© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 194/20 Einbürgerung von durch die Nationalsozialisten zwangsausgebürgerten Deutschen und ihren Nachkommen Rechtslage und Vergleich mit österreichischen Regelungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 2 Einbürgerung von durch die Nationalsozialisten zwangsausgebürgerten Deutschen und ihren Nachkommen Rechtslage und Vergleich mit österreichischen Regelungen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 194/20 Abschluss der Arbeit: 8. Oktober 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG 4 2.1. Berechtigung 5 2.2. Bisher ausgeschlossene Gruppen und Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 6 2.2.1. Ausschluss vor dem 1. April 1953 geborener ehelicher Kinder mit ausländischem Vater und ausgebürgerter deutscher Mutter 7 2.2.2. Ausschluss nichtehelicher Kinder eines ausgebürgerten deutschen Vaters 7 2.2.3. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 7 3. Alternative Einbürgerungsmöglichkeiten 9 3.1. Einbürgerung bei rechtmäßigem und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, §§ 8 und 10 StAG 9 3.2. Ermessenseinbürgerung von ehemaligen Deutschen und deren minderjährigen Kindern, § 13 StAG 10 3.3. Ermessenseinbürgerung von Ausländern bei Bindungen an Deutschland, § 14 StAG 11 4. Rechtslage in Österreich 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Sachstand befasst sich mit Regelungen zur (Wieder-)Einbürgerung von Personen, die von den Nationalsozialisten ausgebürgert wurden, sowie ihren Nachkommen. Zu dieser Frage existiert eine komplizierte, von Verwaltungsvorschriften, Erlassen sowie der Rechtsprechung geprägte Rechtslage.1 Die grundlegende Anspruchsnorm für die Einbürgerung der genannten Personen ist Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG. Die Rechtsprechung hatte bestimmte Personengruppen von diesem Anspruch bisher ausgeschlossen. Eine Erweiterung des Anspruchs auf diese Gruppen wurde insbesondere in den letzten Jahren diskutiert, unter anderem im Rahmen einer öffentliche Anhörung im Innenausschuss des Bundestags am 21. Oktober 2019.2 Dazu lagen auch mehrere Gesetzentwürfe vor.3 Ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2020 hat einen Teil der bisherigen Rechtsprechung zu Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG für verfassungswidrig erklärt. Durch diese Entscheidung sind auch einige Erlassregelungen mit Einbürgerungserleichterungen zum Teil hinfällig geworden. Die Ausarbeitung erläutert die Rechtslage zu Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG sowie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit ihren Auswirkungen. Anschließend werden weitere Einbürgerungsvorschriften , auf die sich von den Nationalsozialisten verfolgte Personen berufen können, sowie die dazugehörenden Verwaltungsvorschriften und Erlasse dargestellt. Darüber hinaus wurde auch nach der entsprechenden Rechtslage in Österreich gefragt. Die österreichischen Regelungen werden am Ende der Arbeit dargestellt. 2. Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG bestimmt: „Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern.“ Die Norm verfolgt das Ziel, Ausbürgerungen, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft erfolgten , und ihre Folgen wiedergutzumachen.4 Zu beachten ist Art. 116 Abs. 2 S. 2 GG: Danach gelten Personen nicht als ausgebürgert, „sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck ge- 1 Siehe zur bis 2019 geltenden Rechtslage bereits Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Einbürgerung von Abkömmlingen während des Nationalsozialismus zwangsausgebürgerter deutscher Staatsangehöriger , WD 3 - 3000 - 277/18 und Einzelfragen zur Einbürgerung von Abkömmlingen (ehemals) deutscher Staatsangehöriger , WD 3 - 3000 - 093/19. 2 Siehe dazu https://www.bundestag.de/ausschuesse/a04_innenausschuss/anhoerungen#url=L2F1c3NjaH- Vlc3NlL2EwNF9pbm5lbmF1c3NjaHVzcy9hbmhvZXJ1bmdlbi8yNC0yMS0xMC0yMDE5LTE0LTAwLTY2MjMw OA==&mod=mod541724 (Stand: 8. Oktober 2020). 3 BT-Drs. 19/12200, 19/13505, 19/14063. 4 Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 20. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 5 bracht haben“. Neben den Personen, die nach ihrer Flucht aus Deutschland wieder zurückgekehrt sind5, bezieht sich diese Fiktion auch auf Personen, die Deutschland nicht verlassen haben .6 Der Anwendungsbereich von Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG ist daher begrenzt auf ausgebürgerte Personen, die Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus verlassen haben und nicht zurückgekehrt sind (sowie deren Abkömmlinge). 