemeinen Gesetze . Es handelt sich dabei um förmliche Gesetze und andere Rechtsnormen (Rechtsverordnungen , Satzungen).20 Was unter „allgemein“ im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG zu verstehen ist, beantwortet das Bundesverfassungsgericht mit einer Kombination aus Sonderrechtslehre21 und Abwägungslehre.22 Allgemeine Gesetze sind danach die Normen, „die sich nicht gegen die Meinungsfreiheit oder die Freiheit von Presse und Rundfunk an sich oder gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung richten, die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsgutes dienen. Dieses Rechtsgut muss in der Rechtsordnung allgemein und damit unabhängig davon geschützt sein, ob es durch Meinungsäußerungen oder auf andere Weise verletzt werden kann. Beschränkt die zum Schutz dieses Rechtsgutes ergriffene Maßnahme die Meinungs- oder Pressefreiheit, so führt nicht schon dies zur Verneinung des Charakters der ermächtigenden Rechtsnorm als allgemeines Gesetz. Bei seiner Anwendung ist aber zu klären, ob die Güterabwägung zu einem Vorrang des Schutzes des Rechtsgutes führt, dem das allgemeine Gesetz dient.“23 16 Isensee, FS Kriele, 1997, S. 5. 17 BVerfGE 54, 148 (219). 18 BVerfGE 85, 1 (12); fast wortgleich BVerfGE 97, 391 (400). 19 BVerfGE 85, 1 (12); Sodan (Fn. 4), Art. 5 Rn. 18. 20 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 10. Auflage 2009, Art. 5 Rn. 55. 21 Danach liegt ein Sondergesetz und kein allgemeines Gesetz vor, wenn es sich gegen eine bestimmte Meinung, bzw. gegen die Meinungsfreiheit als solche richtet (Bettermann, JZ 1964, 601 ). 22 Ein Gesetz ist dann allgemein, wenn es dem Schutz eines gegenüber dem beschränkten Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG höherrangigen Rechtsgutes dient (Smend, VVDStRL 4, 44 [52]). 23 BVerfGE 117, 244 (270); vgl. ferner BVerfGE 7, 198 (209 f.); 111, 147 (155). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 7 Zu den allgemeinen Gesetzen zählen beispielsweise die durch Art. 33 Abs. 5 GG gedeckten Regelungen des Beamten- und Disziplinarrechts, die polizeiliche Generalklausel, die Vorschriften Abgabenordnung über die Steueraufsicht und die Auskunftspflichten Dritter sowie der Tatbestand der Volksverhetzung in § 130 Strafgesetzbuch (StGB). Nach § 130 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt und Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Nach § 130 Abs. 2 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer Schriften verbreitet, die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe aufstacheln, zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass Teile der Bevölkerung oder eine vorbezeichnete Gruppe beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden. Mit der gleichen Strafe ist bedroht, wer derartige Schriften verbreitet, öffentlich ausstellt , anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht. Die gleiche Strafandrohung gilt für denjenigen , der einer Person unter 18 Jahren derartige Schriften anbietet, überlässt oder zugänglich macht, so wie für denjenigen, der derartige Schriften herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt. Die Vorschrift des § 130 Abs. 2 StGB enthält noch weitere Volksverhetzungstatbestände und stellt sich als allgemeiner Diskriminierungstatbestand dar.24 § 130 Abs. 3 StGB stellt bestimmte Äußerungen zu NS-Verbrechen unter Strafe, wenn die Äußerungen öffentlich oder in einer Versammlung begangen worden sind. Der Tatbestand dieses Äußerungsdelikts erfasst drei Varianten, die jeweils eine „unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art“ erfassen, und zwar in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Tathandlung ist die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung der in der NS-Zeit begangenen Handlungen im Sinne des § 6 Völkerstrafgesetzbuch. Die Strafbarkeit wegen Leugnens oder Infragestellens des Holocaust ist mit Art. 10 EMRK