© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 193/15 Verfassungsrechtliche Grenzen der finanziellen Förderung von Initiativen gegen Rechtsextremismus Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/15 Seite 2 Verfassungsrechtliche Grenzen der finanziellen Förderung von Initiativen gegen Rechtsextremismus Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 193/15 Abschluss der Arbeit: 22. September 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/15 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird, ob Projekte und Aktionen gegen Rechtsextremismus mit staatlichen Mitteln finanziert werden dürfen und welche verfassungsrechtlichen Grenzen insoweit bestehen. Als Beispiele genannt werden Bildungsveranstaltungen, Beratungsstrukturen, Begegnungszentren sowie die Unterstützung einzelner Demonstrationen und Aktionen wie etwa des „Christopher Street Day“ und von Festen zur Förderung der „Willkommenskultur“. Als weitere Beispiele werden ferner Gegendemonstrationen gegen rechtsextremistische und populistische Parteien erwähnt. Ziel dieser Ausarbeitung ist – der Fragestellung entsprechend – die Prüfung, inwieweit das materielle Verfassungsrecht einer finanziellen Förderung derartiger Projekte Grenzen setzt.1 Haushaltsund finanzverfassungsrechtliche Fragen einschließlich solcher der föderalen Zuständigkeitsabgrenzung werden nicht untersucht. 2. Verfassungsrechtliche Grenzen der finanziellen Förderung Bei der finanziellen Förderung bestimmter Projekte handelt es sich um Leistungsverwaltung, bei der dem Staat aus verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum zusteht. Verfassungsrechtliche Grenzen können sich gleichwohl ergeben, wenn durch die Förderung Grundrechte Dritter oder andere Verfassungsgüter tangiert werden. Vorliegend können sich verfassungsrechtliche Grenzen der staatlichen Förderung der beschriebenen Projekte und Aktionen zum einen aus der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG), zum anderen aus dem Grundsatz der Chancengleichheit politischer Parteien nach Art. 21 Abs. 1 GG ergeben. 2.1. Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) 2.1.1. Art. 5 Abs. 1 GG als Abwehrrecht Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet jedem das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten . Meinungen in diesem Sinne sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt2 und durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet.3 Derartige Meinungsäußerungen genießen den Schutz durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG unabhängig davon, ob eine Äußerung als begründet oder grundlos, emotional oder rational, wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos 1 Zur hier nicht aufgeworfenen Frage der Rechtmäßigkeit sog. Extremismusklauseln in Förderbescheiden vgl. Ingold, „Extremismusklauseln“ bei der Vergabe öffentlicher Fördermittel, DÖV 2015, 13, sowie Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Extremismusklausel im Zuwendungsbereich (WD 3 - 3000 - 020/11), 2011. 2 BVerfGE 7, 198 (210). 3 BVerfGE 7, 198 (210); 61, 1 (8); 90, 241 (247); 124, 300 (320). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/15 Seite 4 erscheint.4 Der Grundrechtsschutz hängt auch nicht davon ab, ob mit der Meinungsäußerung die Wertentscheidungen des Grundgesetzes geteilt werden.5 Auch extremistische Äußerungen unterfallen daher dem Schutz der Meinungsfreiheit.6 Das Grundgesetz vertraut insoweit auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien.7 Die Äußerung der hier in Rede stehenden rechtsextremistischen Meinungen unterfällt insoweit dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Fraglich ist, ob der Staat durch eine finanzielle Förderung der genannten Projekte und Aktionen in diesen Schutzbereich der Meinungsfreiheit von Anhängern rechtsextremistischer Auffassungen eingreift. Ein Eingriff im klassischen Sinne, also in Gestalt eines hoheitlichen Rechtsakts, der final, unmittelbar und imperativ grundrechtlich geschütztes Verhalten beschränkt, ist in der Gewährung finanzieller Zuwendungen nicht zu sehen. Die Möglichkeit der Meinungsäußerung von Anhängern rechtsextremer Anschauungen wird durch die Zuwendungen zumindest rechtlich nicht beschränkt. In Betracht kommt allenfalls ein faktischer oder mittelbarer Eingriff. Der Abwehrgehalt der Grundrechte kann auch bei faktischen oder mittelbaren Beeinträchtigungen des Schutzbereichs betroffen sein, wenn diese in der Zielsetzung und in ihren Wirkungen Eingriffen gleichkommen8 und damit die Eingriffsschwelle überschreiten. Auch