© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 203/19 Verfassungsrechtliche Aspekte des Professorinnenprogramms des Bundes und der Länder Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 203/19 Seite 2 Verfassungsrechtliche Aspekte des Professorinnenprogramms des Bundes und der Länder Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 203/19 Abschluss der Arbeit: 19. August 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 203/19 Seite 3 1. Fragestellung Der Sachstand befasst sich mit dem sogenannten Professorinnenprogramm des Bundes und der Länder.1 Das Programm sieht insbesondere Anschubfinanzierungen für Erstberufungen von Frauen an Universitäten vor.2 Die dadurch frei werdenden Mittel müssen die Universitäten für gleichstellungsfördernde Maßnahmen einsetzen. Zur Begründung des Programms wird angeführt, dass die Beteiligung von Frauen in der Wissenschaft nicht dem Anteil gut qualifizierter Frauen entspreche.3 Daher sei es erforderlich, Potenziale von Frauen nachhaltig in das Wissenschaftssystem einzubinden. Das seit 2008 bestehende Programm wird zurzeit als Teil III (Förderzeitraum 2018 bis 2022) fortgesetzt. Der Sachstand befasst sich mit verfassungsrechtlichen Aspekten des Programms. Unionsrechtliche Fragen sind nicht Gegenstand der Ausführungen.4 2. Verfassungsrechtliche Aspekte 2.1. Verfassungsrechtlicher Maßstab Da das Professorinnenprogramm ausschließlich die Berufung von Frauen fördert, sieht es eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts vor. Mögliche Anknüpfungspunkte zur Beurteilung solcher Ungleichbehandlungen finden sich in Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 3 Abs. 3 GG. Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG besagt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Art. 3 Abs. 3 GG verbietet Diskriminierungen unter anderem aufgrund des Geschlechts. An welcher der beiden Normen Maßnahmen zur Förderung von Frauen zu messen sind, wird nicht einheitlich beurteilt.5 Letztlich ist die genaue Zuordnung allerdings unerheblich, da die verfassungsrechtlichen Anforderungen , die beide Vorschriften an staatliche Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts stellen, sich nicht unterscheiden.6 1 Siehe dazu bereits Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Einzelfragen zum Professorinnenprogramm , WD 8 - 3000 - 082/19. 2 Siehe zum Inhalt des Programms die Richtlinien zur Umsetzung des Professorinnenprogramms des Bundes und der Länder zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern in Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen – Professorinnenprogramm III – vom 2. Juli 2018, abrufbar unter https://www.bmbf.de/foerderungen /bekanntmachung-1600.html (Stand: 15. August 2019). 3 Richtlinien zur Umsetzung des Professorinnenprogramms (Fn. 2), Nr. 1.1. 4 Zur – dort bejahten – Vereinbarkeit des Programms mit dem Unionsrecht, insbesondere mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in den Urteilen „Kalanke“, „Marschall“ und „Abrahamsson“ siehe Sacksofsky/Völzmann, Der Besten ein Lehrstuhl – Frauenförderprogramme an deutschen Universitäten, in: WissR 51 (2018) S. 45 ff. (60 ff.); siehe zur unionsrechtlichen Dimension von Maßnahmen zur Frauenförderung auch Boysen, in: von Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 170 ff. 5 Siehe zum Streitstand Boysen, in: von Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 161 ff. 6 Vgl. Sacksofsky/Völzmann (Fn. 3), S. 53. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 203/19 Seite 4 2.2. Zulässigkeit der Ungleichbehandlung Verfassungsrechtliche Rechtsprechung zum Professorinnenprogramm oder ähnlichen Fördermaßnahmen in der Wissenschaft ist nicht bekannt. Nach ganz herrschender Meinung können Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts durch den in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG normierten Verfassungsauftrag gerechtfertigt werden.7 Dieser besagt, dass der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Art. 3 Abs. 2 GG sieht einen kompensatorischen Ausgleich vor, der solange zulässig ist, wie noch kein verfassungskonformer Zustand besteht.8 Hieraus folgt insbesondere eine Einschränkung hinsichtlich der Dauer von Fördermaßnahmen. Zumindest Quotenregelungen sind nicht mehr zulässig, sobald die tatsächliche Gleichstellung von Frauen erreicht ist. Der Frauenanteil an Professuren steigt zwar stetig an, liegt aber noch immer weit unter dem Anteil der Männer. 2016 lag der Anteil der Frauen auf W3-/C4-Professuren oder ähnlichen Professuren bei 19,4 Prozent.9 Deutschland liegt damit noch unter dem europäischen Durchschnitt von 23,7 Prozent.10 Der Staat hat zudem einen Einschätzungsspielraum in Bezug auf das Bestehen von beruflichen Nachteilen von Frauen und in Bezug darauf, welche Ausgleichsmaßnahmen in Betracht kommen.11 Zu beachten ist zudem, dass sich die verfassungsrechtliche Diskussion über die Zulässigkeit von Frauenfördermaßnahmen auf die Verfassungsmäßigkeit von Quotenregelungen beschränkt. Das Professorinnenprogramm sieht aber keine Quotierung vor, sondern nur ein Anreizsystem zur Stellenbesetzung mit Frauen.12 Die verfassungsrechtlichen Anforderungen dürften daher noch unter den Anforderungen liegen, die für Quotenregelungen bestehen. Dementsprechend wird das Professorinnenprogramm in der juristischen Literatur als verfassungsgemäß beurteilt.13 Eine Beurteilung der jeweiligen Berufungsverfahren der Universitäten könnte hingegen nur im Einzelfall erfolgen. Die Berufungsverfahren müssen insbesondere dem Prinzip der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG genügen.14 *** 7 Vgl. Langenfeld, in: Maunz/Dürig, GG, 86. EL Januar 2019, Art. 3 Abs. 2 Rn. 92; Nußberger, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 287; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 114; Kischel, in: Epping /Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 41. Edition Stand: 15. Mai 2019, Art. 3 Rn. 196, 200. 8 Langenfeld, in: Maunz/Dürig, GG, 86. EL Januar 2019, Art. 3 Abs. 2 Rn. 92, siehe dort auch zum Folgenden. 9 BT-Drs. 19/12248, S. 6, siehe auch für eine Aufschlüsselung nach Bundesländern die Anlage 3 ab S. 17. 10 Ebenda. 11 BVerfGE 74, 163 (180); Nußberger, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 284. 12 Siehe auch Sacksofsky/Völzmann, (Fn. 3), S. 59. 13 So Langenfeld, in: Maunz/Dürig, GG, 86. EL Januar 2019, Art. 3 Abs. 2 Rn. 99; Sacksofsky/Völzmann (Fn. 3), S. 60. 14 Siehe dazu vertiefend Sacksofsky/Völzmann (Fn. 3), S. 68 ff.