Rechtliche Möglichkeiten von Internet-Parteiverbänden - Ausarbeitung - © 2009 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 206/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Rechtliche Möglichkeiten von Internet-Parteiverbänden Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 206/09 Abschluss der Arbeit: 11.06.2009 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. Inhalt 1. Einleitung 3 2. Zulassung von Internet-Parteiverbänden 3 2.1. Verfassungsrechtliche Vorgaben zur Gliederung von Parteien 4 2.2. Einfachgesetzliche Regelungen zur Gliederung von Parteien 5 2.3. Zwischenergebnis 6 3. Vereine im Internet 7 3.1. Gründung eines virtuellen Vereins 7 3.2. Online-Mitgliederversammlung im Verein 8 3.3. Online-Mitgliederversammlungen für Parteien 9 4. Wachsende Bedeutung digitaler Politikprozesse 10 - 3 - 1. Einleitung Als Internet-Parteiverbände oder digitale Parteienorganisationen werden unterschiedliche , internet-basierte Parteiorganisationen als Ergänzung zur klassischen hierarchischen Mitgliederstruktur bezeichnet.1 Bereits 1995 wurde der „Virtuelle Ortsverein der SPD – VOV“ auf Anregung von Jörg Tauss, MdB, als Arbeitskreis der Partei gegründet, der sich schwerpunktmäßig mit rechnergestützter Kommunikation und der Entwicklung der Informationsgesellschaft beschäftigt.2 Im Jahr 2000 wurde der Internet-Landesverband der FDP – „FDP-LV-NET“ – von Alexander Graf Lambsdorff, MdEP, als 17. Landesverband der FDP gegründet.3 Der Landesverband soll den Parteimitgliedern, die aus verschiedenen Gründen nicht an der Arbeit in den Ortsverbänden teilnehmen können ermöglichen, ihre Ideen und ihre Engagement mittels des Internetverbandes einzubringen . Während diese beiden Internet-Parteiverbände bis heute existieren, wurden ein von der PDS im Jahr 2001 gegründeter Internet-Landesverband und eine von der CDU betriebene virtuelle Plattform Wahlkreis 300 wieder eingestellt. 2001 wurde auch die erste rein virtuelle Partei –„Virtuelle Volksvertreter Deutschlands –VVD“ – gegründet, die ihr Ziel, an der Bundestagswahl 2002 teilzunehmen, aber nicht erreicht und seither keine weiteren Aktivitäten entfaltet hat.4 Keiner dieser Parteiverbände hat den Status einer vollwertigen „Parteigliederung“ und verfügt folglich nur über eingeschränkte Möglichkeiten der politischen Partizipation. Welche verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Regelungen der Anerkennung eines Internet-Parteiverbandes entgegenstehen und ob es Lösungsmöglichkeiten in Anbetracht der zunehmenden Nutzung des Internets gibt, ist Gegenstand des ersten Teils der Ausarbeitung. In einem zweiten Teil wird untersucht, welche Entwicklungen und rechtlichen Möglichkeiten es im privaten Vereinsrecht, z.B. zur Gründung von virtuellen Vereinen oder zur Abhaltung von Online-Mitgliederversammlungen, gibt. Abschließend wird kurz auf die wachsende Bedeutung digitaler Politikprozesse eingegangen . 2. Zulassung von Internet-Parteiverbänden Weder Art. 21 GG noch das Parteiengesetz schreiben den Parteien vor, in welcher Rechtsform sie sich zu organisieren haben. Die Parteien genießen Gründungsfreiheit 1 Vgl. Bieber, Christoph, in: Herb, Karlfriedrich/Hidalgo, Oliver (Hrsg.), Die Zukunft der Demokratie , 2006, 61; Bieber, Christoph, „Elektronische“ oder „Interaktive“ Demokratie?, KJ 2002, 180 (184 f.); Marschall, Stefan, Parteien und Internet – Auf dem Weg zu internet-basierten Mitgliederpartei?, Aus Politik und Zeitgeschichte 10/2001, 38. 