Einkommensabhängige Gewährung von Kindergeld - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 199/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Einkommensabhängige Gewährung von Kindergeld Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 199/08 Abschluss der Arbeit: 2. Juni 2008 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Drucksachen- und juris-Recherche: (Hotline W). Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - - Zusammenfassung - Aus Art. 6 Abs. 1 GG folgt eine Verpflichtung des Staates zum Familienleistungsausgleich . Wie der Gesetzgeber dieser Pflicht nachkommt, ist nicht verfassungsrechtlich vorgeschrieben; dem Gesetzgeber steht daher grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum zu. Er hat neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen . Daraus folgt, dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht keine durchgreifenden Bedenken gegen ein einkommensabhängiges Kindergeld gibt. Aus dem Grundsatz der horizontalen Steuergerechtigkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG und der Wirkung von Art. 6 Abs. 1 GG folgt jedoch, dass Steuerpflichtige mit Kind gegenüber solchen ohne Kind immer besser gestellt sein müssen, dies gilt unabhängig vom Einkommen. - 4 - 1. Funktion und Rechtsnatur des Kindergeldes Aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 3 GG folgt eine allgemeine Pflicht des Gesetzgebers zum Familienleistungsausgleich1. Dieser Ausgleich hat eine doppelte Funktion: Er soll die durch Kinder geminderte steuerliche Leistungsfähigkeit ausgleichen und zugleich die Familie fördern. Auf welche Weise der Gesetzgeber dieser Verpflichtung zum sozialen Ausgleich nachkommt , ist verfassungsrechtlich nicht determiniert. Das Bundesverfassungsgericht hat folgende Möglichkeiten für zulässig erklärt2: - Berücksichtigung im Steuerrecht durch Freibeträge, - Berücksichtigung im Sozialrecht durch ein ausreichendes Kindergeld oder - Berücksichtigung durch eine Kombination beider Systeme. Der Gesetzgeber hat sich für die Kombination entschieden. Regelungen zum Kindergeld finden sich für unbeschränkt Steuerpflichtige im Einkommensteuergesetz (EStG) und für beschränkt Steuerpflichtige im Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Das Kindergeld nach dem BKGG ist subsidiär.3 Das Kindergeld wird monatlich und einkommensunabhängig gezahlt. Rechtstechnisch hat das Kindergeld zwei Dimensionen4: Es ist eine Steuervergütung. Das Existenzminimum eines Kindes ist bei den Eltern steuerfrei zu stellen. Hierdurch wird der Minderung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen durch Kinder Rechnung getragen. Es ist eine Sozialleistung. Bei Eltern mit geringem Einkommen, die in geringem Umfang Einkommenssteuer zahlen, ist das Kindergeld – soweit es den Steuerpflichtigen gegenüber dem Ansatz der Kinderfreibeträge besser stellt5 – eine weitere Familienförderung . 1 Früher „Familienlastenausgleich“, BVerfGE 99, 216 ff.; Osterloh, Lerke, in: Sachs, Michael (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 4. Auflage 2007, Art. 3 Rn. 155 ff.; Starck, Christian, in: von Mangoldt, Hermann (Begr.); Klein, Friedrich; Starck, Christian (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, 5. Auflage 2005, Art. 3 Abs. 1 Rn. 198 und Robbers, Gerhard, a.a.O., Art. 6 Abs. 1 Rn. 100. 2 Grundlegend BVerfG, NJW 1990, 2869 (2870). 3 Kaiser-Plessow, Utta, Funktion des Kindergelds, FPR 2003, 39 (40). 4 Becksches Steuerlexikon, Edition 1/08, Stichwort Kindergeld, Rn. 2 ff.; Beckerhoff, Petra, Kein Kindergeld für Besserverdienende. Ein Weg zu mehr Gerechtigkeit, Soziale Sicherheit 1999, 311 (312), beigefügt als Anlage; Kaiser-Plessow (Fn. 3), FÜR 2003, 39 (42); Kanzler, Hans-Joachim, Anmerkung zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29.5.1990, FR 1990, 457 (458); Jüptner, Roland, Bundesverfassungsgericht: Familienlastenausgleich verfassungswidrig, StVj 1990, 307 (308 ff.). 