© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 205/20 Schutz von Bundesorganen Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Erweiterung des bundespolizeilichen Aufgabenkreises Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/20 Seite 2 Schutz von Bundesorganen Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Erweiterung des bundespolizeilichen Aufgabenkreises Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 205/20 Abschluss der Arbeit: 15. September 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/20 Seite 3 1. Einleitung Die Bundespolizei1 kann Verfassungsorgane des Bundes und Bundesministerien gegen Gefahren, die die Durchführung ihrer Aufgaben beeinträchtigen, schützen, wenn diese darum ersuchen und zwischen dem Bundesinnenministerium und dem beteiligten Land das Einvernehmen besteht, dass deren angemessener Schutz anderweitig nicht gewährleistet werden kann, § 5 Bundespolizeigesetz (BPolG). Der Schutzauftrag wird durch § 5 Abs. 2 BPolG auf die Grundstücke begrenzt, auf denen die Verfassungsorgane oder die Bundesministerien ihren Amtssitz haben. Gefragt wurde, ob der Bund die Gesetzgebungskompetenz hat, die Vorschrift des § 5 BPolG dahingehen neu zu fassen, dass die Bundespolizei zum Objektschutz von Bundesorganen auch unabhängig vom Einvernehmen der betroffenen Länder, über die Grundstückgrenze hinaus auch in unmittelbarer Nachbarschaft zum Amtssitz von Bundesorganen tätig werden kann. 2. Gesetzgebungskompetenz des Bundes Eine Änderung des § 5 BPolG bedürfte einer entsprechenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz liegt für die Vollzugspolizei gemäß Art. 30, 70, 83 Grundgesetz (GG) grundsätzlich bei den Ländern. Dieser Grundsatz wird im Grundgesetz nur in Ausnahmefällen durchbrochen. Eine spezielle Bestimmung bezüglich der allgemeinen Gesetzgebungs - und Verwaltungskompetenz für den Objektschutz von Bundesorganen enthält das Grundgesetz nicht.2 Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG enthält lediglich eine Sonderregelung dahingehend, dass die Polzeigewalt in den Gebäuden des Bundestages beim Bundestagspräsidenten liegt. Dieser verfügt über eine eigene Bundestagspolizei; die Bundespolizei wird gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 BPolG auf Anforderung nur unterstützend tätig. Lerche führte zwar 1992 an, dass der der Einsatz von Streitkräften bei einem inneren Notstand nach Art. 87a Abs. 4 S. 1 GG erfolgen könne, wenn der Bundesgrenzschutz (heute: Bundespolizei) „für den Schutz ziviler Objekte“ nicht ausreiche.3 Art. 87a Abs. 4 S. 1 GG stellt aber ebenfalls auf den (nicht ausreichenden) Schutz durch die Polizeikräfte der Länder ab und differenziert im Wortlaut nicht konkret danach, welche Objekte durch diese und welche ggf. durch die Bundespolizei geschützt werden. Vor allem aber betrifft die Regelung nur die Fälle des inneren Notstands und den Einsatz der Streitkräfte, nicht aber die Aufgaben des Bundesgrenzschutzes als solchem.4 Auch 1 Mit dem Gesetz zur Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei vom 21. Juni 2005 wurde die bis dahin als Bundesgrenzschutz bekannte Bundesbehörde unter der neuen Bezeichnung weitergeführt. 2 Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, BPolG, § 5 Rn. 2; Wagner/ Schmidt, Mission Goldfinger – Die Deutsche Bundesbank unter dem Objektschutzschirm der Bundespolizei, DVBl 2016, S. 149 (152). 3 Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 1992, Art. 87 Rn. 125; a.A. in der Vorauflage noch Maunz: in Maunz/Dürig, Grundgesetz, 1991, Art. 87 Rn. 51. 4 Papier, Polizeiliche Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, DVBl 1992, S. 1 (8) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/20 Seite 4 Art. 35 Abs. 2 und 3, Art. 91 Abs. 1 und 2 und Art. 115f Abs. 1 Nr. 1 GG regeln Sonderfälle,5 in denen die Bundespolizei unterstützend bzw. im Verteidigungsfall tätig werden darf, nicht aber generell den Schutz ziviler Objekte bzw. von Verfassungsorganen durch die Bundespolizei. Gleichwohl sei nach dem Bundesverfassungsgericht unter bestimmten Voraussetzungen eine über die geschriebenen Ausnahmeregelungen hinausgehende Aufgabenübertragung auf die Bundespolizei möglich.6 Dabei kämen nur solche Aufgaben in Betracht, deren Wahrnehmung nach der Verfassung im Kompetenzbereich des Bundes läge und die nicht ihrerseits vom Grundgesetz einem bestimmten