© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 193/20 Zulässigkeit einer nachträglichen Verpflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/20 Seite 2 Zulässigkeit einer nachträglichen Verpflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 193/20 Abschluss der Arbeit: 25. August 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/20 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung befasst sich mit der Frage, ob eine nachträgliche Verpflichtung von Privatpersonen bzw. Vertrauensleuten nach dem Verpflichtungsgesetz möglich ist. Zudem wurde nach den Folgen einer unwirksamen Verpflichtung gefragt. 2. Vertrauensleute Vertrauensleute werden sowohl von den Nachrichtendiensten als auch von der Polizei für die Informationsgewinnung verwendet. Nach der Legaldefinition in § 9b Abs. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)1 sind Vertrauensleute „Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz Dritten nicht bekannt ist“. Auch einige Länder haben in ihre Verfassungsschutzgesetze eine ähnliche Definition aufgenommen.2 Vertrauensleute sind freie Mitarbeiter, die nicht dem Verfassungsschutz angehören, sondern „wegen ihrer Zugehörigkeit oder Nähe zu dem Beobachtungsobjekt über geheim gehaltene Interna desselben mit verfassungsschutzrechtlicher Relevanz berichten können und auf längere Zeit insgeheim , d. h. ohne Kenntnis der beobachteten Organisation oder Person, mit der Verfassungsschutzbehörde zusammenarbeiten“3. Sie unterstehen der Führung und Kontrolle durch den Verfassungsschutz . Auch die Polizei bedient sich der Tätigkeit von Vertrauensleuten. So sieht etwa § 45 Abs. 2 Nr. 4 Bundeskriminalamtgesetz (BKAG)4 den „Einsatz von Privatpersonen, deren Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensperson)“ vor.5 Im Folgenden bezieht sich der Begriff „Vertrauensleute“ sowohl auf solche, die für einen Nachrichtendienst tätig sind, als auch auf solche, die von der Polizei eingesetzt werden. Vertrauensleute werden in der Regel nach dem Verpflichtungsgesetz6 zur Mitarbeit und Geheimhaltung verpflichtet .7 1 Vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Artikel 16 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). 2 Siehe etwa Art. 19 Abs. 1 BayVSG, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 6a NVerfSchG. 3 Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 8 BVerfSchG Rn. 26 m.w.N. 4 Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) vom 1. Juni 2017 (BGBl. I S. 1354; 2019 I S. 400), zuletzt geändert durch Artikel 152 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). 5 Eine Auflistung der entsprechenden Normen der Landespolizeigesetze ist zu finden bei Graulich, in: Lisken /Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kapitel E Rn. 743. 6 Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) vom 2. März 1974, (BGBl. I S. 469, 547), zuletzt geändert durch § 1 Nummer 4 des Gesetzes vom 15. August 1974 (BGBl. I S. 1942). 7 Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 8 BVerfSchG Rn. 29 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/20 Seite 4 3. Verpflichtungsgesetz Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Verpflichtungsgesetz sollen Personen, die ohne Amtsträger zu sein bei einer Behörde oder einer sonstigen Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, beschäftigt oder für sie tätig sind, auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten verpflichtet werden. Bestimmte Straftaten (die sog. Amtsdelikte nach §§ 331 ff. Strafgesetzbuch - StGB) können nur von Amtsträgern oder von Personen, die für den öffentlichen Dienst besonders verpflichtet wurden, begangen werden. Durch die Verpflichtung wird die verpflichtete Person in strafrechtlicher Hinsicht einem Amtsträger gleichgestellt, ohne statusrechtlich Amtsträger zu sein.8 Die Verpflichtung begründet zudem die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit.9 Die Verschwiegenheitspflicht erstreckt sich auf alle bei der behördlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Angelegenheiten .10 Im Rahmen eines Strafverfahrens (§ 54 Abs. 1 Strafprozessordnung - StPO) sowie eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses (§ 23 Abs. 1 Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages i.V.m. § 54 Abs. 1 StPO) führt die Verpflichtung dazu, dass die verpflichtete Person für eine Zeugenaussage einer Aussagegenehmigung bedarf.11 Die Zuständigkeit für die Verpflichtung ergibt sich aus § 1 Abs. 4 Verpflichtungsgesetz. Nach § 1 Abs. 2 Verpflichtungsgesetz ist die Verpflichtung mündlich vorzunehmen. Dabei ist auf die strafrechtlichen Folgen einer Pflichtverletzung hinzuweisen. Gemäß § 1 Abs. 3 Verpflichtungsgesetz ist über die Verpflichtung eine Niederschrift anzufertigen und vom Verpflichteten zu unterzeichnen . Dem Verpflichteten muss eine Abschrift ausgehändigt werden, wenn nicht Interessen der inneren oder äußeren Sicherheit der Bundesrepublik dagegen sprechen. Ein Verstoß gegen die Formvorschriften aus § 1 Abs. 2 und 3 Verpflichtungsgesetz führt zur Nichtigkeit der Verpflichtung .12 Dies gilt jedenfalls dann, wenn aufgrund der fehlenden Niederschrift nicht erkennbar ist, ob eine wirksame Verpflichtung vorgenommen wurde.13 Die Nichtigkeit hat zur Folge, dass die Wirkung der Verpflichtung nicht eintreten kann. Die Person unterliegt daher weder einer Pflicht zur Amtsverschwiegenheit noch kann sie sich wegen eines Amtsdeliktes strafbar machen.14 Da die Person die Stellung einer Privatperson behält, bedarf sie auch keiner Aussagegenehmigung. 