© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 198/19 Regelung von Restitutionsansprüchen und das Rückwirkungsverbot Zur Zulässigkeit nachteiliger Gesetzesänderungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 198/19 Seite 2 Regelung von Restitutionsansprüchen und das Rückwirkungsverbot Zur Zulässigkeit nachteiliger Gesetzesänderungen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 198/19 Abschluss der Arbeit: 07.08.2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 198/19 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung beschäftigt sich mit der Frage, ob es zulässig wäre, die Geltendmachung von Restitutionsansprüchen für frühere Konfiskationen und Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone und in der ehemaligen DDR für die Zukunft zu begrenzen. Da ein konkreter Gesetzentwurf bisher nicht vorliegt, können nur allgemeine Ausführungen erfolgen . Diese beschränken sich zudem auf verfassungsrechtliche Aspekte. Unions- und völkerrechtliche Fragen sind nicht Gegenstand der Ausarbeitung. 2. Rechtsgrundlagen für Restitutionsansprüche Mit der Teilung Deutschlands und den damit einhergehenden unterschiedlichen Staats-, Wirtschafts - und Gesellschaftsentwicklungen in den beiden Teilen Deutschlands kam es zu hunderttausenden von ungeklärten Vermögensverhältnissen.1 Im Zuge der Wiedervereinigung 1990 wurden zur Beseitigung dieses Zustandes grundlegende rechtliche Regelungen geschaffen.2 Die Anspruchsgrundlagen für Restitutionen bzw. Entschädigungen stehen in verschiedenen Gesetzen, um der Differenziertheit von enteignenden Hoheitsträgern und verschiedenen Rechtssystemen, unter denen Enteignungen vor der Wiedervereinigung durchgeführt wurden, gerecht zu werden. Ansprüche finden sich im Wesentlichen im Vermögensgesetz (VermG) und im Entschädigungsund Ausgleichsleistungsgesetz (EALG). Bereits in der Gemeinsamen Erklärung vom 15.06.19903 zur Regelung offener Vermögensfragen haben die Regierungen der BRD und der DDR bestimmt, dass ein zukünftiges gesamtdeutsches Parlament Regelungen über eine Restitution der seit 1945 eingetretenen, auf staatlichen Zwängen beruhenden Vermögensverschiebungen schaffen müsse.4 Das VermG vom 23.09.1990, das in der DDR noch vor deren Beitritt in Kraft trat und mit dem Einigungsvertrag in den Geltungsbereich des vereinigten Deutschlands übergeleitet wurde,5 hat das Ziel der Wiedergutmachung teilungsbedingten Unrechts gegenüber Eigentümern, die außerhalb der DDR ihren Wohnsitz hatten, Flüchtlingen und Übersiedlern. Der Geltungsbereich des Gesetzes umfasst nach § 1 vermögensrechtliche Ansprüche an Vermögenswerten, die entschädigungslos enteignet und in Volkseigentum überführt wurden (lit. a), gegen eine geringere Entschädigung 1 Hirschinger, in: Nomos Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht, Erläuterungen zum Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen, Einleitung, 1. Zweck des Gesetzes; einen Überblick zum historischen Hintergrund und den Problemlagen im Hinblick auf die Restitution von Kunst- und Kulturgut liefert die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Restitution von Kunst- und Kulturgut, das von Behörden der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone/DDR entzogen wurde, WD 10 - 3000 - 010/15 vom 12.02.2015. 2 Hirschinger, (Fn. 1). 3 BGBl. II S. 1237. 4 Redeker, Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit im Wiedergutmachungsrecht, Zeitschrift für Vermögens - und Immobilienrecht (VIZ) 2001, S. 177 ff. (S. 177). 5 Hirschinger, (Fn. 1), 2. Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 198/19 Seite 4 enteignet wurden, als sie Bürgern der früheren Deutschen Demokratischen Republik zustand (lit. b), durch staatliche Verwalter oder nach Überführung in Volkseigentum durch den Verfügungsberechtigten an Dritte veräußert wurden (lit. c) oder auf der Grundlage des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrates vom 9. Februar 1972 und im Zusammenhang stehender Regelungen in Volkseigentum übergeleitet wurden (lit. d). Nach den §§ 3 ff. VermG ist dabei grundsätzlich die Restitution der Vermögenswerte vorgesehen. Der Gemeinsamen Erklärung von 1990 folgte der Bundestag schließlich, indem er am 27.09.19946 das EALG verabschiedete, welches mehrere Gesetze – differenziert nach unterschiedlichen historischen Ereignissen – umfasst. In Art. 1 EALG ist das Entschädigungsgesetz (EntschG) geregelt, das die Grundlage für die Berechnung und Auszahlung der in der DDR erlittenen Vermögensverluste bildet.7 Es kommt in Fällen , in denen die Restitution wegen Unmöglichkeit der Rückgabe (vgl. § 4 Abs. 1 und 2, § 6 Abs. Abs. 1 S. 1 und § 11 Abs. 5 VermG) oder „redlichen Erwerbs“ ausgeschlossen ist oder der Berechtigte eine Entschädigung gewählt hat, zur Anwendung (vgl. § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EntschG). Art. 2 EALG enthält das Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG), das die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage im Zuge der von 1945 bis 1949 erfolgten „Bodenreform“ zur Regelungsmaterie hat.8 Im Gegensatz zu den Enteignungen, die während der Zeit der DDR durchgeführt wurden, ist eine Restitution selbiger für die Zeit unter der sowjetischen Besatzung nach der Gemeinsamen Erklärung nicht vorgesehen. Dieser Restitutionsausschluss wurde sogar mit Einfügung des Art. 143 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich normiert und dessen Verfassungsmäßigkeit im Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23.04.1991 („Bodenreform I“)9 und im Beschluss vom 18.04.1996 („Bodenreform II“)10 bestätigt. Neben einigen Sonderregelungen verweist das AusglLeistG im Wesentlichen auf das EntschG. Allerdings werden die Ansprüche der Berechtigten durch Ausschlussfristen in den jeweiligen Gesetzen begrenzt. Besonders relevante Ausschlussfristen finden sich in folgenden Normen: § 30a VermG legt fest, dass Rückübertragungsansprüche nach den §§ 3 und 6 sowie Entschädigungsansprüche nach § 6 Abs. 7 und § 8 nicht mehr nach dem 31.12.1992, für bewegliche Sachen nach dem 30.06.1993 angemeldet werden können. § 12 Abs. 1 S. 5 EntschG bestimmt, dass ein Antrag auf Entschädigung nur bis zum Ablauf des sechsten Monats nach Eintritt der Bestandskraft oder Rechtskraft der Entscheidung nach dem Vermögensgesetz gestellt werden kann. Nach § 6 Abs. 1 S. 3 AusglLeistG können Ansprüche auf Ausgleichsleistungen innerhalb einer sechsmonatigen Ausschlussfrist nach Inkrafttreten des AusgleichLeistG geltend gemacht werden. 6 BGBl. I S. 2624. 7 Vgl. Redeker, (Fn. 4), S. 178. 8 Vgl. Redeker, (Fn. 4), S. 177. 9 BVerfGE 84, S. 90 ff. 10 BVerfGE 94, S. 12 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 198/19 Seite 5 Die Verfahren zu offenen Vermögensfragen sind im Wesentlichen erledigt und spielen im Vergleich zu den 1990er Jahren keine wesentliche Rolle mehr.11 Allerdings zeigen aktuelle Medienberichte 12 und Gerichtsurteile13, dass in einzelnen Verfahren dem Thema noch immer gesellschaftliche und juristische Relevanz zukommt. 3. Grundsätzliche Umkehrbarkeit politischer Entscheidungen Der Bundestag ist das durch Wahlen vom Volk legitimierte Gesetzgebungsorgan, das den Willen des Volkes abbilden soll.14 Um diese Legitimation des Gesetzgebers fortlaufend zu gewährleisten, ist nur eine „Herrschaft auf Zeit“ vorgesehen.15 Der aktuelle einfache Gesetzgeber ist damit nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“16 an frühere Gesetzesentscheidungen rechtlich nicht gebunden.17 Innerhalb seiner Legislaturperiode ist er befugt, neue Gesetze zu verabschieden oder schon bestehende Gesetze zu ändern oder aufzuheben, um die eigenen politischen Vorstellungen umsetzen oder auf gesellschaftspolitische Ereignisse angemessen reagieren zu können. 4. Verfassungsrechtliche Grenzen Die notwendige Anpassungsfähigkeit des Rechts steht im Spannungsfeld zu den Bedürfnissen der Bürger nach einer Verlässlichkeit des Rechts.18 Das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verbürgt insbesondere auch die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit .19 In jüngerer Zeit hat das Bundesverfassungsgericht die Rückwirkungsproblematik nicht immer im Bereich des Rechtsstaatsprinzips angesiedelt, sondern zum Teil allein die 11 Siehe dazu die statistische Übersicht des Bundesamts für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen aus dem Jahr 2015, abrufbar unter: https://www.badv.bund.de/DE/OffeneVermoegensfragen/Statistik/start.html (letzter Abruf: 07.08.2019). 12 Siehe bspw. den Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 12.07.2019, Hohenzollern stellen Forderungen, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/kultur/adel-hohenzollern-stellen-forderungen-1.4522273 (letzter Abruf: 07.08.2019). 