Verwaltungsträger vorbehalten seien.7 Zudem sei das Gepräge der Bundespolizei als Sonderpolizeibehörde zur Sicherung der Grenzen des Bundes und zur Abwehr bestimmter, das Gebiet oder die Kräfte eines Landes überschreitender Gefahrenlagen zu wahren. Die Aufgabenübertragung dürfe nicht dazu führen, dass die Bundespolizei zu einer mit den Landespolizeien konkurrierenden, allgemeinen Bundespolizei ausgebaut werde. Sie müsse ihr Gepräge als Polizei mit begrenzten Aufgaben behalten.8 Die Annahme einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs beziehungsweise einer Annexkompetenz scheidet aus, da diese nur für Hilfstätigkeiten und untergeordnete Nebenzwecke der Erfüllung der der Bundesverwaltung gemäß Art. 86 ff. GG zugewiesenen Aufgaben in Betracht kommen,9 worunter der Objektschutz von Bundesorganen nicht subsumiert werden kann. In den Gesetzesmaterialien zu § 5 BPolG und den Vorgängerregelungen zu § 5 bzw. § 4 Bundesgrenzschutzgesetz (BGSG) wurde eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes kraft Natur der Sache angeführt.10 In der Gesetzesbegründung zu § 4 BGSG aus dem Jahr 1971 heißt es konkret: „Die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz des Bundes für die Regelung des Entwurfs ergibt sich aus dem auch in der Verfassungsrechtsliteratur anerkannten Grundsatz, daß der Bund in der Lage sein muß, die Funktionsfähigkeit seiner zentralen Organe notfalls durch eigene Kräfte sicherzustellen .“11 5 So auch Papier (Fn. 4); Walter, in: Drewes/Malmberg/Wagner/Walter, Bundespolizeigesetz, 5. Auflage 2015, BPolG, § 5 Rn. 4. 6 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. Januar 1998, Az.: 2 BvF 3/92, BVerfGE 97, 198, juris Rn. 87. 7 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. Januar 1998, Az.: 2 BvF 3/92, BVerfGE 97, 198, juris Rn. 88. 8 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. Januar 1998, Az.: 2 BvF 3/92, BVerfGE 97, 198, juris Rn. 89. 9 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage, 2020, Art. 83 Rn. 6a; Merten, Einsatz des Bundesgrenzschutzes nach § 4 BGSG, Die Polizei 1986, S. 201, (203). 10 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz, BT-Drs. 12/8047, S. 12 (Zu Nummer 6 Zu Artikel 1 [§ 5 Abs. 1 und 2]); Unterrichtung durch den Bundesrat zum Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz , BT-Drs. 12/8290, S. 2 (Punkt 3. Zu Artikel 1 [§ 5 Abs. 1 und 2 BGSG]). 11 Entwurf eines Gesetzes über den Bundesgrenzschutz, BT-Drs. VI/2886, S. 23 (Hervorhebung nur hier). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/20 Seite 5 In der Literatur wird bis heute ebenfalls vielfach vertreten, der Bund müsse das Kernstück seiner staatlichen Organisation losgelöst von der Zuständigkeit der Länder durch eigene Kräfte sicherstellen und so seine Funktionsfähigkeit selbst gewährleisten können.12 Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes kraft Natur der Sache besteht nach dem Bundesverfassungsgericht jedoch nur, soweit der Zweck eines Gesetzes durch das Verwaltungshandeln eines Landes überhaupt nicht erreicht werden könne. Eine bloß zweckmäßigere Ausführung durch den Bund reiche zur Annahme dieser Kompetenz nicht.13 Es müsse sich um eine ihrer Natur nach ureigene , der partikulären Gesetzgebungszuständigkeit von vornherein entrückte Angelegenheit des Bundes handeln, welche vom Bund und nur von ihm geregelt werden könne.14 Wohl vor diesem Hintergrund führte der Innenausschuss 1972 zum Entwurf eines Bundesgrenzschutzberichtes aus: „Die Vorschrift regelt den Einsatz des Bundesgrenzschutzes zum Schutz von Bundesorganen. Der Ausschuß geht davon aus, daß, wie auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Ausdruck gebracht hat, die Länder grundsätzlich in der Lage sind, die Sicherheit der Verfassungsorgane des Bundes und der Bundesministerien zu gewährleisten. Er hält es deshalb im Gegensatz zur Bundesregierung für richtiger, diese Aufgabe dem Bundesgrenzschutz nur in Form einer Kannvorschrift zuzuweisen. Ferner muß nach seiner Auffassung im Gesetz zum Ausdruck kommen, daß bei der Beurteilung, ob und inwieweit ohne den Einsatz des Bundesgrenzschutzes die angemessene Sicherung dieser Organe in Frage gestellt wäre, Einvernehmen zwischen dem Bundesminister des Innern und dem beteiligten Land herzustellen ist; nur so können Doppelzuständigkeiten ausgeschlossen werden. Der Ausschuß hat sich deshalb dafür ausgesprochen, das Erfordernis des Einvernehmens insoweit ausdrücklich im Gesetz zu verankern.