2.1. Berechtigung Die Berechtigung nach Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG knüpft an den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund von Ausbürgerung durch das nationalsozialistische Regime an. Nicht erfasst von Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG sind daher Personen, die ihre Staatsangehörigkeit aus anderen Gründen als den in der Norm genannten verloren haben, etwa durch Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit.7 Dies betrifft beispielsweise Frauen, die ihre Staatsangehörigkeit nach § 17 Abs. 6 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 (RuStAG)8 durch Eheschließung verloren haben. Nicht berechtigt sind darüber hinaus österreichische Staatsangehörige, die infolge des 1938 erfolgten sog. Anschlusses Österreichs ans Deutsche Reich deutsche Staatsangehörige wurden, auch wenn sie später die deutsche Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen verloren haben.9 Dies hat den Grund, dass nach der Wiedererrichtung des Staates Österreich im Jahr 1945 die österreichische Staatsangehörigkeit wiederhergestellt wurde und daher betroffene Personen auch ohne ihre Ausbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit wieder verloren hätten. Neben den Ausgebürgerten selbst können auch ihre Abkömmlinge einen Anspruch auf Wiedereinbürgerung geltend machen. Abkömmlinge im Sinne des Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG sind sämtliche Nachkommen absteigender Linie.10 Der Begriff des Abkömmlings umfasst auch Adoptivkinder , jedenfalls dann, wenn diese als Minderjährige adoptiert wurden.11 5 Für die Rückkehr nach Deutschland gilt keine zeitliche Grenze. Eine Rückkehr, durch die die Person rückwirkend als nicht ausgebürgert gälte, wäre daher auch heute noch möglich, vgl. Masing/Kau, in: von Mangoldt /Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 176. 6 Masing/Kau, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 176; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 28. 7 BVerwGE 94, 185 (187). 8 RGBl. 1913, 583. 9 BVerwG NJW 1990, 2213 (2215), siehe dort auch zum Folgenden. 10 Masing/Kau, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 154 m.w.N. 11 Masing/Kau, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 156; Wittreck, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 73. Bei der Erwachsenenadoption hat das Bundesverwaltungsgericht eine Weitergabe der deutschen Staatsangehörigkeit jedenfalls für den Fall abgelehnt, dass die Adoption „lange Zeit nach Erreichung der Volljährigkeit“ erfolgte (im konkreten Fall im Alter von 55 Jahren), siehe BVerwG NJW 2007, 937. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 6 Eine zeitliche Grenze für den Antrag nach Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG besteht grundsätzlich nicht.12 Allerdings ist § 4 Abs. 4 S. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG)13 zu beachten, wonach Abkömmlinge eines nach dem 31. Dezember 1999 im Ausland geborenen Deutschen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, nur dann die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, wenn innerhalb eines Jahres nach der Geburt ein Antrag auf Beurkundung im Geburtenregister nach § 36 des Personenstandsgesetzes gestellt wird. Dieser sog. Generationenschnitt soll verhindern, dass die deutsche Staatsangehörigkeit unbegrenzt an im Ausland lebende Personen weitergegeben wird, obwohl keine Verbindung (mehr) zu Deutschland besteht.14 Die Einschränkung gilt allerdings nicht, wenn der Abkömmling dadurch staatenlos würde. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist Voraussetzung für eine Wiedereinbürgerung der Abkömmlinge , dass diese aufgrund der Ausbürgerung ihrer Vorfahren die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erhalten bzw. verloren haben.15 Dies entspreche sowohl dem Wiedergutmachungszweck der Vorschrift als auch dem Wortlaut, da nur dann von einer „Wiedereinbürgerung“ gesprochen werden könne, wenn an die infolge der Ausbürgerung vorenthaltene Staatsangehörigkeit angeknüpft werde.16 Bei der Prüfung des Anspruchs eines Abkömmlings ist dementsprechend die hypothetische Prüfung vorzunehmen, ob der Abkömmling ohne die Ausbürgerung seines Vorfahren die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hätte.17 Dazu muss der Abkömmling zum Ausgebürgerten in einem Verhältnis stehen, „an welches das Staatsangehörigkeitsrecht den gesetzlichen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit knüpft“.18 Die hypothetische Prüfung muss grundsätzlich nach den Erwerbsregeln erfolgen, die zum Zeitpunkt der Ausbürgerung galten . 