2 http://www.vov.de/ 3 http://lvnet.fdp.de/ 4 Informationen von 2002 sind noch auf der Homepage der VVVD abzurufen: http://www.vvvd.de/ - 4 - gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG. In der Regel sind sie nichtrechtsfähige Vereine, mit Ausnahme der CDU und der FDP, die als rechtsfähige Vereine organisiert sind. Grundsätzlich gilt für sie das Vereinsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), allerdings modifizieren Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG und das Parteiengesetz besonders die Bestimmungen des BGB über die innere Ordnung der Vereine und gehen ihnen als höherrangige bzw. speziellere Norm vor.5 2.1. Verfassungsrechtliche Vorgaben zur Gliederung von Parteien Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG sieht vor, dass die innere Ordnung der politischen Parteien demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Das Gebot der innerparteilichen Demokratie erklärt sich aus der hervorgehobenen verfassungsrechtlichen Stellung der Parteien und ihrer besonderen Rolle bei der politischen Willensbildung des Volkes. Diese Rolle legt es nah, dass die Willensbildung in den Parteien selbst demokratischen Ansprüchen genügen muss.6 Zur inneren Ordnung im Sinne des Demokratiegebots gehören die Binnenstrukturen, also die Untergliederung der Partei, die Bildung und die Befugnisse von Parteiorganen, die Rechte und Pflichten der Mitglieder.7 Die demokratischen Grundsätze sind nicht identisch mit der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung “ im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG, sie betreffen nur die innere Ordnung der Parteien und umfassen ein demokratisches Minimum.8 Zu den demokratischen Grundsätzen zählen u.a. die Vergabe von Parteiämtern aufgrund von Wahlen, das Vorschlagsrecht für Wahlkandidaten, die Vergabe von Wahlämtern nur auf Zeit, das Mehrheitsprinzip und der Minderheitenschutz und die innerparteiliche Chancengleichheit.9 Die demokratischen Grundsätze verlangen auch eine vertikale Gliederung politischer Parteien mit jeweils eigenen Organen und eigenen Zuständigkeiten. Um eine Willensbildung „von unten nach oben“ zu erreichen, muss das einzelne Parteimitglied auf einer bestimmten Ebene reale Partizipationschancen haben. Werden die Untergliederungen politischer Parteien zu groß dimensioniert, kann von einer solchen Partizipation keine Rede sein, so dass ein demokratischer Grundsatz verletzt ist.10 Nur eine räumli- 5 Henke, Wilhelm, in: Bonner Kommentar, 63. Lfg. Sept. 1991, Art. 21 Rn. 219. 6 Kunig, Philip, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetzkommentar Band 2, Art. 21 Rn. 51; Morlok , Martin, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar Band II, 2. Auflage 2006, Art. 21 Rn.121; Ipsen, Jörn, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 21. Rn. 53. 7 Kunig, Philip, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar Band 2, Art. 21 Rn. 53. 8 Ipsen, Jörn, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 21. Rn. 54; Streinz, Rudolf, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar Band 2, 2005, Art. 21 Rn. 150. 9 Ipsen, Jörn, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 21. Rn. 56 ff., Seifert, Karl-Heinz, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 191 f. 10 Ipsen, Jörn, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 21. Rn. 60; Morlok, Martin, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar Band II, 2. Auflage 2006, Art. 21 Rn.125; Streinz, Rudolf, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar Band 2, 2005, Art. 21 Rn. 151; Seifert, Karl-Heinz, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 192. - 5 - che Gliederung eröffnet den Mitgliedern die Chance einer unmittelbaren Teilhabe an der parteiinternen Willensbildung.11 Verfassungsrechtlich ist Raum gelassen für parteispezifische Gestaltungsformen und Organisationsmodelle, sofern kein Verstoß gegen demokratische Grundsätze vorliegt.12 Diese