WD 3 - 3000 - 202/20 (9. September 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der vom Bundeskabinett am 12. August 2020 beschlossene Entwurf eines Investitionsbeschleunigungsgesetzes sieht u.a. vor, dass gemäß des neu aufzunehmenden § 63 Bundes-Immissionsschutzgesetz die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die Zulassung einer Windenergieanlage an Land mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern entfallen soll.1 Gefragt wird, ob darin ein Verstoß gegen die Garantie eines umfassenden und effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zu sehen ist. Nach dem in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzes den Anspruch des Einzelnen auf eine tatsächlich wirksame und möglichst lückenlose gerichtliche Kontrolle zu beachten.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die nach § 80 Abs. 1 VwGO für den Regelfall vorgeschriebene aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eine Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie und ein fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses.3 Jedoch gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe im Verwaltungsprozess nicht schlechthin: Überwiegende öffentliche Belange können es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts ist ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt.4 Gerade bei einem mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnis (bei einem drittbelastenden Verwaltungsakt) gebietet die Garantie des effektiven Rechtsschutzes nicht, dass ein Rechtsbehelf im Regelfall automatisch aufschiebende Wirkung 1 Vgl. Art. 3 Nr. 2 Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Investitionen, BT-Drs. 19/22139, S. 7. 2 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 19 Abs. 4 Rn. 80. 3 Vgl. bspw. BVerfGE 35, 263 (272). 4 Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. Oktober 2008 – 1 BvR 2466/08 –, Rn. 14, juris; BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1973 – 1 BvR 23/73 –, Rn. 54, juris. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Vereinbarkeit des Investitionsbeschleunigungsgesetzes mit der Garantie des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz Kurzinformation Vereinbarkeit des Investitionsbeschleunigungsgesetzes mit der Garantie des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 haben muss.5 Soweit ein effektiver Rechtsschutz anders sichergestellt ist, muss es keine aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen geben.6 Laut der Gesetzesbegründung wird durch die geplante Neuregelung des § 63 Bundes-Immissionsschutzgesetz „eine Verfahrensbeschleunigung bezweckt, um die Ausbauziele für Windkraft an Land zu erreichen, was für die Energiewende von zentraler Bedeutung ist“7. Die Neuregelung bezweckt damit die Förderung der Energiewende, mit der die Bundesregierung eine umweltfreundlichere Energieversorgung verfolgt8. Nach Art. 20a GG ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich zum Umwelt - und zum Klimaschutz berechtigt und verpflichtet.9 Umwelt- und Klimaschutz können daher als überwiegende öffentliche Belange herangezogen werden, die geeignet sind, die im Entwurf des Investitionsbeschleunigungsgesetzes vorgesehene gesetzliche Anordnung des Wegfalls der aufschiebenden Wirkung zu rechtfertigen. Auch schließt die Neuregelung eine aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nicht völlig aus; so steht Betroffenen die Möglichkeit offen, die Aussetzung der Vollziehung der Zulassung einer Windenergieanlage bei der Behörde (§ 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO) oder bei Gericht (§ 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 VwGO) zu beantragen. *** 5 BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 1 BvR 2466/08, NVwZ 2009, 240 6 Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 19 Rn. 149 mit Rechtsprechungsnachweisen. 7 BT-Drs. 19/22139, S. 12, S. 25. 8 Vgl. Informationen der Bundesregierung zur Energiewende, abrufbar unter https://www.bundesregierung .de/breg-de/themen/energiewende/energiewende-im-ueberblick-229564 (letzter Abruf: 9. September 2020). 9 Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2020 – 1 BvR 1679/17, 1 BvR 2190/17, Rn. 100, juris.