unter Zugrundelegung dieses erweiterten Eingriffsverständnisses wird man in der finanziellen Förderung der skizzierten Projekte durch den Staat aber keinen faktischen oder mittelbaren Eingriff in die Meinungsfreiheit von Anhängern rechtsextremer Anschauungen sehen können. Die Förderung ermöglicht den Projekten zwar möglicherweise ein intensiveres Werben für ihre Anschauungen und gegen rechtsextreme Anschauungen. Damit geht aber keine Verkürzung der Meinungsäußerungsfreiheit von Anhängern rechtsextremer Anschauungen einher: Ihnen wird auch faktisch nicht die Möglichkeit genommen oder verkürzt, sich zu äußern und für ihre Anschauungen zu werben. Lediglich der Erfolg in der geistigen Auseinandersetzung mag damit erschwert werden. Dies ist aber keine Verkürzung der grundrechtlich geschützten Freiheit. Art. 5 Abs. 1 GG schützt zwar auch die sog. Wirkungsdimension der Meinungsfreiheit.9 Auch dies hat aber abwehrrechtlichen Charakter, meint also, dass der Grundrechtsträger nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Art und Weise der Meinungsäußerung grundsätzlich frei von staatlichen Beschränkungen ist. 4 BVerfGE 90, 241 (247); 124, 300 (320). 5 BVerfGE 124, 300 (320). 6 Vgl. Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, 74. Ergänzungslieferung 2015 (Kommentierung 68. Ergänzungslieferung 2013), Art. 5 Rn. 68. 7 BVerfGE 124, 300 (320). 8 BVerfGE 116, 202 (222). 9 BVerfGE 97, 391 (398). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/15 Seite 5 Im Übrigen ist Art. 5 Abs. 1 GG ein Anspruch auf staatliche Leistungen grundsätzlich nicht zu entnehmen.10 Es ist insoweit nicht ersichtlich, dass durch die Förderung der Projekte der Schutzbereich der Meinungsfreiheit tangiert wird, solange diese Projekte nicht das Ziel verfolgen, den eigentlichen Vorgang der Meinungsäußerung und -verbreitung von Anhängern rechtsextremer Anschauungen zu erschweren, sondern sich auf eine inhaltliche Beteiligung am Meinungskampf beschränken. Würde hingegen das Ziel verfolgt, die Meinungskundgabe selbst zu stören, sei es in Gestalt physischer oder akustischer Behinderungen durch Gegendemonstrationen oder auf andere Weise, läge in der staatlichen Förderung solcher Aktionen ein mittelbarer Grundrechtseingriff. In diesem Fall wäre nicht nur eine staatliche Förderung unzulässig. Der Staat kann je nach Schwere der Beeinträchtigungen sogar verpflichtet sein, in Erfüllung seiner grundrechtlichen Schutzpflichten Abwehrmaßnahmen gegen Störungen zu treffen. 2.1.2. Objektiv-rechtlicher Gehalt des Art. 5 Abs. 1 GG Jenseits der abwehrrechtlichen Dimension des Art. 5 Abs. 1 GG wird dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit auch ein objektiv-rechtlicher Gehalt beigemessen. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Grundrecht als für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung „schlechthin konstituierend“ bezeichnet, da es „die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist“, erst ermögliche.11 Art. 5 Abs. 1 GG schützt danach nicht nur das individuelle Freiheitsrecht des Einzelnen, sondern hat zugleich eine objektive Funktion in Bezug auf die politische Willensbildung des Volkes.12 Das legt nahe, dass der Staat sich meinungsneutral zu verhalten habe und nicht selektiv bestimmte Meinungen fördern, andere hingegen bekämpfen dürfe. Ein solcher objektiver Gehalt der Meinungsfreiheit wäre auch im Rahmen haushaltsrechtlicher Ermessensentscheidungen über die Gewährung von Zuwendungen zu berücksichtigen. Allerdings lässt sich Art. 5 Abs. 1 GG eine Pflicht zur gänzlichen Meinungsneutralität des Staates nicht entnehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit der Informationstätigkeit der Bundeszentrale für politische Bildung ausgeführt : „Namentlich gestattet sie [die Aufgabe der Staatsleitung, Anm. d. Verf.] es der Bundesregierung , die Bürger mit solchen Informationen zu versorgen, deren diese zur Mitwirkung an der demokratischen Willensbildung bedürfen (vgl. BVerfGE 105, 279 <302>). Angesichts dessen ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Bundesregierung eine Bundeszentrale für politische Bildung unterhält, die ihrerseits publizistische Foren für politische Debatten betreibt. Eingebunden in einen Bildungsauftrag ist diese auch nicht von vornherein darauf verwiesen, alle im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungen formal gleich zu 10 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 18. 11 BVerfGE 7, 198 (208). 