in der juristischen Literatur einstimmig vertretene Interpretation des Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG wird auch vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 23. Oktober 1952 vorgegeben.13 Gegenstand des Urteils war die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Sozialistischen Reichspartei. Im Rahmen der Prüfung, ob die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG erfüllt sind, ging das Bundesverfassungsgericht auch kurz auf die innere Ordnung der Sozialistischen Reichspartei ein und stellte fest, dass diese schon nicht demokratischen Grundsätzen gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG folgt, da sie der dem Organisationsbild der NSDAP ähnelt. „ Diese demokratischen Grundsätze im einzelnen zu entwickeln [Art. 21. Abs. 1 Satz 3 GG], wird Aufgabe des Parteiengesetzes sein. Hier genügt es festzustellen , daß der Aufbau der Partei von unten nach oben14 erfolgen muß, die Mitglieder also nicht von der Willensbildung ausgeschlossen sein dürfen, und daß die grundsätzliche Gleichwertigkeit der Mitglieder sowie die Freiheit von Eintritt und Ausscheiden gewährleistet sein muß..“ Das Bundesverfassungsgericht führte auch aus, dass Art. 21 GG mit Ausnahme des Abs. 1 Satz 2 unmittelbar anwendbares Recht ist. „Abs. 1 Satz 3 mag zwar in dem vorgesehenen Parteiengesetz eine nähere Ausgestaltung erfahren. Unmittelbar anwendbar ist er jedenfalls insoweit, als er es verbietet, dass eine Partei sich in grundsätzlicher Abweichung von demokratischen Prinzipien organisiert.“15 2.2. Einfachgesetzliche Regelungen zur Gliederung von Parteien Einfachgesetzlich ziehen die §§ 6 bis 16 Parteiengesetz (PartG)16 den Rahmen für die innerparteiliche Organisation. Sie haben rein formalen Charakter und dienen der Sicherheit des Rechtsverkehrs. Die durch den Gesetzgeber gewählte Konkretisierung ist 11 Klein, Hans H., in : Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar Band IV, 38. Lieferung 2001, Art. 21 Rn. 349; Morlok, Martin, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar Band II, 2. Auflage 2006, Art. 21 Rn. 135. 12 Ipsen, Jörn, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 21 Rn. 61. 13 BVerfGE 2, 1, 40. Dies ist das einzige Urteil des BVerfG, in welchem es sich zur inneren Ordnung einer Partei äußert. 14 Hervorhebung von der Verfasserin. 15 BVerfGE 2, 1 (13 f.). 16 Gesetz über die politischen Parteien vom 31. Januar 1994 (BGBl. I S. 149), zuletzt geändert durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes vom 22. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3673). - 6 - nicht die einzig mögliche, aber eine mögliche Erfüllung der Vorgaben des Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG.17 Die Gliederung der Parteien ist in § 7 PartG geregelt: „(1) Die Parteien gliedern sich in Gebietsverbände. Größe und Umfang der Gebietsverbände werden durch die Satzung festgelegt. Die gebietliche Gliederung muss so weit ausgebaut sein, dass den einzelnen Mitgliedern eine angemessene Mitwirkung an der Willensbildung der Partei möglich ist. Beschränkt sich die Organisation einer Partei auf das Gebiet eines Stadtstaates, braucht sie keine Gebietsverbände zu bilden; sie ist Partei im Sinne dieses Gesetzes. Organisatorische Zusammenschlüsse mehrerer Gebietsverbände, die den verbandsmäßigen Aufbau der Parteiorganisation nicht wesentlich beeinträchtigen, sind zulässig. (2) Soweit in einer Partei Landesverbände nicht bestehen, gelten die in diesem Gesetz für Landesverbände getroffenen Regelungen für die der Partei folgenden nächstniedrigen Gebietsverbände.