© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 201/14 Verfassungsmäßigkeit einer bundesgesetzlichen Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 2 Verfassungsmäßigkeit einer bundesgesetzlichen Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 201/14 Abschluss der Arbeit: 21.10.2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 3 1. Einleitung 4 2. Grundlagen des Obduktionsrechts – Begriff, Rechtsgrundlagen und Sektionsarten 4 2.1. Begriff 4 2.2. Obduktionsarten und gesetzliche Regelungen 5 2.2.1. Bundesgesetze 5 2.2.2. Landesgesetze und privatrechtliche Verträge 5 2.2.3. Verwaltungssektion 6 3. Gesetzgebungskompetenz des Bundes 7 3.1. Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen 7 3.2. Bestattungs-, Leichen- und Obduktionswesen als Länderkompetenz 7 3.3. Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG 8 3.3.1. Gerichtliches Verfahren nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG 8 3.3.2. Strafrechtliche Zielsetzung einer Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge 9 4. Materielle Verfassungsmäßigkeit 10 4.1. Der postmortale Würdeschutz des verstorbenen Kindes 10 4.2. Das Totenfürsorgerecht der Eltern aus Art. 2 Abs. 1 GG 10 4.3. Eingriff und Rechtfertigung 11 4.3.1. Legitimes Ziel 11 4.3.2. Geeignetheit 11 4.3.3. Erforderlichkeit 12 4.3.4. Angemessenheit 12 5. Zusammenfassung der Ergebnisse und Beantwortung der Frage 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 4 1. Einleitung Im Jahr 2010 führte die Bremische Bürgerschaft eine Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge mit der Änderung des § 12 Bremer Gesetz über das Leichenwesen (Bremer LeichenG) ein.1 Der Einführung der Obduktionspflicht in § 12 Abs. 2 Bremer LeichenG lag der Kindesmisshandlungsfall des zweijährigen Kevin2 zu Grunde.3 Für die Bremer Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge gab es bis zum Ende des Jahres 2013 keinen einzigen Anwendungsfall.4 Die folgende Ausarbeitung vermittelt wegen der Regelungsdichte zunächst die rechtlichen Grundlagen des Leichenschau- und Obduktionswesens (2.). Sodann wird die Frage erörtert, ob der Bundesgesetzgeber eine einheitliche Obduktionsregelung nach dem Bremer Vorbild erlassen kann. In diesem Rahmen wird zuerst die formelle Verfassungsmäßigkeit einer einheitlichen Regelung untersucht (3.). Zudem wird die materielle Verfassungsmäßigkeit anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert (4.). Abschließend werden die Ergebnisse der Ausarbeitung zusammengefasst (5.). 2. Grundlagen des Obduktionsrechts – Begriff, Rechtsgrundlagen und Sektionsarten 2.1. Begriff Gegenstand einer Obduktion (auch Sektion genannt)5 ist der menschliche Leichnam.6 Unter einer Obduktion versteht man die innere Leichenschau bzw. Leichenöffnung zur Feststellung der Todesursache und/oder zur Rekonstruktion des Sterbevorgangs.7 Sie ist von der äußeren Leichenschau zu unterscheiden, bei welcher der Arzt die vollständig entkleidete Leiche von allen Seiten 1 Vgl. LT-Drs. 17/1250. 2 Bremer Polizisten entdeckten den Leichnam des schwer misshandelten Kindes im Oktober 2006 im Kühlschrank seines drogenabhängigen Ziehvaters: „Zweieinhalbjähriger Junge tot im Kühlschrank gefunden“, Frankfurter Allgemeine vom 10.10.2006, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/verbrechen -zweieinhalbjaehriger-junge-tot-im-kuehlschrank-gefunden-1383737.html, [Stand: 20. Oktober 2014). 3 Der „Fall Kevin“ wurde bei der Einführung der Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge immer wieder erwähnt, vgl. Bremische Bürgerschaft, Stenografischer Bericht der 70. Sitzung der Bremischen Bürgerschaft, Sitzung vom 17. Juni 2010, S. 5334. 4 Vgl. Bremische Bürgerschaft, LT-Drs. 18/1097, S. 4. 5 Schrems, Ist das geltende Friedhofs- und Bestattungsrecht noch zeitgemäß?, 2012, S. 245. 6 Dettmeyer, Obduktionsrecht in Deutschland seit 1949 – gesetzliche Regelungen, Reformvorschläge und Regelungsdefizite , in: Wienke/Rothschild/Janke, Rechtsfragen der Obduktion und postmortalen Gewebespende, 2012, S. 8. 