© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 193/17 Petitionsrecht auf kommunaler Ebene Aktualisierung der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 351/06 vom 27. September 2006 Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 193/17 Seite 2 Petitionsrecht auf kommunaler Ebene (Aktualisierung der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 351/06 vom 27. September 2006) Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 193/17 Abschluss der Arbeit: 16. Oktober 2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 193/17 Seite 3 1. Einleitung Der Sachstand WD 3- 3000 - 351/06 zum „Petitionsrecht auf kommunaler Ebene“ aus 2006 informiert über die rechtlichen Regelungen in den verschiedenen Bundesländern und die Rechtsprechung. Gebeten wird nun um eine Aktualisierung des Sachstands, insbesondere in Hinblick auf eventuelle Änderungen der Rechtsgrundlagen. Die Änderungen bei den Rechtsgrundlagen beruhen nicht auf neuen Urteilen der Rechtsprechung. 2. Einräumung eines kommunalen Petitionsrechts Die Möglichkeit, Petitionen unmittelbar an Stellen der kommunalen Selbstverwaltung zu richten , ist in 11 der 16 Bundesländer vorgesehen. Die Vorschriften sind auf der Ebene einfachen Landesrechts in den Gemeindeordnungen bzw. in der Kommunalverfassung (Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) enthalten. Für die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg (mit Ausnahme Bremerhavens) gelten jeweils Landesverfassungen. Vgl. dazu auch die tabellarische Übersicht (Anlage 1). 2.1. Bayern Art. 56 Abs. 3 BayGO: „Jeder Gemeindeeinwohner kann sich mit Eingaben und Beschwerden an den Gemeinderat wenden.“ 2.2. Berlin Art. 34 BlnVerf (Landesverfassung): „Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen mit schriftlichen Anträgen, Anregungen oder Beschwerden an die zuständigen Stellen, insbesondere an das Abgeordnetenhaus, den Senat, die Bezirksverordnetenversammlungen oder die Bezirksämter, zu wenden.“ 2.3. Brandenburg § 16 BbgKVerf (Kommunalverfassung): „Jeder hat das Recht, sich in Gemeindeangelegenheiten mit Vorschlägen, Hinweisen und Beschwerden einzeln oder gemeinschaftlich an die Gemeindevertretung oder den Bürgermeister zu wenden. Der Einreicher ist innerhalb von vier Wochen über die Stellungnahme zu den Vorschlägen, Hinweisen oder Beschwerden zu unterrichten. Ist dies nicht möglich, erhält er einen Zwischenbescheid.“ 2.4. Bremen Art. 105 Abs. 6 BremVerf (Landesverfassung Freie Hansestadt Bremen): „Die Bürgerschaft wählt einen Petitionsausschuss, dem die Behandlung der einzeln oder in Gemeinschaft an die Bürgerschaft gerichteten Bitten, Anregungen und Beschwerden obliegt. Das zuständige Mitglied des Senats ist verpflichtet, dem Petitionsausschuss auf Verlangen seiner Mitglieder Akten vorzulegen, Zutritt zu den von ihm verwalteten öffentlichen Einrichtungen zu gewähren, alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und Amtshilfe zu leisten. Das Nähere regelt ein Gesetz.“ § 19 VerfBrhv (Verfassung Stadt Bremerhaven): „(1) Jede Person hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen in Angelegenheiten der Stadt mit Bitten, Beschwerden, Anregungen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 193/17 Seite 4 und Kritik (Petitionen) an die Stadtverordnetenversammlung zu wenden. Die Zuständigkeiten des Magistrats werden hierdurch nicht berührt. Zur Vorbereitung ihrer Entscheidungen bildet die Stadtverordnetenversammlung einen Petitionsausschuss. (2) Die näheren Bestimmungen trifft ein Ortsgesetz.“ 2.5. Hamburg Art. 28 HmbVerf (Landesverfassung): „(1) Die Bürgerschaft bestellt einen Eingabenausschuss, dem die Behandlung der an die Bürgerschaft gerichteten Bitten und Beschwerden obliegt. (2) Bei der Überprüfung von Beschwerden wird der Eingabenausschuss als parlamentarisches Kontrollorgan tätig. Das Gesetz bestimmt das Nähere.“ 2.6. Mecklenburg-Vorpommern § 14 Abs. 1 KV M-V (Kommunalverfassung): „Die Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde haben das Recht, sich schriftlich oder zur Niederschrift mit Anregungen und Beschwerden an die Gemeindevertretung zu wenden. Sie sind über die Stellungnahme der Gemeindevertretung oder eines Ausschusses unverzüglich zu unterrichten.