12 Vgl. Schmidt-Jortzig, Meinungs- und Informationsfreiheit, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VI, 2. Aufl. 2001, § 141 Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/15 Seite 6 behandeln; vielmehr kann sie insoweit auch wertende Unterscheidungen treffen, hat dabei aber Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren. Hierbei können insbesondere Kriterien wie Qualität und Repräsentativität eine maßgebliche Rolle spielen; insofern ist es der Bundeszentrale für politische Bildung nicht grundsätzlich verwehrt, Extremmeinungen am Rande des politischen Spektrums und solche, die von der Wissenschaft nicht ernst genommen werden, nicht zu berücksichtigen, sie als solche zu bezeichnen und sich demgegenüber auf die Präsentation von Hauptströmungen zu konzentrieren.“13 Kernaussagen dieser Entscheidung sind, dass der Staat nicht stets alle Meinungen formal gleich zu behandeln hat, sondern auch wertende Unterscheidungen treffen darf, solange dabei Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz gewahrt bleiben. In ähnlicher Weise hat das Bundesverfassungsgericht 2013 festgestellt, dass staatliche Stellen das Für und Wider eines Verbotsantrags gegen eine für verfassungsfeindlich gehaltene Partei „mit der gebotenen Sachlichkeit“ zur Debatte stellen dürfen.14 Anders als im Fall der Informationstätigkeit der Bundeszentrale für politische Bildung geht es bei der vorliegenden Unterstützung von Projekten und Aktionen nicht lediglich um die Erfüllung eines staatlichen Bildungsauftrags, nicht um bloße Informationsversorgung der Bevölkerung, in deren Rahmen distanziert-wertende Unterscheidungen getroffen würden. Die Unterstützung zielt vielmehr auf eine Förderung bestimmter Meinungen im öffentlichen Meinungskampf, nämlich solcher Meinungen, die die Wertentscheidungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unterstützen und diesen zuwiderlaufende rechtsextremistische Auffassungen bekämpfen. Diese Art der staatlichen Einflussnahme auf den freien Meinungsbildungsprozess innerhalb der Gesellschaft erscheint gleichwohl durch die Verfassung selbst gerechtfertigt. Es geht nicht um die willkürliche staatliche Förderung irgendwelcher Meinungen. Die staatliche Fördertätigkeit folgt vielmehr einer Aufgabe, die das Grundgesetz selbst vorgibt: Denn das Grundgesetz enthält „einen Auftrag zur Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer freiheitlichen demokratischen Ordnung mit den Mitteln des Rechtsstaats.“15 Dies ergibt sich aus der Verfassungsentscheidung für eine sogenannte wehrhafte bzw. streitbare Demokratie,16 die insbesondere in Art. 9 Abs. 2 GG (Verbot verfassungswidriger Vereinigungen), Art. 18 GG (Verwirkung von Grundrechten) und Art. 21 Abs. 2 GG (Verbot verfassungswidriger Parteien), aber auch in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. b GG17 zum Ausdruck kommt. Der materiellen Grundentscheidung für die wehrhafte Demokratie 13 BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17. August 2010 – 1 BvR 2585/06 – juris, Rn. 23. 14 BVerfGE 133, 100 (108). 15 BVerfGE 111, 147 (158), Hervorhebungen d. Verf. 16 Hierzu bereits BVerfGE 28, 36 (48 f.); 30, 1 (19 f.); 39, 334 (349). 17 BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22/09 – juris, Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/15 Seite 7 wird auch ein Auftrag zur Wahrnehmung der Aufgabe des Verfassungsschutzes mittels entsprechender Behörden entnommen.18 Aus diesem verfassungsrechtlichen Auftrag zur Bekämpfung der Feinde der freiheitlichen demokratischen Grundordnung folgt, dass unterhalb der Schwellen, die die genannten repressiven und nachrichtendienstlichen Maßnahmen rechtfertigen, jedenfalls eine staatliche Förderung von Meinungen, die für die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eintreten, zulässig sein muss. Anforderungen einer vermeintlichen „politischen Korrektheit“ sind hierfür freilich kein Maßstab und auch nicht mit dem zu schützenden Wertekanon der Verfassung zu verwechseln.19 Die freiheitliche demokratische Grundordnung versteht das Bundesverfassungsgericht vielmehr „als eine Ordnung […], die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“20 Eine auf diese zentralen Grundwerte der Verfassung ausgerichtete staatliche „Meinungsförderung“ erscheint zulässig. Die genannten Anforderungen der Ausgewogenheit und rechtsstaatlichen Distanz, die das Bundesverfassungsgericht an die Informationstätigkeit der Bundeszentrale für politische Bildung gestellt hat, dürften allerdings auch im Rahmen einer solchen Förderung gelten . Diese Einschränkungen und Maßstäbe – Sachlichkeit und Ausgewogenheit der