13 Siehe nur BVerwG, Beschl. v. 12.6.2019 – 8 B 42.18 (8 C 6.19), BeckRS 2019, 11544; VG Magdeburg, Urt. v. 31.5.2018 – 8 A 58/18, BeckRS 2018, 16034; BVerwG, Beschl. v. 9.10.2017 – 8 B 1.17, BeckRS 2017, 142799. 14 BVerfGE 13, S. 54 ff. (S. 91); 18, S. 151 ff. (S. 154); 44, S. 125 ff. (S. 139); 77, S. 1 ff. (S. 40); vgl. Morlok, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Art. 39 Rn. 10. 15 Vgl. auch Art. 39 Abs. 1 GG; Dreier, in: Dreier (Fn. 14), Art. 20 (Demokratie) Rn. 73. 16 Lat.: „Das jüngere Gesetz hebt das ältere auf“. 17 Kloepfer, Rechtsfragen zur geordneten Beendigung gewerblicher Kernenergienutzung in Deutschland, DVBl. 2007, S. 1189 ff. (S. 1194). 18 Siehe dazu auch Schwarz, Rückwirkung von Gesetzen, JA 2013, S. 683 ff. (S. 684). 19 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 20 Rn. 292. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 198/19 Seite 6 Grundrechte (insbesondere Art. 12 GG und Art. 14 GG) als Maßstab herangezogen.20 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes für vermögenswerte Güter insbesondere in Art. 14 Abs. 1 GG eine eigene Ausprägung gefunden.21 4.1. Rückwirkungsverbot Das Bundesverfassungsgericht hat für die Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Gesetzesänderungen, die bestehende Rechtsverhältnisse umgestalten und neu bewerten, eine ausdifferenzierte Rechtsprechung entwickelt, die herkömmlicherweise zwischen der sogenannten echten und unechten Rückwirkung unterscheidet. 4.1.1. Echte Rückwirkung Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt eine echte Rückwirkung vor, „wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift“.22 Für den Fall von öffentlich-rechtlichen Anspruchsnormen liegt nach der Ansicht des Bundesverfassungsgericht eine echte Rückwirkung vor, wenn im Zeitpunkt der Verkündung der neuen Norm die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind; ein Bewilligungsbescheid ist nicht erforderlich.23 Solche Gesetze sind grundsätzlich unzulässig, wenn nicht ausnahmsweise zwingende Gründe des Allgemeinwohls oder ein nicht oder nicht mehr vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen eine Durchbrechung gestatten, (siehe dazu unter 4.1.3.). 4.1.2. Unechte Rückwirkung Ein Fall der unechten Rückwirkung liegt vor, wenn die neue Rechtsnorm zwar nur für die Zukunft gilt, dabei aber auf „gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet“.24 Die unechte Rückwirkung von Gesetzen ist grundsätzlich zulässig, wenn nicht im Rahmen einer Abwägung der Vertrauensschutz des Gesetzesadressaten die durch den Gesetzgeber verfolgten Ziele überwiegt.25 20 Fischer, Die Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Normen, JuS 2001, S. 861 ff. (S. 865). 21 BVerfGE 143, S. 246 ff. (S. 383); Wieland, in: Dreier (Fn. 14), Art. 14 Rn. 148. 22 BVerfGE 128, S. 90 ff. (S. 106); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Fn. 14), Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 156 mit weiteren Nachweisen. 23 BVerfGE 30, S. 367 ff. (S. 386 f.); Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 86. EL Januar 2019, Art. 20 VII. Rn. 80. 24 BVerfGE 30, S. 392 ff. (S. 402 f.); 51, S. 356 ff. (S. 362); 128, S. 90 ff. (S. 106 f.); 132, S. 302 ff. (S. 318); BVerfG, Beschluss v. 12.11.2015, NVwZ 2016, S. 300 ff. (S. 302); BVerfG, Beschluss v. 12.02.2019, NVwZ 2019, S. 715 ff. (S. 717.); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Fn. 14), Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 164. 25 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Fn. 14), Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 168. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 198/19 Seite 7 4.1.3. Einordnung von Restitutionsansprüchen Maßgeblich für die Bestimmung der Rückwirkungsart ist die Frage, ob die Begrenzung von Restitutionsansprüchen auf einen bereits abgeschlossenen Lebenssachverhalt einwirkt. Bei den Konfiskationen und Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone und der ehemaligen DDR handelt es sich um in der Vergangenheit abgeschlossene Sachverhalte. Ein Gesetz, das diesbezügliche Regelungen von Restitutionsansprüchen in nachteiliger Weise für die Geschädigten ändert , wäre an den für den Fall der echten Rückwirkung