“ 2.7. Niedersachsen § 22c NGO: „Jede Person hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Anregungen und Beschwerden in Angelegenheiten der Gemeinde an den Rat zu wenden. Die Zuständigkeiten des Verwaltungsausschusses, der Ausschüsse, Stadtbezirksräte und Ortsräte und der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters werden hierdurch nicht berührt. Die Erledigung von Anregungen und Beschwerden kann der Rat dem Verwaltungsausschuss übertragen. Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist über die Art der Erledigung der Anregung oder Beschwerde zu unterrichten. Das Nähere regelt die Hauptsatzung.“ 2.8. Nordrhein-Westfalen § 24 GO NRW: „(1) Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Anregungen oder Beschwerden in Angelegenheiten der Gemeinde an den Rat oder die Bezirksvertretung zu wenden. Die Zuständigkeiten der Ausschüsse, der Bezirksvertretungen und des Bürgermeisters werden hierdurch nicht berührt. Die Erledigung von Anregungen und Beschwerden kann der Rat einem Ausschuss übertragen. Der Antragsteller ist über die Stellungnahme zu den Anregungen und Beschwerden zu unterrichten. (2) Die näheren Einzelheiten regelt die Hauptsatzung.“ 2.9. Rheinland-Pfalz § 16b GemO RPF: „Jeder hat das Recht, sich schriftlich mit Anregungen und Beschwerden aus dem Bereich der örtlichen Verwaltung an den Gemeinderat zu wenden. Soweit der Bürgermeister kraft Gesetzes zuständig ist, hat der Gemeinderat ihm die Behandlung der Anregungen und Beschwerden zu überlassen. Zur Erledigung der sonstigen Anregungen und Beschwerden kann der Gemeinderat Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 193/17 Seite 5 einen Ausschuss bilden. Der Antragsteller ist über die Behandlung der Anregungen und Beschwerden zu unterrichten.“ 2.10. Sachsen § 12 SächsGemO: „(1) Jede Person hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen in Gemeindeangelegenheiten mit Vorschlägen, Bitten und Beschwerden (Petitionen) an die Gemeinde zu wenden. Dem Petenten ist innerhalb angemessener Frist, spätestens aber nach sechs Wochen, ein begründeter Bescheid zu erteilen. Ist innerhalb von sechs Wochen ein begründeter Bescheid nicht möglich, ist ein Zwischenbescheid zu erteilen. (2) Der Gemeinderat kann für die Behandlung von Petitionen, die in seine Zuständigkeit fallen, einen Petitionsausschuss bilden.“ 2.11. Schleswig-Holstein § 16e GO SH: „Die Einwohnerinnen und Einwohner haben das Recht, sich schriftlich oder zur Niederschrift mit Anregungen und Beschwerden an die Gemeindevertretung zu wenden. Die Zuständigkeiten der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters werden hierdurch nicht berührt. Antragstellerinnen und Antragsteller sind über die Stellungnahme der Gemeindevertretung zu unterrichten.“ 3. Adressat der Petitionen gem. Art. 17 GG Außer der in den o.g. landesrechtlichen Vorschriften ausdrücklich bestehenden Möglichkeit, Petitionen an die jeweils genannten gebietskörperschaftlichen Organe einzureichen, ist weiterhin eine Adressierung dieser Organe auch in den nicht mit einschlägigen Regelungen versehenen Ländern möglich. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 17 GG. Dieser bestimmt: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und die Volksvertretung zu wenden.“ Danach sind Petitionen an kommunale Vertretungsorgane ebenfalls zu adressieren, wenn diese unter den Begriff der „Volksvertretung“ oder den der „zuständigen Stelle“ fallen. Das OVG Münster1 hat daraus einen umfassenden Adressatenbegriff entnommen: „Petitionsadressaten sind ‚die zuständigen Stellen‘ und, d.h. parallel und nicht alternativ, ‚die Volksvertretung‘. Damit ist der Kreis der Petitionsadressaten so weit gezogen, dass er sämtliche Organe des Bundes oder der Länder umfasst, gleichgültig, ob sie der gesetzgebenden, vollziehenden oder rechtsprechenden Gewalt, der unmittelbaren oder mittelbaren (z.B. kommunalen), der Eingriffs-, fiskalischen oder leistenden Verwaltung angehören oder Behörden im technischen Sinne des Wortes sind.“ 1 Entscheidung abgedruckt in: NJW 1979, 281 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 193/17 Seite 6 Davon ausgehend hat das OVG parallel zur „zuständigen Stelle“ die Eigenschaft eines Gemeinderats als „Volksvertretung“ mit der Begründung bejaht, eine Einbeziehung kommunaler Vertretungskörperschaften sei „durch Art. 28 I GG verfassungsrechtlich geboten“: Das Gebot der Homogenität in Bund und Ländern hinsichtlich Institutionen und Verfahren verlange die Einrichtung einer gewählten Vertretung – trotz fehlender Eigenstaatlichkeit – auch auf kommunaler Ebene. Ergebe sich aber die demokratische Legitimation des kommunalen Vertretungsorgans aus der Wahl durch das Volk, das darin seinen politischen Willen äußere, so müsse sie auch „Volksvertretung“ i.S. des Art. 17 GG sein. Dieses Grundrecht sei „entscheidend gerade von der Rechtsidee eines unmittelbaren parlamentarischen Anrufungsrechtes als eines Instruments des staatlichen Integrationsprozesses zwischen den demokratischen Repräsentationskörperschaften und dem einzelnen bestimmt.