vereinbar.25 Nach § 130 Abs. 4 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. Die weiteren Elemente der Schrankentrias, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend sowie zur Wahrung der Rechte der persönlichen Ehre stellen keine allgemeinen Gesetze dar, da sie in Art. 5 Abs. 2 GG eigenständig neben ihnen stehen.26 Das Bundesverfassungsgericht führt zum Schutz der Jugend aus: „Das verfassungsrechtlich bedeutsame Interesse an einer ungestörten Entwicklung der Jugend berechtigt den Gesetzgeber zu Regelungen, durch welche der Jugend 24 Fischer, Strafgesetzbuch, 57. Auflage 2010, § 130 Rn. 15. 25 EGMR NJW 2004, 3691 (3693). 26 Bethge (Fn. 13), Art. 5 Rn. 30. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 8 drohende Gefahren abgewehrt werden. Derartige Gefahren drohen auf sittlichem Gebiet von allen Druck-, Ton- und Bilderzeugnissen, die Gewalttätigkeiten oder sexuelle Vorgänge in grob schamverletzender Weise darstellen und deswegen zu erheblichen, schwer oder gar nicht korrigierbaren Fehlentwicklungen führen können . Der Gesetzgeber kann deshalb Maßnahmen treffen, durch die der freie Zugang Jugendlicher zu solchen Erzeugnissen unterbunden wird. Die Auswahl der Mittel, mit denen diesen Gefahren zu begegnen ist, obliegt zunächst dem Gesetzgeber . Eine gesetzliche Bestimmung zum Schutze der Jugend muss aber die grundlegende Bedeutung der in Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Rechte für die freiheitliche demokratische Staatsordnung beachten und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren: Die Zulässigkeit der Mittel, mit denen der Gesetzgeber den Schutz der Jugend gewährleisten darf, hängt von einer Güterabwägung zwischen der Forderung nach umfassendem Grundrechtsschutz und dem verfassungsrechtlich hervorgehobenen Interesse an einem effektiven Jugendschutz ab“.27 Dem Schutz des Rechts der Ehre dienen beispielsweise die Beleidigungsdelikte der §§ 185 ff. StGB und der §§ 823, 826 Bürgerliches Gesetzbuch. 2.2.2. Verfassungsimmanente Schranken Über die in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Schranken hinaus bestehen weitere Schranken, die sich aus der Verfassung selbst ergeben.28 Wenn schon schrankenlos gewährte Grundrechte durch Herstellung praktischer Konkordanz zugunsten kollidierender, höherwertiger Verfassungsgüter möglichen Eingriffen unterliegen, gilt dies erst recht für diejenigen Grundrechte, die wie Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG unter einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt stehen.29 Nach Art. 17a Abs. 1 GG können Gesetze über Wehrdienst und Ersatzdienst bestimmen, dass für die Angehörigen der Streitkräfte und des Ersatzdienstes während der Zeit des Wehr- oder Ersatzdienstes das Grundrecht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern oder zu verbreiten, eingeschränkt wird. Die Möglichkeit zur Einschränkung der Meinungsfreiheit gewährt das Grundgesetz nicht unbegrenzt . Das Bundesverfassungsgericht hat dazu die Wechselwirkungslehre entwickelt, wonach sich gerade aus der für die freiheitliche demokratische Grundordnung fundamentalen Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit ergibt, „dass es vom Standpunkt dieses Verfassungssystems aus nicht folgerichtig wäre, die sachliche Reichweite gerade dieses Grundrechts jeder Relativierung durch einfaches Gesetz (und damit zwangsläufig durch die Rechtsprechung der die Gesetze auslegenden Gerichte) zu überlassen. Es gilt vielmehr im Prinzip auch hier, was oben allgemein über das Verhältnis der Grundrechte zur Privatrechtsordnung ausgeführt wurde: Die allgemeinen Gesetze müssen in ihrer das Grundrecht be- 27 BVerfGE 30, 336 (347 f.). 28 BVerfGE 36, 116, (136). 29 Sodan (Fn. 4), Art. 5 Rn. 32; a. A. Bethge (Fn. 13), Art. 5 Rn. 176. