© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 206/19 Betreten und Durchsuchen der Wohnung einer abzuschiebenden Person nach § 58 Abs. 5 bis 9 Aufenthaltsgesetz Fragen zur Vereinbarkeit mit Art. 13 Grundgesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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August 2019 in Kraft getretenen zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht1 wurden erstmals Befugnisse in das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) eingefügt, Wohnungen zum Zwecke der Durchführung von Abschiebungen ausreisepflichtiger Ausländer zu betreten (§ 58 Abs. 5 AufenthG) und zu durchsuchen (§ 58 Abs. 6 AufenthG).2 Gemäß § 58 Abs. 10 AufenthG bleiben weitergehende Regelungen der Länder3 unberührt. § 58 Abs. 5 bis 9 AufenthG soll ein bundeseinheitliches Mindestmaß für Betretensrechte bei Abschiebungen vorgeben .4 Die Regelungen berühren die durch Art. 13 Grundgesetz (GG) geschützte Unverletzlichkeit der Wohnung (2.). Die Ausarbeitung beschäftigt sich mit der Frage, ob der Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG auch für das in § 58 Abs. 5 AufenthG geregelte Betreten zum Ergreifen der abzuschiebenden Person gilt (3.). Ferner wurde gefragt, ob Abschiebungen „gemeine Gefahren“ i.S.v. Art. 13 Abs. 7 GG begründen, die zu sonstigen Beschränkungen von Art. 13 Abs. 1 GG berechtigen (4.). Darüber hinaus wird auf die Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungen zur Nachtzeit eingegangen (5.). 2. Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG Die Befugnisse der Polizei nach § 58 Abs. 5 bis 9 AufenthG betreffen ausweislich des Gesetzeswortlautes die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers sowie anderer Personen, soweit Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer in den entsprechenden Räumen befindet (§ 58 Abs. 6 S. 2 AufenthG). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird die Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG als räumlich geschützte Privatsphäre begriffen.5 Aufgrund des engen Zusammenhangs mit der Menschenwürdegarantie6 ist der Begriff der Wohnung sehr weit auszulegen. Im Falle von Asylsuchenden handelt es sich dabei regelmäßig um die Räume, die ihnen innerhalb von Gemeinschaftsunterkünften zugewiesen sind.7 Solange die Möglichkeit des Rückzuges besteht, 1 BGBl. I 2019, S. 1297 – sog. „Geordnete-Rückkehr-Gesetz”. 2 BT-Drs. 19/10706, S. 6. 3 Übersicht bei Herrmann, Vollstreckung oder Durchsuchung – vollzugsrechtliche Abgrenzungsfragen am Beispiel der Flüchtlingsabschiebung, ZAR 2017, S. 201 (203). 4 BT-Drs. 19/10706, S. 14. 5 BVerfGE 32, 54 (72); 65, 1 (40). 6 BVerfGE 120, 274 (309); Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand: 86. EL Januar 2019, Art. 13 Rn. 1. 7 VG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2019, Az. 9 K 1669/18, juris Rz. 27 ff.; VG Augsburg, Beschluss vom 20. Oktober 2005, Az. Au 6 S 05.773, juris Rz. 23 (bzgl. Obdachlosen in Gemeinschaftsunterkünften); Herrmann, (Fn. 3), S. 202; Zölls, Die polizeiliche Betretungsbefugnis von Asylbewerberunterkünften nach Art. 23 III Nr. 3 Bayrisches Polizeiaufgabengesetz (PAG), ZAR 2018, S. 56 (57). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 206/19 Seite 4 insbesondere die Schlafstätte also nicht für eine Vielzahl von Personen einsichtig ist,8 handelt es sich auch dabei um eine Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG. Räume in Gemeinschaftsunterkünften sind aufgrund der unterschiedlichen Zweckrichtung der Unterbringung auch nicht mit Hafträumen vergleichbar9, für die der Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG nur eingeschränkt gilt.10 Das VG Neustadt hat zwar in einer Entscheidung aus dem Jahr 2002 vertreten, dass mit der Abschiebung eines Ausländers auch dessen Beziehung zu seiner Wohnung gelöst werde, sodass diese keine durch Art. 13 Abs. 1 GG schützenswerte Privatsphäre mehr bieten könne.11 Hierfür spreche