2.2. Bisher ausgeschlossene Gruppen und Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt richtete sich zwischen 1933 und 194519 nach § 4 Abs. 1 RuStAG a.F., der bestimmte: 12 Wittreck, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 73. 13 Staatsangehörigkeitsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 102-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 4 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). 14 Weber, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), BeckOK Ausländerrecht, 26. Edition Stand: 1. Juli 2020, § 4 StAG Rn. 19. 15 Vgl. BVerwGE 68, 220 (232 ff.); BVerwGE 85, 108 (112 ff). 16 Vgl. Vedder/Lorenzmeier, in: Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 116 Rn. 75. 17 Masing/Kau, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2017, Art. 116 Rn. 155. 18 BVerwGE, 68, 220, 234. 19 Die Vorschrift galt noch bis zum 31. Dezember 1974. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 7 „Durch die Geburt erwirbt das eheliche Kind eines Deutschen die Staatangehörigkeit des Vaters , das uneheliche Kind eines Deutschen die Staatsangehörigkeit der Mutter.“ Aus dieser Bestimmung wurde bis zu einer im Mai 2020 ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (siehe dazu unter 2.2.3.) ein Ausschluss der Wiedereinbürgerung für zwei Fallgruppen von Abkömmlingen von Ausgebürgerten abgeleitet. 2.2.1. Ausschluss vor dem 1. April 1953 geborener ehelicher Kinder mit ausländischem Vater und ausgebürgerter deutscher Mutter Ein eheliches Kind konnte die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. nur vom Vater erwerben. Am 21. Mai 1974 erklärte das Bundesverfassungsgericht diese Regelung für unvereinbar mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Männern und Frauen aus Art. 3 Abs. 2 GG und verpflichtete den Gesetzgeber, allen ehelichen Kindern deutscher Mütter, die seit dem 1. April 1953 geboren wurden, Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit zu ermöglichen.20 Grund für diesen rückwirkenden Stichtag war Art. 117 Abs. 1 GG, wonach jegliches Recht, das Art. 3 Abs. 2 GG entgegensteht, nicht länger als bis zum 31. März 1953 in Kraft bleiben durfte. Folge der Stichtagsregelung war im Rahmen der Kausalitätsprüfung, dass sich zwar nach, aber nicht vor dem 1. April 1953 geborene eheliche Kinder ausgebürgerter Mütter und ausländischer Väter – sowie ihre Abkömmlinge – auf Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG berufen konnten.21 2.2.2. Ausschluss nichtehelicher Kinder eines ausgebürgerten deutschen Vaters Der zweite Ausschluss betraf nichteheliche Kinder ehemals deutscher Väter. Denn gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. konnte ein nichteheliches Kind nur von seiner Mutter die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Diese Regelung wurde erst zum 1. Juli 1993 geändert.22 Nichteheliche Kinder ausgebürgerter Väter, die vor dem 1. Juli 1993 geboren wurden, konnten sich nach der bisherigen Rechtsprechung daher nicht auf Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG berufen.23 2.2.3. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Mit Beschluss vom 20. Mai 2020 hat das Bundesverfassungsgericht die bisherige Behandlung nichtehelicher Kinder ausgebürgerter Väter in Bezug auf Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG für verfassungswidrig erklärt.24 Die Rechtsprechung, wonach ein nichteheliches Kind eines ausgebürgerten deut- 20 BVerfGE 37, 217 (239, 262 ff.). 21 Vgl. Wittreck, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 91; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 25. 22 Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften vom 30.6.1993 (BGBl. I 1072). 23 Vgl. BVerwGE 68, 220. 