7 Schliephorst, Rechtsgrundlagen einer klinischen Sektion in den Landesgesetzen und Krankenhausaufnahmeverträgen – Zustimmungslösung vs. Widerspruchslösung, in: Wienke/Rothschild/Janke, Rechtsfragen der Obduktion und postmortalen Gewebespende, 2012, S. 23. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 5 begutachtet und die sicheren Zeichen des Todes feststellt.8 Bei einem Todesfall besteht nach allen Ländergesetzen und -verordnungen die Pflicht zur Durchführung der äußeren Leichenschau durch einen approbierten Arzt.9 2.2. Obduktionsarten und gesetzliche Regelungen Das Obduktionsrecht ist in Deutschland nicht einheitlich kodifziert.10 Das Rechtsgebiet wird durch Bundesgesetze und durch Landesgesetze geregelt. Die Rechtslage im Obduktionsrecht ist im Gegensatz zur äußeren Leichenschau sehr restriktiv ausgestaltet. Die innere Leichenschau wird nur in bestimmten Fällen angeordnet. Die einschlägige Rechtsgrundlage hängt von der Obduktionsart ab. 2.2.1. Bundesgesetze Auf Bundesebene gibt es die strafprozessuale bzw. gerichtliche Obduktion gem. §§ 87 ff. Strafprozessordnung (StPO). Die strafprozessualen Vorschriften zur Sektion werden in den Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV) konkretisiert. Sie ist in der Praxis die häufigste Form der Sektion und soll der Aufklärung von Straftaten dienen. Die Seuchenobduktion gem. § 26 Abs. 3 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) findet statt, wenn das Vorliegen einer Seuche vermutet wird. Zudem ist durch Bundesgesetz die sozialversicherungspflichtige (berufsgenossenschaftliche) Obduktion gem. §§ 103 ff. Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) geregelt. Die sozialversicherungspflichtige Sektion dient der Nachprüfung, ob ein Arbeitsunfall zum Tode geführt hat oder nicht.11 Von dieser Sektion sind Versicherungsleistungen abhängig. 2.2.2. Landesgesetze und privatrechtliche Verträge Die landesgesetzlichen Regelungen zum Obduktionswesen sind in unterschiedlichen Gesetzen verankert. Eigenständige Obduktionsgesetze haben nur wenige Bundesländer erlassen (z. B. Berlin und Hamburg). Zum Teil sind Regelungen in den Bestattungsgesetzen der Länder zu finden (z. B. § 10 Bestattungsgesetz NRW). Deutlich wird dies bei der klinisch-wissenschaftlichen Obduktion , die teilweise durch landesgesetzliche Regelungen12 angeordnet und teilweise in privat- 8 Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Auflage 2010, § 133 Rn. 1. 9 Madea, Die ärztliche Leichenschau, 2. Auflage 2006, S. 19. 10 Dettmeyer, Obduktionsrecht in Deutschland seit 1949 – gesetzliche Regelungen, Reformvorschläge und Regelungsdefizite , in: Wienke/Rothschild/Janke, Rechtsfragen der Obduktion und postmortalen Gewebespende, 2012, S. 5. 11 Schliephorst, Rechtsgrundlagen einer klinischen Sektion in den Landesgesetzen und Krankenhausaufnahmeverträgen – Zustimmungslösung vs. Widerspruchslösung, in: Wienke/Rothschild/Janke, Rechtsfragen der Obduktion und postmortalen Gewebespende, 2012, S. 23. 12 So zum Beispiel geregelt in § 11 Bremer LeichenG oder § 10 Bestattungsgesetz NRW. Das Bayerische Bestattungsgesetz enthält hingegen keine direkte Regelung bzgl. der Anordnung einer klinischen Obduktion. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 6 rechtlichen Verträgen vereinbart wird. Die klinisch-wissenschaftliche Obduktion dient der Qualitätssicherung und Überprüfung ärztlichen und pflegerischen Handelns im Hinblick auf Diagnose, Therapie und Todesursache. Sie wird in der Regel im Krankenhaus von den Pathologieinstituten vorgenommen.13 Rechtsgrundlagen für derartige Obduktionen können auch privatrechtliche Verträge sein. Es handelt sich hierbei um Regelungen in den Krankenhausaufnahmeverträgen (Sektionsklauseln ).14 Auf Landesebene gibt es zudem die sog. Feuerbestattungssektion15, die angeordnet werden kann, wenn es zu Unstimmigkeiten bei der äußeren Leichenschau kommt und die Kremation des Leichnams verweigert wird.16 Auch die Obduktion zum Zwecke der studentischen Ausbildung (anatomische Sektion) wird zum Teil durch Landesgesetze (z. B. in § 8 