Deutscher Bundestag Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen Zur Vereinbarkeit des § 13 Nr. 2 und 3 BWahlG mit Art. 29 Buchst. a) des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 201/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 201/12 Seite 2 Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen Zur Vereinbarkeit des § 13 Nr. 2 und 3 BWahlG mit Art. 29 Buchst. a) des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 201/12 Abschluss der Arbeit: 18. Juli 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 201/12 Seite 3 1. Einleitung Die Ausarbeitung enthält überwiegend überarbeitete und aktualisierte Ausführungen einer früheren Ausarbeitung des Fachbereichs Verfassung und Verwaltung.1 Das Wahlrecht ist eines der elementarsten Rechte in einem demokratisch organisierten Staat, ein „politisches Grundrecht“.2 In der Bundesrepublik Deutschland steht es gemäß Art. 38 GG grundsätzlich jedem erwachsenen Staatsbürger zu. Bestimmte Menschen werden durch Bundesgesetze von der Teilnahme am Wahlrecht ausgeschlossen. Die im Folgenden genannten Ausschlüsse sind nach herrschender Ansicht verfassungsgemäße Schranken der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl: Nach § 13 Nr. 2 Bundeswahlgesetz (BWahlG)3 sind Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen, denen für die Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer bestellt wurde. Dies betrifft nach § 1896 BGB4 Volljährige, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können. Der Ausschluss des Wahlrechts nach § 13 Nr. 2 BWahlG tritt allerdings nur selten auf, da ein Betreuer in der Regel nur für bestimmte Aufgabenkreise bestellt wird, zu deren Erledigung der Betroffene außer Stande ist.5 Eine allumfassende Betreuung erfolgt nur, wenn der Betroffene keine seiner Angelegenheiten selbst erledigen kann. Dies muss sämtliche Bereiche betreffen, die die Lebenssituation des Betroffenen ausmachen. Des Weiteren werden gemäß § 13 Nr. 3 BWahlG auch Menschen, die sich auf Grund einer Anordnung nach § 63 i. V. m. mit § 20 des Strafgesetzbuches (StGB)6 in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden, vom Wahlrecht ausgeschlossen. § 20 StGB, der die Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen regelt, besagt, dass „ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“ Von den Personen, die eine Straftat begangen haben, dabei aber nach soeben Gesagtem schuldunfähig waren, werden aller- 1 , Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen – Zur Vereinbarkeit der §§ 13 Nr. 2 und 3 BWahlG, 6 a Abs. 1 Nr. 2 und 3 EuWG mit supranationalen Abkommen, Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 350/11 vom 7. November 2011. 2 Palleit, Gleiches Wahlrecht für alle? Menschen mit Behinderungen und das Wahlrecht in Deutschland, in: Policy Paper des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Nr. 18 Oktober 2011, abrufbar unter http://www.institut-fuer-menschenrechte .de/uploads/tx_commerce/policy_paper_18_gleiches_wahlrecht_fuer_alle.pdf, S. 4. 3 Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. April 2002 (BGBl. I S. 518) geändert worden ist. 4 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. Mai 2012 (BGBl. I S. 1084) geändert worden ist. 5 Siehe hierzu auch , Die Bestellung eines Betreuers als Wahlrechtssausschlussgrund, Zur Vereinbarkeit des Europawahlgesetzes mit der UN-Berhindertenrechtskonvention, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung WD 3 – 3000- 325/10 vom 27. Juli 2010, S. 5 f. 6 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 25. Juni 2012 (BGBl. I S. 1374) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 201/12 Seite 4 dings nach § 63 StGB nur diejenigen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, von denen infolge ihres „Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und (die) deshalb für die Allgemeinheit gefährlich (sind)“. Fraglich ist, ob diese Wahlrechtsausschlussregelungen mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention – BRK) 7 vereinbar sind. 2. Völkerrechtliche Vorgaben im Hinblick auf das Wahlrecht Mit dem gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG erforderlichen