24 BVerfG, Beschluss vom 20. Mai 2020, 2 BvR 2628/18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 8 schen Vaters sich nicht auf Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG berufen könne, weil es die deutsche Staatsangehörigkeit nach damaliger Rechtslage von seinem Vater nicht hätte erlangen können, verstoße gegen die Wertentscheidungen der Art. 6 Abs. 5 GG und Art. 3 Abs. 2 GG.25 Art. 6 Abs. 5 GG enthalte die Wertentscheidung, dass ein Kind nicht wegen seiner nichtehelichen Geburt benachteiligt werden dürfe.26 Der in erster Linie an den Gesetzgeber gerichtete Auftrag sei auch durch die Verwaltung und Rechtsprechung bei der Anwendung geltenden Rechts zu berücksichtigen.27 Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass der Begriff des Abkömmlings in Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG weit auszulegen sei und auch nichteheliche Kinder ausgebürgerter Väter umfassen müsse.28 Nur eine solche Auslegung sei auch mit Art. 8 und Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskommission vereinbar.29 Nichteheliche Abkömmlinge ausgebürgerter deutscher Väter haben somit nach dem Urteil einen Anspruch aus Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG. Fraglich ist, ob dies auch für die zweite oben genannte Gruppe gilt, nämlich die vor dem 1. April 1953 geborenen ehelichen Kinder ausgebürgerter Mütter und ausländischer Väter. Das Bundesverfassungsgericht behandelt diese Konstellation in seinem Urteil nicht. Es befasst sich aber grundsätzlich mit der Frage, wie der Begriff des Abkömmlings in Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG verstanden werden müsse. Seien verschiedene Deutungen einer Norm möglich, so sei derjenigen der Vorzug zu geben, die der Verfassung mehr entspreche.30 Art. 116 Abs. 1 GG, der unter anderem die deutsche Volkszugehörigkeit bei Flüchtlingen oder Vertriebenen regle, verwende ebenfalls den Begriff des Abkömmlings.31 Bei dieser Norm werde nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht danach unterschieden, ob sich die Volkszugehörigkeit durch die Abstammung von einem Mann oder einer Frau herleite. Es gebe keinen sachlichen Grund dafür, dass diese Wertung nur für Art. 116 Abs. 1 GG, nicht aber für Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG gelten solle. Es sei mit Art. 3 Abs. 2 GG als objektivem Wertmaßstab unvereinbar , wenn der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach dem Abstammungsprinzip nur im Verhältnis zu einem Elternteil anerkannt werde.32 Sei die Staatsangehörigkeit eines Kindes von der Staatsangehörigkeit der Eltern oder eines Elternteils abhängig, so verbiete Art. 3 Abs. 2 GG grundsätzlich, diese Frage einseitig zulasten der Mutter oder des Vaters zu lösen.33 Der 25 BVerfG (Fn. 234), Rn. 19. 26 BVerfG (Fn. 24), Rn. 21. 27 BVerfG (Fn. 24), Rn. 23. 28 BVerfG (Fn. 24), Rn. 56. 29 BVerfG (Fn. 24), Rn. 62. 30 BVerfG (Fn. 24), Rn. 33. 31 BVerfG (Fn. 24), Rn. 51, siehe dort auch zum Folgenden. 32 BVerfG (Fn. 24), Rn. 63. 33 BVerfG (Fn. 24), Rn. 30. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 9 Gesetzeszweck der Wiedergutmachung stehe zudem einer einengenden Auslegung des Abkömmlingsbegriffs in Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG entgegen.34 Durch die Norm solle im Rahmen des Möglichen das Unrecht, das den Ausgebürgerten angetan wurde, ausgeglichen werden. Aufgrund dieser Ausführungen, die eine weite Auslegung des Begriffs des Abkömmlings gebieten , dürfte davon auszugehen sein, dass nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch der Gruppe der vor dem 1. April 1953 geborenen ehelichen Kinder ausgebürgerter Mütter ein Anspruch aus Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG eröffnet ist. Auch die Bundesregierung geht davon aus, dass das Urteil beide bisher ausgeschlossenen Personengruppen umfasse.35 Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat will nun bislang abgelehnte Anträge von Angehörigen der beiden Gruppen im Falle eines neuen Antrags beschleunigt überprüfen.36 3. Alternative Einbürgerungsmöglichkeiten Für Personen, die nicht vom Anwendungsbereich des Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG umfasst sind, bleibt die Möglichkeit einer Einbürgerung nach dem StAG. Dabei handelt es sich zumeist um Ermessensvorschriften . Für Fälle mit sog. staatsangehörigkeitsrechtlichem Wiedergutmachungsgehalt gelten bei der Ermessenseinbürgerung bestimmte Privilegierungen. 