“2 Zwar ergibt sich – wenn man dieser Einschätzung folgt – daraus die Verpflichtung der gemeindlichen Organe, Petitionen entgegenzunehmen, doch muss für eine Entscheidung über die Petition auch „eine konkrete administrative Kompetenz gegeben sein“3. Ist eine derartige Kompetenz gegeben, ist allerdings auch stets von einer „zuständigen Stelle“ im Sinne des Art. 17 GG auszugehen . Daher wird der (eben umrissene) Streit über die Eigenschaft von Gemeindevertretungen als „Volksvertretung“ zumeist als hinfällig betrachtet4, wie auch das OLG Düsseldorf5 früh konstatierte: „Denn in jedem Falle ist der Gemeinderat eine ‚zuständige Stelle‘ i. S. von Art. 17 GG.“ 2 Ebenso Bauer, in: Dreier, GG, 2. Auflage 2004, Art. 17 Rn. 6 und 30: „Petitionsadressaten sind die ‚zuständigen Stellen‘ und die ‚Volksvertretung‘. Dabei zählt man zur ‚Volksvertretung‘ nicht nur Bundestag und Länderparlamente , sondern überwiegend auch Gemeinde- und Kreisparlamente sowie mitunter einzelne Abgeordnete.“; Uerpmann-Wittzack, in. v. Münch/Kunig, GG, 6. Auflage 2012, Art. 17 Rn. 24: „Die Vertretungskörperschaften der Gemeinden und Kreise wegen Art. 28 I 2 (…) sind ebenfalls als ‚Volksvertretungen‘ anzusehen.“; a. A.: Erlenkämper, in: NVwZ 1995, 649 ff. (659) und bereits in NVwZ 1984, 622 ff. (625 f.): „Unstreitig ist der Rat der Gemeinde eine Volksvertretung; gleichwohl ist er aber andererseits kein Parlament im überkommenen Parlamentsverständnis . Gerade aber gegenüber dem Parlament im eigentlichen Sinne sollte aus Gründen der Gewaltenteilung das Petitionsrecht bestehen.“ 3 Langenfeld, in: HStR Bd. III, 3. Auflage 2005, § 39, S. 263 ff. (278 f.). 4 So z.B. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Auflage 2005, Art. 17 Rn. 45: „Letztlich ist dies jedoch ohne Bedeutung, da die Gemeindevertretungen bei anderer Betrachtungsweise jedenfalls als ‚zuständige Stellen‘ zu betrachten wären.“; Krings, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, GG, 9. EL 2003, Art. 17, Rn. 54: „Umstritten ist, ob auch die kommunalen Vertretungskörperschaften und unter den Begriff ‚Volksvertretung‘ zu subsumieren sind. Die Beantwortung dieser Frage erlangt zwar im Ergebnis wenig Relevanz, da die kommunalen Vertretungskörperschaften zumindest ‚Stellen‘ sind; sie ist gleichwohl positiv zu beantworten, wofür auch die Formulierung des Art. 28 I 2 GG streitet.“ (m. w. N.); Krüger/Pagenkopf, in: Sachs, GG, 7. Auflage 2014, Art. 17 Rn. 10: „Der Meinungsstreit, ob letztere (scil.: Gemeinderäte bzw. Kreistage) auch Volksvertretungen sein können, ist unergiebig , da sie jedenfalls ‚Stellen‘ i.S. des Art. 17 GG und damit Petitionsadressaten sind.“ 5 Entscheidung abgedruckt in: NVwZ 1983, 502 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 193/17 Seite 7 Anlage 1: Tabellarische Übersicht über die Regelungen der einzelnen Länder x = keine Regelung Petent Adressat Übertragung an einen Ausschuss Unterrichtung des Petenten Bayern „Jeder“ Gemeinderat x x Berlin „Jeder“ zuständigen Stellen x x Brandenburg „Jeder“ Gemeindevertretung oder Bürgermeister x binnen 4 Wochen (anderenfalls Zwischenbescheid) Bremen/ Bremerhaven einzeln oder gemeinschaftlich „Jede Person“ Bürgerschaft Stadtverordnetenversammlung Petitionsausschuss Petitionsausschuss x x Hamburg x Bürgerschaft Eingabenausschuss x Mecklenburg- Vorpommern „Die Einwohnerinnen und Einwohner“ Gemeindevertretung Ausschussbildung möglich unverzügliche Unterrichtung über Stellungnahme Niedersachsen „Jede Person“ Gemeinderat „kann einem Verwaltungsausschuss übertragen werden“ Unterrichtung über die Art der Erledigung Nordrhein- Westfalen „Jeder“ Gemeinderat oder Bezirksvertretung „kann einem Ausschuss übertragen werden“ Unterrichtung über die Stellungnahme Rheinland-Pfalz „Jeder“ Gemeinderat „kann einen Ausschuss bilden“ Unterrichtung über die Behandlung Sachsen „Jede Person“ Gemeinderat „kann einen Petitionsausschuss bilden“ binnen 6 Wochen begründeter Bescheid (anderenfalls Zwischenbescheid) Schleswig- Holstein „Die Einwohnerinnen und Einwohner“ Gemeindevertretung x Unterrichtung über die Stellungnahme