© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 200/18 Zustimmungsvorbehalt des Bundestages beim Erlass einer Verordnung zu Pflegeberufen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 200/18 Seite 2 Zustimmungsvorbehalt des Bundestages beim Erlass einer Verordnung zu Pflegeberufen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 200/18 Abschluss der Arbeit: 3. Juli 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 200/18 Seite 3 1. Fragestellung Das Gesetz über die Pflegeberufe (PflBG) vom 17. Juli 2017 enthält in § 56 Abs. 1 eine Verordnungsermächtigung : 1Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und das Bundesministerium für Gesundheit werden ermächtigt, gemeinsam durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates in einer Ausbildungs- und Prüfungsverordnung […] [Einzelheiten zu sechs benannten Punkten] zu regeln. 2Die Rechtsverordnung ist dem Bundestag zur Beschlussfassung zuzuleiten. 3Die Zuleitung erfolgt vor der Zuleitung an den Bundesrat. 4Die Rechtsverordnung kann durch Beschluss des Bundestages geändert oder abgelehnt werden. 5Der Beschluss des Bundestages wird der Bundesregierung zugeleitet. […] Es stellt sich die Frage, ob die Verordnung der Zustimmung des Bundestages bedarf. 2. Änderungs- und Ablehnungsvorbehalt Die Literatur bezeichnet Klauseln wie § 56 Abs. 1 S. 4 PflBG als „Änderungs- und Ablehnungsvorbehalt “.1 Ein typisches Beispiel2 ist § 67 Kreislaufwirtschaftsgesetz: Rechtsverordnungen nach § 8 Absatz 2, § 10 Absatz 1 Nummer 1 und 4, den §§ 24, 25 und 65 sind dem Bundestag zuzuleiten. Die Zuleitung erfolgt vor der Zuleitung an den Bundesrat. Die Rechtsverordnungen können durch Beschluss des Bundestages geändert oder abgelehnt werden. Der Beschluss des Bundestages wird der Bundesregierung zugeleitet. Hat sich der Bundestag nach Ablauf von drei Sitzungswochen seit Eingang der Rechtsverordnung nicht mit ihr befasst, so wird die unveränderte Rechtsverordnung dem Bundesrat zugeleitet.3 Bleibt der Bundestag nach Zuleitung drei Sitzungswochen lang untätig, ist die parlamentarische Beteiligung beendet.4 Die Geschäftsordnung des Bundestages sieht in § 92 ein Verfahren für zugeleitete Rechtsverordnungen vor, die einen binnen Frist auszuübenden Zustimmungsund Ablehnungsvorbehalt enthalten. Dieses Verfahren ist auf zugeleitete Rechtsverordnung mit Änderungs- und Ablehnungsvorbehalt wohl entsprechend anzuwenden, auch wenn die Frist sich nicht auf die Entscheidung, sondern nur auf die „Befassung“ bezieht.5 § 92 GO-BT sieht 1 Siehe im Einzelnen Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 241 ff. 2 Vgl. die Standardformulierungen im Handbuch der Rechtsförmlichkeit, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz, 3. Auflage 2008, Teil C, Nr. 6.6, http://hdr.bmj.de/page_c.6.html. 3 Hervorhebung durch Autor. 4 Vgl. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 241 ff.: Sämtliche bislang zur Anwendung gelangten Vorbehalte enthalten eine Fristenklausel, siehe auch Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, 9. Auflage, Loseblatt, Stand: 18.11.2016, § 92 GO-BT, Nr. 4 b. 5 Vgl. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 246 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 200/18 Seite 4 die Überweisung an den Ausschuss durch den Bundestagspräsidenten vor (im Benehmen mit dem Ältestenrat), einen Ausschussbericht und eine anschließende „Beschlussfassung“ des Bundestages. In diesem Sinne hat der Bundestag z. B. einen auf § 67 Kreislaufwirtschaftsgesetz6 gestützten Entwurf einer Verordnung vom 22. Mai 1996 gem. § 92 GO-BT an den zuständigen Ausschuss überwiesen.7 Auf Basis der Beschlussempfehlung des Ausschusses hat das Plenum sodann am 13. Juni 1996 einen Beschluss gefasst.8 Im Vergleich zu § 67 Kreislaufwirtschaftsgesetz ist die