Berliner Sektionsgesetz) geregelt .17 Auch Privatpersonen können einen Rechtsmediziner oder Pathologen mit der Durchführung einer Sektion beauftragen (Privatsektion).18 2.2.3. Verwaltungssektion Der Begriff Verwaltungssektion ist nicht legaldefiniert und wird in der medizinischen und rechtswissenschaftlichen Literatur unterschiedlich beurteilt.19 Es handelt sich hier um eine behördlich angeordnete Sektion, die bei unklaren Todesfällen in Betracht kommen soll.20 Sie verfolgt oft gesundheitspolitische Zwecke. Nur in Hamburg und in Bremen gibt es entsprechende Regelungen (z. B. § 7 ff. Sektionsgesetz Hamburg). 13 Schliephorst, Rechtsgrundlagen einer klinischen Sektion in den Landesgesetzen und Krankenhausaufnahmeverträgen – Zustimmungslösung vs. Widerspruchslösung, in: Wienke/Rothschild/Janke, Rechtsfragen der Obduktion und postmortalen Gewebespende, 2012, S. 24. 14 Dettmeyer, Obduktionsrecht in Deutschland seit 1949 – gesetzliche Regelungen, Reformvorschläge und Regelungsdefizite , in: Wienke/Rothschild/Janke, Rechtsfragen der Obduktion und postmortalen Gewebespende, 2012, S. 10. 15 Ehemals bundesgesetzlich geregelt durch § 2 Abs. 2 Ziff. 2 Feuerbestattungsgesetz. Das Feuerbestattungsgesetz ist durch Landesgesetze weitgehend ersetzt worden. 16 Dettmeyer, Obduktionsrecht in Deutschland seit 1949 – gesetzliche Regelungen, Reformvorschläge und Regelungsdefizite , in: Wienke/Rothschild/Janke, Rechtsfragen der Obduktion und postmortalen Gewebespende, 2012, S. 9. 17 Madea, Die ärztliche Leichenschau, 2. Auflage 2006, S. 157. 18 Madea, Die ärztliche Leichenschau, 2. Auflage 2006, S. 158. 19 Madea, Die ärztliche Leichenschau, 2. Auflage 2006, S. 154. Die Seuchensektion, die Feuerbestattungssektion und die sozialrechtliche Sektion wird von einigen Stimmen der Literatur auch als Verwaltungssektion eingeordnet : Pollähne, Die von Amts wegen angeordnete Sektion – Verwaltungssektion als Option für den Gesetzgeber?, in: Wienke/Rothschild/Janke, Rechtsfragen der Obduktion und postmortalen Gewebespende, 2012, S. 24. 20 Madea, Die ärztliche Leichenschau, 2. Auflage 2006, S. 154. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 7 3. Gesetzgebungskompetenz des Bundes Es ist zu prüfen, ob der Bundesgesetzgeber nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes bundesweit eine Obduktionspflicht für Kleinkinder bei unklaren Todesfällen einführen kann. 3.1. Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen Die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder sind vornehmlich in den Art. 70 ff. Grundgesetzes (GG) geregelt. Ausgangspunkt der Kompetenzverteilung ist Art. 70 GG. Grundsätzlich sind die Länder für die Gesetzgebung zuständig, wenn das Grundgesetz dem Bund nicht ausdrücklich eine Gesetzgebungskompetenz zuweist.21 Somit liegt der Kompetenzordnung des Grundgesetzes ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten der Länder zu Grunde.22 Art. 70 Abs. 2 GG unterscheidet zwischen zwei Arten von Kompetenztypen. Die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz. Die Kompetenztitel der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes sind in Art. 73 Abs. 1 GG, die der konkurrierenden Gesetzgebung in Art. 74 Abs. 1 GG geregelt. Ist ein Kompetenztitel des Art. 73 Abs. 1 GG einschlägig, dann ist nur der Bund befugt, die entsprechende Materie zu regeln, es sei denn, der Bund hat die Länder zur Gesetzgebung in diesem Bereich ermächtigt, vgl. Art. 71 GG. Grundsätzlich kann im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung entweder der Bundesgesetzgeber oder der Landesgesetzgeber gesetzgeberisch tätig werden.23 Nach Art. 72 Abs. 1 GG sind die Länder nur zur Gesetzgebung befugt, solange oder soweit der Bund noch keine Regelung auf diesem Gebiet erlassen hat. Insofern können die Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung Regelungen erlassen, wenn der Bund bisher untätig geblieben ist. 3.2. Bestattungs-, Leichen- und Obduktionswesen als Länderkompetenz Der Bundesgesetzgeber besitzt für das Obduktionswesen keine umfassende Gesetzgebungskompetenz .24 Grundsätzlich sind nur die Länder im Bereich des Gesundheitswesens, welches das Bestattungs -, Leichen- und Obduktionswesen umfasst, befugt Gesetze zu erlassen.25 Die Einführung einer bundesweiten einheitlichen Obduktionspflicht durch den Bundesgesetzgeber – sei es durch 21 Hebeler, JA 2010, 688 (688). 