auch der Vergleich mit der Vollstreckung eines Räumungsurteils nach § 758 Abs. 2 ZPO. Dieser Argumentation wurde jedoch weder in der Literatur noch der Rechtsprechung gefolgt. Zum einen habe die Vollstreckung der Ausreisepflicht, anders als die eines Räumungsurteils, keine Auswirkungen auf die Besitzverhältnisse.12 Zum anderen ändere die Ausreisepflicht nichts an der Tatsache, dass Betroffene ihr Privatleben in den Räumlichkeiten entfalteten.13 Auch § 58 AufenthG legt ein weites Verständnis des Begriffs der Wohnung zugrunde: Die Wohnung umfasst nach Abs. 5 S. 2 die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum. Zusätzlich deutet die Abwesenheit gesonderter Befugnisse zum Betreten von Räumen in Gemeinschaftsunterkünften darauf hin, dass auch der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die jeweilige Unterkunft die Wohnung des Asylsuchenden darstellt und daher grundsätzlich den besonderen Schutz des Art. 13 GG genießt. 3. Richtervorbehalt für das Betreten zum Ergreifen der abzuschiebenden Person, § 58 Abs. 5 AufenthG? Sowohl das Betreten als auch das Durchsuchen von Wohnungen im engeren Sinne,14 greifen in Art. 13 Abs. 1 GG ein. Die Unverletzlichkeit der Wohnung besteht nicht schrankenlos. Welche Anforderungen Art. 13 GG an einschränkende Gesetze stellt, hängt von der Art des Eingriffes ab. Art. 13 GG unterscheidet dabei zwischen Durchsuchungen (Abs. 2), technischer Wohnungsüberwachung (Abs. 3 bis 6) und sonstigen Beschränkungen (Abs. 7). Durchsuchungen stehen nach Art. 13 Abs. 2 GG unter einem präventiven Richtervorbehalt und müssen dem Gesetzesvorbehalt 8 Zölls (Fn. 7), S. 58. 9 VG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2019, Az. 9 K 1669/18, juris Rz. 31; Zölls (Fn. 7), S. 57. 10 BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. Mai 1996, Az. 2 BvR 727/94 u.a., juris Rz. 13. 11 VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 28. Juni 2002, Az. 7 N 1804/02, juris. 12 Zeitler, Das Betreten und Durchsuchen von Wohnungen im Zusammenhang mit der Abschiebung, ZAR 2014, S. 365 (366); Zölls (Fn. 7), S. 58 f. 13 VG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2019, Az. 9 K 1669/18, juris Rz. 33. 14 Für Geschäftsräume als von Art. 13 Abs. 1 GG geschützte Wohnungen im weiteren Sinne wertet das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die weite Ausdehnung des Schutzbereiches das Betreten während der Öffnungsbzw . Geschäftszeiten zum Zwecke der behördlichen Besichtigung und Prüfung unter bestimmten Umständen nicht als Eingriff, vgl. grundlegend BVerfGE 32, 54. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 206/19 Seite 5 sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen.15 Sonstige Beschränkungen dürfen gemäß Art. 13 Abs. 7 GG zwar ohne richterliche Anordnung, aber ebenfalls unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und nur zur Abwehr bzw. Verhütung einer gemeinen Gefahr, einer Lebensgefahr für einzelne Personen oder aufgrund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgenommen werden. § 58 Abs. 5 AufenthG erlaubt es, die Wohnung eines abzuschiebenden Ausländers zum Zwecke seiner Ergreifung zu betreten, wenn dies erforderlich ist und Tatsachen vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Ausländer sich in seiner Wohnung befindet. Durch die begriffliche Abgrenzung des Betretens nach § 58 Abs. 5 AufenthG gegenüber dem in den darauf folgenden Absätzen geregelten Durchsuchen legt der Wortlaut der Norm nahe, dass es sich um eine sonstige Beschränkung des Art. 13 Abs. 1 GG handelt. Demnach wären hierfür die Anforderungen des Art. 13 Abs. 7 GG maßgeblich. Allerdings könnte man das Betreten von Wohnungen zum Zwecke des Ergreifens des Abzuschiebenden auch als Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG einordnen, die grundsätzlich nur aufgrund von Rechtsgrundlagen mit Richtervorbehalt erfolgen darf. Die Gesetzesbegründung enthält zur Frage des Verhältnisses