“ Unabhängig von der Rechtsform müssen sich die Parteien gemäß § 7 Abs. 1 PartG in Gebietsverbände gliedern. Durch den föderalen Aufbau wird gewährleistet, dass die innere Ordnung der Parteien, wie von Art. 21 Abs. 3 Satz 1 GG verlangt, demokratischen Grundsätzen entspricht. Diese Vorgaben dienen dem Zweck, den Mitgliedern hinreichende Möglichkeiten zur Mitwirkung an der innerverbandlichen Willensbildung , namentlich auf den nachgeordneten Organisationsstufen, zu verschaffen.18 Erforderlich ist eine mehrstufige vertikale Gliederung in territoriale Einheiten, die jeweils die Parteiorganisation auf einem bestimmten räumlichen Gebiet bildet.19 2.3. Zwischenergebnis Die Frage der Zulassung von Internet-Parteiverbänden wurde bisher noch nicht von der Rechtsprechung entschieden und auch nur vereinzelt in der Literatur diskutiert. Alle Autoren gehen zutreffend davon aus, dass Internet-Parteiverbände keine Gebietsverbände im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 PartG sind, da ihnen der territoriale Bezug fehlt.20 17 Streinz, Rudolf, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar Band 2, 2005, Art. 21 Rn.153. 18 Ipsen, Jörn, in : Ipsen, Parteiengesetz Kommentar, 2008, § 7 Rn. 1. 19 Ipsen, Jörn, in : Ipsen, Parteiengesetz Kommentar, 2008, § 7 Rn. 2. 20 Ipsen, Jörn, in : Ipsen, Parteiengesetz Kommentar, 2008, § 7 Rn. 2; Bieber, Christoph, Die Zukunft der Mediendemokratie, in: Herb, Karlfriedrich/Hidalgo, Oliver (Hrsg.), Die Zukunft der Demokratie , 2006, 61 (66); Kraft, Dennis, Digitale Parteigliederungen, MMR 2002, 733 (734 f.); Marschall, Stefan, Parteien und Internet – Auf dem Weg zu internet-basierten Mitgliederpartei?, Aus Politik und Zeitgeschichte 10/2001, 38 (42 f.). - 7 - Nach Auffassung von Kraft steht nur § 7 PartG einer Anerkennung von Internet- Parteiverbänden entgegen, eine Änderung des § 7 Abs. 1 Satz 1 PartG könnte mithin moderne Onlinebeteiligungsformen an der politischen Willensbildung zulassen.21 Allerdings spricht nicht nur der Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 7 Abs. 1 Satz 1 PartG gegen eine Anerkennung von Internet-Parteiverbänden. Entscheidend ist, dass es sich bei § 7 PartG um eine Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die innere Ordnung der Parteien gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG handelt. Da nach herrschender Auffassung22 nur eine vertikale und territoriale Gliederung den Mitgliedern die Chance auf unmittelbare Teilhabe an der parteiinternen Willensbildung ermöglicht, würde eine Änderung des Parteiengesetzes gegen Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG verstoßen. Ob das BVerfG – sollte es zu einer Überprüfung des geänderten Gesetzes kommen – die bisherige Interpretation des Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG angesichts der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien ändern würde, fällt in den Bereich der Spekulation. Da eine Änderung des § 7 PartG wenig aussichtsreich erscheint, können Internet- Parteiverbände nur außerhalb des Parteiengesetzes, z.B. als Arbeitsgruppen, Sonderoder Nebenorganisationen fungieren. Rechtsrahmen ist das private Vereinsrecht. 3. Vereine im Internet Literatur oder Rechtsprechung zu Vereinen, die nur im Internet agieren, ist nicht vorhanden . Einige Autoren haben sich aber mit der Frage der Zulässigkeit von Online- Mitgliederversammlungen in Vereinen und darüber hinaus auch in Parteien beschäftigt. 