3.1. Einbürgerung bei rechtmäßigem und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, §§ 8 und 10 StAG Für Ausländer mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland kommt eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG oder eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG in Betracht. Voraussetzung der Einbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG ist unter anderem grundsätzlich, dass der Ausländer nicht wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt wurde, und dass er imstande ist, sich und seine Angehörigen zu ernähren. Entscheidend ist, dass der Ausländer bereits rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben muss. Der Einbürgerungsbewerber muss im Zeitpunkt seiner Einbürgerung eine Aufenthaltserlaubnis besitzen37 und sich grundsätzlich seit mindestens acht Jahren in Deutschland aufhalten38. Für Fälle mit staatsangehörigkeitsrechtlichem Wiedergutmachungsgehalt sieht die Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht bestimmte Privilegierungen vor: 34 BVerfG (Fn. 24), Rn. 52. 35 Siehe etwa die Information des Auswärtigen Amtes unter https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/konsularinfo /staatsangehoerigkeitsrecht/wiedergutmachung (Stand: 8. Oktober 2020). 36 BT-Drs. 19/20769, S. 16 f. 37 Siehe BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAR-VwV) vom 13. Dezember 2000, abrufbar unter: http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet .de/bsvwvbund_13122000_V612400513.htm (Stand: 8. Oktober 2020), Nr. 8.1.2.4. 38 BMI, StAR-VwV vom 13. Dezember 2000, Nr. 8.1.2.2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 10 „Dient die Einbürgerung Zwecken der staatsangehörigkeitsrechtlichen Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts gegenüber einer von Verfolgungsmaßnahmen aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 betroffenen Person (so genannte Erlebensgeneration) und besteht kein Anspruch auf Einbürgerung aus Wiedergutmachungsgründen nach Artikel 116 Abs. 2 des Grundgesetzes oder den §§ 11, 12 Abs. 1 des Staatsangehörigkeitsregelungsgesetzes39, so genügt […] eine Aufenthaltsdauer von vier Jahren.“40 Auch bezüglich des Ermessens, das den Behörden hinsichtlich der Einbürgerungsentscheidung eingeräumt wird, kann in diesen Fällen von den allgemeinen Grundsätzen abgewichen werden.41 Die Privilegierung gilt auch für Abkömmlinge der „Erlebensgeneration“.42 Bei einem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland kommt zudem auch eine Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG in Betracht. Liegen die dort genannten Voraussetzungen vor, so ist die Einbürgerung zwingend vorzunehmen. Zu den Anforderungen gehören neben einer Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet von mindestens acht Jahren unter anderem das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes, der Nachweis von Sprachkenntnissen sowie Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. In der Praxis werden die meisten Einbürgerungen nach § 10 Abs. 1 StAG vorgenommen.43 3.2. Ermessenseinbürgerung von ehemaligen Deutschen und deren minderjährigen Kindern, § 13 StAG § 13 StAG bestimmt: „Ein ehemaliger Deutscher und seine minderjährigen Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, können auf Antrag eingebürgert werden, wenn sie den Erfordernissen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 entsprechen.“ Für Einbürgerungsverfahren nach den §§ 13 und 14 StAG ist allein das Bundesverwaltungsamt zuständig.44 Ein Erlass des BMI vom 25. Juni 200145 enthält Anweisungen an das Bundesverwaltungsamt zur Einbürgerung nach diesen Normen. Nr. 13.1.2. des Erlasses bestimmt, dass eine Er- 39 Diese Normen existieren nicht mehr, da das Staatsangehörigkeitsregelungsgesetz 2010 aufgehoben wurde, siehe Art. 2 des Gesetzes über die weitere Bereinigung von Bundesrecht vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1864). 40 BMI, StAR-VwV vom 13. Dezember 2000, Nr. 8.1.3.2. 41 BMI, StAR-VwV vom 13. Dezember 2000, Nr. 8.1.3. 42 Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Juni 1999, 8 A 4522/98, juris Rn. 97. 43 Weber, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), BeckOK Ausländerrecht, 26. Edition Stand: 1.7.2020, § 10 Rn. 6. 44 Vgl. BR-Drs. 749/99, S. 25. 