8 VG Schwerin, NVwZ 2007, 852 (853); vgl. auch Saliger, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), StGB, 5. Aufl. 2017, § 11 Rn. 48. 9 Vgl. BGH NJW 1980, 846 (847). 10 Glauben, in: Glauben/Brocker (Hrsg.), PUAG, 3. Aufl. 2016, § 23 Rn. 8. 11 Heyer, in: Waldorf/Gärditz (Hrsg.), PUAG, 1. Aufl. 2015, § 26 Rn. 8; siehe auch Barrot/Faeser, Zeugenvernehmungen von V-Leuten in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, in: NVwZ 2016, 1205. 12 Vgl. BGH NJW 1980, 846 (846). 13 Vgl. BGH NJW 1980, 846 (846). 14 Vgl. BGH NJW 1980, 846 (847). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/20 Seite 5 4. Zulässigkeit einer nachträglichen Verpflichtung? Fraglich ist, ob eine Verpflichtung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Verpflichtungsgesetz auch noch vorgenommen werden kann, wenn die Tätigkeit der Person für die Behörde bereits beendet ist. Rechtsprechung existiert zu dieser Frage – soweit ersichtlich – nicht. Auch in der juristischen Literatur wird die Frage nicht behandelt. Der Wortlaut von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Verpflichtungsgesetz spricht gegen eine Möglichkeit der Verpflichtung nach Beendigung der Tätigkeit. Verpflichtet werden soll danach eine Person, die „bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt , beschäftigt oder für sie tätig ist“. Einen ähnlichen Wortlaut hat auch die Legaldefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 4a StGB: Danach ist ein „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter“ unter anderem, „wer ohne Amtsträger zu sein, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, beschäftigt oder für sie tätig und auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet ist“. Beide Normen gehen dem Wortlaut nach von einer noch bestehenden Tätigkeit aus. Auch der Sinn und Zweck der Verpflichtung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Verpflichtungsgesetz könnte gegen eine nachträgliche Verpflichtung sprechen. Zweck der Verpflichtung ist insbesondere die strafrechtliche Gleichstellung von verpflichteten Personen mit Amtsträgern. Für die Beantwortung der Frage, ob eine nachträgliche Verpflichtung möglich ist, bietet sich daher ein Vergleich mit der Amtsträgerschaft an. Die Amtsträgerschaft endet bei Beamten mit dem Ruhestand.15 Dieser hat die Beendigung der dienstlichen Tätigkeit zur Folge.16 Dies dürfte dafür sprechen, dass eine Privatperson nach der endgültigen Beendigung ihrer Tätigkeit für eine Behörde keine einem Amtsträger gleichgestellte Stellung mehr erlangen kann. Zudem sollen grundsätzlich alle Personen, die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 Verpflichtungsgesetz genannt sind, verpflichtet werden.17 Eine Verpflichtung soll nur ausnahmsweise dann nicht vorgenommen werden, wenn bei der Tätigkeit der Person die Begehung eines Amtsdeliktes nicht möglich ist. Die Tatsache, dass die Verpflichtung grundsätzlich immer erfolgen soll und nicht etwa von einem erst später im Rahmen der Tätigkeit erfolgenden Ereignis abhängig ist, spricht dafür, dass die Verpflichtung grundsätzlich zu Beginn der Tätigkeit vorgenommen werden muss. Dies dürfte insbesondere für Vertrauensleute gelten, da erst die förmliche Verpflichtung das beim Einsatz von Vertrauensleuten besonders wichtige Verschwiegenheitsverhältnis begründet18. Eine Vertrau- 15 Für Bundesbeamte ergibt sich dies aus § 10 Abs. 3, § 30 Nr. 4 BBG. 16 Vgl. Sauerland, in: Brinktrine/Schollendorf (Hrsg.), BeckOK Beamtenrecht Bund, 19. Edition Stand: 1.4.2020, § 30 BBG Rn. 16.1. 17 BT-Drs. 7/550, S. 365. 18 Barrot/Faeser, Zeugenvernehmungen von V-Leuten in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, in: NVwZ 2016, 1205 (1206). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/20 Seite 6 ensperson, die nicht verpflichtet wurde, ist nicht daran gehindert, ihre Tätigkeit Dritten gegenüber zu offenbaren. Die Verpflichtung von Vertrauensleuten dürfte daher unverzüglich vorzunehmen sein. Dies gilt vor allem deshalb, weil die Wirkung der Verpflichtung erst mit dem Zeitpunkt ihrer förmlichen Vornahme eintreten kann. Eine rückwirkende Verpflichtung dürfte – auch bei einer noch bestehenden Tätigkeit – nicht möglich sein. Dies lässt sich daraus ableiten, dass die Verpflichtung eine Strafbarkeit begründen kann und für das Strafrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 1 und 2 StGB ein Rückwirkungsverbot besteht. Aufgrund des Rückwirkungsverbots ist die Begehung eines Amtsdelikts erst nach der Begründung der Amtsträgerschaft bzw. der Verpflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz möglich.19 Da eine für eine Behörde tätige Privatperson nach der Beendigung ihrer Tätigkeit keine öffentlichen Aufgaben mehr wahrnimmt, und daher kein Amtsdelikt begehen kann, hätte eine Verpflichtung, die erst zu diesem Zeitpunkt erfolgt, faktisch keine Wirkung. Nach diesen Erwägungen dürfte eine Verpflichtung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Verpflichtungsgesetz, die nach der Beendigung der Tätigkeit der Person für eine Behörde erfolgt, sowohl gegen den Wortlaut der Norm als auch gegen ihren Sinn und Zweck verstoßen und daher unzulässig sein. *** 19 Vgl. Saliger, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), StGB, 5. Aufl. 2017, § 11 Rn. 21.