Deutscher Bundestag Förderung der Bildungschancen benachteiligter Kinder Finanzierungsmöglichkeiten des Bundes Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 – 196/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 196/10 Seite 2 Förderung der Bildungschancen benachteiligter Kinder Finanzierungsmöglichkeiten des Bundes Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 196/10 Abschluss der Arbeit: 11. Mai 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 196/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Einleitung 5 3. Finanzierung schulischer Angebote 5 3.1. Zuweisung von Finanzmitteln an die Länder 5 3.2. Förderung der Bildungsbündnisse 7 4. Finanzierung außerschulischer Angebote 7 4.1. Zuweisung von Finanzmitteln an die Länder 8 4.2. Förderung der Bildungsbündnisse 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 196/10 Seite 4 1. Zusammenfassung Für den Bund bestehen keine Finanzierungsmöglichkeiten zur Förderung der Bildungschancen benachteiligter Kinder im schulischen Bereich. Für derartige Angebote, z.B. zusätzlichen Förderoder Sprachunterrichts, darf der Bund weder den Ländern Gelder zur Verfügung stellen noch private Einrichtungen fördern. Dieses Finanzierungsverbot folgt aus dem Konnexitätsgrundsatz des Art. 104 a Abs. 1 GG, wonach jede staatliche Ebene selbst die Ausgaben für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben trägt. Das Schulwesen ist Sache der Länder (Art. 30, 70 GG). Für außerschulische Angebote kann eine Finanzierungsmöglichkeit über Art. 104 b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GG begründet werden, wenn außerschulische Bildung als Maßnahme zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums gewertet wird. Die erforderliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge). Als Finanzierungsinstrument kommt – nach dem Vorbild des Kinderbetreuungsausbaus – die Einrichtung eines Sondervermögens in Betracht. Hierüber können Finanzhilfen an die Länder geleistet werden. Eine Förderung privater Einrichtungen ist in diesem Bereich nur bei Maßnahmen von überregionaler Bedeutung möglich. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 196/10 Seite 5 2. Einleitung Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beabsichtigt, zur Verbesserung der Bildungschancen benachteiligter Grundschulkinder von 2011 bis 2013 1 Mrd. Euro zur Verfügung zu stellen.1 An welche Institutionen und in welcher Form diese Gelder fließen sollen, steht noch nicht fest. Angedacht ist u. a. eine Förderung der Arbeit lokaler Bildungsbündnisse. Lokale Bildungsbündnisse sind als privatrechtliche Vereine organisiert und unterstützen die Arbeit von Bildungseinrichtungen , u. a. von Grundschulen. Getragen werden die Bildungsbündnisse von örtlichen Vereinen , Wirtschaftsunternehmen, kommunalen Stellen und Privatpersonen, insbesondere Eltern und Lehrern. Als Alternative kommt – ähnlich wie beim Ausbau der Kinderbetreuung – die Einrichtung eines Sondervermögens im Bundeshaushalt in Betracht, über das Finanzhilfen für die Länder gewährt werden können. Nachfolgend wird untersucht, welche Maßnahmen zur Förderung der Bildungschancen benachteiligter Kinder durch den Bund finanziert werden können. Unterschieden wird dabei zwischen einer Förderung schulischer Maßnahmen, z.B. zusätzlichen Förder- oder Sprachunterrichts, sowie einer Förderung außerschulischer Angebote, z.B. Leseförderung in Bibliotheken. 3. Finanzierung schulischer Angebote 3.1. Zuweisung von Finanzmitteln an die Länder Eine Finanzierung schulischer Angebote durch Finanzzuweisungen an die Länder ist an den Regeln der Finanzverfassung zu messen, Art. 104 a ff. Grundgesetz (GG). Im Grundsatz gilt danach, dass die Ausgabenlast der Aufgabenverantwortung folgt. Dieses so genannte Konnexitätsprinzip ist in Art. 104 a Abs. 1 GG normiert: „Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt.“ Die Vorschrift regelt nicht nur das Gebot, die Ausgaben im Bereich der jeweiligen Aufgabenverantwortung zu tragen, sondern auch das Verbot, fremde Aufgaben zu finanzieren.2 Dies schließt auch jede Form der Mischfinanzierung von Aufgaben durch Bund und Länder aus, soweit sie das Grundgesetz nicht selbst vorsieht.3 Es ist nicht zuläs- 1 Rede der Bundesministerin für Bildung uns Forschung anlässlich der Eröffnung der didacta am 16. März 2010, Redemanuskript S. 7ff., veröffentlicht unter http://www.bmbf.de/pub/mr_20100316.pdf 2 Siekmann, Helmut, in: Sachs, Michael, Grundgesetz, 5. Aufl., München 2009, Art. 104a Rn. 12. 3 Hellermann, Johannes, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Aufl., München 2005, Art. 104a, Rn. 33, 52. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 196/10 Seite 6 sig, diese verfassungsrechtliche Vorgabe durch eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über die Kostentragung zu umgehen.4 Die Aufgabenverantwortung – und damit die Finanzierungsverantwortung – trägt diejenige staatliche Ebene, welche die Verwaltungskompetenz innehat, also für den Gesetzesvollzug zuständig ist.5 Die Verwaltungskompetenz liegt gemäß Art. 83 GG grundsätzlich bei den Ländern, da die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zulässt. Allerdings liegt im Bereich der schulischen Bildung bereits die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern (Art. 30, 70 GG).6 Folglich lässt Art. 104 a GG eine Finanzierung schulischer Angebote durch den Bund nicht zu. Auch die Regelung des Art. 104 b Abs. S. 1 GG, der das Konnexitätsprinzip durchbricht, führt zu keinem anderen Ergebnis, da auch hierfür eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes Voraussetzung ist. Diese liegt jedoch für das Schulwesen bei den Ländern. Nach Art. 104 b Abs. 1 S. 2 sind Finanzhilfen auch ohne Gesetzgebungskompetenz des Bundes möglich. Dies gilt allerdings nur für Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen. Anders gelagert war insoweit die Finanzierung des Kinderbetreuungsausbaus. Die Einrichtung des Sondervermögens Kinderbetreuungsausbau durch das Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz7 wurde auf Art. 104 b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GG gestützt. Mit dem Sondervermögen sollten besonders bedeutsame Investitionen gefördert werden, um die strukturellen Bedingungen für die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland zu verbessern und damit das wirtschaftliche Wachstum zu fördern. Durch den Ausbau der Kinderbetreuung sollten die Erwerbsmöglichkeiten der Eltern ausgebaut werden. Die erforderliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge). Dieser Begriff wird weit ausgelegt und umfasst auch die Kindergartenbetreuung.8 In einer Kinderbetreuungseinrichtung gehen zwar erzieherische Arbeit und die Vermittlung elementaren Wissens Hand in Hand. Dieser Bildungsbezug entzieht die Regelung aber nicht der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Eine Aufspaltung der Gesetzgebungskompetenz anhand dieser Aspekte kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus sachlichen Gründen nicht in Betracht.9 4 Vgl. BVerfGE 55, 274 (301); Hellermann (Fn. 3), GG Art. 104a Rn. 5. 5 Siekmann (Fn. 2), Art. 104a, Rn. 4 m.w.N. 6 Das Bundesverfassungsgericht hat die Kulturhoheit der Länder als wesentliches Element des bundesstaatlichen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland (BVerfGE 6, 309 (354)) und insbesondere das Schulrecht als „Hausgut“ der Eigenstaatlichkeit der Länder bezeichnet (BVerfGE 43, 291 (348)). 7 Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Kinderbetreuungsausbau“ vom 18. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3022). 8 BVerfGE 97, 332 (341 f.). 9 BVerfGE (Fn. 8). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 196/10 Seite 7 Die Bundesministerin für Bildung und Forschung forderte jüngst, noch in dieser Legislaturperiode das Grundgesetz dahingehend zu ändern, dass eine Beteiligung des Bundes an der Finanzierung möglich wird.10 Bund und Länder sollten nach Art. 91 b Abs. 2 GG künftig nicht nur bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens zusammenarbeiten, sondern die Leistungsfähigkeit gemeinsam sicherstellen.11 Eine derartige Regelung wäre eine andere Bestimmung i. S. d. Art. 104 a Abs. 1 GG und würde eine Beteiligung an der Bildungsfinanzierung ermöglichen , ohne dass der Bund eine Sachkompetenz zur Regelung der Bildungsinhalte bekäme. 3.2. Förderung der Bildungsbündnisse Eine Förderung der Bildungsbündnisse für schulische Angebote wäre in Form von Zuwendungen i. S. d. § 23 BHO denkbar. Danach können Ausgaben für Leistungen an Stellen außerhalb der Bundesverwaltung zur Erfüllung bestimmter Zwecke im Haushaltsplan veranschlagt werden, wenn der Bund an der Erfüllung durch solche Stellen ein erhebliches Interesse hat, das ohne die Zuwendungen nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden kann. Ein Interesse des Bundes an der Förderung von Stellen außerhalb der Bundesverwaltung kann allerdings nur vorliegen, wenn der Bund für die Aufgabe eine Finanzierungskompetenz hat.12 Dies folgt u. a. aus § 2 S. 1 BHO, nach dem in den Haushaltsplan die zur Erfüllung der Aufgaben des Bundes erforderlichen Mittel einzustellen sind. Wie unter 2.1. ausgeführt, besteht für den Bund ein Finanzierungsverbot für schulische Bildungsinhalte. Eine Förderung derartiger Angebote der Bildungsbündnisse durch Zuwendungen wäre nach § 23 BHO nicht zulässig.13 4. Finanzierung außerschulischer Angebote Die Bildungschancen benachteiligter Kinder können auch durch außerschulische Angebote verbessert werden. Hierfür böte sich eine Verknüpfung mit bzw. Einbettung in die Angebote der Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Für diesen Bereich hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz inne, Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge). 