45 BMI, Erlass an das Bundesverwaltungsamt vom 25. Juni 2001, Az. V6-124 460/1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 11 messenseinbürgerung erfolgen könne, wenn im Einzelfall ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung festgestellt werde. Für das öffentliche Interesse sind zunächst allgemeine Grundsätze maßgeblich46, für bestimmte Personengruppen gelten allerdings Einbürgerungserleichterungen. Solche Erleichterungen sind nach Nr. 13.1.2.2. sowohl für Fälle mit staatsangehörigkeitsrechtlichem Wiedergutmachungsgehalt als auch für Fälle, in denen Frauen die deutsche Staatsangehörigkeit durch Eheschließung mit einem Ausländer verloren haben, vorgesehen. Bei diesen Fällen liege das öffentliche Interesse an der Einbürgerung in der Regel vor, auch wenn dies zu Mehrstaatigkeit führe. Das Bundesverwaltungsgericht hat 2001 in einem Urteil betont, dass dem Grundsatz der Wiedergutmachung bei der Ermessensausübung nach § 13 StAG durch Berücksichtigung des Rechtsgedankens des Art. 116 Abs. 2 GG auch bei Abkömmlingen der „Erlebensgeneration“ Rechnung zu tragen sei.47 Es führte weiter aus, dass in bestimmten Fällen der Gedanke der Wiedergutmachung so sehr im Vordergrund stehe, dass eine Einbürgerung nach § 13 StAG nur unter besonderen Umständen abgelehnt werden könne.48 Da § 13 StAG allerdings nur ehemalige Deutsche und ihre Kinder berechtigt, ist der Anwendungsbereich bei Personen, die zur Zeit des Nationalsozialismus ihre Staatsangehörigkeit verloren haben, auf die „Erlebensgeneration“ und ihre direkten Abkömmlinge begrenzt, während die weiteren Generationen nicht berechtigt sind. Zudem findet § 13 StAG seit einer 2007 erfolgten Gesetzesänderung49 auf Abkömmlinge nur noch dann Anwendung , wenn diese minderjährig sind. Aufgrund des Zeitablaufs dürfte die Norm daher für Abkömmlinge der „Erlebensgeneration“ keine Rolle mehr spielen. 3.3. Ermessenseinbürgerung von Ausländern bei Bindungen an Deutschland, § 14 StAG § 14 StAG bestimmt: „Ein Ausländer, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, kann unter den sonstigen Voraussetzungen der §§ 8 und 9 eingebürgert werden, wenn Bindungen an Deutschland bestehen, die eine Einbürgerung rechtfertigen.“ 46 Siehe Nr. 3.1.2.1 des Erlasses: „Der Einbürgerungsbewerber soll Bindungen an Deutschland besitzen, die eine Einbürgerung rechtfertigen (vgl. Nummer 14.1.2). Die Gründe für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit müssen nachvollziehbar sein. Der Einbürgerung dürfen keine überwiegenden öffentlichen Belange entgegenstehen. […] Der Einbürgerungsbewerber muss insbesondere über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (vgl. Nummern 8.1.2.1.1 und 8.1.2.1.2 StAR-VwV) verfügen und die staatsbürgerlichen Voraussetzungen (vgl. Nummer 8.1.2.5 StAR-VwV) erfüllen.“ 47 BVerwGE 114, 195 (204). 48 BVerwGE 114, 195 (205). 49 Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 12 Die geforderten Bindungen dürften bei ehemaligen Deutschen und ihren Abkömmlingen in der Regel bestehen.50 In Fällen mit einem staatsangehörigkeitsrechtlichen Wiedergutmachungsgehalt sind die Bindungen an Deutschland besonders zu gewichten.51 Bezüglich des Ermessens der Behörden ist der bereits erwähnte Erlass des BMI vom 25. Juni 200152 zu beachten. Nr. 14.2. des Erlasses bestimmt, dass eine Ermessenseinbürgerung erfolgen könne, wenn im Einzelfall ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung festgestellt werde. Wie bei § 13 StAG gelten auch in Bezug auf § 14 StAG für Fälle mit staatsangehörigkeitsrechtlichem Wiedergutmachungsgehalt Erleichterungen, etwa bei den erforderlichen Sprachkenntnissen.53 Daneben existiert ein weiterer Erlass des BMI vom 28. März 2012,54 der sich spezifisch auf die Voraussetzungen zur Einbürgerung ehelicher Kinder deutscher Mütter und ausländischer Väter, die vor dem 1. Januar 1975 geboren wurden und ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben , bezieht.55 Die dort vorgesehenen Erleichterungen sollen zudem auch für Abkömmlinge von Frauen gelten, die die deutsche Staatsangehörigkeit durch Heirat mit einem Ausländer verloren haben.56 Für vor dem 1. April 1953 geborene Nachkommen zwangsausgebürgerter Frauen galten nach dem Erlass weitere Privilegierungen. Bei diesen sollte die Einbürgerung beispielsweise in der Regel erfolgen, wenn sie Sprachkenntnisse auf Level B 1 GER nachweisen konnten.57 Geht man davon aus, dass die letztgenannte Gruppe von der oben erläuterten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umfasst ist und daher einen Anspruch aus Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG hat, sind die Privilegierungen im Erlass hinfällig. 