Darstellung, rechtsstaatliche Distanz zu vertretenen Auffassungen – sind letztlich nichts anderes als eine Ausformung des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips, das eine Grenze für jegliches staatliches Handeln markiert. In der finanziellen Förderung der genannten Aktionen und Projekte ist nach alledem keine Verletzung des objektiv-rechtlichen Gehalts der Meinungsfreiheit zu sehen, solange diese Maßstäbe eingehalten werden.21 Mit anderen Worten: Es dürfen nur solche Projekte und Aktionen gefördert werden, die die Gewähr für eine sachliche und ausgewogene Auseinandersetzung mit den bekämpften Auffassungen bieten. Die sachliche und ausgewogene Auseinandersetzung mit Auffassungen, die 18 Vgl. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, 1. Aufl. 1992, § 167 Rn. 67; Schmalenbach, Administrativer Verfassungsschutz: Bürger unter Beobachtung, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie , 2003, S. 415 ff. (S. 445). 19 Vgl. Schliesky, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, in: Isensee/Kirchhof, HbStR XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 49. 20 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 2, 1 (12 f.). 21 I.E. ebenso Battis/Grigoleit/Drohsel, Rechtliche Möglichkeiten zur Verstetigung der finanziellen Mittel zur Demokratieförderung und Bekämpfung des Neonazismus, Gutachten vom 15. Februar 2013, S. 23, abrufbar unter https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/gutachten.pdf (zuletzt abgerufen am 9. September 2015). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/15 Seite 8 sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, ist gewissermaßen der verfassungsrechtlich vorgegebene Förderzweck. Die zweckentsprechende Verwendung der Zuwendungen ist auch nach Maßgabe haushaltsrechtlicher Bestimmungen zu überwachen. So sieht § 44 Bundeshaushaltsordnung eine Nachweispflicht der Zuwendungsempfänger und ein Prüfungsrecht der mittelbewirtschaftenden Stellen vor. Darüber hinaus muss auch die staatliche Auswahl der geförderten Aktionen und Projekte selbst ausgewogen sein. Eine auf die Grundwerte der Verfassung ausgerichtete staatliche „Meinungsförderung “ darf nicht einseitig auf die Abwehr von Bedrohungen aus einer Richtung ausgerichtet sein, nicht nur Auffassungen bestimmter Gegner der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekämpfen. Dies folgt nicht nur aus dem in Art. 5 Abs. 1 GG wurzelnden Gebot der Ausgewogenheit staatlicher Meinungsförderung (s.o.), sondern auch aus dem Gleichbehandlungsgebot und Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG. Konkret bedeutet das, dass der Staat sich bei der Vergabe von Fördermitteln nicht allein auf Projekte gegen Rechtsextremismus beschränken darf, sondern – im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung – auch Projekte gegen andere extremistische Strömungen (insbesondere Linksextremismus und islamistischer Extremismus) zu berücksichtigen hat. Die Förderung muss sich in angemessenem Umfang auf Projekte gegen relevante extremistische Strömungen verschiedener Provenienz verteilen. Eine Gewichtung nach Maßgabe des Gefahrenpotentials für die freiheitliche demokratische Grundordnung erscheint gleichwohl zulässig. Wenn im Haushalt bereitstehende Fördermittel ausschließlich von Projekten gegen extremistische Strömungen einer Richtung beantragt werden, während sich für die Bekämpfung entgegengesetzter extremistischer Strömungen keine förderbaren Projekte finden, liegt darin allerdings keine dem Staat zurechenbare Ungleichbehandlung in Gestalt einer ungleichen „Meinungsförderung“. Es bleibt dem Staat jedoch unbenommen, in diesem Fall selbst meinungsbildende Aufklärungsarbeit über solche extremistischen Strömungen zu leisten, zu deren Bekämpfung im Meinungskampf sich keine privaten Initiativen finden. Abgesehen davon versteht es sich von selbst, dass der Staat zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung keine Initiativen fördern darf, die ihrerseits gegenläufige extremistische Tendenzen aufweisen. 2.2. Betätigungsfreiheit und Chancengleichheit politischer Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) Soweit sich die geförderten Projekte und Aktionen gegen politische Parteien richten, stellt sich ferner die Frage der Vereinbarkeit der Förderung mit Art. 21 Abs. 1 GG. Eingriffe in die Betätigungsfreiheit der Parteien sind zunächst nur nach Maßgabe des Art. 21 Abs. 2 GG (Parteiverbotsverfahren) zulässig.22 Solange das Bundesverfassungsgericht nicht die Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei festgestellt hat, darf sie nicht durch administratives Einschreiten unter Berufung auf die Behauptung ihrer Verfassungswidrigkeit an der Wahrnehmung ihrer Rechte gehindert werden.23 22 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 21 Rn. 37. 