5 Ausführlich zur Prüfung der steuerlichen Seite Kaiser-Plessow (Fn. 3), FÜR 2003, 39 (42). - 5 - Diese Differenzierung ist für die Frage, ob das Kindergeld auch einkommensabhängig ausgezahlt werden könnte, wichtig, weil die Verfassung für Regelungen im Sozialrecht andere Maßstäbe aufstellt als für steuerrechtliche Normen.6 2. Formelle Verfassungsmäßigkeit In formeller Hinsicht bestünden keine Bedenken: Kindergeld ist als „öffentliche Fürsorge “ Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 Grundgesetz (GG).7 Der Bundesgesetzgeber hat mit den gesetzlichen Regelungen zum Kindergeld in BKKG und EStG von seiner Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich des Kindergeldes bereits Gebrauch gemacht und könnte die Gesetze entsprechend anpassen. 3. Materielle Verfassungsmäßigkeit 3.1. Prüfungsmaßstab Für die materielle Verfassungsmäßigkeit ist – wie aufgezeigt – zwischen den beiden Funktionen des Kindergeldes zu unterscheiden. In beiden Kontexten sind jedoch Grundrechte der Betroffenen und sonstige Vorgaben des Grundgesetzes zu beachten. Im Schwerpunkt betroffen sind: - Art. 3 Abs. 1 GG, allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz, - Art. 6 Abs. 1 GG, Schutz von Ehe und Familie, - Art. 20 Abs. 1 GG, Sozialstaatsprinzip Der Schutz aus Art. 14 Abs. 1 GG greift nicht durch, da das Kindergeld nicht unter den Eigentumsbegriff des Art. 14 Abs. 1 GG fällt.8 Zu beachten wäre aber das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG. Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips ist der Grundsatz der Rechtssicherheit, der wiederum unter bestimmten Voraussetzungen Vertrauensschutz gebieten kann. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere der Fall, wenn Gesetze rückwirkend in Rechtspositionen des Bürgers eingreifen.9 Zu unterscheiden ist zwischen echter und unechter Rückwirkung.10 Bei der echten Rückwirkung wird in bereits abgeschlossene Sachverhalte eingegriffen. Hier geht die herrschende Auffassung da- 6 Vgl. BVerfG, NJW 1990, 2869 (2870). 7 Pieroth, Bodo, in: Jarass, Hans D.; Pieroth, Bodo, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 9. Auflage 2007, Art. 74 Rn. 17. 8 BSG NJW 1987, 463 (463); Wendt, Rudolf, in: Sachs (Fn. 1), Art. 14 Rn. 35. 9 Ob Fragen der Rückwirkung an Art. 20 Abs. 2, Abs. 3 GG festgemacht werden können oder in Grundrechten verankert, ist nur ein dogmatische Frage, die hier keiner Entscheidung bedarf. 10 Bzw. zwischen Rückbewirkung von Rechtsfolgen und tatbestandlicher Rückanknüpfung. Das Bundesverfassungsgericht verwendet beide Begriffpaare, hinter denen sich inhaltlich dasselbe verbirgt. - 6 - von aus, dass dies grundsätzlich unzulässig ist.11 Bereits gezahltes Kindergeld dürfte demnach nicht zurück gefordert werden. Bei der unechten Rückwirkung wird in bereits begonnene, aber noch nicht vollständig abgeschlossene Vorgänge mit Wirkung allein für die Zukunft eingewirkt. Eine Kürzung des Kindergeldes mit Wirkung für die Zukunft stellt demnach eine unechte Rückwirkung dar. Dies ist grundsätzlich zulässig12, es sei denn, der Betroffene brauchte mit dem künftigen Eingriff nicht zu rechnen und konnte ihn deshalb bei seinen Dispositionen nicht berücksichtigen.13 Es muss also abgewogen werden zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschutzes des Einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Zieles für die Allgemeinheit.14 Eine Vorschrift des Sozialrechts verstößt danach allenfalls dann gegen den rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutz, wenn der Staat aus besonderen Gründen einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.15 Sonst kann der Betroffene nicht davon ausgehen, dass finanzielle Leistungen grundsätzlich und in gleicher Höhe weiter gewährt werden.16 3.2. Das Kindergeld als Sozialleistung In seiner Eigenschaft als Sozialleistung könnte das Kindergeld ausweislich höchstrichterlicher Rechtsprechung an die soziale Bedürftigkeit der Familie angepasst werden. Dies lässt sich insbesondere aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 199017 schließen, in dem über die Verfassungsmäßigkeit des damaligen § 10 Abs. 2 BKKG geurteilt wurde. § 10 Abs. 2 BKKG a.F. lautete auszugsweise: „(…) Das Kindergeld für das 2. und jedes weitere Kind wird nach dem in Satz 4 genannten Maßstab stufenweise bis auf einen Sockelbetrag von 70 Deutsche Mark für das 2. Kind, 140 Deutsche Mark für jedes weitere Kind gemindert, wenn das Jahreseinkommen des Berechtigten und seines nicht dauernd von ihm getrenntlebenden Ehegatten den für ihn maßgeblichen Freibetrag um wenigstens 480 Deutsche Mark übersteigt. (…)“ 11 Sachs, in: Sachs (Fn. 1), Art. 20 Rn. 133, m.w.N. 12 Sachs, in: Sachs (Fn. 1), Art. 20 Rn. 136, m.w.N. 13 BVerfGE 14, 288 (299). 