Beteiligung des Bundestages in § 56 Abs. 1 PflBG in zweierlei Hinsicht stärker ausgestaltet:9 - § 56 Abs. 1 PflBG sieht keine Frist für die Ausübung des Vorbehalts vor. - Zu dem Änderungs- und Ablehnungsvorbehalt in S. 4 tritt in S. 2 das Erfordernis einer Beschlussfassung hinzu (Beschlussklausel). Daher sprechen gute Gründe dafür, dass für den Erlass einer Rechtsverordnung nach § 56 Abs. 1 PflBG eine Beschlussfassung des Bundestages erst Recht erforderlich ist.10 Unter Beschlussfassung dürfte bei § 56 Abs. 1 PflBG eine Entscheidung in der Sache zu verstehen sein (z. B. Kenntnisnahme und Weiterleitung an den Bundesrat; Zustimmung; Ablehnung; etc.). Nur bei fristgebundenen Mitwirkungsklauseln wie § 67 Kreislaufwirtschaftsgesetz kann die Entscheidung über die Vertagung eine Entscheidung in der Sache bedeuten, insoweit die Vertagung die Ausübung des Ablehnungsvorbehalts verfristet.11 Für einen Beschluss des Bundestages ist grundsätzlich eine Mehrheitsentscheidung des Plenums erforderlich (vgl. Art. 42 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz – GG). Aus dem PflBG oder dessen Begründung 12 ergibt sich kein anderweitiger Anhaltspunkt. Es ist ein verfassungsrechtlich zulässiges Vorgehen, wenn sich der Bundestag gesetzlich die Zustimmung über den Entwurf von Verordnungen vorbehält.13 Änderungsvorbehalte kommen 6 In der bis 2012 geltenden Fassung als § 59. 7 Hierauf weist Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 245, hin. 8 BT-PlPr. 13/121, S. 10896B-10896C. 9 Vgl. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 241 ff.: Sämtliche bislang zur Anwendung gelangten Vorbehalte enthalten eine Fristenklausel. 10 Vgl. Uhle, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, 2014, E § 24 Rn. 87. 11 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, 9. Auflage, Loseblatt, Stand: 18. November 2016, § 92 GO-BT, Nr. 4 b. 12 BT-Drs. 18/7823, S. 94, Begründung zu § 56. 13 BVerfGE 8, 274 (321); Uhle, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 37. Edition, Stand: 15. Mai 2018, Art. 80 Rn. 55 mit weiteren Nachweisen; Uhle, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, 2014, E § 24 Rn. 88. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 200/18 Seite 5 in der Praxis regelmäßig vor.14 Sie sind in der verfassungsrechtlichen Literatur aber nicht unumstritten .15 Das Bundesverfassungsgericht hat über die Zulässigkeit solcher Änderungsvorbehalte soweit ersichtlich noch nicht entschieden. Es sprechen aber gute Gründe dafür, dass der Änderungsvorbehalt als Teil des parlamentarischen Kontrollrechts grundsätzlich zulässig ist.16 3. Fehlende Beschlussfassung Eine Verordnung ist grundsätzlich nichtig, wenn die gesetzlich vorgesehene Befassung des Bundestages fehlt.17 Das PflBG dient der Umsetzung18 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen.19 Das Fehlen einer Rechtsverordnung kann im Einzelfall dazu führen, dass Europarecht nicht rechtzeitig umgesetzt wird. Dies führt zwar zu einer Verletzung von Europarecht im Verhältnis des Mitgliedstaates zur Europäischen Union, hebt jedoch innerstaatlich den Zustimmungsvorbehalt des Bundestages nicht auf. *** 14 Uhle, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 37. Edition, Stand: 15. Mai 2018, Art. 80 Rn. 57. 15 Uhle, ebenda, mit weiteren Nachweisen. 16 Uhle, ebenda. 17 Uhle, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, 2014, E § 24 Rn. 87; für den Fall des Zustimmungsvorbehalts Uhle, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 37. Edition, Stand: 15. Mai 2018, Art. 80 Rn. 54. 18 So der Hinweis des Gesetzgebers in Fußnote 1, BGBl. 2017 I S. 2581. 19 ABl. L 255 vom 30. September 2005, S. 22; L 271 vom 16. Oktober 2007, S. 18; zuletzt geändert durch den Delegierten Beschluss (EU) 2016/790 (ABl. L 134 vom 24. Mai 2016, S. 135).