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 9 schränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, dass der besondere Wertegehalt dieses Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben, führen muss, auf jeden Fall gewahrt bleibt. Die gegenseitige Beziehung zwischen Grundrecht und ‚allgemeinem Gesetz‘ ist also nicht als einseitige Beschränkung der Geltungskraft des Grundrechts durch die ‚allgemeinen Gesetze‘ aufzufassen; es findet vielmehr eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die ‚allgemeinen Gesetze‘ zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen.“30 Die Wechselwirkungslehre stellt eine spezifische Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar.31 2.3. Verwirkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung Nach Art. 18 GG verwirkt das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung, wer die Freiheit der Meinungsäußerung zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht . Unter Missbrauch ist eine unzulässige Grundrechtsausübung zu verstehen, die durch eine nachhaltig aktiv-aggressive Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gekennzeichnet ist.32 Es muss sich um einen zielgerichteten Kampf handeln.33 Es hat bisher vier Fälle von Verwirkungsverfahren gegeben, die aber zu keinem Verwirkungsausspruch geführt haben, da die Anträge „nicht hinreichend begründet“ waren.34 Rechtsfolge der Verwirkung ist das Verbot der Grundrechtsausübung, nicht der Verlust des Grundrechts.35 3. Meinungsfreiheit in den USA Gewährleistungen und Einschränkungen der Meinungsfreiheit in den USA finden sich in der Verfassung, im einfachen Gesetzesrecht sowie in höchstrichterlichen Entscheidungen. 30 BVerfGE 7, 198 (208 f.); vgl. ferner BVerfGE 12, 113 (124 f.). 31 Sodan (Fn. 4), Art. 5 Rn. 34. 32 Krebs, in: von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Band 1, 5. Auflage 2000, Art. 18 Rn. 5; Pagenkopf, in: Sachs, Grundgesetz, 5. Auflage 2009, Art. 18 Rn. 11. 33 Dürig/Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Loseblatt, Stand: November 1997, Art. 18 Rn. 54. 34 Pagenkopf (Fn. 32), Art. 18 Rn. 17 Fn. 57. 35 Pagenkopf (Fn. 32), Art. 18 Rn. 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 10 3.1. Verfassungsrechtliche Gewährleistung Die ursprüngliche Verfassung der USA, die im Laufe des Jahres 1787 entstanden und 1789 in Kraft getreten ist, bestand aus einer Präambel und sieben Artikeln mit der Regelung überwiegend staatsorganisationsrechtlicher Belange (Rechte und Pflichten des Kongresses, des Präsidenten und der Judikative etc.). Art. V der Verfassung regelt das Verfahren, Zusätze zur Verfassung (Amendments) hinzuzufügen. Bereits 1789 wurde im Kongress über zwölf Verfassungszusätze beraten, die die Menschenrechte absichern sollten. Von diesen wurden schließlich im Jahre 1791 zehn verabschiedet, die „Bill of Rights“.36 Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg wurde die amerikanische Verfassung um die Amendments 13 bis 15 erweitert, die „die Civil War Amendments“ genannt werden. Insgesamt hat die amerikanische Verfassung 27 Amendments .37 Die Meinungsfreiheit ist Gegenstand des ersten und des vierzehnten Verfassungszusatzes . Der erste Zusatzartikel der US-Verfassung lautet: „Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances“.38 Im ersten Verfassungszusatz werden damit die klassischen Freiheitsrechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Petitionsrecht, und die Religionsfreiheit garantiert. In erster Linie handelt es sich um Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe.39 In Amendment 14 Abs. 1 Satz 2 US-Verfassung heißt es: “No State shall make or enforce any law which shall abridge the privileges or immunities of citizens of the United States; nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law; nor deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws.”40 1897 setzte sich im Supreme Court die Ansicht durch, dass es sich hierbei nicht nur um eine Klausel zur Gewährleistung eines rechtmäßigen Verfahrens handelt. Das 14. Amendment der US-Verfassung soll auch den Schutz vor Eingriffen in die Grundrechte der Bürger gewährleisten . Dabei wird unter dem Begriff „liberty“ nicht nur die körperliche Bewegungsfreiheit , sondern auch die freie Entfaltung des Individuums verstanden.41 In Giltow vs. New York (1925)42 beschloss der Supreme Court, dass die Meinungsfreiheit als „Bestandteil der funda- 36 Linhart, Einführung in Recht und Gerichtsorganisation der USA, ZfRV 2007, S. 217 (220). 