© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 207/15 Zum Verhältnis von Petitionsverfahren und laufendem Gerichtsverfahren Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 207/15 Seite 2 Zum Verhältnis von Petitionsverfahren und laufendem Gerichtsverfahren Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 207/15 Abschluss der Arbeit: 10. September 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 207/15 Seite 3 1. Einleitung Gemäß Art. 17 Grundgesetz (GG) hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. So wird die Möglichkeit eröffnet, jenseits formaler Verwaltungs-, Gerichts- und Gesetzgebungsverfahren, Interessen, Rechte und sonstige Anliegen einer Behörde oder dem Parlament vorzutragen.1 Art. 17 GG gewährt dabei nur einen Anspruch des Petenten auf Entgegennahme, sachliche Prüfung und Bescheidung einer Petition, nicht aber einen Anspruch auf materielle Abhilfe oder eine bestimmte Art der Erledigung.2 Konkrete Abhilfemaßnahmen sind im Übrigen gerade für das Parlament nur in wenigen Fällen überhaupt möglich (z.B. in Form von Gesetzgebungsakten). Regelmäßig ist es auf eine rein politische Einflussnahme beschränkt, etwa indem es bei der Regierung und Verwaltung Lösungen anregt oder diese um Abhilfe ersucht.3 Der Petitionsgegenstand ist im Grundgesetz nicht näher festgelegt; insbesondere bestehen keine Vorgaben hinsichtlich des Inhalts einer Bitte oder Beschwerde.4 Gerade auch Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt können daher Gegenstand einer Petition sein. Im Fall einer solchen Rechtsverletzung verweist Art. 19 Abs. 4 GG auch auf den Rechtsweg, also die Gerichte und die entsprechenden förmlichen Rechtsbehelfe. Der in diesem Kontext aufkommenden Frage nach dem Verhältnis des Petitionsrechts und -verfahrens zum gerichtlichen Rechtsschutz soll nachfolgend in Bezug auf den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages nach Art. 45c GG nachgegangen werden. Hintergrund der Anfrage ist ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Schleswig-Holsteinischen Landtages.5 Gegenstand des in Rede stehenden Gutachtens war im Schwerpunkt die Frage, ob und inwieweit sich der Petitionsausschuss des Landtages mit einem Sachverhalt beschäftigen darf, der Gegenstand eines anhängigen Gerichtsverfahrens ist. 2. Zielrichtung von Petitionsrecht und Rechtsschutzgarantie Das Petitionsrecht aus Art. 17 GG und die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG stehen nebeneinander und ergänzen sich, schließen sich also gerade nicht gegenseitig aus. Denn Rechtsschutzgarantie wie Petitionsrecht haben beide eine dem Rechtsschutz dienende Funktion.6 1 Dollinger, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Band 1, Heidelberg 2002, Art. 17 Rn. 9. 2 BVerfGE 2, 225 ff.; 13, 54 (90); Brocker, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Onlinekommentar zum GG, Stand: 01. Juni 2015, Art. 17 Rn. 22; Stettner, in: Bonner Kommentar zum GG, 94. Lfg. 2000, Art. 17 Rn. 12, 42. 3 Gnatzy, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 13. Auflage, Köln 2014, Art. 17 Rn. 2. 4 Dollinger, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Band 1, Heidelberg 2002, Art. 17 Rn. 9. 5 Gutachtenauftrag Friedrichskoog, Wissenschaftlicher Dienst des Schleswig-Holsteinischen Landestages, Umdruck 18/4620, abrufbar unter: http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/umdrucke/4600/umdruck-18-4620.pdf. 6 Stettner, in: in: Bonner Kommentar zum GG, 94. Lfg. 2000, Art. 17 Rn. 58. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 207/15 Seite 4 Die Rechtsschutzgarantie gewährleistet eine institutionalisierte, an bestimmte Verfahrensvoraussetzungen gebundene Möglichkeit, gegen einen Akt der öffentlichen Gewalt Rechtsmittel einzulegen; am Ende des Verfahrens steht die verbindliche Entscheidung eines Gerichts.7 Das Petitionsrecht hingegen sichert einen „unkomplizierten Zugang zu den staatlichen Organen“8 und damit eine außerhalb des förmlichen Rechtsschutzverfahrens liegende Rechtsschutzmöglichkeit.9 Es ist daher durchaus möglich, dasselbe Anliegen sowohl im Rahmen eines förmlichen Gerichtsverfahrens als auch im Rahmen eines Petitionsverfahrens geltend zu machen.10 Die Verfahren können parallel laufen oder nacheinander.11 Dies bedeutet, dass weder ein anhängiges noch ein abgeschlossenes Verfahren die Durchführung des jeweils anderen Verfahrens hindert. 3. Verfassungsrechtliche Grenzen des Petitionsverfahrens in Bezug auf laufende Gerichtsverfahren 3.1. Gewaltenteilung Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ist die Staatsgewalt auf verschiedene Organe verteilt:12 Legislative, Exekutive und Judikative. Diese Aufteilung wird nicht durch eine strikte Trennung, sondern im Sinne einer gegenseitigen Verschränkung mit gegenseitigen Kontroll- und Mäßigungsmöglichkeiten verwirklicht.13 Gleichwohl setzt der Gewaltenteilungsgrundsatz den gegenseitigen Einflussmöglichkeiten Grenzen: Keine Gewalt darf ihrer durch die Verfassung zugewiesenen Aufgaben beraubt werden.14 In dem jeweiligen Kernbereich der Aufgabenwahrnehmung ist sie vor Übergriffen der anderen Gewalten geschützt.15 Für die Judikative bedeutet dies einen Schutz vor Abänderung ihrer Rechtsprechungsakte, insbesondere vor Aufhebung rechtskräftiger Urteile durch die anderen Gewalten.16 7 Vgl. Schwachheim, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Band 1, Heidelberg 2002, Art. 19 IV Rn. 166 ff. 8 Stettner, in: Bonner Kommentar zum GG, 94. Lfg. 2000, Art. 17 Rn. 20. 