Zustimmungsgesetz vom 21. Dezember 2008 ist die UN-Behindertenrechtskonvention, die in Art. 29 allen Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe am politischen Leben garantiert, Bestandteil der deutschen Rechtsordnung geworden. In Art. 12 BRK verpflichten sich die Vertragsstaaten, geeignete Maßnahmen zu treffen, um Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit in allen Lebensbereichen zu ermöglichen. Ferner verbürgt Art. 25 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbp R)8 das Recht und die Möglichkeit, unterschiedslos und ohne unangemessene Einschränkungen an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen. Dieses Abkommen wurde 1973 durch das entsprechende Zustimmungsgesetz zum IPbpR9 in das deutsche Recht inkorporiert, so dass der Vertragsinhalt nunmehr einfaches Bundesrecht darstellt. Hierzu hat der UN-Menschenrechtsausschuss eine „Allgemeine Bemerkung Nr. 25“10 veröffentlicht. Derartige „Allgemeine Bemerkungen“ sind zwar nicht völkerrechtlich verbindlich, formulieren aber den jeweils aktuellen Stand der Interpretation der Menschenrechtsnormen durch die zuständigen Vertragsausschüsse der Vereinten Nationen und haben daher politisch-rechtliches Gewicht.11 In dieser Bemerkung wird betont, dass das grundsätzlich allen Staatsbürgern zustehende Wahlrecht nur aus gesetzlich vorgesehenen sowie objektiven und sachgerechten Gründen eingeschränkt werden darf (Erwägung Nr. 10). Weiter heißt es, dass es beispielsweise gerechtfertigt sein könne, das Wahlrecht einer Person zu verweigern, deren Unzurechnungsfähigkeit feststehe (Erwägung Nr. 4). Darüber hinaus werden in der Menschenrechts- 7 UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006, Ratifizierung durch die Bundesrepublik Deutschland: BGBl. 2008 II, S. 1419. 8 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II 1553). 9 BGBl 1973 II, S. 1533. 10 UN Human Rights Committee, General Comment No. 25 (57), UN Doc.: CCPR/C/21/Rev.1/Add.7 27. August 1996, abrufbar in englisch: http://daccess-ddsny .un.org/doc/UNDOC/GEN/G96/180/94/PDF/G9618094.pdf?OpenElement (Stand 13. Juli 2012), in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Bielefeldt, Die „General Comments“ zu den VN-Menschenrechtsverträgen, Deutsche Übersetzung und Kurzeinführung, 2005, S. 113ff. 11 Bielefeldt (Fn. 10), S.5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 201/12 Seite 5 kommission sowie in der Generalversammlung der UNO als Beispiele für einen zulässigen Wahlausschluss Geisteskranke ausdrücklich aufgeführt.12 Zu nennen ist schließlich auch das 1. Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten,13 das in Art. 3 die Vertragsparteien dazu verpflichtet, freie Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten. Dieses Protokoll ist in Deutschland am 13.Februar 1957 in Kraft getreten.14 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 20. Mai 201015 erklärt, dass die von Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls garantierten Rechte nicht absolut seien. Vielmehr bestehe Raum für implizite Beschränkungen. Der den Staaten dabei grundsätzlich zustehende Beurteilungsspielraum sei indes dort substantiell enger, wo Grundrechte einer besonders gefährdeten Gruppe, wie der Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung, eingeschränkt werden sollen. Hier seien gewichtige Gründe erforderlich . Eine unterschiedslose Aberkennung des Wahlrechts, ohne rechtsförmliche und individualisierte Beurteilung, stelle keinen berechtigten Grund in diesem Sinne dar.16 Die nachfolgende Darstellung skizziert den Meinungsstand in der Literatur zur Vereinbarkeit der deutschen Wahlausschlussregelung mit den genannten völkerrechtlichen Abkommen. 3. Ausschluss des Wahlrechts nach § 13 Nr. 2 BWahlG 3.1. Argumente für die Vereinbarkeit des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr. 2 BWahlG mit Völkerrecht Die Bundesregierung konstatiert unter Bezugnahme auf Art. 29 BRK sowie Art. 25 IPbpR, dass das Wahlrecht „nur Personen zustehen soll, die rechtlich in vollem Umfang selbstständig handlungs - und entscheidungsfähig sind.