37 Linhart (Fn. 36), S. 218. 38 Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Gründung einer Religion betrifft, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung um die Beseitigung von Missständen zu ersuchen. 39 Rohloff, Grundrechtsschranken in Deutschland und in den USA, 2007, S. 107. 40 Keiner der Einzelstaaten darf Gesetze erlassen oder durchführen, die die Vorrechte oder Freiheiten von Bürgern der Vereinigten Staaten beschränken, und kein Staat darf irgend jemandem ohne ordentliches Gerichtsverfahren nach Recht und Gesetz Leben, Freiheit oder Eigentum nehmen oder irgend jemandem innerhalb seines Hoheitsbereiches den gleichen Schutz durch das Gesetz versagen. 41 Allgeyer vs. Louisiana, 165 U.S. 578 (1897). 42 268 U.S. 652, 666 (1925). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 11 mentalen persönlichen Rechte und Freiheiten“ im Sinne des 14. Amendments der US- Verfassung gewährleistet ist.43 3.2. Einschränkungen der Meinungsfreiheit Mit den Freiheitsrechten, die im ersten Verfassungszusatz enthalten sind, hat sich der Supreme Court am häufigsten beschäftigt. Nach seiner Rechtsprechung ist es Ziel der Meinungsfreiheit, im politischen und gesellschaftlichen Bereich einen uneingeschränkten Austausch von Meinungen und Gedanken zu garantieren.44 Obwohl dem Wortlaut des ersten Verfassungszusatzes nach jegliche Einschränkung der Freiheitsrechte untersagt wird, sieht der Supreme Court die Rechte nicht als unantastbar an. Dies gilt besonders dann, wenn durch die Ausübung der Rechte Gefahren für andere Bürger verursacht werden oder die Rechte auf eine Art ausgeübt werden, die schädlich für Dritte sein könnte. In derartigen Fällen werden Einschränkungen der Grundrechte durch den Supreme Court zugelassen.45 3.2.1. Regierungskritische Äußerungen Erste Einschränkungen der Meinungsfreiheit ergaben sich durch den vom Bund erlassenen Sedition Act (1798). Dieser sanktionierte die Herablassung der Regierung mit Haft- und Geldstrafen . Auf Grund dessen kam es zu einer Reihe von Verurteilungen in den Bundesstaaten, die vom Supreme Court nicht beanstandet wurden. Der Sedition Act lief im Jahr 1801 aus und wurde vom Kongress nicht verlängert.46 Im Jahre 1917 wurde der Espionage Act verabschiedet, der festlegt, dass Personen, die „Informationen mit der Absicht verbreiten, die Operation oder den Erfolg der Streitkräfte der Vereinigten Staaten zu beeinträchtigen oder den Erfolg ihrer Feinde zu fördern“, verurteilt werden. Vor allem Äußerungen pazifistischer Art, die zur Wehrdienstverweigerung aufriefen, wurden als Verstoß gegen den Espionage Act bestraft. Die Verurteilungen der Untergerichte, die sich auf den Espionage Act beriefen, wurden vom Supreme Court bestätigt.47 Weitere Verbote und Einschränkungen im Umkreis des ersten Amendments der US-Verfassung gab es vor allem in der Zwischenkriegszeit.48 43 Stock, Presse- und Meinungsfreiheit in den USA, 1986, S. 20. 44 Rohloff (Fn.39), S. 108. 45 Rohloff (Fn. 39), S. 113. 46 Rohloff (Fn. 39), S. 113. 47 Kübler, Redefreiheit und Demokratie. Das amerikanische Beispiel, in: Geiß (Hrsg.), Festschrift für Karl Peter Mailänder zum 70. Geburtstag, 2006, S. 533 (537). 48 Kreutzberger, "Hate Speech". Grenzen der Meinungsfreiheit in den U.S.A. - und was wir daraus lernen können, in: Bruckmiller (Hrsg.), Opposition als Triebkraft der Demokratie. Bilanz und Perspektive der zweiten Republik. Jürgen Seifert zum 70. Geburtstag, 1998, S. 282. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 12 Wegweisend für die moderne Rechtsprechung zu den Schranken der Meinungsfreiheit war der Fall Schenck vs. United Staates aus dem Jahre 1919.49 Schenck war wegen der Verteilung von Flugblättern, die zur Verweigerung des Wehrdienstes aufriefen, verurteilt worden. Zwar wurde vom Gericht eingeräumt, dass durch seine Verurteilung Einschränkungen in seinem Recht auf Redefreiheit entstanden. Unter der besonderen Bedingung des Krieges wurde der Eingriff aber damit gerechtfertigt, dass der Aufruf geeignet sei, zu einem Zustand der „clear und present danger“ beizutragen. In diesem Gefahrentest wurden weder an die Nähe noch an den Grad der Gefahr besondere Anforderungen gestellt, d.h., dass auch eine mögliche oder geringe Gefahr zur Verurteilung ausreichen konnte. Die Beschränkung konnte bereits einsetzen, wenn die Äußerung eine gefährliche Tendenz zu einer rechtswidrigen Tat aufwies.50 Im Fall Fall Schenck vs. United Staates handelte es sich um eine richterrechtliche Fortbildung des ersten Amendments zur Beschränkung der Meinungsfreiheit. Es zeigte sich sehr bald, dass extremistische, politische Äußerungen nicht nur durch den Zustand eines Krieges gerechtfertigt wurden. Auch kommunistische Propaganda, die zu einem gewaltsamen Umsturz der Regierung aufrief, erfüllte den Tatbestand des „clear and present dangers“.51 Dies änderte sich noch 1919 mit der Entscheidung Abrams vs. United States52 zu Gunsten eines höheren Schutzes für die Meinungsfreiheit. Abrams wurde zu einer 20-jährigen Haftstrafe verurteilt, weil er die Politik der Regierung kritisiert und Flugblätter verteilt hatte, die zur Unterstützung der russischen Revolution aufriefen. Die Richter Holmes und Brandeis betonten in einem Sondervotum, dass „Wahrheit und Gemeinwohl nicht durch Redeverbot, sondern durch den freien Austausch auf dem Marktplatz der Meinungen und Ideen gefördert werden“.53 Im Folgenden wandelten sich die Richtersprüche des Supreme Courts, die den ersten Amendment betrafen: Demonstrationen und Appelle, die an die Öffentlichkeit gerichtet waren, durften nur noch verboten werden, wenn sie zu einer direkten Gewaltanwendung aufriefen . Aufbauend hierauf wurde in Stromberg vs. California (1931)54 entschieden, dass das Entfalten der roten Flagge als Demonstration der anarchistischen Überzeugungen nicht mehr verboten werden durfte. In Near vs. Minnesota (1931)55 wurde jegliche Form der Vorzensur von Zeitungen für unzulässig erklärt. In Bezug auf regierungsfeindliche Äußerungen ist vor allem der Smith Act von 1940 zu nennen. Danach ist es untersagt, den Sturz einer Regierung der Vereinigten Staaten durch Gewalt zu 49 249 U.S. 47, 52 (1919); Rohloff (Fn. 39), S. 113; Stock (Fn.), S. 63 f.. 50 Kreutzberger (Fn. 48), S. 283. 51 Kübler, Äußerungsfreiheit und rassistische Propaganda. Grundrechtskonflikte im Zugwind der Globalisierung, Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Bd. 37, Nr. 6, 2000, S. 155 (165). 52 250 U.S. 616, 624 ff. (1919); Rohloff (Fn. 39), S. 124. 53 Kübler (Fn. 47), S. 538. 54 283 U.S. 359 (1931). 55 283 U.S. 697 (1931); Kübler (Fn. 47), S. 538 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 13 befürworten, diesen anzustreben oder ihn zu propagieren. In Bezug auf den ersten Amendment sind hier zwei Fälle von Bedeutung: Dennis vs. United States56 und Yates vs. United States. 57 Dennis, ein Mitglied der Kommunistischen Partei, legte 1951 Klage gegen seine Verurteilung ein. Das Gericht entschied, dass das aktive Eintreten in einer solchen Organisation nicht vom ersten Amendment geschützt war. Die öffentliche Propagierung der marxistisch-leninistischen Idee stehe mit der nationalen Sicherheit in Konflikt. Der Supreme Court bestätigte die Verurteilung von Dennis. Bereits 1957 nahm das Gericht seine Position wieder zurück, ohne jedoch den Smith Act in Frage zu stellen. In Yates vs. United States hat es den „clear and present danger“ Test widerrufen. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Regelungen des Smith Act nur dann verletzt würden, wenn eine Person eine Handlung unterstütze, die den Sturz der Regierung als Ziel habe, und nicht wenn die Person abstrakte Meinungen und Wünsche äußere. Zwar wurden die Aktionen der Kommunistischen Partei als unvereinbar mit der Verfassung bezeichnet, aber Personen könnten nur verurteilt werden, wenn sie selbst entsprechende Aktionen vorbereiteten oder an diese teilnähmen.58 3.2.2. Rassistische Äußerungen Auf bundesgesetzlicher Ebene gibt es in den USA keine Gesetze zu den „racist speeches“. Vom Supreme Court werden die Regelungen der Einzelstaaten und die der Kommunen auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft.59 In den USA werden verletzende Worte der Redefreiheit zugeordnet, die vor allen anderen Verfassungswerten steht. Somit ist in fast allen Fällen das Ergebnis vorbestimmt, da die Verfassung der Vereinigten Staaten „hate speech“ fast immer schützt.60 Der Grund liegt daran, dass die amerikanische Verfassung auch bei Hassrede an erste Stelle die Rede bzw. die Meinungsfreiheit sieht, die verglichen mit anderen Werten als vorrangiges Recht in der amerikanischen Verfassung gesehen wird. Eine anstößige Rede soll stets mit Gegenrede beantwortet werden, nicht mit staatlicher Regulierung.61 Seit den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die Forderung nach einem group libel laut. Hierbei handelt es sich um Regelungen, die Schutz gegen Angriffe bieten, die die ethnische , religiöse und rassische Zugehörigkeit einer Person verletzen. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden in einigen Staaten „hate speech-Delikte“ definiert, die die aggressive Kommunikation gegenüber historisch benachteiligten Gruppierungen verfolgen sollten. 62 In 56 385 U.S. 589 (1967). 57 355 U.S. 66 (1957). 58 Glaeßner, Sicherheit in Freiheit. Die Schutzfunktionen des demokratischen Staates und die Freiheit der Bürger, 2003, S. 222 ff. 59 Kübler (Fn. 51), S. 165. 60 Vgl. Brugger, Verbot oder Schutz von Hassrede?, AöR 2003, S. 372 (377). 61 Brugger (Fn. 60), S. 374. 62 Kreutzberger (Fn. 48), S. 282. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 14 dieser Hinsicht sind auch die Vorschriften zu den „penalty enhacement statutes“ bedeutend. Hierdurch werden strafrechtliche Taten, die durch Hass motiviert sind, einer härteren Bestrafung unterzogen als Taten ohne diese Motivation.63 Die Schändung von Götterhäusern steht in einigen Bundesstaten unter Strafe. Im Jahre 1990 hatten 34 der 50 Bundesstaaten derartige Vorschriften. In anderen Bundesstaaten muss zur Verurteilung wegen einer solchen Straftat den Tätern Rassismus oder Antisemitismus nachgewiesen werden. Ein weiterer Tatbestand betrifft die Kategorie der „fighting words“, die durch den Fall Chaplinsky vs. New Hampshire (1942)64 geschaffen wurde. Die Kategorie der „fighting words“ bezieht sich auf Äußerungen, durch die eine Störung des öffentlichen Friedens ausgelöst werden kann. Hierbei handelt es sich um das Verbot von Ausdrücken, die ein rechtwidriges Verhalten von Dritten oder auch die Wahrscheinlichkeit eines solchen Verhaltens erhöhen könnten. „Fighting words“ können verbal oder durch ein bestimmtes Verhalten zum Ausdruck gebracht werden.65 Wenige Jahre nach Chaplinky sind in dem Fall Terminiello vs. Chicago (1949)66 die „fighting words“ eines Antisemiten mit dem Argument nicht bestraft worden, dass „es der hohe Zweck der Meinungsfreiheit sei, einen Zustand der Unruhe herbeizuführen, Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen zu erzeugen oder selbst Menschen zum Zorn anzustacheln.