14 BVerfGE 51, 356 (362, 363). 15 BSG NJW 1987, 463 (463) m.w.N. 16 BSG NJW 1987, 463 (463). 17 BVerfG, NJW 1990, 2869 ff. = BVerfGE 82, 60 ff.; zusammenfassende Darstellung bei Beckerhoff (Fn. 4), SozSich 1999, 311 (312), beigefügt als Anlage; Kanzler (Fn. 4), FR 1990, 457 f.; Lehner, Moris, Der Familienleistungsausgleich nach dem Jahressteuergesetz 1996, in: Verfassung, Theorie und Praxis des Sozialstaats, Festschrift für Hans F. Zacher zum 70. Geburtstag, 1998, S. 511 (515). - 7 - Das Gericht hat folgende zentralen Aussagen getroffen: Eine Kürzung des Kindergeldes für Familien, deren Einkommen erheblich über dem Durchschnitt liegt, verstößt nicht gegen das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG.18 Das Sozialstaatsprinzip gebietet lediglich eine Sozialordnung, die dem Bürger einen Anspruch auf Leistungen des Staates gibt, soweit sein Existenzminimum nicht gewährleistet ist.19 Ansprüche auf bestimmte Sozialleistungen in einer bestimmten Höhe oder auf das Unterlassen bestimmter finanziell wirksamer Eingriffe lassen sich hingegen nicht aus Art. 20 Abs. 1 GG herleiten.20 Auch Art. 6 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Zwar folgt aus der Verpflichtung zum Schutz von Ehe und Familie die Pflicht zum Familienleistungsausgleich.21 Die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise dieser Verpflichtung nachzukommen sei, obliegt jedoch dem Gesetzgeber. Dieser hat auch bei der Familienförderung sonstige öffentliche Belange zu berücksichtigen, etwa die Finanzierbarkeit bestimmter Maßnahmen mit Blick auf Gemeinschaftsbelange.22 Schließlich verstößt eine mögliche Kürzung des Kindergeldes für einkommensstärkere Familien auch nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 3 GG.23 Zwar liegt eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung von einkommensstarken und einkommensschwachen Familien vor. Diese ist aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil der Gesetzgeber davon ausgehen darf, dass einkommensstärkere Familien nicht durch eine aus allgemeinen Steuermitteln gezahlte Sozialleistung entlastet werden müssen. Es muss allein dafür gesorgt werden, dass die Einkommensgrenzen willkürfrei bestimmt werden.24 Allein aus der sozialrechtlichen Perspektive gibt es demnach keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.25 18 BVerfG, NJW 1990, 2869, (2870). 19 So schon BVerfGE 1, 97 (104). 20 BVerfG, NJW 1990, 2869 (2870); BSG, NJW 1987, 463 (463). 21 BVerfG, NJW 1990, 2869 (2870). 22 BVerfG, NJW 1990, 2869 (2870). 23 BVerfG, NJW 1990, 2869 (2870 f.). 24 BVerfG, NJW 1990, 2869 (2871). 25 Zustimmend Felix, Dagmar, Die Bedeutung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Eltern und Kind im Kindergeldrecht, FuR 1994, 197 (198). - 8 - 3.3. Das Kindergeld als Steuervergütung Aus der steuerrechtlichen Perspektive gibt es allerdings höhere verfassungsrechtliche Hürden für ein einkommensabhängiges Kindergeld. Jede einkommensabhängige Gewährung müsste folgende Mindestanforderungen erfüllen26: - Steuerfreiheit des Existenzminimums27 sämtlicher Familienmitglieder, - Prinzip der Steuergerechtigkeit nach Art. 3 Abs. 1 GG unter besonderer Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG. Dabei ist bei der Prüfung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes zwischen der vertikalen und der horizontalen Steuergerechtigkeit zu unterscheiden:28 In vertikaler Richtung muss die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen.29 In horizontaler Richtung muss darauf geachtet werden, dass nur Steuerpflichtige mit der gleichen Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden dürfen.30 Steuerpflichtige mit Kindern sind aufgrund ihrer Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den Kindern wirtschaftlich belasteter als Steuerpflichtige ohne Kind. Diesem Umstand muss wegen Art. 6 Abs. 1 GG im Steuerrecht Rechnung getragen werden. Steuerpflichtige mit Kindern