3.1. Gründung eines virtuellen Vereins Nach Auffassung von Erdmann kann ein Verein mittels einer Online-Versammlung gegründet, d.h. die erste Satzung verabschiedet und der erste Vorstand bestellt werden.23 Allerdings erfordert die Eintragung des Vereins mehrere Schriftstücke – u.a. eine schriftliche Fassung mit allen Unterschriften der Gründungsmitglieder (§ 59 Abs. 3 BGB) – und eine öffentlich beglaubigte Erklärung des Vorstands des Vereins (§ 77 BGB), so dass ein rein virtuelle Anmeldung nicht möglich ist. Ein Verein, der die Rechtsfähigkeit durch Registereintrag erstrebt, muss nach § 57 Abs. 1 BGB in der Satzung seinen Sitz festlegen, welcher auch im Vereinsregister eingetragen wird (§ 64 BGB). Der Sitz des Vereins kann innerhalb von Deutschland frei gewählt werden, jedoch muss ein Bezug zur Vereinsaktivität vorhanden sein (z.B. der Sitz 21 Kraft, Dennis, Digitale Parteigliederungen, MMR 2002, 733 (735). 22 Siehe oben Punkt 2.1. 23 Erdmann, Ulrich, Die Online-Versammlung im Vereins- und GmbH-Recht, MMR 2000, 526 (529). - 8 - der Verwaltung oder der Wohnsitz der Mitglieder). Eine fiktive Festlegung des Sitzes führt zur Nichtigkeit der Satzung.24 3.2. Online-Mitgliederversammlung im Verein Eine überwiegende Meinung spricht sich in der neueren Literatur für die rechtliche Möglichkeit der Abhaltung von Online-Mitgliederversammlungen für Vereine aus, wenn für alle Mitglieder die technische Möglichkeit besteht.25 Dogmatisch begründet wird dies über eine Analogie von § 32 Abs. 2 BGB, welcher der Modalität einer Online- Versammlung nicht entgegensteht.26 Zudem erlaubt § 40 BGB eine Abweichung von § 32 BGB. Den Vereinen steht frei, durch Satzung Regelungen für die Beschlussfassung der Mitgliederversammlung aufzustellen, solange diese in dem gesetzlichen Rahmen bleiben und ein vollwertiges Äquivalent zur Präsenzversammlung bieten. Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet das Selbstorganisationsrecht zu beliebigen Zwecken.27 Rechtliche Grenzen sind u.a. der Erhalt der Mitgliederversammlung als solcher, da diese von § 32 BGB als Hauptinstrument der Meinungsbildung im Verein zwingend vorgeschrieben ist. Weiterhin muss die Online-Versammlung die Möglichkeit zur Diskussion unter den Mitgliedern bieten und die Stimmabgabe ermöglichen. Außerdem müssen die Mitglieder über die notwendigen technischen Möglichkeiten zur Teilnahme an den Online- Versammlungen verfügen.28 Hat der Verein allerdings nicht von Anfang an seinen Mitgliederkreis auf Personen beschränkt, die über einen Internetzugang verfügen, sondern führt erst nachträglich durch Satzungsänderung die Online-Versammlung ein, kann es zu einer Ungleichbehandlung mit vom Internetzugang ausgeschlossenen Mitgliedern kommen. In einem solchen Fall müsste der Verein nach Auffassung von Sadowski den betroffenen Mitgliedern einen Internetzugang zur Verfügung stellen.29 Aus Art. 9 Abs. 1 GG ergeben sich keine verfassungsrechtlichen Einschränkungen der Vereinsautono- 24 Erman/Westermann, BGB Kommentar, 12. Auflage 2008, § 34 Rn. 2; Reichert, Bernhard, Vereinsund Verbandsrecht, 11. Auflage 2007, Rn. 504 ff. 25 Erman/Westermann, BGB Kommentar, 12. Auflage 2008, § 32 Rn. 3; Palandt, BGB Kommentar, 68, Auflage 2009, § 32 Rn. 1; Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein, 2006, § 32 Rn. 69 f.; Sadowski, Antje, Von der visuellen zur virtuellen Partei, MIP 2008/09, 60 (61 f.); Fleck, Wolfgang, Die virtuelle Mitgliederversammlung im eingetragenen Verein, DNotZ 2008, 245 (246 f.); Erdmann, Ulrich, Die Online-Versammlung im Vereins- und GmbH-Recht, MMR 2000, 526 (527 f.). a.A. Stöber, Handbuch zum Vereinsrecht, 9.Auflage 2004, Rn. 409a. 26 § 32 Abs. 2 BGB lautet: „Auch ohne Versammlung der Mitglieder ist ein Beschluss gültig, wenn alle Mitglieder ihre Zustimmung zu dem Beschluss schriftlich erklären.“ 27 Höfling, Wolfram, in: Sachs, Michael (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 9 Rn.4. 28 Sadowski, Antje, Von der visuellen zur virtuellen Partei, MIP 2008/09, 60 (61 f.). 