“67 Ein besonders wichtiger Fall für „hate speech“- und fighting words“-Delikte ist der Fall Brandenburg vs. Ohio68. Nach dem Urteil des Supreme Court von 1969 ist ein Aufruf zum Gesetzesbruch oder zur Gewalt grundsätzlich nicht unter Strafe zu stellen. In diesem Fall aus dem Jahre 1969 erhöhte das Oberste Gericht die Anforderung an den „clear and present danger“-Test. Brandenburg hatte bei einem Treffen des Ku Klux Klans zu Gewalt aufgerufen, um die Unterdrückung der weißen Rasse zu beenden. Nach dem in Ohio geltenden Criminal Syndicalism Act, wonach es verboten ist, zu einer Gewalttat aufzurufen, wurde Brandenburg verurteilt. Der Supreme Court erklärte das Gesetz für verfassungswidrig und forderte, dass „Aufrufe zu gesetzwidriger Aktion sowohl der Erfolgsaussicht als auch der Absicht nach auf unmittelbare, augenblickliche Wirkung zielen müssten.“69 Bedeutung hat das Urteil im Fall Brandenburg auch für den Espionage Act und den Smith Act, weil politische Meinungen, die der Linie der Regierung nicht entsprechen, nicht mehr so einfach vom ersten Verfassungszusatz ausgeschlossen werden können. Somit wurde der „clear and present danger“-Test durch den „Brandenburg“-Test ersetzt.70 63 Silverman, Hassdelikte in den USA. Abwehrmöglichkeiten im Spannungsfeld von Minderheitenschutz und Redefreiheit, ZStW 1995, S. 108. 64 315 U.S. 296 (1940). 65 Silverman (Fn. 63), S. 108. 66 337 U.S. 1 (1949). 67 Kreutzberger (Fn. 48), S. 285 f. 68 395 U.S. 444, 448 (1969). 69 Kreutzberger (Fn. 48), S. 286. 70 Rohloff (Fn. 39), S. 136. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 15 Im Fall R.A.V. vs. St. Paul71 im Jahre 1992 entschied der Supreme Court, dass ein Verbot von „fighting words“ verfassungswidrig sei, weil es ein selektives Redeverbot darstelle. In diesem Fall wurde vor allem ein Gesetz, das die Zurschaustellung von gruppendiskriminierenden Symbolen verbot, als unvereinbar mir der amerikanischen Verfassung erklärt.72 Ein Jahr später entschied der Supreme Court in dem Fall Wisconsin vs. Mitchell73, dass Regelungen, die die Strafe für hassmotivierte Verbrechen erhöhen, nicht gegen die amerikanische Verfassung verstoßen . Auf diese Weise wurde vom Supreme Court ein Urteil erlassen, das die strafrechtliche Verfolgung von „hate crimes“ ermöglichte. 3.2.3. Beleidigungen Vom ersten Amendment zur US-Verfassung ausgenommen sind obszöne, beleidigende oder verleumderische Äußerungen. In dieser Hinsicht ist der berühmteste First Amendment-Fall New York Times vs. Sullivan74 von Bedeutung. Ein Artikel der Zeitung kritisierte die Behandlung der Bürgerrechtsbewegung durch staatliche Behörden und enthielt einige ungenaue Äußerungen über die Verhaftungen von Martin Luther King. Nach dem Artikel wurde King sieben, in Wahrheit jedoch sechs Mal verhaftet. Ein Polizist, der im Artikel nicht namentlich genannt wurde, klagte wegen Beleidigung. Die New York Times wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Der oberste Gerichtshof des Bundes hob die Klage auf und entschied, dass eine vertretene Meinung, in diesem Fall Beleidigung, nicht durch die Möglichkeit der Bestrafung eingeschränkt werden darf.75 Es wurde vom Gericht deutlich gemacht, dass die Meinungsfreiheit in der amerikanischen Verfassung eine zentrale Bedeutung hat. Daher genießen auch Angehörige öffentlicher Ämter keinen Schutz vor Beleidigungen. Vielmehr ist die Kritik an Amtsträgern erwünscht. Ausgeschlossen sind dagegen bewusste Falschaussagen: „Actual malice: the defandant must act with knowledge of falsity or in reckless disregard falsity“.76 4. Fazit In rechtsvergleichender Hinsicht ist zunächst als Gemeinsamkeit zwischen der deutschen und der amerikanischen Rechtsordnung festzustellen, dass beide das Recht der freien Meinungsäußerung in ihren schriftlichen Verfassungen gewährleisten und durch ihre Verfassungsgerichte – das Bundesverfassungsgericht und der Supreme Court – weiterentwickelt haben, wobei Meinungsund Pressefreiheit des ersten Amendments vom Supreme Court grundsätzlich als Einheit behan- 71 112 S. Ct. 2538 (1992). 72 Kreutzberger (Fn. 48), S. 286. 