© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 205/14 Vereinbarkeit von Drogentests für Bezieher von Arbeitslosengeld II mit deren Grundrechten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/14 Seite 2 Vereinbarkeit von Drogentests für Bezieher von Arbeitslosengeld II mit deren Grundrechten Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 205/14 Abschluss der Arbeit: 22. September 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Das Gutachten beruht auf einer Zuarbeit des Fachbereiches Arbeit und Soziales, WD 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/14 Seite 3 1. Einleitung der Fragestellung Die Bundesagentur für Arbeit hat am 23. September 2014 die Lieferung von 8.800 Packungen Drogentests à 10 Einheiten nach § 12 Abs. 2 VOL/A1 ausgeschrieben.2 Ziel der Ausschreibung ist der Abschluss eines Liefervertrages für die bundesweite Lieferung von Schnelltests zum Nachweis von Drogen im Urin sowie von Teststreifen zur Harnanalyse. Diese sollen für die Durchführung ärztlicher Untersuchungen in den Agenturen für Arbeit eingesetzt werden.3 Im Folgenden soll geprüft werden, ob die Aufforderung von Empfängern von Leistungen nach dem SGB II zu einer Untersuchung auf eine Drogenabhängigkeit durch Schnelltests mit deren Grundrechten im Einklang stehen. Hierfür werden zunächst die einfachgesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung von Drogentests dargestellt (Punkt 2), darauf wird die Vereinbarkeit von Drogentests mit den Grundrechten der Leistungsbezieher geprüft (Punkt 3) und abschließend auf die Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit zur Aufforderung zu Untersuchungen (Punkt 4) sowie auf datenschutzrechtliche Aspekte (Punkt 5) eingegangen . 2. Gesetzliche Grundlage für die Durchführung von Drogenschnelltests § 62 SGB I4 lautet: „Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, soll sich auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen, soweit diese für die Entscheidung über die Leistung erforderlich sind.“ Die Mitwirkungspflicht § 62 SGB I besteht für jeden, der Leistungen beantragt oder erhält.5 Dabei handelt es sich nach Auffassung des LG Heidelberg weniger um eine Ermächtigungsgrundlage für behördliche Anordnungen von Untersuchungen, als mehr um eine Mitwirkungspflicht des Leistungsempfängers infolge einer behördlichen Aufforderung.6 Die Norm dient der Entscheidung 1 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Bundesrepublik Deutschland, Bekanntmachung der Vergabe - und Vertragsordnung für Leistungen - Teil A (VOL/A), BAnz 2009, Beilage Nr. 196a, 1-53. 2 Öffentliche Ausschreibung 1213-14-45216, Drogenschnelltest und Harnanalyse, abzurufen unter: http://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/Veroeffentlichungen/Ausschreibungen/LieferundDienstleistunge n/Detail/index.htm?dfContentId=L6019022DSTBAI519377. 3 Leistungsbeschreibung 1213-14-45216, Drogenschnelltest und Harnanalyse, S.1, abzurufen unter: http://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/Veroeffentlichungen/Ausschreibungen/LieferundDienstleistunge n/Detail/index.htm?dfContentId=L6019022DSTBAI519377. 4 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.12.1975, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.10.2013 (BGBl I S. 3836). 5 Seewald in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 82. EL 2014, § 62 SGB I Rn. 3; für ALG-II- Empfänger BSG, Urteil vom 19.9.2008, B 14 AS 45/07 R – juris Rn. 14. 6 Landgericht Heidelberg, Urteil vom 22.08.2013, 3 O 403/11, Rn. 35. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/14 Seite 4 über sozialrechtliche Ansprüche, da diese vielfach von dem Gesundheitszustand des Leistungsempfängers abhängen.7 Die Mitwirkung darf vom Antragsteller nach § 65 Abs. 2 SGB I abgelehnt werden, wenn sich bei den Untersuchungen und Behandlungen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen lässt, diese mit erheblichen Schmerzen verbunden sind oder einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten. Der Sozialleistungsträger bestimmt, welcher Arzt oder Psychologe die Untersuchung durchführt. Die Modalitäten der Untersuchung werden vom Arzt festgelegt. Für Antragsteller bzw. Leistungsbezieher der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) sollen so auch Aufschlüsse über die allgemeine oder spezifische Leistungsfähigkeit des Untersuchten gewonnen werden. Nur so kann eine Eingliederungsvereinbarung sinnvoll abgeschlossen werden . Nach § 2 Abs. 1 SGB II8 (muss) „eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung in Arbeit mitwirken, insbesondere eine Eingliederungsvereinbarung abschließen.