entwickelten Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts zu messen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließt das Vertrauen des Bürgers in den Fortbestand von Regelungen, die auf abgewickelte Sachverhalte einmal Anwendung gefunden haben, eine nachträgliche Verschlechterung grundsätzlich aus.26 Ein solches nachteiliges Gesetz wäre nur ausnahmsweise zulässig, soweit der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes des Bürgers zurückzutreten hat. Nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Ausnahmetatbeständen gilt dies zunächst dann, wenn der Gesetzesadressat zu dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz bezogen wird, nicht auf den Fortbestand der Regelung vertrauen konnte bzw. mit einer Neuregelung rechnen musste.27 Eine echte Rückwirkung ist auch zur Bereinigung einer unklaren oder verworrenen Rechtslage oder zum Ersatz ungültigen oder zweifelhaften Rechts zulässig, da hier schutzwürdiges Vertrauen nicht entstehen kann.28 Ferner ist eine echte Rückwirkung in geringfügigen Fällen, insbes. bei Bagatellangelegenheiten, zulässig.29 Schließlich können auch überragende bzw. zwingende Belange des Gemeinwohls zum Schutz höchster Verfassungsgüter eine echte Rückwirkung rechtfertigen.30 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gelten hierfür strengere Voraussetzungen als im Falle einer unechten Rückwirkung, bei der lediglich die Anforderungen des Gemeinwohls mit dem Ausmaß des Vertrauensschadens abzuwägen sind.31 Fiskalische Interessen hat das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit in Fällen der echten Rückwirkung nicht als zwingenden Grund des gemeinen Wohls ausreichen lassen.32 26 Schwarz, (Fn. 18), S. 685. 27 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Fn. 11), Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 159. 28 Schwarz, (Fn. 18), S. 685 mit Rechtsprechungsnachweisen. 29 Fischer, (Fn. 20), S. 863, Schulze-Fielitz, in: Dreier (Fn. 14), Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 162. 30 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Fn. 14), Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 163; Fischer, (Fn. 20),S. 863; Schwarz, (Fn. 18), S. 685. 31 BVerfGE 30, S. 367 (S. 391). 32 Ebenda; ausführlich zur Rückwirkung und haushaltspolitischen Erwägungen siehe Schwarz, Wiedergutmachung und die „exceptio pecuniam non habendi“, DÖV 2000, 721 ff. (S. 726 ff.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 198/19 Seite 8 4.2. Eigentumsschutz, Art. 14 Abs. 1 GG und Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG Gesetzesänderungen, die die Rückgabe- bzw. Entschädigungsansprüche zum Nachteil der Berechtigten ändern, dürften zudem nicht deren Grundrechte verletzen. Das Bundesverfassungsgericht hatte in verschiedenen Verfahren über die Verfassungsmäßigkeit von Änderungen des VermG zu entscheiden. Zu den Rückübertragungsansprüchen nach dem VermG hat es festgestellt, dass diese den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG genießen. Die konkrete Reichweite des verfassungsrechtlichen Schutzes ergebe sich jedoch erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums .33 Die Eigentumsgarantie gebiete es nicht, einmal ausgestaltete Rechtspositionen für alle Zukunft in ihrem Inhalt unangetastet zu lassen. Vielmehr könne der Gesetzgeber im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG durch angemessene und zumutbare Überleitungsregelungen individuelle Rechtspositionen umgestalten.34 Das Bundesverfassungsgericht hat in verschiedenen Entscheidungen dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Wiedergutmachungsansprüchen einen besonders weiten Gestaltungsspielraum zugesprochen, da in diesen Fällen der Anspruch auf Wiedereinräumung entzogener Rechtspositionen seine Wurzeln nur im Rechts- und Sozialstaatsprinzip habe.35 Rückwirkende Gesetzesänderungen hätten zudem das Gleichbehandlungsgebot zu berücksichtigen . Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundeverfassungsgerichts verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.36 Dem Gesetzgeber kommt auch hier ein Einschätzungsspielraum zu. *** 33 BVerfGE 95, S. 48 ff. (S. 58). 34 BVerfGE 101, S. 239 ff. (S. 273). 35 BVerfGE 84, S. 90 ff. (S. 125 f.); BVerfGE 101, S. 239 ff. (S. 272 f.). 36 Siehe nur BVerfGE 101, S. 239 ff. (S. 269) mit weiteren Rechtsprechungshinweisen.