von § 58 Abs. 5 zu den Abs. 6 bis 9 AufenthG keine Hinweise; diese sind erst am Ende des Gesetzgebungsverfahrens durch einen Änderungsantrag der Regierungskoalition ohne eine weitere Sachverständigenanhörung in das Geordnete-Rückkehr-Gesetz eingefügt worden.16 Eine Durchsuchung i.S.v. Art. 13 Abs. 2 GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will.17 Sonstige Beeinträchtigungen i.S.v. Art. 13 Abs. 7 GG sind Eingriffe, die keine Durchsuchung oder technische Wohnraumüberwachung darstellen.18 Das Bundesverfassungsgericht hat zur Reichweite einer richterlichen Erlaubnis zur Durchsuchung nach Art. 13 Abs. 2 GG weiter ausgeführt, dass diese sich nicht im Betreten der Wohnung erschöpfe, sondern „als zweites Element die Vornahme von Handlungen in den Räumen“ 19 und mithin auch das zum Zwecke der Durchsuchung erforderliche Verweilen umfasse. Unter Verweis auf diese Entscheidung führte später das Bundesverwaltungsgericht aus, dass allein die mit dem Betreten einer Wohnung verbundene unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen, Sachen und Zuständen den Eingriff in die Wohnungsfreiheit noch nicht zu einer Durchsuchung mache.20 Begriffsmerkmal der Durchsuchung sei die Suche nach Personen oder Sachen oder die 15 Zeitler (Fn. 12), S. 366. 16 Änderungsantrag der Regierungsfraktionen CDU, CSU und SPD zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 19/10047 -, Ausschussdrucksache 19(4)307, S. 1; BT-Drs. 19/10706, S. 13 f. 17 BVerfGE 51, 97 (106 f.); 76, 83 (89). 18 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 13 Rn. 34. 19 BVerfGE 76, 83 (89). 20 BVerwGE 121, 345 (349). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 206/19 Seite 6 Ermittlung eines Sachverhalts in einer Wohnung. Eine Wohnung könne auch zur Vornahme anderer Amtshandlungen betreten werden. So sei z.B. die Besichtigung einer Wohnung zur Feststellung, ob der Inhaber seinen Beruf ordnungsgemäß ausübt, keine Durchsuchung der Wohnung. Daher sei das der Entscheidung zugrundeliegende Betreten einer Teestube einer dritten Person – als Wohnung im weiteren Sinne – keine Durchsuchung i.S.v. Art. 13 Abs. 2 GG. Zum selben Ergebnis kam das Bundesverwaltungsgericht in einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 1975, in der es um das Betreten eines Studentenwohnheims ging, wobei Personen, die sich in den Fluren und offenen Zimmern befanden, zum Verlassen des Wohnheimes aufgefordert wurden, um das weitere Werfen von Gegenständen auf Polizeibeamte zu unterbinden.21 Zur Frage der Einordnung des Betretens von Wohnungen zum Ergreifen von abzuschiebenden Personen liegt bislang keine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vor. Von einigen weiteren Gerichten22 und in der Literatur23 wurde auf eine nach dem Betreten erforderliche Suche nach der abzuschiebenden Person abgestellt. Bliebe es beim bloßen Nachschauen und Mitnehmen einer direkt vorgefunden Person, liege lediglich ein Betreten vor. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Zulässigkeit von Eingriffen auf Grundlage von § 58 Abs. 5 AufenthG würden sich damit nach Art. 13 Abs. 7 GG richten. Sei die Person dagegen nicht unmittelbar erkennbar , wäre eine Durchsuchung erforderlich, sodass (außer bei Gefahr im Verzug) die Maßnahme abgebrochen und eine richterliche Anordnung eingeholt werden müsste.24 Das Bundesverfassungsgericht hat sich soweit ersichtlich bislang nicht mit der Frage befasst, ob bei der Durchführung der Maßnahme tatsächlich Suchhandlungen vorgenommen werden müssen, sondern nur festgestellt, dass – rechtmäßig durch den Richter angeordnete – Durchsuchungen grundsätzlich auch solche über das bloße Betreten hinausgehende Handlungen rechtfertigen. Jedenfalls aber dürfte allein deren Ausbleiben nach Betreten der Wohnung die Einordnung von Eingriffen als Durchsuchung nachträglich nicht zu ändern vermögen. Denn dies widerspräche dem Sinn und Zweck von Art. 13 Abs. 2 GG, der auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz abzielt.25 Wird die Vornahme von Suchhandlungen vor Beginn der Maßnahme für erforderlich gehalten, zielt die Maßnahme auf eine Durchsuchung ab, für die der Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG einzuhalten ist. Auf ein solches Verständnis des Gesetzgebers deutet auch § 58 21 BVerwGE 47, 31. 