“ Voraussetzung für Leistungen nach dem SGB II ist die Erwerbsfähigkeit . Die Eingliederungsvereinbarung ist in Vorschrift § 15 SGB II geregelt. Durch sie werden verbindlich die Rechte und Pflichten des Hilfebedürftigen festgelegt. Sie regelt, welche Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit seitens des Grundsicherungsträgers erhält. Dazu gehören auch Leistungen zur Eingliederung nach § 16 SGB II und ggf. Arbeitsangebote. Darüber hinaus werden i.d.R. die Eigenbemühungen des Leistungsberechtigten festgelegt. Sie richten sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach den individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten und den gesundheitlichen Gegebenheiten. 3. Vereinbarkeit von Drogentests für Leistungsbezieher mit deren Grundrechten Im Folgenden soll geprüft werden, ob die Anordnung von Drogentests für die Bezieher von Arbeitslosengeld II mit deren Grundrechten vereinbar sind. In Frage kommt insbesondere eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist. 3.1. Verfassungsmäßigkeit des § 62 SGB I Die Aufforderung, einer Untersuchung durch einen Drogenschnelltest zuzustimmen, kann auf § 62 SGB I beruhen. In einem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits im Jahr 1983 die Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des 7 , Drogentest im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, Sachstand, 183/14, 17.09.2014, S.4. 8 Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl. I S. 850, 2094), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. Juli 2014 (BGBl. I S. 1306) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/14 Seite 5 Betroffenen festgestellt.9 Angesichts der Freiwilligkeit der Zustimmung begegnet die Norm keinen grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedenken. 3.2. Verfassungsmäßigkeit einer Aufforderung im Einzelfall Ferner ist zu prüfen, ob die Aufforderung zur Durchführung von Drogentestes im Einzelfall verfassungsgemäß ist. Voraussetzung hierfür ist zum einen, dass die konkrete Aufforderung von der gesetzlichen Grundlage des § 62 SGB I getragen ist (hierzu unter 3.2.1). Ferner müsste die Aufforderung im Einzelfall mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Einklang stehen (Punkte 3.2.2 und 3.2.3). 3.2.1. Aufforderung von § 62 SGB I gedeckt? Gemäß § 62 SGB I muss die geforderte Untersuchung – also die Blut- und Urinuntersuchung zur Feststellung von Drogenrückständen – erforderlich sein, um über die beantragte Leistung entscheiden zu können. Bei den Drogentests handelt es sich um Untersuchungen im Sinne des § 62 SGB I, da hierunter sämtliche Maßnahmen, die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft zur Feststellung des Gesundheitszustandes des Untersuchten angezeigt und erforderlich sind, fallen.10 Blutuntersuchungen wie auch psychologische Untersuchungen sind hiervon umfasst. Diese Untersuchung muss entscheidungserheblich sein. Wie oben (Punkt 2) ausgeführt, ist die Erwerbsfähigkeit Voraussetzung für den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung. Aufgrund solch einer Vereinbarung können Leistungen erbracht werden, die die psychosoziale Betreuung oder die Suchtberatung umfassen. Soweit eine Suchterkrankung vorliegt, werden regelmäßig auch Leistungen nach § 27 SGB V11 (Krankenbehandlungen) in Betracht kommen.12 Bei begründeten Verdachtsmomenten für eine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit durch eine Drogensucht kann eine entsprechende Untersuchung damit entscheidungserheblich sein. 3.2.2. Anforderungen an „konkrete Hinweise für einen Betäubungsmittelmissbrauch“ Die Aufforderung zur Untersuchung muss sich auf konkrete Hinweise stützen, aus denen sich Zweifel an der Erwerbsfähigkeit bzw. Hinweise zur Drogensucht ergeben. 