2019 hat das BMI zwei weitere Erlasse zu Erleichterungen für Einbürgerung nach § 14 StAG in Fällen mit Wiedergutmachungsgehalt erteilt.58 Zum begünstigten Personenkreis gehören: 50 Oberhäuser, in: Hofmann (Hrsg.), Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, StAG § 14 Rn. 5. 51 BMI, Erlass an das Bundesverwaltungsamt vom 25. Juni 2001, Az. V6-124 460/1, Nr. 14.1.2. 52 BMI, Erlass an das Bundesverwaltungsamt vom 25. Juni 2001, Az. V6-124 460/1. 53 Siehe BMI, Erlass an das Bundesverwaltungsamt vom 25. Juni 2001, Az. V6-124 460/1, Nr. 14.2.2.2. 54 BMI, Erlass an das Bundesverwaltungsamt vom 28. März 2012, Az. V II 5-124 460/01, nicht veröffentlicht. 55 Oberhäuser, in: Hofmann (Hrsg.), Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, StAG § 14 Rn. 2. Der Stichtag hat den Hintergrund , dass der verfassungswidrige § 4 Abs. 1 RuStAG a.F., der den Erwerb der Staatsangehörigkeit bei ehelichen Kindern allein vom Vater abhängig machte, zum 1. Januar 1975 geändert wurde. 56 BMI, Erlass an das Bundesverwaltungsamt vom 28. März 2012, Az. V II 5-124 460/01, Nr. 3.1.1. 57 Vgl. BMI, Erlass an das Bundesverwaltungsamt vom 28. März 2012, Az. V II 5-124 460/01, Nr. 3.1.2. 58 BMI, Ergänzung des Grundsatzerlasses vom 25. Juni 2001, 30. August 2019, Az. V II 5 - 20102/62#7 und Änderung und Ergänzung des Erlasses vom 28. März 2012, 30. August 2019, Az. V II 5 - 20102/62#3, beide nicht veröffentlicht . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 13 „(1) vor dem 1.4.1953 ehelich geborene Kinder zwangsausgebürgerter deutscher Mütter und ausländischer Väter, (2) vor dem 1.7.1993 nichtehelich geborene Kinder zwangsausgebürgerter deutscher Väter und ausländischer Mütter, bei denen die Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft nach deutschen Gesetzen vor Vollendung des 23. Lebensjahres wirksam erfolgt war, (3) Kinder, deren deutscher Elternteil im Zusammenhang mit NS-Verfolgungsmaßnahmen die deutsche Staatsangehörigkeit durch Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit verloren hat, (4) Kinder, deren verfolgungsbedingt emigrierte Mütter die deutsche Staatsangehörigkeit durch Eheschließung mit einem ausländischen Mann verloren haben, sowie (5) deren Abkömmlinge bis zu dem zum 1.1.2000 eingefügten Generationenschnitt nach § 4 Abs. 4 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG).“59 Aus Gründen des öffentlichen Interesses sei bei diesen Gruppen vom Erfordernis der Unterhaltsfähigkeit abzusehen.60 Es genügten zudem einfache deutsche Sprachkenntnisse. Im Umfang der Geltung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Mai 2020 sind diese Regelungen hinfällig geworden, da die vom Beschluss umfassten Personengruppen einen direkten Anspruch aus Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG haben und nicht mehr auf die Ermessenseinbürgerung nach § 14 StAG angewiesen sind. Dabei handelt es sich – wie oben unter 2.3.3. dargestellt – um nichteheliche Abkömmlinge ausgebürgerter deutscher Väter und ausländischer Mütter sowie vermutlich auch um vor dem 1. April 1953 geborene Nachkommen ausgebürgerter Frauen und ausländischer Väter. 4. Rechtslage in Österreich Auch in Österreich gibt es Vorschriften zur (Wieder-)Einbürgerung von durch die Nationalsozialisten verfolgten Personen.61 Von Bedeutung ist dabei insbesondere § 58c Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG)62. Dieser lautet: „(1) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z63 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt, sich als Staatsbürger oder Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie oder Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben 59 Kluth, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), BeckOK Ausländerrecht, 26. Edition Stand: 1.7.2020, Art. 116 GG Rn. 70. 60 BMI, Ergänzung des Grundsatzerlasses vom 25. Juni 2001, 30. August 2019, Az. V II 5 - 20102/62#7, Nr. 14.2.2.2. und Ergänzung des Erlasses vom 28. März 2012, 30. August 2019, Az. V II 5 - 20102/62#3, Nr. 3.1.2. 61 Die folgenden Ausführungen basieren im Wesentlichen auf den Antworten auf eine entsprechende Anfrage an Österreich. 62 Bundesgesetz über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 – StbG, BGBl. Nr. 311/1985), zuletzt geändert durch das 4. COVID-19-Gesetz (BGBl. I Nr. 24/2020). Die konsolidierte Fassung ist abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer =10005579 (Stand: 8. Oktober 2020). 