22 Rozek, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2010, Band 2, Art. 70 Abs. 1 Rn. 2. 23 Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 72 Rn. 1. 24 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Hertha Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, Dr. Michael Bürsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, BT-Drs. 13/10926, S. 4. 25 Heintzen, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 168. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 109. Ergänzungslieferung 2003), Art. 70 Rn. 82. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 8 eine Verwaltungssektion oder eine klinische Obduktion26 – mit einer gesundheitspolitischen Ausrichtung ist nach der jetzigen Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht möglich.27 Daraus folgt, dass der Bundesgesetzgeber nur in speziellen Fällen und soweit ihm ein Kompetenztitel nach Art. 74 Abs. 1 GG zugewiesen wird, eine Gesetzgebungskompetenz für den Bereich des Obduktionswesens hat. 3.3. Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes könnte sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ergeben.28 In Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG wird unter anderem bestimmt, dass der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das gerichtliche Verfahren hat. 3.3.1. Gerichtliches Verfahren nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Dieser Kompetenztitel gilt für alle Gerichtszweige und ist die Grundlage für die einzelnen Prozessordnungen .29 Er ist weit auszulegen und betrifft sämtliche Verfahrensschritte.30 Somit ist auch das strafprozessuale Ermittlungsverfahren und damit die Strafprozessordnung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG umfasst.31 Der Kompetenztitel ist einschlägig, wenn es um die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten geht.32 Dem Bundesgesetzgeber würde der Kompetenztitels aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG im Hinblick auf eine Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge zu kommen, wenn die Maßnahme dem strafprozessualen Ermittlungsverfahren zuzuordnen wäre. Hiergegen lässt sich zwar einwenden, dass bei einer derartigen Obduktionspflicht Anhaltspunkte für eine Straftat erst durch die Untersuchung begründet werden und es zuvor an dem für 26 Stimmen in der Literatur ordnen das Bremer Gesetz als Sonderfall des Obduktionswesens ein: Pollähne, Die von Amts wegen angeordnete Sektion – Verwaltungssektion als Option für den Gesetzgeber?, in: Wienke/Rothschild /Janke, Rechtsfragen der Obduktion und postmortalen Gewebespende, 2012, S. 44. 27 Die Bremer Obduktionspflicht für Kleinkinder wurde auf die Kompetenz der Länder für das Bestattungs- und Leichenwesen gestützt. Hierbei wird besonders die Zielsetzung als präventive Maßnahme der Gesundheitsfürsorge bei einer Obduktionspflicht für Kleinkinder hervorgehoben. Durch die Gesetzesänderung sollen Geschwisterkinder vor Erbkrankheiten oder Misshandlungen durch die Eltern geschützt werden, vgl. den Bericht zur Beratung im Rechtsausschuss: LT-Drs. 17/1586, S. 1 ff. Insofern bedürfe es für eine umfassende Regelung durch den Bund einer Verfassungsänderung, Hörnle, (Straf-)Rechtliche Aspekte der Sektion, in: Tag/Groß, Der Umgang mit der Leiche, 2010, S. 111. 28 So die Auffassung von Wiemker, Justiziar beim Bistum Osnabrück, LT-Drs. 17/1586, S. 6. 29 Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 74 Rn. 25. 30 Niedobitek, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 168. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 127. Ergänzungslieferung 2007), Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 63. 31 Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2010, Band 2, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 25. 