“17 Es setze ein Mindestmaß an Einsichtsfähigkeit voraus, so dass bei fehlender Fähigkeit zu einer bewussten und reflektierten Wahlentscheidung die Teilnahme an der Wahl nicht sinnvoll erscheine.18 Aufgrund des Charakters eines höchstpersönlichen Rechtes könne hierbei auch keine Unterstützung oder Vertretung durch einen etwaigen Betreuer erfolgen. Bei § 13 Nr. 2 BWahlG handele es sich daher um eine gesetzlich niedergelegte objektive und angemessene Einschränkung, die nach Art. 25 IPbpR sowie der Allgemeinen Be- 12 Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, CCPR-Kommentar, 1989, Art. 25 des Paktes Rn. 23. 13 Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung des Protokolls Nr. 11, Paris, 20. März 1952. 14 Gesetz über das Zusatzprotokoll vom 20.03.1952 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten , BGBl 1956 II, S. 1879; siehe zu dieser Argumenation auch: , WD 3 – 3000 -325/10 (Fn. 5). 15 Kiss./.Ungarn, Application No. 38832/06. 16 In dem Urteil ging es um eine Aberkennung des Wahlrechts aufgrund bestehender Teilvormundschaft wegen geistiger bzw. psychischer Behinderung. 17 BT-Drs. 16/10808, S. 64; BT-Drs 17/5323, S. 12. 18 So auch Schreiber, in: BWahlG Kommentar, 8. Auflage 2009, § 13 Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 201/12 Seite 6 merkung Nr. 25 anerkanntermaßen zulässig sei. Art. 29 BRK stehe dem ebenfalls nicht entgegen, da dieser keine weitergehenden politischen Rechte für Menschen mit Behinderungen begründen wolle, sondern lediglich die in Art. 25 IPbpR festgeschriebenen staatlichen Verpflichtungen wiedergebe .19 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine verantwortliche Ausübung des Wahlrechts in einer Demokratie die Fähigkeit zu verantwortlichem und selbstbestimmtem Handeln voraus.20 Es erschiene daher nur folgerichtig, Personen davon auszuschließen, denen es von vornherein an den dafür erforderlichen geistigen Fähigkeiten fehle. Dabei handele es sich um eine traditionelle Begrenzung des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl,21 die einen Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung darstelle.22 Eine explizite Bezugnahme auf die Vereinbarkeit mit Völkerrecht nimmt das Gericht allerdings nicht vor, obwohl jedenfalls der IPbpR zur Zeit der Urteile bereits in Kraft getreten war. Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichtes könnte jedoch als Beleg dafür herangezogen werden, dass es sich beim Ausschluss bestimmter Menschen mit Behinderungen vom Wahlrecht um eine sachgerechte Einschränkung im Sinne der Allgemeinen Bemerkung Nr. 25 zum IPbpR handelt. Große Teile der Kommentarliteratur halten die deutsche Regelung für verfassungsrechtlich unbedenklich , ohne dabei näher auf völkerrechtliche Bestimmungen einzugehen. Sie gehen dabei von der Prämisse aus, dass die Teilnahme an einer Wahl nur für Menschen möglich sein soll, die deren Inhalt erfassen können. Menschen, die durch geistige Gebrechen an der Einsicht, worum es bei der Wahl geht, gehindert sind, sollen daher von der Teilnahme ausgeschlossen sein.23 Diese Argumentation spricht wiederum für einen angemessenen und sachgerechten Ausschlussgrund im Sinne der völkerrechtlichen Bestimmungen. Zudem ließe sich anführen, dass – wie unter 1. bereits beschrieben – der Ausschlussgrund der Betreuung zur Besorgung aller Angelegenheiten („Totalbetreuung“) nach dem heutigen Betreuungsrecht (§ 1896 Abs. 2 BGB) nur ausnahmsweise bei entsprechender Erforderlichkeit einschlägig sei, also einen praktisch äußerst seltener Fall darstelle, so dass wegen des Ausnahmecharakters von einer diskriminierungsfreien Beschränkung der Teilhabe am politischen Leben ausgegangen werden könne.24 19 BT-Drs. 16/10808, S. 64. 20 BVerfGE 44, S. 125 (147). 21 BVerfGE 36, S. 139 (141 f.). 22 BVerfGE 67, S. 146 (148). 23 Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Loseblatt, 64. Ergänzungslieferung 2012, Art. 38 Rn. 93; Trute , in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 38 Rn. 24; Roth, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz Mitarbeiterkommentar, 2002, Art. 38 Rn. 42; Meyer in: HStR III, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 4; Morlok in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, II, 2. Aufl. 2006, Art. 38 Rn 72; Mit dem Befund auch völkerrechtlicher Unbedenklichkeit: Schreiber (Fn. 18), § 13 Rn. 8 ff., 12. 