9 BVerfG, Urteil vom 27.06.1983, 1 BvR 843/83, Juris. Zustimmend Seewald in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht , 82. EL 2014, § 62 SGB I Rn. 15 m.w.N. 10 Seewald in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 82. EL 2014, § 62 SGB I Rn. 8 m.w.N. 11 Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477, 2482), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1346) geändert worden ist. 12 Im Einzelnen , Drogentests im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WD 6-63000 – 183/14, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/14 Seite 6 Das Landgericht Heidelberg hat in seinem Urteil über einen Schmerzensgeldanspruch eines ALG- II-Empfängers im Rahmen eines Amtshaftungsprozesses ausgeführt, dass das Verhalten des ALG- II-Empfängers Anlass zur Untersuchung gegeben haben und diese in einem angemessenen Verhältnis zur tatsächlichen Prüfung der gesundheitlichen Eignung stehen muss.13 Hinweise, die auf eine Suchtmittelabhängigkeit aus dem Verhalten des ALG-II-Empfängers oder sonst zugänglichen Informationen schließen lassen, müssen hinreichend konkret sein. Insoweit bedarf es nachvollziehbarer Gründe, den ALG-II-Empfänger auf Suchtmittel untersuchen zu lassen.14 Eine Konkretisierung , welche Verhaltensweisen oder Informationen als ausreichend gewertet werden, nahm das Landgericht Heidelberg nicht vor. Es verwies lediglich darauf, dass ein pauschaler Hinweis auf den Gesamteindruck mit Verweis auf Mimik, Gestik und ein mögliches Zögern auf die Frage nach dem Drogenkonsum als nicht ausreichend erachtet wird.15 Im Bereich der Strafprozessordnung16, in der die Blutentnahme gemäß § 81a auch gegen den Willen des Beschuldigten angeordnet werden darf, reichen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die sich auf konkrete Tatsachen stützen, für das Einleiten eines Ermittlungsverfahrens aus. Bloße, nicht durch konkrete Umstände belegte Vermutungen oder reine denktheoretische Möglichkeiten genügen hingegen nicht.17 Ob diese Anhaltspunkte vorliegen, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls . 3.2.3. Verhältnismäßigkeit der Untersuchung im Einzelfall Die Aufforderung zu einer Untersuchung muss auch verhältnismäßig sein, da sie der zu Untersuchende sonst gemäß § 65 SGB I verweigern kann. Inwieweit eine Untersuchung als verhältnismäßig zu beurteilen ist, hängt von dem jeweiligen Einzelfall ab. Jedenfalls unzumutbar ist die Mitwirkung, wenn eine Abwägung des öffentlichen Interesses bzw. das Interesse der Solidargemeinschaft und die berechtigten und schützenswerten Interessen des Verpflichteten die Mitwirkungspflicht unbillig erscheinen lässt.18 Bei der Abgabe von Urin ist insoweit kein körperlicher Eingriff notwendig, sodass die Belastung des ALG-II- Empfängers im physischen Bereich als gering einzuschätzen ist. Eine körperliche Belastung ist insoweit nicht ersichtlich. Bei der Blutentnahme ist ein körperlicher Eingriff der Maßnahme immanent , sodass in Anlehnung an § 81 a StPO höhere Anforderungen an den Untersuchungszweck und dessen Durchführung zu stellen sind. Im Ergebnis werden Blutentnahmen anerkanntermaßen als absolut ungefährlich bewertet, sodass auch insoweit die körperliche Belastung als 13 Landgericht Heidelberg, Urteil vom 22.08.2013, 3 O 403/11, Rn. 36. 14 Landgericht Heidelberg, Urteil vom 22.08.2013, 3 O 403/11, Rn. 37. 15 Landgericht Heidelberg, Urteil vom 22.08.2013, 3 O 403/11, Rn. 38. 16 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die durch Artikel 3 des Gesetzes vom 23. April 2014 (BGBl. I S. 410) geändert worden ist. 17 BGH NStZ 1994, 499 m.w.N. 18 Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, 67. Ergänzungslieferung, 2009, § 65 SGB I, Rn.6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/14 Seite 7 gering einzustufen ist.19 Die Maßnahmen dürften damit als angemessen bewertet werden, um eine Suchtmittelabhängigkeit festzustellen und in diesem Zusammenhang die Erwerbsfähigkeit und den damit verbundenen Leistungsanspruch festzusetzen. In Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt insoweit das Interesse der Bundesagentur für Arbeit an der Feststellung, ob eine Suchterkrankung vorliegt und die Erwerbsfähigkeit des ALG-II-Empfängers beeinträchtigt ist, da diese Informationen entscheidend sind für die Beurteilung , inwieweit eine staatliche Leistung gewährt wird. Für den Leistungsempfänger liegt weder eine körperliche noch ein psychische Belastung in größerem Umfang vor, da die medizinische Untersuchung in der Durchführung ungefährlich ist und die Daten lediglich der Bewertung für Leistungsbezüge zu Grunde gelegt werden. Eine Veröffentlichung findet nicht statt, sodass eine psychische Belastung insoweit nicht angenommen werden kann. Unter dem Gesichtspunkt, dass die Überprüfung einer Suchtmittelerkrankung durch die Bundesagentur für Arbeit auch eine Möglichkeit sein kann, dem Betroffenen Hilfestellungen in Form von Kontaktvermittlungen an Suchtberatungsstellen etc. zu ermöglichen, ist die Maßnahme im Ergebnis zulässig. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist unter den genannten Voraussetzungen zu rechtfertigen. Die Drogentests sind bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte mit den Grundrechten der Betroffenen vereinbar. 4. Welche Qualifikation muss eine Person mitbringen, um konkrete Hinweise für Betäubungsmittelmissbrauch feststellen zu dürfen und die Hinweise und etwaige Symptome von somatischen und psychosomatischen Beschwerden abzugrenzen? Die Identifizierung eines Suchtproblems durch die Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit stellt einen Kernpunkt in der Praxis dar.20 Um ein Suchtproblem frühzeitig zu erkennen und anzusprechen , bedarf es einer suchtspezifischen Schulung der Mitarbeiter durch die jeweiligen Fachstellen, z.B. Suchtberatungsstellen.21 Die Qualifizierungen sollten nach Einschätzung des Deutschen Landkreistages folgende Mindestinhalte aufweisen: - Anamnese/Erkennen von Suchterkrankungen - Kenntnisse über fachspezifische Inhalte, Krankheitsbilder- und –folgen - Behandlungs- und Lösungsmöglichkeiten - Kenntnisse in Gesprächsführungstechniken - Erfolgsaussichten in der Beratung und Behandlung Suchtkranker. 19 Ritzert in Beck`scher Onlinekommentar StPO, Stand: 24.03.2014, § 81 a StPO, Rn.7, OLG Köln NStZ 1986, 234, 235. 20 FIA Forschungsteam Internationaler Arbeitsmarkt GmbH/Prof. Dr. Dieter Henkel/Zoom – Gesellschaft für prospektive Entwicklung e.V., Abschlussbericht „Erhebung von Ansätzen guter Praxis zur Integration Suchtkranker ins Erwerbsleben im Rahmen des SGB II“, 2009, S. 83; abzurufen unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/dateien/Publikationen/Drogen_Sucht/Forschungsber ichte/Abschlussbericht_Integration_Suchtkranker_ins_Erwerbsleben_im_Rahmen_des_SGB_II.pdf. 21 Deutscher Landkreistag, Leitlinien zur Umsetzung der sozialen Leistungen nach dem SGB II, 3. Auflage, 2008, S. 16, abzurufen unter: http://www.landkreistag.de/images/stories/themen/Langzeitarbeitslose/123_Leitlinien%203.%20Aufl.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/14 Seite 8 Eine abschließende Beurteilung der suchtspezifischen Diagnostik ist jedoch nur durch eine Zusammenarbeit mit Fachleuten realisierbar. Sofern ein Suchtproblem durch den jeweiligen Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit vermutet wird, werden interne oder externe Dritte eingeschaltet , um die Vermutung zu überprüfen. Dabei handelt es sich zumeist um Suchtberatungsstellen und den Ärztlichen bzw. Psychologischen Dienst der Bundesagentur.22 Die Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit müssen allerdings ein Grundlagenwissen über Suchterkrankungen und deren Auswirkungen haben, insbesondere über die Dauer von Suchthilfe, Rückfallhäufigkeit und die Einbeziehung des sozialen Umfeldes.23 5. Datenschutzrechtliche Aspekte des Zugangs von BA-Mitarbeiterinnen zu einem für den Ärztlichen Dienst bestimmten Gesundheitsfragebogen Der Gesundheitsfragebogen ist Teil der sozialmedizinischen Beurteilung der Leistungsfähigkeit, die durch den Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit festgestellt wird.24 Die Begutachtung im Ärztlichen Dienst hilft den Sachbearbeitern bei der Bewertung von medizinischen Fragestellungen , die Grundlagen für die Entscheidung über Maßnahmen betreffend der Eignung und Feststellung der Erwerbsfähigkeit sind.25 Dementsprechend ist der Gesundheitsfragebogen ausschließlich für den Ärztlichen Dienst bestimmt. Die Angaben unterfallen dem Begriff der Sozialdaten im Sinne von § 67 Abs. 1, 12 SGB X26. Sozialdaten sind Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener), die von einer in § 35 SGB I genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben nach diesem Gesetzbuch er- 22 FIA Forschungsteam Internationaler Arbeitsmarkt GmbH/Prof. Dr. Dieter Henkel/Zoom – Gesellschaft für prospektive Entwicklung e.V., Abschlussbericht „Erhebung von Ansätzen guter Praxis zur Integration Suchtkranker ins Erwerbsleben im Rahmen des SGB II“, 2009, S. 67; abzurufen unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/dateien/Publikationen/Drogen_Sucht/Forschungsber ichte/Abschlussbericht_Integration_Suchtkranker_ins_Erwerbsleben_im_Rahmen_des_SGB_II.pdf. 23 Deutscher Landkreistag, Leitlinien zur Umsetzung der sozialen Leistungen nach dem SGB II, 3. Auflage, 2008, S. 16, abzurufen unter: http://www.landkreistag.de/images/stories/themen/Langzeitarbeitslose/123_Leitlinien%203.%20Aufl.pdf. 24 Gesundheitsfragebogen der Bundesagentur für Arbeit, abzurufen unter: https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&cad=rja&uact=8&sqi=2&ved=0CCEQFjAA &url=http%3A%2F%2Fwww.elo-forum.org%2Fattachments%2Fschwerbehinderte-gesundheitrente %2F27492d1260103488-rehaantrag-sowas-gesundheitsfragebogen-erwachsene-vorbereitung-begutachtungaerztlichen -di.pdf&ei=1TMYVIb9JOv8ywOkwYC4Cw&usg=AFQjCNGz2GTiToTxbhejaEh0nQmcK-Z3jA. 25 Praxisleitfaden zur Einschaltung des Ärztlichen Dienstes im Bereich des SGB II und SGB III, 2011, S.4, abzurufen unter: http://www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mtaw/~edisp/l6019022 dstbai397423.pdf?_ba.sid=L6019022DSTBAI397426. 26 Das Zehnte Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 (BGBl. I S. 130), das zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 205/14 Seite 9 hoben, verarbeitet oder genutzt werden. Besonders schutzwürdige Sozialdaten sind Angaben über die Gesundheit.27 § 35 SGB I verpflichtet auch die Bundesagentur für Arbeit, die betreffenden Sozialdaten nicht unbefugt zu erheben, zu verarbeiten oder zu nutzen. Das bedeutet, dass die Sozialdaten nur Befugten zugänglich sein dürfen. Der „Praxisleitfaden zur Einschaltung der ärztlichen Dienste im Bereich des SGB II und SGB III“ der Bundesagentur für Arbeit regelt, dass nach dem Ausfüllen der Formulare und ggf. Beifügen von medizinischen Unterlagen diese von der Kundin/dem Kunden in dem Briefumschlag zu verschließen und der Beratungs-/ Vermittlungsfachkraft zuzuleiten sind.28 Damit wird deutlich, dass der Inhalt des Gesundheitsfragebogen nicht von der zuständigen Sachbearbeiterin gesichtet und verwertet werden darf und andernfalls ein Verstoß gegen die Datenschutzbestimmungen des § 35 SGB I in Verbindung mit § 67 Abs. 12, 76 SGB X29 vorliegt.30 Der Gesundheitsfragebogen ist ausschließlich für die Amtsärzte bestimmt und muss dementsprechend in einem verschlossenen Umschlag an den Ärztlichen Dienst weitergeleitet werden.31 Nimmt eine Sachbearbeiterin von den medizinischen Unterlagen Kenntnis, verstößt sie gegen § 35 SGB I in Verbindung mit § 67 Abs. 12, 76 SGB X und greift damit in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des ALG-II-Empfängers ein.32 Darüber hinaus erfüllt eine entsprechende Vorgehensweise wohl auch den Straftatbestand der Verletzung des Briefgeheimnisses nach § 202 Abs. 1 StGB33. Dieser normiert, dass die unbefugte Öffnung eines verschlossenen Briefes oder Schriftstückes, das nicht zur Kenntnis bestimmt ist, mit Strafe bedroht wird. 27 Bieresborn in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage, 2014, § 67 Rn. 37. 28 Praxisleitfaden zur Einschaltung des Ärztlichen Dienstes im Bereich des SGB II und SGB III, 2011, S.8, abzurufen unter: http://www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mtaw/~edisp/l6019022 dstbai397423.pdf?_ba.sid=L6019022DSTBAI397426. 29 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.01.2001, zuletzt geändert durch Gesetz vom 11.08.2014 (BGBl I S. 1348). 30 Landgericht Heidelberg, Urteil vom 22.08.2013, 3 O 403/11, Rn. 41. 31 Gesundheitsdaten – Muss ich Gesundheitsdaten im Jobcenter preisgeben?, Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, abzurufen unter: http://www.bfdi.bund.de/DE/Themen/Arbeit/BA/FAQ/Artikel/Gesundheitsdaten.html. 32 Landgericht Heidelberg, Urteil vom 22.08.2013, 3 O 403/11, Rn. 41. 33 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1988, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.04.2014 (BGBl I S. 410).