22 VG Oldenburg, Urteil vom 6. Juni 2012, Az. 11 A 3099/12, juris Rz. 22 (allerdings mit dem Verweis darauf, dass dies bei Abschiebungen regelmäßig nicht der Fall ist); OLG Hamm, Beschluss vom 27. Mai 2004, Az. 15 W 307/03, juris Rz. 6. 23 Nachbaur, in: BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Baden-Württemberg, Möstl/Trurnit 15. Ed., Stand: 15. Juni 2019, § 31 PolG Rn. 23; Zölls (Fn. 7), S. 59 (zu Art. 23 III PAG Bay.); Zschieschack, Ausländerrechtliche Durchsuchungen auf Grund des allgemeinen Polizeirechts?, NJW 2005, S. 3318 (3319); wohl ebenfalls – allerdings nicht zwischen Geschäftsräumen und Wohnungen i.e.S. differenzierend – Kastner, in: Möllers, Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl. 2018, Betreten und Durchsuchen von Wohnungen; Neuhäuser, in: BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Niedersachsen, Möstl/Weiner 14. Ed., Stand: 1. Mai 2019, § 24 SOG Rn. 58 f. (bezogen auf § 24 Abs. 5 Nr. 2 SOG Nds.); Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 45 BPolG, § 45 Rn. 16 f. 24 Neuhäuser (Fn. 23). 25 BVerfGE 57, 346 (355 f.); 76, 83 (91); 103, 142 (150 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 206/19 Seite 7 Abs. 8 S. 2 AufenthG hin, wonach eine richterliche Anordnung nicht allein dadurch entbehrlich ist, dass ein abzuschiebender Ausländer nach Betreten der Wohnung nicht angetroffen wurde. Andere legen daher eine funktionale Betrachtungsweise orientiert am anvisierten Zweck der Maßnahme zugrunde.26 So wurden Maßnahmen, bei denen das Betreten einer Wohnung gerade dem Auffinden und Ergreifen einer abzuschiebenden Person dient, besonders in der jüngeren Rechtsprechung als Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG gewertet.27 Dabei könne es nicht darauf ankommen, wie übersichtlich der betretene Raum ist bzw. ob sich die darin befindliche Person verbirgt oder nicht.28 Maßnahmen nach § 58 Abs. 5 AufenthG sind dem Wortlaut nach final auf das „Ergreifen“ von abzuschiebenden Personen gerichtet und dürften nach dieser Ansicht Durchsuchungen i.S.v. Art. 13 Abs. 2 GG darstellen. In der Konsequenz dieser Auffassung wäre auch für das Betreten von Wohnungen zum Ergreifen der Person ohne weitere erforderliche Suchvorgänge in verfassungskonformer Auslegung des § 58 AufenthG nicht Abs. 5, sondern die Abs. 6 bis 9 maßgeblich. § 58 Abs. 8 AufenthG regelt den nach Art. 13 Abs. 2 GG erforderlichen Richtervorbehalt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich soweit ersichtlich bislang allerdings nicht mit der Frage befasst, ob jedes Betreten zum Zweck des Auffindens oder Ergreifens einer Person eine Durchsuchung i.S.v. Art. 13 Abs. 2 GG darstellt. 4. „Gemeine Gefahr“ i.S.v. Art. 13 Abs. 7 GG Sonstige Beeinträchtigung der Unverletzlichkeit der Wohnung sind nach Art. 13 Abs. 7 Alt. 1 GG u.a. zur Abwehr einer „gemeinen Gefahr“ zulässig. Gemein ist eine Gefahr i.S.v. Art. 13 Abs. 7 GG, wenn sie für eine unbestimmte Anzahl an Personen oder Sachen, insbesondere durch Lawinen, Überschwemmungen, Seuchen, Feuer- und Einsturzgefahren oder radioaktive Strahlung, besteht.29 Eine vergleichbare Gefahr liegt bei der Abschiebung einer ausreisepflichtigen Person nicht vor.30 26 So schon Gentz, Die Unverletzlichkeit der Wohnung, 1968, S. 70 f. m.w.N.; Herrmann (Fn. 3), S. 203; Schwabenbauer , in: BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer 10. Ed., Stand: 1. Juli 2019, Art. 23 PAG Rn. 104.1; Zeitler (Fn. 12), S. 366; vgl. in diesem Sinne auch zur strafrechtlichen Durchsuchung: Ladiges, Stillschweigende Durchsuchungsanordnungen im Strafverfahren?. NStZ 2014, S. 609 (614 m.w.N.); Park, Durchsuchung und Beschlagnahme, 4. Aufl. 2018, § 2 Rn. 30 ff.; zu Betretungsrechten zur Kontrolle des AÜG: Wank, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19. Aufl. 2019, § 7 AÜG Rn. 12; zum Betretungsrecht nach GewO: Ambs, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: 224. EL März 2019, § 29 GewO Rn. 16. 