73 113 S. Ct. 2194 (1993); Silverman (Fn. 63), S. 110. 74 376 U.S. 254 (1964); Kübler (Fn. 47), S. 539; Nolte, Beleidigungsschutz in der freiheitlichen Demokratie, 1992, S. 107 75 Rohloff (Fn. 39), S. 149. 76 Rohloff (Fn. 39), S. 150. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 16 delt werden.77. Allerdings mit dem Unterschied, dass im ersten Amendment der US-Verfassung die Meinungsfreiheit verfassungstextlich keine Einschränkung erfährt – anders als in der grundgesetzlichen Gewährleistung, die in Art. 5 Abs. 2 und 17a GG Schranken erwähnt. In der amerikanischen Verfassungsentwicklung haben sich diese Schranken durch Gesetze und Rechtsprechung entwickelt. Die Nachwirkung der verfassungstextlich einschränkungslos gewährten Meinungsfreiheit zeigt sich darin, dass die Meinungsfreiheit in den USA tendenziell auch dort überwiegt , wo in Deutschland der Ehrschutz im Vordergrund steht.78 Auch die Einwirkung von Grundrechten auf Rechtsverhältnisse zwischen Privaten wird im US-Verfassungsrecht dogmatisch anders gelöst als im deutschen Recht, nämlich nicht im Sinne einer mittelbaren Drittwirkung . Eine Bindung an die Verfassung besteht nach der State Action Doctrine nur beim Handeln eines staatlichen Akteurs. Darin kommt das traditionfelle Grundrechtverständnis des amerikanischen Verfassungsrechts zum Ausdruck, das darin besteht, Grundrechte als Garanten der Freiheit vom Staat zu begreifen.79 Allerdings wird ein Gerichtsurteil, das im Bereich der defamation verfassungswidrige Zustände zwischen Privaten aufrechterhält, als state action angesehen80, sodass die Drittwirkungslage im Ergebnis weitestgehend der Deutschen entspricht. Die Deliktgruppe der defamation im Common Law entspricht dem „Ehrschutz“ nach deutschem Verständnis. Wie der Supreme Court in New York Times vs. Sullivan ausführte, unterliegt die defamation dem ersten Amendment und damit hohen verfassungsrechtlichen Hürden. Die Meinungsfreiheit genießt einen fast unbedingten Vorrang vor den Persönlichkeitsrechten.81 Die defamation als zivilrechtliches Delikt führt nur in den Fällen zu Schadensersatzansprüchen, in denen der gute Ruf oder der gute Name einer Person beschädigt wurde. Klagt eine Amtsperson aus defamation auf Schadensersatz , muss sie die Falschheit der Tatsachenbehauptung beweisen und nachweisen, dass die Tatsachenbehauptung mit actual malice getätigt worden ist, also in Kenntnis oder leichtfertiger Unkenntnis der Unwahrheit der Behauptung.82 Das amerikanische Recht unterscheidet sich vom deutschen auch darin, dass im Falle einer Kollision der Meinungsfreiheit mit anderen Grundrechten keine Güterabwägung im Einzelfall stattfindet . Der Supreme Court hat grundsätzliche Regelungen mit weitem Anwendungsbereich aufgestellt und kategorisiert die Fälle nach abstrakt-generellen Kriterien. Die „konkrete“ Methode des Bundesverfassungsgerichts wendet der Supreme Court nicht an83 und begründet dies mit der Rechtsunsicherheit, die mit der Abwägungsentscheidung verbunden ist. Dass die abstrakte Ab- 77 Meskouris, Der Stolpe-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts in rechtsvergleichender Betrachtung, Der Staat 2009, S. 355 (365). 78 Fleming, Libel and Constitutional Free Speech, in: Cane/Stapelton (Hrsg.), Essays for Patrick Atiyah, 1991, S. 333; Meskouris (Fn. 77), S. 364. 79 Meskouris (Fn. 77), S. 363. 80 New York Times vs. Sullivan, 376 U.S. 254, 265 (1964); Chemerinsky, Constitutional Law, 2006, S. 507. 81 Meskouris (Fn. 77), S. 364. 82 New York Times vs. Sullivan (Fn.), 279 f.; vgl. auch Chemerinsky (Fn.), S. 1045 f. 83 Gertz vs. Robert Welch, Inc., 418 U.S. 323, 343 f. (1974). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 209/10 Seite 17 wägung der Grundrechtsbelange ohne Berücksichtigung der konkreten Schwere einer Ehrverletzung zulasten der Einzelfallgerechtigkeit geht, nimmt der Supreme Court ausdrücklich in Kauf.84 84 Meskouris (Fn. 77), S. 364.