63 Die Angabe „Z“ steht für Ziffer, entspricht also dem bei deutschen Gesetzen verwendeten Kürzel „Nr.“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 14 zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte.“ Der wesentliche Unterschied zu Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG besteht darin, dass die österreichische Regelung nicht an den Verlust der Staatsangehörigkeit (bzw. an die Gründe dafür) anknüpft, sondern an die Flucht ins Ausland aufgrund von (befürchteter) Verfolgung. Es handelt sich im Gegensatz zur deutschen Regelung nicht unbedingt um eine Wiedereinbürgerung von ausgebürgerten Personen und ihren Nachkommen. Vielmehr können auch Personen von der Regelung erfasst sein, die die österreichische Staatsangehörigkeit aus anderen Gründen als der Ausbürgerung verloren haben (etwa durch Eheschließung) oder die die österreichische Staatsangehörigkeit nie besessen haben. Ausdrücklich sind von der Norm etwa auch Staatenlose erfasst. Relevant ist der Zeitpunkt der Flucht ins Ausland. Diese muss nach der Norm vor dem 15. Mai 1955 erfolgt sein. Es muss zudem ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Verfolgung bzw. der Furcht vor Verfolgung und der Ausreise aus Österreich bestehen. Ob die Flucht vor oder nach dem sog. Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich erfolgte, ist hingegen unerheblich. Nach dem zum 1. September 2020 neu eingefügten64 § 58c Abs. 1a StbG haben auch Nachkommen der in Abs. 1 genannten Personen in direkt absteigender Linie einen Anspruch auf Einbürgerung . Dies entspricht der deutschen Regelung. Adoptivkinder sind nach § 58c Abs. 1b StbG ausdrücklich umfasst.65 Unerheblich ist, ob die Nachkommen ehelich oder nichtehelich geboren wurden, solange die Abstammung von der nach § 58c Abs. 1 StbG berechtigten Person dokumentiert ist. Wie nach der deutschen Regelung haben auch nach der österreichischen Norm die Ehepartner der Anspruchsberechtigten kein aus der Ehe abgeleitetes Recht auf Einbürgerung, sondern sie müssen einen eigenen Anspruchsgrund geltend machen. Für Ehepartner von verfolgten Personen besteht aber nach § 11a Abs. 2 Z 3 StbG die Möglichkeit einer erleichterten Einbürgerung.66 Ein Unterschied zur deutschen Regelung liegt darin, dass nach § 58c Abs. 1 und Abs. 1a StbG die Anspruchsberechtigten zusätzliche Anforderungen erfüllen müssen, nämlich die „Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 [StbG]“. Dabei handelt es sich unter anderem um das Erfordernis, dass die Person nicht rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde und keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Für Personen, die eine Verfolgung durch die Nationalsozialisten erlitten haben, aber nicht unter den Anwendungsbereich von § 58c Abs. 1 StbG fielen, sah § 10 Abs. 4 Z 2 StbG bisher eine erleichterte Einbürgerung vor. Die Norm stellte aber insgesamt dennoch höhere Anforderungen an 64 Staatsbürgerschaftsrechtsänderungsgesetz 2018 (BGBl. I Nr. 96/2019). 65 Wie oben unter 2.1. dargestellt, sind diese auch nach dem deutschen Recht anspruchsberechtigt, wenn auch nicht ausdrücklich genannt. 66 Nach dem deutschen Recht besteht für Ehepartner von Deutschen die Möglichkeit der erleichterten Einbürgerung nach § 9 StAG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 194/20 Seite 15 die Einbürgerung als § 58c Abs. 1 StbG, so musste etwa der Lebensunterhalt gesichert sein. Von österreichischer Seite wird darauf hingewiesen, dass diese Norm (trotz weiteren Bestehens) zukünftig keine Anwendung mehr finden werde, da sie der novellierten Fassung des § 58c Abs. 1 StbG entspreche. Für den Vollzug des österreichischen Staatsangehörigkeitsrechts sind die Bundesländer zuständig . Verwaltungsvorschriften oder Erlasse, die die Einbürgerung verfolgter Personen regeln, existieren – jedenfalls auf Bundesebene – nicht. Zwar gibt es eine Verordnung des Bundesministers für Inneres für die Durchführung des StbG67, diese enthält aber keine Bestimmungen zur Anwendung von § 58c StbG. *** 67 Verordnung des Bundesministers für Inneres vom 31. Juli 1985 zur Durchführung des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (Staatsbürgerschaftsverordnung 1985), konsolidierte Fassung abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10005589 (Stand: 8. Oktober 2020).