32 Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 23. Ergänzungslieferung 1984), Art. 74 Rn. 82. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 9 ein Strafverfahren erforderlichen Anfangsverdacht fehlt, vgl. § 152 Abs. 2 StPO bzw. § 159 Abs. 1 StPO.33 Aber bei der Zuordnung zu einem Kompetenztitels ist nur der Gegenstand des Gesetzes maßgeblich , nicht sein Anknüpfungspunkt. Zudem ist auch die Frage der inhaltlichen Rechtmäßigkeit kein Gesichtspunkt dafür, ob sich eine Bundeszuständigkeit aus einem bestimmten Kompetenztitel herleiten lässt. Es ist daher nicht entscheidend, ob der Bundesgesetzgeber Strafverfahrensnormen schafft, die eingreifen, bevor der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt.34 Die Zuordnung eines Kompetenztitels richtet sich vielmehr danach, ob Inhalt und Zweck mit der Materie des Kompetenztitels übereinstimmen.35 3.3.2. Strafrechtliche Zielsetzung einer Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge Insbesondere der Gesetzeszweck spielt eine maßgebliche Rolle bei der kompetenzrechtlichen Zuordnung (funktionale Qualifikation).36 Der historische Hintergrund – der Missbrauchsfall Kevin – liefert zudem gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge strafprozessuale Zwecke verfolgt. Tötungsdelikte können bei Missbrauchsfällen von Kleinkindern und Säuglingen leicht verdeckt werden. Beispielsweise sind Todesfälle aufgrund eines Schütteltraumas nur schwer zu diagnostizieren.37 Durch eine innere Leichenschau können solche unnatürlichen Todesfälle aufgedeckt werden. Liegt daher der Schwerpunkt des Gesetzes in der Ermittlung und Aufdeckung von tödlichen Kindesmisshandlungen, dann hat eine Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge bei unklaren Todesfällen eine strafprozessuale Zielsetzung . Dem Bundesgesetzgeber kommt daher bei einer entsprechenden Obduktionspflicht, die jegliche gesundheitspolitische Aspekte ausklammert, eine Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu, wenn der Hauptzweck in der Aufdeckung von Kindesmissbrauchsfällen liegt. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass der Bundesgesetzgeber aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht daran gehindert ist, eine Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge bundesweit einzuführen. 33 So die Gesetzesbegründung, LT-Drs. 17/1250, S. 4. 34 BVerfGE 103, 21 (30). 35 Heintzen, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 168. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 109. Ergänzungslieferung 2003), Art. 70 Rn. 132. 36 Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2010, Band 2, Art. 70 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 55. 37 So auch der Landesgesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung: LT-Drs. 17/1250, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 10 4. Materielle Verfassungsmäßigkeit Abschließend ist zu prüfen, ob eine bundeseinheitliche Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge auch materiell verfassungsgemäß wäre. Insbesondere ist zu untersuchen, ob mit einer entsprechenden Obduktionspflicht unzulässig in Grundrechte eingegriffen wird. 4.1. Der postmortale Würdeschutz des verstorbenen Kindes Mit der Einführung einer bundeseinheitlichen Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge werden keine grundrechtlichen Positionen der verstorbenen Kinder verletzt. Das Bundesverfassungsgericht erkennt einen über das Leben hinauswirkenden Würdeschutz aus Art. 1 Abs. 1 GG an (postmortaler Würdeschutz),38 denn es wäre mit der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn der Achtungsanspruch des Menschen nach dem Tod herabgewürdigt werden könnte.39 Insofern könnte zwar mit der Einführung einer Obduktionspflicht für Kleinkinder der postmortale Würdeschutz des verstorbenen Kindes verletzt sein. Aber das Bundesverfassungsgericht hat zur Frage, wann eine Leichenöffnung im Strafprozessrecht vorgenommen werden kann, entschieden,40 dass die Leichenöffnung nach § 87 StPO nicht den allgemeinen Achtungsanspruch des Verstorbenen herabwürdigt.41 Gleiches muss daher auch für eine Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge mit strafprozessualem Hintergrund zur Aufklärung von tödlichen Kindesmisshandlungsfällen gelten. 