24 , WD 3 – 3000 -325/10 (Fn. 5), S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 201/12 Seite 7 3.2. Argumente gegen die Vereinbarkeit des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr.2 BWahlG mit Völkerrecht Das Deutsche Institut für Menschenrechte – Monitoringstelle zur BRK – hält die deutsche Regelung über den Wahlrechtsausschluss dagegen für diskriminierend und unverhältnismäßig. Der Ausschluss stehe im Widerspruch zu heutigen menschenrechtlichen Standards sowie zum Grundgesetz, welches im Lichte der BRK auszulegen sei.25 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes wird kritisiert. Zum einen handele es sich um zwei veraltete Beschlüsse aus den Jahren 1973 und 1984, in denen lediglich historisch, nicht aber inhaltlich argumentiert werde .26 Diese seien nunmehr mit Inkrafttreten der BRK nicht mehr haltbar, denn sie bezögen sich nur auf die davor geltende Rechtslage. Die BRK unterscheide gerade nicht zwischen fähigen und unfähigen Wählern, da eine solche Differenzierung willkürlich und diskriminierend wäre. Sie würde zu einer laut Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowie des EU-Kommissars für Menschenrechte unzulässigen Stigmatisierung führen, die im Widerspruch zur EMRK stünde.27 Die BRK schreibe in ihren Art. 3 und 12 Abs. 3 vor, dass Menschen mit Behinderungen die notwendige Unterstützung zukommen müsse, um aktive Partizipation als Ausdruck gleicher Rechte und gleicher Würde zu ermöglichen. Die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sollte danach auch solchen Menschen gewährt werden, die die herkömmlichen Anforderungen an Vernunft und Normalität nicht erfüllen und ggf. Hilfe bei der Entscheidungsfindung benötigten.28 Ferner wird angeführt, dass grundsätzlich nicht alle Menschen in der Lage seien, die Bedeutung sowie die Konsequenzen eines Wahlganges zu begreifen. Dennoch existierten keinerlei Tests zur Feststellung der Einsichtsfähigkeit. Eine pauschale Unterstellung, diese würde Menschen mit Behinderungen generell fehlen, sei daher diskriminierend. Ein weiteres Hauptargument der Kritiker der deutschen Regelung über den Wahlausschluss besteht darin, dass das Wahlrecht an keiner Stelle eine vernünftige Entscheidung verlange. Die Ausübung des Wahlrechts müsse daher nicht zwangsläufig auf einer weitsichtigen, vernunftbasierten , individuellen Entscheidung beruhen. Vielmehr sei es zulässig, aus Protest unvernünftig zu wählen oder gar der Wahl völlig fern zu bleiben. Die Wahlhandlung eines jeden Menschen müsse daher akzeptiert werden, ohne persönliche Gründe oder Motive zu hinterfragen, sogar wenn sie im Einzelfall irrational oder sachfremd sei.29 Schließlich sei auch der Einwand, eine Wahlteilnahme behinderter Menschen sei besonders missbrauchsanfällig, nicht als Rechtfertigung für einen Wahlausschluss geeignet. Vielmehr sei es die Aufgabe des Staates, einem solchen Missbrauch vorzubeugen. 25 Palleit, (Fn. 2), S. 12. 26 Palleit (Fn. 2), S. 12 f.; Morlok, in: Dreier Grundgesetz Kommentar, Band II, 2. Auflage 2006, Art. 38 Rn. 72. 27 Palleit (Fn. 2), S. 13. 28 Palleit (Fn. 2), S. 13. 29 Palleit (Fn. 2), S. 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 201/12 Seite 8 Die Tatsache, dass von der Ausschlussregelung nur ein äußerst geringer Teil der Bevölkerung betroffen ist, sieht das Institut für Menschenrechte umso mehr als Anlass, Menschen mit Behinderungen eine Wahlteilnahme zu ermöglichen. Denn die demokratische Legitimation der dann vom gesamten Volk gewählten Vertreter würde so gestärkt, ohne dass die Funktionsfähigkeit der Demokratie beziehungsweise ihrer Institutionen beeinträchtigt würde.30 Als völkerrechtlich bedenklich wird zudem die mangelnde Bestimmtheit der betreuungsrechtlichen Anknüpfung an den Wahlrechtsausschlussgrund der §§ 13 Nr. 2 BWahlG, 6a Abs. 1 Nr.2 EuWG angesehen. Denn das betreuungsrechtliche Anknüpfungskriterium zöge in pauschaler Form den Ausschluss vom Wahlrecht nach sich, geboten sei aber vielmehr eine individuelle Prüfung der Wahlfähigkeit. Vor dem Hintergrund, dass die BRK als Konkretisierung der bestehenden Menschenrechte verstanden werde, setze sie neue Maßstäbe für das Ziel der Integration behinderter Menschen in die Gesellschaft. Dies gehe vor allem aus Art. 12 der BRK deutlich hervor, der „jedem Menschen mit Behinderung gleichberechtigt in allen Lebensbereichen Rechts- und Handlungsfähigkeit garantiert und soweit erforderlich, die benötigte Unterstützung, die der behinderte Mensch für die Ausübung seiner Rechts- und Handlungsfähigkeit benötigt.