29 Sadowski, Antje, Von der visuellen zur virtuellen Partei, MIP 2008/09, 60 (63); a.A. Fleck, Wolfgang , Die virtuelle Mitgliederversammlung im eingetragenen Verein, DNotZ 2008, 245 (251). - 9 - mie in Bezug auf virtuelle Verfahren, solange es sich nicht um einen Verein mit Monopolstellung handelt.30 Eine obergerichtliche Rechtsprechung zu Online-Mitgliederversammlungen existiert nicht. Dies führt nach Auffassung von Fleck dazu, dass in der Praxis die Zulassung eines Vereines, der in seiner Satzung eine virtuelle Mitgliederversammlung vorsieht, von der Auffassung des zuständigen Registergerichts bzw. des zuständigen Rechtspflegers abhängig ist.31 Nach seiner Auffassung sind virtuelle Abstimmungen der Mitgliederversammlungen an der Tagesordnung, da sie sich insbesondere für Großvereine oder überregional tätige Vereine anbieten. Spätestens dann würden sich Registergerichte nicht länger gegen Satzungen verschließen, die solche Abstimmungsmodi vorsehen.32 Erdmann glaubt nicht, dass Online-Versammlungen zum mehr oder weniger ausschließlichen Forum für die Beschlussfassung in Vereinen werden. Die Mitgliederversammlung gehöre in den meisten Vereinen zum gesellschaftlichen Leben des Vereins, auf das die Mitglieder nicht verzichten wollen. Für besonders geeignet hält er Online- Versammlungen aber z.B. für die routinemäßige Billigung des jährlichen Rechenwerks, für die Entlastung des Vorstands oder die Wiederwahl des alten Vorstands. Die Vereinssatzung könnte in Zukunft dem Vorstand die Entscheidung überlassen, für welche Beschlussgegenstände die Online-Versammlung im Einzelfall genutzt würde.33 3.3. Online-Mitgliederversammlungen für Parteien Sadowski spricht sich auch für die Rechtmäßigkeit von Online-Versammlungen für Parteien aus.34 Aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 4 PartG „Vertreterversammlungen können auch für Ortsverbände von mehr als 250 Mitgliedern oder mit großer räumlicher Ausdehnung gebildet werden“, schließt sie, dass der dem Parteiengesetz zugrunde liegende Versammlungsbegriff sich allein auf eine Versammlung mit körperlich anwesenden Parteimitgliedern bezieht. Allerdings hält sie vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und vor allem technischen Weiterentwicklung ein Abweichen vom Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 4 für möglich, zumal dem PartG kein ausdrückliches Verbot der Online- Mitgliederversammlung zu entnehmen sei. Sadowski sieht in der Durchführung von Online-Mitgliederversammlungen sogar ein demokratisches Mehr, da mittels einer Online -Versammlung die Willensbildung ohne Zwischenschaltung einer Vertreterver- 30 Fleck, Wolfgang, Die virtuelle Mitgliederversammlung im eingetragenen Verein, DNotZ 2008, 245 (251 f.); Reichert, Bernhard, Vereins- und Verbandsrecht, 11. Auflage 2007, Rn. 998 ff. 31 Fleck, Wolfgang, Die virtuelle Mitgliederversammlung im eingetragenen Verein, DNotZ 2008, 245 (245). 32 Fleck, Wolfgang, Die virtuelle Mitgliederversammlung im eingetragenen Verein, DNotZ 2008, 245 (256). 33 Erdmann, Ulrich, Die Online-Versammlung im Vereins- und GmbH-Recht, MMR 2000, 526 (530). 34 Sadowski, Antje, Von der visuellen zur virtuellen Partei, MIP 2008/09, 60 (64 f.) - 10 - sammlung stattfinden könne. In erster Linie seien technische Fragen zu klären und zu garantieren, dass alle Mitglieder die gleichen Teilnahmebedingungen haben und das Wahlgeheimnis respektiert werde. Zwar könne eine Online-Versammlung nicht in gleicher Weise die aufgeladene Stimmung von Parteitagen widerspiegeln, dies sei jedoch nicht zwangsläufig eine schlechtere Situation. Sie kommt zu dem Schluss, dass es den Parteien aufgrund ihrer Satzungsfreiheit unbenommen bleibt, ihre Parteitage virtuell abzuhalten. Die Parteien haben bereits erste Erfahrungen mit virtuellen Parteitagen gemacht. So