“15 Es liegen auch heute keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Bundesländer generell nicht in der Lage wären, den Schutz der Verfassungsorgane zu gewährleisten. Dies spricht nach den o.g. Kriterien des Bundesverfassungsgerichts gegen eine allgemeine Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz des Bundes für den Objektschutz von Bundesorganen kraft Natur der Sache. Dennoch kann im Einzelfall die in § 5 BPolG zugrunde gelegte Situation eintreten, dass der Schutz eines Verfassungsorgans aus einvernehmlicher Sicht des zuständigen Landes und des Bundes nicht anderweitig als durch die Bundespolizei gewährleistet werden kann und das Verfassungsorgan 12 Gade/Kieler, Polizei- und Föderalismus, Stuttgart, 2008, S. 27; Hoppe, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens, Bundespolizeigesetz , 5. Auflage, 2012, BPolG, § 5 Rn. 8 f.; Schoen, Nochmals: Missachtung der Polizeihoheit der Länder durch den Bund?, DVBl 1988, S. 16, (17 f.); Semerak, Der Schutz der Bundesorgane durch den Bundesgrenzschutz, Die Polizei 1991, S. 10; so früher auch Walter (Fn. 5), § 5 Rn. 4. 13 Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 18. Juli 1967, Az.: 2 BvF 3/62, BVerfGE 22, 180 (216 f.). 14 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. Juni 1969, Az.: 2 BvR 128/66, BVerfGE 26, 246 (257). 15 Schriftlicher Bericht des Innenausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über den Bundesgrenzschutz, BT-Drs.VI/3569 S. 3 (Hervorhebungen nur hier) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/20 Seite 6 darum ersucht. Die heutige Literatur zum BPolG geht wohl überwiegend davon aus, dass die Regelung des § 5 BPolG mittlerweile zumindest verfassungsgewohnheitsrechtlich anerkannt sei.16 So nähmen die betroffenen Bundesorgane den status quo an, die Gesetzgebungsorgane hätten bis heute keine Gesetzesänderung angemahnt und alle Beteiligten akzeptieren den § 5 BPolG als verbindliche Rechtsnorm.17 Nach einigen Autoren ließe sich eine Vereinbarkeit von § 5 BPolG mit dem grundgesetzlichen Kompetenzgefüge allenfalls aufgrund des erforderlichen Einvernehmens mit dem jeweils eigentlich zuständigen Land begründen.18 Soweit ersichtlich lehnt im Ergebnis heute aber nur Winkler eine verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelung des § 5 BPolG vollständig ab.19 Die verfassungsrechtliche Begründung einer Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz der Bundespolizei für den Objektschutz von Bundesorganen ist also weiterhin stark umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage bislang weder direkt noch indirekt beantwortet. Dieser Hintergrund und der in jedem Fall zu wahrende Ausnahmecharakter von Durchbrechungen des Kompetenzgefüges des GG durch ungeschriebene Kompetenzen sprechen gegen eine Zulässigkeit der Ausweitung der räumlichen Zuständigkeit der Bundespolizei über die Regelung des § 5 BPolG hinaus. Auch die in der Literatur zum BPolG dokumentierte allgemeine Praxis, dass der Objektschutz im Rahmen der bundespolizeilichen Befugnisse im Einvernehmen auch in unmittelbarer Umgebung des Objekts erfolgen könne,20 ist kein tragfähiges Argument für eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Denn diese Praxis erfolgt jeweils im Einvernehmen mit dem zuständigen Land und beruht zumeist auf einer entsprechenden Verwaltungsvereinbarung. *** 16 Graulich (Fn. 2), § 5 Rn. 2; Walter (Fn. 5), § 5 Rn. 5; ebenso Wagner/Schmidt (Fn. 2), S. 153; ohne konkrete Begründung hinsichtlich der Aufgabe des Objektschutzes von Verfassungsorganen von verfassungsrechtlicher Zulässigkeit ausgehend Gade/Kieler (Fn. 12), S. 170 und 95 ff. (101). 17 Graulich (Fn. 2), § 5 Rn. 2; zu den Voraussetzungen des Verfassungsgewohnheitsrechts vgl. Bundesverfassungsgericht , Beschluss vom 28. Juni 1967, Az.: 2 BvR 143/61, BVerfGE 22, 114 (121). 18 Bull, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Kommentar zum Grundgesetz, 3. Auflage, 2001, Art. 87 Rn. 69; Maunz (Fn. 3), Art. 87 Rn. 51; so wohl auch Merten (Fn. 9), S. 204. 19 Winkeler, Von der Grenzpolizei zur multifunktionalen Polizei des Bundes?, Frankfurt am Main, 2005, S. 159. 20 Gade/Kieler (Fn. 12), S. 171; Hoppe (Fn. 12), § 5 Rn. 33; Semerak (Fn. 12), S. 12; Walter (Fn. 5), § 5 Rn. 11.