27 VG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2019, Az. 9 K 1669/18, juris Rz. 37 ff.; VG Berlin, Beschluss vom 16. Februar 2018, Az. 19 M 62.18, juris Rz. 9, bestätigt durch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Februar 2018, Az. OVG 6 L 14.18, juris; AG Kerpen, Beschluss vom 23. Januar 2004, Az. 68 XIV 3/04, juris Rz. 17. 28 VG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2019, Az. 9 K 1669/18, juris Rz. 40; wohl auch Schwabenbauer (Fn. 26), Art. 23 PAG Rn. 44 und 104.1. 29 Kunig, in: Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 13 Rn. 61; Papier (Fn. 6), Art. 13 Rn. 119. 30 VG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2019, Az. 9 K 1669/18, juris Rz. 45. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 206/19 Seite 8 5. Durchsuchungen zur Nachtzeit, § 58 Abs. 7 AufenthG Eine Durchsuchung muss verhältnismäßig, d.h. geeignet und erforderlich zum Erreichen eines legitimen Zweckes und insgesamt angemessen im Verhältnis zum verfolgten Zweck sein. Durchsuchungen zur Nachtzeit sind nicht generell unverhältnismäßig, erhöhen aber die Eingriffsintensität nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts erheblich. Über den schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Wohnungsinhabers seien bei einer nächtlichen Wohnungsdurchsuchung zusätzlich die Nachtruhe und die damit verbundene besondere Privatsphäre betroffen.31 Nächtliche Durchsuchungen seien daher nur ausnahmsweise zulässig. Gemäß § 58 Abs. 7 S. 1 AufenthG dürfen Durchsuchungen zur Nachtzeit nur erfolgen, wenn Tatsachen für die Annahme vorliegen, dass die Ergreifung des Ausländers andernfalls vereitelt wird. S. 2 bestimmt ausdrücklich, dass allein die Organisation der Abschiebung keinen ausreichenden Grund darstellt. Daher dürfte allein die frühe Abflugzeit für eine Abschiebung auf dem Luftweg die Durchsuchung zur Nachtzeit nicht rechtfertigen.32 Nach Ansicht des AG Kerpen könne eine Abschiebung zur Nachtzeit auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass die betroffene Person „statt dessen auch bereits am Vortag der Abschiebung (oder zeitlich noch früher) […] hätte inhaftiert werden können und ein solches Vorgehen für den Betroffenen belastender sei, als sich einer Durchsuchung und Ingewahrsamnahme zur Nachtzeit zu stellen.“ Da sich ausreisepflichtige Personen nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit in ihrer Unterkunft aufhalten müssen, dürfte auch das bloße Nichtantreffen der Person anlässlich eines unangekündigten Abschiebeversuchs nicht die Annahme einer drohenden Vereitelung der Abschiebung und mithin keine Durchsuchung zur Nachtzeit rechtfertigen.33 Bei der Entscheidung über die Anordnung und Durchführung von Durchsuchungen zur Nachtzeit ist die konkrete Situation der Abzuschiebenden (insb. Erkrankungen, Alter, Schwangerschaft) und auch weiterer Personen (insb. in Gemeinschaftsunterkünften) maßgeblich zu berücksichtigen. Der Richter muss nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme konkret prüfen und von vornherein für eine angemessene Begrenzung der Zwangsmaßnahme Sorge tragen.34 Die Zulässigkeit der Durchsuchung zur Nachtzeit muss daher bereits bei ihrer Anordnung durch den Richter konkret Ausdruck finden. *** 31 BVerfG, Beschluss vom 12. März 2019, Az. 2 BvR 675/14, juris Rz. 61. 32 Herrmann (Fn. 3), S. 207. 33 Vgl. zu § 62 a.F. Herrmann (Fn. 3), S. 207. 34 BVerfGE 20, 162 (186); 42, 212 (220); 51, 97 (113); vgl. auch Kruis/Wehowsky, Verfassungsgerichtliche Leitlinien zur Wohnungsdurchsuchung, NJW 1999, S. 682 (683 m.w.N.).