4.2. Das Totenfürsorgerecht der Eltern aus Art. 2 Abs. 1 GG Durch die Einführung einer Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge sind die Grundrechte der Eltern betroffen. Insbesondere in das Totenfürsorgerecht der Eltern könnte durch eine entsprechende Regelung in verfassungswidriger Weise eingegriffen werden.42 Die Totenfürsorge ist in Art. 2 Abs. 1 GG verankert.43 Es umfasst das Recht und die Pflicht der nächsten Angehörigen des Verstorbenen, über den Leichnam zu bestimmen, über die Art seiner Bestattung eine Entscheidung zu treffen und die letzte Ruhestätte für ihn auszuwählen.44 38 BVerfGE 30, 173 (194). 39 BVerfGE 30, 173 (194). 40 BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 1994, AZ: 2 BvR 1912/93, NJW 1994, 783 ff. 41 BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 1994, AZ: 2 BvR 1912/93, NJW 1994, 783 (784). 42 Siegfried vertritt zwar die Ansicht, dass eine Obduktionspflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG eingreifen würde, Siegfried, GesR 2010, 654 (658). Diese Ansicht ist aber zu weitgehend, wenn sie durch eine Obduktionsplicht für Kleinkinder den Wesensgehalt des Elternrechts berührt sieht. 43 BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 1994, AZ: 2 BvR 1912/93, NJW 1994, 783 (784); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 39. Ergänzungslieferung 2001), Art. 2 Rn. 56. 44 Küpper, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 1968 BGB Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 11 4.3. Eingriff und Rechtfertigung Die Anordnung einer staatlichen Obduktion ist daher ein Eingriff in das Totenfürsorgerecht der Angehörigen im Hinblick auf das Bestimmungsrecht über den Leichnam.45 Ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG unterliegt dem grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht bei der Anordnung von Obduktionen hervorgehoben, dass Eingriffe in die Totenfürsorge zur Rechtfertigung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen müssen.46 Die Verhältnismäßigkeit ist gewahrt, wenn die Maßnahme einem legitimen Ziel dient, geeignet, erforderlich und angemessen ist.47 4.3.1. Legitimes Ziel Der Gesetzgeber hat bei der Festlegung des legitimen Ziels einen weiten Gestaltungsspielraum.48 Das Strafrecht verfolgt neben der Strafverfolgung auch generalpräventive und spezialpräventive Zwecke, womit eine entsprechende Regelung dem Kindeswohl dienen würde. Eine bundeseinheitliche Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge dient der Aufdeckung von tödlichen Kindesmisshandlungsfällen. Der Gesetzgeber würde mit der Einführung einer strafprozessualen bundeseinheitlichen Regelung, die eine solche Zielsetzung verfolgt, den ihm eingeräumten Gestaltungspielraum aufgrund der besonderen Schutzwürdigkeit von Kindern nicht überschreiten. 4.3.2. Geeignetheit Eine bundeseinheitliche Obduktionspflicht müsste zudem geeignet sein, das legitime Ziel zu erreichen . Geeignet ist eine Maßnahme, wenn anzunehmen ist, dass sie den erstrebten Erfolg herbeiführt , wobei die Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit der Zweckerreichung für die Geeignetheit einer Maßnahme ausreichend ist.49 Eine Obduktion ist zeitnah vorzunehmen und dient gerade dazu, Hinweise für ein Fremdverschulden aufzudecken. Eine rechtsmedizinische Obduktion zum Zwecke der Straftatenaufklärung wäre somit nur nicht geeignet, wenn sich durch eine Obduktion keine neuen Erkenntnisse ergeben würden.50 Jede Obduktion ist potentiell in der Lage, bisher unerkannte, forensische und versicherungsmedizinische Aspekte hervorzubringen.51 Die Obduktion der Leiche bietet dem Rechtsmediziner weitere Diagnosemöglichkeiten, weswegen sie 45 Dettmeyer, Die verfassungsrechtlichen Grenzen für die gesetzliche Einführung einer Verwaltungssektion bei medizinisch unklaren Todesfällen, 1999, S. 184. 