dürfen dementsprechend nicht genauso behandelt werden wie Steuerpflichtige ohne Kind, weil sie wirtschaftlich weniger leistungsfähig sind. Daraus folgt, dass das Existenzminimum aller Familienmitglieder steuerfrei gestellt werden muss, unabhängig vom individuellen Grenzsteuersatz.31 Jenseits dieses verfassungsrechtlich gebotenen Freibetrages hat der Gesetzgeber aber einen Einschätzungsspielraum und kann z.B. soziale Aspekte berücksichtigen.32 Der Gesetzgeber muss also für alle Steuerpflichtigen mit Kind das Existenzminimum für alle Familienmitglieder freihalten , unabhängig vom Einkommen, oder aber die wirtschaftliche Belastung anders kompensieren.33 Nur wenn dies erfüllt ist, kann das Kindergeld einkommensabhängig gezahlt werden. 26 BVerfG, NJW 1990, 2869 (2871 ff.). 27 Zum Grundfreibetrag BVerfGE 87, 153 ff.; zum Kinderexistenzminimum BVerfGE 99, 246 ff.; BVerfGE 99, 268; BVerfGE 99, 273 ff. 28 Statt vieler: Heun, Werner, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, 2. Auflage 2004, Art. 3 Rn. 75. 29 BVerfG, NJW 1990, 2869 (2872). 30 BVerfG, NJW 1990, 2869 (2872). 31 BVerfG, NJW 1990, 2869 (2872); BVerfGE 91, 93 (109); Starck (Fn. 1), Art. 6 Abs. 1 Rn. 103. 32 BVerfG, NJW 1990, 2869 (2873); Volk, Dieter; Volk, Sabine, Sind die Kindergeldkürzungen gemäß § 10 Abs. 2 und 3 BKKG verfassungsmäßig?, MDR 1995, 762 (763). 33 Robbers (Fn. 1), Art. 6 Abs. 1 Rn. 105, mw.N. - 9 - Nicht zulässig ist es hingegen, eine Durchbrechung der horizontalen Steuergerechtigkeit nur mit dem Gedanken der vertikalen Steuergerechtigkeit zu rechtfertigen.34 Das bedeutet, dass die verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht allein darauf gestützt werden könnte, dass einkommensstärkere Steuerpflichtige mit Kindern leistungsstärker sind als einkommensschwächere Steuerpflichtige mit Kind.35 Dies ist – wie aufgezeigt – erst dann als Argument zulässig, wenn sichergestellt ist, dass die horizontale Steuergerechtigkeit hergestellt ist. Ausgangspunkt: Einkommensstarke Steuerpflichtige mit Kind Einkommensstarke Steuerpflichtige ohne Kind Einkommensstärkere Steuerpflichtige mit Kind Einkommensstärkere Steuerpflichtige ohne Kind Einkommensschwache Steuerpflichtige mit Kind Einkommensschwache Steuerpflichtige ohne Kind Notwendige Schritte: Aus Art. 6 Abs. 1 GG folgt eine Kompensationspflicht des Gesetzgebers in horizontaler Hinsicht aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der genannten Vergleichsgruppen. Ist diese Kompensation erfolgt, können Sozialleistungen einkommensabhängig ausgestaltet werden. 34 BVerfG, NJW 1990, 2869 (2872). 35 Siehe etwa Laux, Hans, Einkommensgrenzen beim Kindergeld wären verfassungswidrig, FamRZ 1981, 740 (741). Horizontale Steuergerechtigkeit V er ti k a le S te u e rg er ec h ti g k ei t - 10 - 4. Ergebnis Dem Gesetzgeber steht grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum bei der Entscheidung darüber zu, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz der Familie verwirklichen will.36 Er hat neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten.37 Demgemäß lässt sich aus der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist.38 Daraus folgt, dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht keine durchgreifenden Bedenken gegen ein einkommensabhängiges Kindergeld gibt. Zu beachten ist jedoch, dass aus dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit folgt, dass einkommensstärkeren Steuerpflichtigen mit Kindern zumindest ein Freibetrag in Höhe des Existenzminimums zustehen muss, damit eine verfassungsrechtlich unzulässige Gleichbehandlung mit einkommensstärkeren Steuerpflichtigen ohne Kind vermieden wird.39 5. Anlagenverzeichnis - Beckerhoff, Petra, Kein Kindergeld für Besserverdienende. Ein Weg zu mehr Gerechtigkeit , Soziale Sicherheit 1999, 311 ff. - Anlage - 36 Vgl. BVerfGE 43, 108 (124); BVerfGE 82, 60 (81); zu Einschränkungen aufgrund Art. 6 Abs. 1 GG siehe Schmitt-Kammler, Arnulf, in: Sachs (Fn. 1), Art. 6 Rn. 39. 37 Vgl. BVerfGE 82, 60 (82); BVerfGE 87, 1 (35 f.); BVerfGE 103, 242 (259). 38 Vgl. BVerfGE 87, 1 (36); BVerfGE 103, 242 (259); BVerfGE 106, 166 (178). 39 Siehe mögliche Modelle bei Beckerhoff (Fn. 4), beigefügt als Anlage.