23 BVerfGE 133, 100 (107). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/15 Seite 9 Ferner verlangt der Grundsatz der Chancengleichheit aller politischen Parteien, dass diese durch den Staat grundsätzlich gleich behandelt werden. Daraus folgt eine grundsätzliche Neutralitätspflicht des Staates gegenüber Parteien, die es dem Staat untersagt, vorgefundene Unterschiede zwischen den Parteien zu vergrößern.24 Eine Unterstützung von Initiativen, die sich gerade gegen bestimmte Parteien richten, zielt jedoch gerade darauf ab, die Unterschiede zu vergrößern und den freien Wettbewerb zwischen den Parteien zu verzerren. Sie ist daher rechtfertigungsbedürftig. Zur Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung sind besonders gewichtige Gründe erforderlich .25 Als ein solcher kommt wiederum das Verfassungsprinzip der wehrhaften Demokratie in Betracht. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Sperrwirkung des Art. 21 Abs. 2 GG einer Berufung auf ungeschriebene verfassungsimmanente Schranken als Rechtfertigung für sonstige Maßnahmen zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegenstehe .26 Allerdings sind staatliche Stellen nach einer neueren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2013 nicht gehindert, das Für und Wider der Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens gegen eine bestimmte Partei mit der gebotenen Sachlichkeit öffentlich zu erörtern (s.o.).27 Eine Verletzung des Rechts politischer Parteien auf Chancengleichheit kommt jedoch dann in Betracht, wenn die Debatte ersichtlich nicht entscheidungsorientiert, sondern mit dem Ziel der Benachteiligung der betroffenen Partei geführt wird.28 Dasselbe gilt, wenn staatliche Stellen eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung verdächtigen und „ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht“.29 Insgesamt muss die Auseinandersetzung auch hier dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung tragen. Diese Maßstäbe für die unmittelbare Äußerung staatlicher Stellen zu mutmaßlich verfassungswidrigen Parteien lassen sich auf die Zulässigkeit der hier untersuchten staatlichen Unterstützung übertragen: Die Förderung von Aktionen und Projekten, die sich explizit gegen bestimmte Parteien richten, sind nur insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich, als es sich um die sachliche Erörterung von deren verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung handelt. Der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit muss dabei „verständlich“, darf also nicht abwegig sein. Im Umkehrschluss 24 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 74. Ergänzungslieferung 2015 (Kommentierung 64. Ergänzungslieferung 2012), Art. 21 Rn. 300; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Auflage 2006, Art. 21 Rn. 78. 25 Vgl. Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Auflage 2006, Art. 21 Rn. 83. 26 BVerfGE 111, 147 (158). 27 BVerfGE 133, 100 (108). 28 BVerfGE 133, 100 (108). 29 BVerfGE 133, 100 (108). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 193/15 Seite 10 ist eine Förderung von Aktionen, die sich gegen Parteien richten, bei denen der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit nicht naheliegt, nicht gerechtfertigt. Problematisch erscheint insoweit die Förderung von Aktionen gegen sog. populistische Parteien, deren Verfassungswidrigkeit i.S.d. Art. 21 Abs. 2 GG nicht ernsthaft erwogen wird. Dem Staat bleibt es zwar unbenommen, die Verbreitung von Wertvorstellungen zu fördern, auf denen die freiheitliche demokratische Grundordnung beruht (s.o.). Derartige Aktionen dürfen sich aber nicht gezielt gegen bestimmte Parteien richten, wenn diese nicht für verfassungswidrig erachtet werden. Dies wäre ein Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht. Zu beachten ist, dass das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit selbst ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung ist30 und insoweit die Gefahr besteht, dass sich die wehrhafte Demokratie „gegen sich selbst“ wendet.31 Ende der Bearbeitung 30 BVerfGE 133, 100 (108). 31 Vgl. Schliesky, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, in: Isensee/Kirchhof, HbStR XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 15; BVerfGE 134, 141 (181).