46 BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 1994, AZ: 2 BvR 1912/93, NJW 1994, 783 (784). 47 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 48. Ergänzungslieferung 2006), Art. 20 Rn. 110. 48 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 20 Rn. 150. 49 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 20 Rn. 150. 50 Czerner, Archiv für Kriminologie 2010, 1 (10). 51 Czerner, Archiv für Kriminologie 2010, 1 (10). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 12 auch Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden liefern kann. Diese Möglichkeit der Zweckerreichung genügt, um die Geeignetheit der Maßnahme zu bejahen. 4.3.3. Erforderlichkeit Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn kein milderes – gleich effektives – Mittel zur Erreichung des Zwecks vorhanden ist. Der Gesetzgeber besitzt für die Beurteilung der Erforderlichkeit einen Einschätzungsspielraum. Eine äußere Leichenschau ist kein milderes Mittel zur Aufklärung von Straftaten, denn durch eine äußere Leichenschau können keine genauen Feststellungen getroffen werden. Die Rechtsmedizin bietet fortschrittlichere und exaktere Möglichkeiten zur Bestimmung der Todesursache bzw. Feststellung, ob ein Fremdverschulden vorliegt.52 Auch der Bremer Gesetzgeber führte die Obduktionspflicht vor dem Hintergrund ein, dass viele tödliche Schädigungen bei Kleinkindern durch die äußere Leichenschau nicht aufgedeckt werden können.53 Insofern ist die Einführung einer Obduktionspflicht für Kleinkinder gerade vor dem Hintergrund der Strafverfolgung erforderlich. 4.3.4. Angemessenheit Zudem darf das Mittel nicht außer Verhältnis zum Zweck stehen. Die Maßnahme muss nach einer Gesamtabwägung aller relevanten Umstände auch angemessen sein (Zweck-Mittel Relation). Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne muss daher ergeben, dass die Maßnahme für den Betroffenen zumutbar ist.54 Das Bundesverfassungsgericht betont, dass Eingriffe unverhältnismäßig sind, wenn der gesetzlich geregelte Eingriffsanlass kein hinreichendes Gewicht aufweist .55 Bestimmte Grundrechtseingriffe dürften nur zum Schutz bestimmter Rechtsgüter und erst beim Vorliegen von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen angeordnet werden. Diese Erwägungen zum Verfassungsschutzgesetz können insoweit für die Angemessenheitsprüfung übertragen werden. Eine mögliche bundeseinheitliche Obduktionspflicht nach dem Bremer Vorbild würde dazu führen , dass Obduktionen an Kleinkindern und Säuglinge nicht angeordnet werden dürfen, wenn die Todesursache „zweifelsfrei erkennbar“ oder „zweifelsfrei bekannt“ ist, vgl. § 12 Abs. 2 S. 1 Bremer LeichenG. Teilweise wird in der Literatur ohne nähere Begründung diese Obduktionsregelung wegen ihrer Pauschalität als unverhältnismäßig erachtet.56 52 Czerner, Archiv für Kriminologie 2010, 1 (10). 53 LT-Drs. 17/1250, S. 5. 54 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 20 Rn. 154. 55 BVerfGE 120, 274 (326 f.). 56 Pollähne, Die von Amts wegen angeordnete Sektion – Verwaltungssektion als Option für den Gesetzgeber?, in: Wienke/Rothschild/Janke, Rechtsfragen der Obduktion und postmortalen Gewebespende, 2012, S. 48. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 13 Es ist zuzugeben, dass diese Obduktionspflicht eine weitreichende Regelung darstellt. Bei näherer Betrachtung wird ersichtlich, dass eine mögliche bundeseinheitliche Regelung nach dem Bremer Vorbild nicht an einem Tatverdacht im strafprozessualen Sinne anknüpfen würde. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass eine Obduktion angeordnet werden kann, wenn sie zur Erfüllung der den Strafverfolgungsorganen obliegenden Aufgaben geeignet und erforderlich ist. Man dürfe keine zu hohen Anforderungen an das Vorliegen von Gründen für die Anordnung einer Obduktion stellen.57 Es sei daher zulässig, Obduktion in einem frühen Stadium anzuordnen , wenn nach den Einzelfallumständen eine strafbare Handlung als Todesursache nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne.58 Das Bundesverfassungsgericht zeigt mit dieser Entscheidung , dass die Anordnung einer strafprozessualen Obduktion nur selten die Grundrechte der Betroffenen verletzen bzw. gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen dürfte. Das Interesse an der Aufklärung von Straftaten ist bei Tötungsdelikten – insbesondere von Kleinkindern – als besonders hoch einzustufen.59 Bei Kleinkindern besteht gerade die Besonderheit , dass in gewissen Fällen ein Fremdverschulden nur nach einer Obduktion festgestellt werden kann. Der Gesetzgeber trägt diesen Besonderheiten bei Tötungsdelikten von Kleinkindern mit der Einführung einer Obduktionspflicht Rechnung. Er würde im Hinblick auf die Bedeutung von Kapitalverbrechen und dem Aufklärungsinteresse der Allgemeinheit daher wohl nicht seinen Gestaltungsspielraum überschreiten. Eine Obduktionspflicht dürfte insbesondere auch deshalb zumutbar sein, weil sie sich nicht auf solche Fälle erstrecken würde, in denen die Todesursache – sei es z. B. durch eine Krankheit – bekannt ist oder aufgrund der Umstände – wie z. B. bei einem Autounfall – zweifelsfrei erkennbar ist. Das Gesetz würde daher keine ausnahmslose Obduktionspflicht vorsehen. Des Weiteren hätten die Eltern auch das Recht, innerhalb von 24 Stunden Widerspruch einzulegen, vgl. § 12 Abs. 2 S. 4 Bremer LeichenG. Mit diesem Widerspruch könnten die Eltern die Obduktionsentscheidung von dem zuständigen Amtsgericht überprüfen lassen. Somit genügt das Gesetz auch Art. 19 Abs. 4 GG. Vielfach wird einer entsprechenden Regelung entgegengehalten, dass die Eltern eines verstorbenen Kindes durch eine Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge unter Generalverdacht gestellt werden.60 Hierbei ist zuzugeben, dass von einem solchen Gesetzesvorhaben potentiell eine entsprechende Wirkung ausgeht. Aufgrund des überragenden Interesses der Allgemeinheit an der Aufklärung von Kapitalverbrechen gegenüber Kindern – gerade weil entsprechende Fälle besonders im Fokus der Öffentlichkeit stehen – dürfte eine entsprechende Wirkung des Gesetzesvorhabens jedoch in Kauf zu nehmen sein. Zudem geht von diesem Gesetzesvorhaben auch eine generalpräventive bzw. spezialpräventive Wirkung im Hinblick auf das Kindeswohl aus. Trotz 57 BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 1994, AZ: 2 BvR 1912/93, NJW 1994, 783 (784). 58 BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 1994, AZ: 2 BvR 1912/93, NJW 1994, 783 (784). 59 Der Staat darf im Interesse des Schutzes seiner Bürger keine Tötungsdelikte in Kauf nehmen: Czerner, Archiv für Kriminologie 2010, 1 (14). 60 Auf diesen Aspekt weisen insbesondere die Kirchen bei der Beratung der Bremer Regelung im Rechtsausschuss hin: LT- Drs. 17/1586, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 201/14 Seite 14 eines möglichen Generalverdachts dürfte nach einer Abwägung aller relevanten Belange eine Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge angemessen sein. Der Eingriff in das Grundrecht der Totenfürsorge gem. Art. 2 Abs. 1 GG erscheint nach alledem verhältnismäßig und daher verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die materielle Verfassungsmäßigkeit dürfte daher gewahrt sein. 5. Zusammenfassung der Ergebnisse und Beantwortung der Frage Der Gesetzgeber kann nach der hier vertretenen Auffassung eine bundeseinheitliche Obduktionspflicht für Kleinkinder und Säuglinge erlassen. Diese Regelung darf keine gesundheitspolitischen Zwecke, sondern ausschließlich strafprozessuale Zwecke verfolgen, da es dem Bund sonst an einer Gesetzgebungskompetenz fehlt. Eine solche Regelung dürfte auch materiell verfassungsgemäß sein. Eine strafprozessuale Obduktion zur Aufklärung von Straftaten würdigt den postmortalen Achtungsanspruch der verstorbenen Kinder nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht herab. Die Einführung einer Obduktionspflicht greift zwar in das Recht der Totenfürsorge der Eltern nach Art. 2 Abs. 1 GG ein. Sie dient aber der Aufklärung von Kapitalverbrechen und erscheint damit insgesamt verhältnismäßig .