“ Der Schwerpunkt liege somit auf der Achtung und insbesondere der Förderung der Selbstbestimmung, von Rechtsentzug sei aber gerade nicht die Rede.31 4. Ausschluss des Wahlrechts nach § 13 Nr. 3 BWahlG 4.1. Argumente für die Vereinbarkeit des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr.3 BWahlG mit Völkerrecht Die Kommentarliteratur hält den Wahlrechtsausschlussgrund nach § 13 Nr. 3 BWahlG für völkerrechtlich unbedenklich.32 Dies wird lediglich festgestellt, eine Begründung hierzu erfolgt allerdings an keiner Stelle. 4.2. Argumente gegen die Vereinbarkeit des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr.3 BWahlG mit Völkerrecht Das Deutsche Institut für Menschenrechte hält auch den Wahlrechtsausschlussgrund des § 13 Nr. 3 BWahlG für völkerrechtswidrig. Diesbezüglich wird vorgebracht, dass § 20 StGB darauf abstelle, dass solche Personen schuldunfähig seien, die „bei Begehung der Tat unfähig seien, das Unrecht der Tat einzusehen“.33 Dementsprechend befinde das Gericht im Strafprozess über die Schuldunfähigkeit nur bezogen auf den in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt der Tat, nicht aber darüber, ob die betreffende Person für die Zukunft zur politischen Willensbildung in der 30 Palleit (Fn. 2), S. 14. 31 Hellmann, Zur Vereinbarkeit des Wahlrechtsausschusses nach § 13 Nr. 2 BWG mit bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen, in: BtPrax 2010/5, 208 (212). 32 Schreiber (Fn. 18), § 13 Rn. 18, 3. 33 Palleit (Fn. 2), S. 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 201/12 Seite 9 Lage sein werde.34 Die vom Gericht zu treffende Prognoseentscheidung darüber, ob der Täter „für die Allgemeinheit gefährlich ist“ und demnach gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden müsse, beziehe sich damit ausschließlich auf die Gefahr weiterer Straftaten.35 Vor allem zeige ein Vergleich mit psychisch kranken Menschen, die in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht seien, aber nicht straffällig geworden seien und denen daher auch das Wahlrecht nicht entzogen werde, wie diskriminierend die Regelung des § 13 Nr. 3 BWahlG sei. 36 Begangene Straftaten und die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit könnten keine brauchbaren und ausreichenden Kriterien für den Entzug des aktiven Wahlrechts sein.37 5. Ergebnis Die in der Demokratie zentrale Bedeutung von Wahlen als Grundlage legitimen staatlichen Handelns spricht für einen Wahlrechtsausschluss von Menschen, denen ein Mindestmaß an Einsichtsfähigkeit in die Bedeutung einer Wahl und die Fähigkeit zu verantwortlichem, selbstbestimmtem Handeln fehlen. Dies kann die Folge von Behinderungen sein. Wahlrechtsausschlüsse setzen in jedem Fall eine richterliche Entscheidung voraus, wobei die wahlrechtliche Folge in die Entscheidungsfindung einzubeziehen ist. Im Sinne der Allgemeinen Bemerkung Nr. 25 zum UN-Zivilpakt sind entsprechende Beschränkungen grundsätzlich möglich und vereinbar mit dem daraus abgeleiteten Art. 29 BRK.38 Folgt man hingegen der Kritik des Deutschen Instituts für Menschenrechte, wäre es denkbar, die Wahlrechtsausschlüsse des § 13 Nr. 2 und 3 BWahlG aufzugeben oder gesetzlich eine ausdrücklich auf das Wahlrecht bezogene richterliche Entscheidung aufgrund mangelnder Einsichtsfähigkeit in die Bedeutung von Wahlen zu verlangen. 34 Palleit (Fn. 2), S. 15. 35 Fischer/Tröndle, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 59. Auflage 2009, § 63 Rn. 7ff. 36 Palleit (Fn. 2), S. 16. 37 EGMR Urteil vom 23.11.2010, Rechtssache Greens und M.T: gegen Vereinigtes Königreich, 60041/08 und 60054/08, Ziff. 73 – 79, abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-101853. 38 Hellmann (Fn. 31), S. 209.