10 „Schavan will für Bildung Grundgesetz ändern“, Die Welt vom 17. März 2010. 11 Videointerview, Leipziger Volkszeitung vom 7. Mai 2010, http://nachrichten.lvzonline .de/nachrichten/topthema/jetzt-sind-die-alumni-gefordert--annette-schavan-im-video-interview/r-topthemaa -29647.html 12 Dittrich, Norbert, Bundeshaushaltsordnung, § 23 Rn. 4.1.1, Heidelberg, Stand Januar 2010; Engels, Dieter /Eibelshäuser, Manfred, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 23 BHO Anm. 24, Köln, Stand Septemer 2009. 13 In der Praxis wird das Kriterium des Bundesinteresses allerdings recht weit ausgelegt und ist häufig Gegenstand von Beanstandungen des Bundesrechnungshofes, vgl. Dittrich (Fn. 12). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 196/10 Seite 8 4.1. Zuweisung von Finanzmitteln an die Länder Auch für den Bereich außerschulische Angebote folgt aus Art. 104 a GG keine Finanzierungsverantwortung des Bundes, da der Bund die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nicht selbst vollzieht , sondern die Länder diese als eigene Angelegenheit ausführen, Art. 83 GG. Denkbar wäre jedoch – parallel zum Ausbau der Kinderbetreuung – eine Finanzhilfe des Bundes nach Art. 104 b Abs. 1 S. 1 GG. Diese Vorschrift benennt drei Fallgruppen, in denen der Bund Finanzhilfen an die Länder leisten darf: Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet und Förderung des wirtschaftlichen Wachstums. In Betracht kommt die Förderung des wirtschaftlichen Wachstums . Diese Fallgruppe eröffnet dem Bund im Vergleich zu den beiden übrigen dem Wortlaut nach einen weiten Handlungsspielraum.14 Schließlich können zahlreiche Maßnahmen jedenfalls mitursächlich zum wirtschaftlichen Wachstum beitragen. Auch die frühzeitige und individuelle Förderung von Kindern im Schulalter trägt zur Qualifizierung für die künftige Erwerbsarbeit bei und kann daher als mittelbare Maßnahme der Wachstumsförderung gewertet werden.15 Diese Sichtweise ist jedoch nicht unumstritten, da die Maßnahme und die Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum zeitlich weit auseinander liegen und zudem nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht.16 Problematisch ist ferner, dass durch die Sichtweise Bildung sei eine Maßnahme zur Förderung des Wirtschaftswachstums der Bildungsbegriff unzulässig reduziert werde.17 Nach Art. 104 b Abs. 1 GG können nur für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden Finanzhilfen gewährt werden. Hier ließe sich argumentieren, dass Maßnahmen zur gezielten und umfassenden Förderung benachteiligter Kinder im Umfeld von 16.400 Grundschulen bedeutsame Investitionen sind. Die Finanzierung außerschulischer Angebote durch den Bund ist folglich möglich, sofern der Bezug zum Wirtschaftswachstum bejaht wird. Als Finanzierungsinstrument kommt – nach dem Vorbild des Kinderbetreuungsausbaus – die Einrichtung eines Sondervermögens im Bundeshaushalt in Betracht. 14 Hellermann (Fn. 3), Art. 104a Rn. 122 ff. 15 Maier, Ralf, Bildung und Forschung im kooperativen Föderalismus, DÖV 2003, 796 (801). 16 Winterhoff, Christian, Finanzielle Förderung von Ganztagsschulen und Juniorprofessuren durch den Bund?, JZ 2005, 59 (63). 17 Stettner, Rupert, Kollusives Zusammenwirken von Bund und Ländern beim Ganztagsschulprogramm, ZG 2003, 315 (323). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 196/10 Seite 9 4.2. Förderung der Bildungsbündnisse Hingegen ist eine direkte Förderung lokaler Bildungsbündnisse durch den Bund nicht möglich, da er keine Vollzugskompetenz für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe hat. Eine Ausnahme bildet insoweit die Vorschrift des § 83 Abs. 1 SGB VIII. Danach soll die fachlich zuständige oberste Bundesbehörde die Tätigkeit der Jugendhilfe anregen und fördern, soweit sie von überregionaler Bedeutung ist und nicht durch ein Land allein wirksam gefördert werden kann. Diese Förderung erfolgt in der Praxis über den Kinder- und Jugendplan des Bundsministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Denkbar ist, hierüber auch überregionale Initiativen zur Förderung der Bildungschancen zu unterstützen, bspw. Dachverbände, die Qualitätskriterien für außerschulische Bildungsangebote entwickeln.