hat die CDU im Vorfeld ihres Kleinen Parteitages in Stuttgart am 20. November 2000 einen virtuellen Parteitag veranstaltet, auf dem registrierte Onliner einige Tage vor dem Parteitag ausgewählte Themen diskutieren und über Fragen abstimmen konnten. Die Abstimmungsergebnisse wurden sodann den Parteitagsdelegierten als unverbindliche Entscheidungshilfe vorgelegt.35 Auch Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg haben vom 24. November bis 3. Dezember 2000 einen virtuellen Parteitag durchgeführt.36 Dies kann zu mehr innerparteilicher Demokratie beitragen, übersehen werden darf aber nicht, dass die sog. Offliner innerhalb der Partei von der Willensbildung auf digitalem Weg ausgeschlossen werden.37 4. Wachsende Bedeutung digitaler Politikprozesse Die Nutzung neuer Medien zeigt ihre Auswirkungen auch im politischen Raum, interaktive Kommunikationsformen eröffnen neue Beteiligungschancen und verändern bestehende Strukturen. In der Politikwissenschaft beschäftigt sich die „Politische Kommunikationsforschung “ mit der zunehmenden Verschränkung des politischen mit dem medialen System. Als typische „digitale Politikprozesse“ gelten nach Bieber38 u.a. die Etablierung von Parteien- und Politikerwebsites, die Erweiterung von Bürger-Politiker-Kommunikation, die Entstehung von virtuellen Parteigliederungen, die Durchführung von Internet- Parteitagen, die Etablierung von Online-Wahlkämpfen, die Erprobung und Durchführung der digitalen Stimmabgabe, die digitale Bürgerbeteiligung oder die digitale Regierungskommunikation . Bieber hebt die räumliche und zeitliche Flexibilität der digitalen Parteiorganisationen hervor, die die Gruppenbildung anhand eines oder mehrere The- 35 Marschall, Stefan, Parteien und Internet – Auf dem Weg zu internet-basierten Mitgliederpartei?, Aus Politik und Zeitgeschichte 10/2001, 38 (42). 36 http://www.virtueller-parteitag.de. Vgl. Lindlohr, Andrea/Schmid, Josef, Experimentelle Demokratie – Parteitage im Internet, Sowi 20002, 74. 37 Birkenmaier, Philipp, E-Democracy – Der Wandel der Demokratie durch das Internet, 2004, S. 211. 38 Bieber, Christoph, Die Zukunft der Mediendemokratie, in: Herb, Karlfriedrich/Hidalgo, Oliver (Hrsg.), Die Zukunft der Demokratie, 2006, 61 (65 f.); Bieber, Christoph, „Elektronische“ oder „Interaktive “ Demokratie, KJ 2002, 180. - 11 - men und nicht auf lokaler oder regionaler Ebene vornehmen können. Ein virtueller Parteiverband erlaube auch eine zeitliche Entzerrung der Diskussion, da er in der Regel auf einen mehrwöchigen Entscheidungsprozess im Internet angelegt sei. Virtuelle Parteitage böten auch Raum für die Erprobung digitaler Entscheidungskommunikation. Das Internet kann auch zur Verbesserung des innerparteilichen Willensbildungsprozesses beitragen, da über die Websites der Parteien die Mitglieder bis hinab zum einfachen Parteimitglied im Ortsverband schnell über alle maßgeblichen Entwicklungen in der Partei informiert werden können. Darüber hinaus können die Mitglieder über das Internet auch von unten nach oben ihre Meinung kundtun, z.B. über Foren, die Mitgliedern vorbehalten sind oder Online-Chats.39 Marschall lobt ebenfalls die Chance, in den Netzgemeinschaften stärker themenbezogen zu arbeiten und aufgrund gemeinsamer Interessenschwerpunkte einen größeren Gruppenzusammenhalt zu schaffen. Die themenbezogene Ausrichtung und die Unverbindlichkeit der Teilnahme helfe die Hürden für eine Mitgliedschaft in einer Partei zu senken .40 39 Birkenmaier, Philipp, E-Democracy – Der Wandel der Demokratie durch das Internet, 2004, S. 208 f. 40 Marschall, Stefan, Parteien und Internet – Auf dem Weg zu internet-basierten Mitgliederpartei?, Aus Politik und Zeitgeschichte 10/2001, 38 (44).