9 Dollinger, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Band 1, Heidelberg 2002, Art. 17 Rn. 17. 10 S. insbesondere Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 74. Ergänzungslieferung, Mai 2015, Art. 17 Rn. 47, der hier sehr anschaulich von einer „Doppelspurigkeit von Rechtsweg und ‚Petitionsweg‘“ spricht. 11 Dollinger, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Band 1, Heidelberg 2002, Art. 17 Rn. 17. 12 Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Onlinekommentar zum GG, Stand: 01. März 2015, Art. 20 Rn. 155. 13 BVerfGE 3, 225 (247); 67, 100 (130); Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Onlinekommentar zum GG, Stand: 01. März 2015, Art. 20 Rn. 159 ff. 14 BVerfGE 34, 52 (59); Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 13. Auflage, Köln 2014, Art. 20 Rn. 53. 15 Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Onlinekommentar zum GG, Stand: 01. März 2015, Art. 20 Rn. 161. 16 BVerfGE 7, 183 (188); 18, 241 (254); Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 13. Auflage , Köln 2014, Art. 20 Rn. 53. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 207/15 Seite 5 3.2. Richterliche Unabhängigkeit Daneben gewährleistet die in Art. 92 und 97 GG verankerte Unabhängigkeit der Justiz den Gerichten , die Rechtsprechung weisungsfrei auszuüben, sowie den Richtern persönliche Unabhängigkeit.17 Die Unabhängigkeit der Justiz verwehrt es Exekutive und Legislative, auf laufende Verfahren einzuwirken , deren Ergebnis zu bestimmen oder zu beeinflussen. Insbesondere für das Parlament und seinen Petitionsausschuss bedeutet dies, dass Beschlüsse, mit denen zu einem laufenden Gerichtsverfahren Stellung bezogen, auf dieses Einfluss genommen oder die Missbilligung der gerichtlichen Entscheidung ausgesprochen werden soll, unzulässig sind.18 4. Zuständigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages Dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages ist es also nicht gestattet, Beschlussempfehlungen an das Plenum zu formulieren, auf die gerichtliche Entscheidung unmittelbar Einfluss zu nehmen. Möglich ist es aber, innerhalb der aufgezeigten Grenzen Einfluss ausüben, etwa indem einem am Gerichtsverfahren beteiligten Exekutivorgan eine bestimmte Verhaltens- oder Lösungsempfehlung ausgesprochen wird.19 Die Zielrichtung ist hier nicht die Justiz, sondern die Exekutive. Solche Empfehlungen gegenüber der Bundesregierung und anderen Behörden des Bundes für das Plenum vorzubereiten, gehört gerade zu den Aufgaben des Petitionsausschusses nach Art. 45c GG. In diesem Sinne legen die vom Petitionsausschuss gem. § 110 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) aufgestellten „Grundsätze des Petitionsausschusses über die Behandlung von Bitten und Beschwerden“ unter Nr. 5 „Zuständigkeit des Petitionsausschusses“ Absatz 5 konkrete Anforderungen für eine Befassung mit einer ein Gerichtsverfahren betreffenden Petition fest: „Petitionen, die ein Gerichtsverfahren betreffen, behandelt der Ausschuss nur insoweit, als auf Bundesebene – von den zuständigen Stellen ein bestimmtes Verhalten als Verfahrensbeteiligte in einem Rechtsstreit verlangt wird; – eine gesetzliche Regelung gefordert wird, die eine mit den Petitionen angegriffene Rechtsprechung für die Zukunft unmöglich machen würde; – die zuständigen Stellen aufgefordert werden, ein ihnen günstiges Urteil nicht zu vollstrecken. Soweit ein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit verlangt wird, werden sie nicht behandelt.“ 17 BVerfGE 4, 331 (344 ff.); Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Onlinekommentar zum GG, Stand: 01. März 2015, Art. 92 Rn. 1 ff. 18 Hillgruber, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 74. Ergänzungslieferung, Mai 2015, Art. 97 Rn. 92. 19 Vgl. dazu Gutachtenauftrag Friedrichskoog, Wissenschaftlicher Dienst des Schleswig-Holsteinischen Landestages, Umdruck 18/4620, abrufbar unter: http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/umdrucke/4600/umdruck-18- 4620.pdf: In Rede stand eine Empfehlung zur Streitbeilegung im Sinne des Petenten durch den Petitionsausschuss. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 207/15 Seite 6 5. Ergebnis Grundsätzlich ist es dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages möglich, sich mit einer Petition zu befassen, deren Sachverhalt auch Gegenstand eines laufenden Gerichtsverfahrens ist. Allein eine unmittelbare Einflussnahme auf das gerichtliche Verfahren, z.B. durch eine Beschlussempfehlung , in der das Gericht aufgefordert wird, in einer bestimmten Weise zu entscheiden, wäre mit der Gewaltenteilung unvereinbar. Eine Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages an das Bundestagsplenum mit dem Inhalt, eine Petition der Bundesregierung bzw. anderen Behörden des Bundes „zur Berücksichtigung zu überweisen“ und damit diese im Sinne des Petenten zu ersuchen, sich in einem laufenden Gerichtsverfahren als Verfahrensbeteiligte in bestimmter Weise zu positionieren, gehört dagegen zu den Zuständigkeiten des Ausschusses. Ende der Bearbeitung