© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 191/20 Verfassungsrechtlicher Rahmen für ein Verbot der Preisangabe in der Werbung für Fleischprodukte Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 191/20 Seite 2 Verfassungsrechtlicher Rahmen für ein Verbot der Preisangabe in der Werbung für Fleischprodukte Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 191/20 Abschluss der Arbeit: 8. September 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 191/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Gesetzgebungskompetenz 4 3. Vereinbarkeit einer Werbebeschränkung für Fleischprodukte mit dem Grundgesetz 5 3.1. Möglicherweise betroffene Grundrechte 5 3.1.1. Meinungsfreiheit 5 3.1.2. Berufsfreiheit 6 3.1.3. Informationsfreiheit 6 3.1.4. Allgemeine Handlungsfreiheit 7 3.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 7 3.2.1. Legitimer Zweck 8 3.2.2. Geeignetheit 8 3.2.3. Erforderlichkeit 9 3.2.4. Angemessenheit 10 3.3. Allgemeiner Gleichheitssatz 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 191/20 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung thematisiert die Verfassungsmäßigkeit eines Verbots der Preisangabe in der Werbung für Fleischprodukte durch den Lebensmittelhandel aus „ethischen Gründen“. Das unmittelbare Ziel einer solchen Werbebeschränkung wäre wohl, den Preiswettbewerb, bei dem die Händler versuchen, sich gegenseitig zu unterbieten, zu vermindern.1 Dieser Preiswettbewerb wird bei Fleischprodukten insbesondere aus Gründen des Tierschutzes kritisiert.2 Das letztendliche Ziel der Regelung dürfte daher eine Verbesserung des Tierschutzes sein. „Werbung“ wird im Folgenden als eine Maßnahme zur Beeinflussung des Verbrauchers verstanden, die über die reine Information hinausgeht, die der Verbraucher für den Kauf benötigt. Zu beachten ist daher, dass die untersuchte Beschränkung nicht für solche Preisangaben gelten dürfte, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Kauf stehen, also für Preisangaben im Geschäft, aber auch in Katalogen oder innerhalb eines Internet-Bestellservices. Im Einzelfall kann dies zu Abgrenzungsproblemen führen. 2. Gesetzgebungskompetenz Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Werbebeschränkungen ergibt sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, der unter anderem das Recht der Wirtschaft umfasst. Der Kompetenztitel benennt ausdrücklich auch das Recht des Handels. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG umfasst grundsätzlich auch Regelungen zur Wirtschaftswerbung.3 Unter Umständen könnte das Verbot auch auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG gestützt werden, der unter anderem eine Kompetenz für den Tierschutz verleiht. Der Tierschutz im Sinne des Kompetenztitels umfasst insbesondere Regelungen, die bei der Haltung, Pflege, Unterbringung und Beförderung von Tieren, bei Versuchen an lebenden Tieren und beim Schlachten den Tieren Schmerzen, Leiden oder Schäden so weit wie möglich ersparen sollen.4 Zwar würde die Werbebeschränkung nicht den Umgang mit Tieren selbst regeln, unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG lassen sich aber auch Vorschriften zur Förderung des Tierschutzes fassen5. Da die Förderung des Tierschutzes das mittelbare Ziel der Werbebeschränkung sein dürfte, erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Regelung von diesem Kompetenztitel erfasst sein könnte. Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG umfasst neben dem Tierschutz auch das Recht der Lebensmittel einschließlich der ihrer Gewinnung dienenden Tiere. Jedoch soll damit die Regelung der Lebensmittelgewinnung zum Zweck des Verbraucher- und 1 Vgl. Zeit Online, Union und SPD legen Antrag für Umbau der Tierhaltung vor, 3. Juli 2020, abrufbar unter https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-07/schlachthoefe-koaltion-bundestag-tierhaltung-fleisch-preiskampf (Stand: 4. September 2020). 2 Vgl. Die Welt, Dumpingpreise für Fleisch im Supermarkt unterbinden, 28. August 2020, S. 4. 3 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, 90. EL Februar 2020, Art. 74 Rn. 133. 4 BVerfGE 110, 141 (171); Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Auflage 2020, Art. 74 Rn. 56. 5 BVerfGE 110, 141 (171). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 191/20 Seite 5 Gesundheitsschutzes ermöglicht werden, was etwa die amtliche Untersuchung von Tieren einbeziehen kann.6 Eine weitergehende Kompetenz wird dadurch nicht verliehen. Eine Werbebeschränkung für Fleischprodukte kann demnach jedenfalls auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft), unter Umständen auch auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG (Tierschutz) gestützt werden. Bei diesen beiden Kompetenztiteln muss die sog. Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt sein, wonach der Bund seine Gesetzgebungskompetenz nur dann wahrnehmen darf, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Dafür genügt, dass der Bundesgesetzgeber ohne einheitliche Regelung „nicht unerheblich problematische Entwicklungen in Bezug auf die Rechts- und Wirtschaftseinheit “ erwarten muss.7 Auf den durch Werbung geförderten Preiswettbewerb könnte wohl nur durch eine bundeseinheitliche Regelung wirksam Einfluss genommen werden. Eine bundesgesetzliche Regelung dürfte somit erforderlich sein. 3. Vereinbarkeit einer Werbebeschränkung für Fleischprodukte mit dem Grundgesetz Soweit staatliche Maßnahmen in Grundrechte eingreifen, müssen sie verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. 3.1. Möglicherweise betroffene Grundrechte Ein Verbot der Preisangabe bei der Werbung für Fleischprodukte durch Lebensmittelhändler könnte mehrere Grundrechte betreffen. Vor allem könnte die Meinungsfreiheit der Lebensmittelhändler aus Art. 5 Abs. 1 GG sowie ihre Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt sein, mittelbar auch die Berufsfreiheit der Hersteller von Fleischprodukten und der Landwirte bzw. Tierhalter. In Bezug auf die Verbraucher könnte die Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG oder die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG betroffen sein. Zuletzt kommt eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht. 3.1.1. Meinungsfreiheit Fraglich ist, ob die Meinungsfreiheit der werbenden Händler gemäß Art. 5 Abs. 1 S. GG betroffen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst der Schutzbereich der Meinungsfreiheit kommerzielle Meinungsäußerungen sowie reine Wirtschaftswerbung grundsätzlich nicht. Geschützt sind kommerzielle Meinungsäußerungen von der Meinungsfreiheit nur dann, wenn die Ankündigungen zugleich einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt haben oder Angaben enthalten, die der Meinungsbildung dienen.8 So kann nach der Rechtsprechung etwa plakative, 6 Vgl. Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Auflage 2020, Art. 74 Rn. 55; Wittreck, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Auflage 2015, Art. 74 Rn. 97. 7 BVerfGE 138, 136 (177). 8 BVerfGE 71, 162 (175); 95, 173 (182); 102, 347 (359). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 191/20 Seite 6 suggestive Wirtschaftswerbung dem Schutz der Meinungsfreiheit unterfallen, wenn diese ungeachtet des Zwecks kommerzieller Aufmerksamkeitssuche auch sozialkritische Botschaften enthält.9 Die bloße Angabe des Preises hat keinen wertenden, meinungsbildenden Inhalt und enthält auch keine Angaben, die der Meinungsbildung dienen. Die rein kommerzielle Werbung inklusive Preisangabe fällt nach der Rechtsprechung demnach nicht in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.10 3.1.2. Berufsfreiheit Die Tätigkeit als Lebensmittelhändler dient der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage und ist somit als Beruf im Sinne der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG einzustufen.11 Da jede mit der Berufsausübung zusammenhängende Tätigkeit geschützt ist, erstreckt sich der sachliche Schutzbereich auch auf die der Förderung des beruflichen Erfolgs dienende Außendarstellung und Werbung (sog. Werbefreiheit).12 Die Werbung für Fleischprodukte ist somit von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Ein gesetzliches Verbot der Preisangabe bei Werbung für Fleischprodukte verkürzt das grundrechtlich geschützte Verhalten und greift damit in die Berufsfreiheit ein. Es handelt sich um eine Regelung, die die Art und Weise der Berufsausübung regelt. Für solche Berufsausübungsregelungen gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Vergleich zu Berufszulassungsregelungen weniger strenge Anforderungen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.13 Mittelbar dürfte auch die Berufsfreiheit der Hersteller von Fleischprodukten sowie der Landwirte bzw. Tierhalter betroffen sein, da ihre Produkte nicht länger frei beworben werden dürften und sie dadurch Umsatzeinbußen zu verzeichnen haben könnten. 3.1.3. Informationsfreiheit Verbote gegen Werbetreibende können sich aus Sicht des Verbrauchers als mittelbarer Eingriff erweisen.14 Bezüglich der Verbraucher könnte die Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG betroffen sein, da sie sich nicht mehr durch Werbung über die Preise von Fleischprodukten 9 Vgl. BVerfGE 102, 347 (359); 107, 275 (283). 10 Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise ein Werbeverbot für Apotheker allein am Maßstab der Berufsfreiheit geprüft, BVerfGE 94, 372 (389). 11 Vgl. BVerfGE 102, 197 (212); 110, 304 (321). 12 BVerfGE 94, 372 (389); 105, 252 (266); 111, 366 (372); BVerwGE 124, 26 (28). 13 Ruffert, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 43. Edition Stand: 15. Mai 2020, Art. 12 Rn. 94. 14 Hufen: Nudging – Rechtsformen, Möglichkeiten und Grenzen der sanften Beeinflussung des Menschen durch den Staat, in: JuS 2020, 193 (195). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 191/20 Seite 7 informieren könnten. Bezugspunkt der Informationsfreiheit ist allerdings die ungehinderte Informationsaufnahme aus öffentlich zugänglichen Informationsquellen,15 nicht etwa ein Recht auf Zugang zu bestimmten Informationen.16 Das Grundrecht verleiht daher keinen Anspruch, Informationen über den Preis eines Produkts durch Werbung zu erhalten. Ein Eingriff in die Informationsfreiheit scheidet daher aus. 3.1.4. Allgemeine Handlungsfreiheit Die Verbraucher könnten aber in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG betroffen sein. Diese schützt „jede Form menschlichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt“.17 Auch einfache Tätigkeiten und alltägliche Verhaltensweisen genießen daher Grundrechtsschutz nach Art. 2 Abs. 1 GG.18 Dies umfasst auch die durch die Werbebeschränkung nicht mehr bestehende Möglichkeit, sich durch Werbung über die Preise von Fleischprodukten zu informieren. Der Eingriff dürfte allerdings nur als geringfügig anzusehen sein, da es dem Verbraucher unbenommen bliebe, sich auf anderen Wegen, vor allem durch das Aufsuchen der Geschäfte, über die Preise zu informieren. 3.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Fraglich ist, ob der mit der Werbebeschränkung einhergehende Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre. Die oben genannten Grundrechte werden nicht schrankenlos gewährleistet . Ein Eingriff in Grundrechte kann allerdings nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen.19 In welches Gesetz eine Werbebeschränkung für Fleischprodukte aufgenommen würde, ist grundsätzlich nicht erheblich. Thematisch wäre allerdings beispielsweise das Tierschutzgesetz20 eher fernliegend, da dieses bislang den direkten Umgang mit Tieren regelt. Am ehesten käme wohl der Erlass eines neuen Gesetzes in Betracht. So wurde etwa für die Regelung der Werbung für Arzneimittel das Heilmittelwerbegesetz21 geschaffen. Die Regelung müsste auch im Übrigen verfassungsgemäß, insbesondere verhältnismäßig sein. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist Genüge getan, wenn das Gesetz einen legitimen Zweck verfolgt , wenn das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich ist 15 BVerfGE 103, 44 (59 f.). 16 Schemmer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 43. Edition Stand: 15. Mai 2020, Art. 5 Rn. 32; Schmidt- Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VII, 3. Auflage 2009, § 162 Rn. 37. 17 BVerfGE 80, 137 (152). 18 Dreier, in: derselbe, GG, 3. Auflage 2013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 26. 19 Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 90. EL Februar 2020, Art. 20 VI Rn. 111. 20 In der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), zuletzt geändert durch Artikel 280 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). 21 Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz – HWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3068), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 28. April 2020 (BGBl. I S. 960). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 191/20 Seite 8 und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (sog. Angemessenheit).22 Für eine verfassungsrechtliche Bewertung kommt es darauf an, wie eine Regelung konkret ausgestaltet ist. Im Folgenden können daher nur grundlegende Erwägungen angestellt werden. 3.2.1. Legitimer Zweck Zunächst muss der Grundrechtseingriff einen legitimen Zweck verfolgen. Die Anforderungen an den Zweck der Regelung sind bei einem Eingriff in die Berufsfreiheit nach der sog. Drei-Stufen- Theorie des Bundesverfassungsgerichts zu bestimmen. Wie unter 3.1.2. erwähnt, handelt es sich bei der Werbebeschränkung um eine Berufsausübungsregelung. Um eine solche Regelung zu rechtfertigen , muss es sich bei ihrem Zweck um vernünftige Gründe des Gemeinwohls handeln.23 Wie oben unter 1. dargelegt, dürfte das letztendliche Ziel der Werbebeschränkung eine Verbesserung des Tierschutzes sein. Der Tierschutz ist in Art. 20a GG als Staatszielbestimmung normiert. Ihm dienende Regelungen sind daher vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls. 3.2.2. Geeignetheit Die Werbebeschränkung müsste für die Erreichung des gesetzten Zieles geeignet sein. Zur Bejahung der Geeignetheit ist es ausreichend, dass eine Maßnahme zur Herbeiführung des gewünschten Erfolges zumindest förderlich ist.24 Problematisch dürfte die Tatsache sein, dass ein Verbot der Preisangabe bei der Werbung für Fleischprodukte für sich genommen keine Auswirkungen auf Belange des Tierschutzes hat. Das unmittelbare Ziel des Verbots dürfte in einer Verringerung des Preiskampfes in Bezug auf Fleischprodukte liegen. Ob die Werbebeschränkung dafür geeignet, also zumindest förderlich ist, ist bereits fraglich , da es den Händlern unbenommen bliebe, die Preise weiterhin genauso niedrig wie zuvor zu halten und zu versuchen, die Konkurrenz zu unterbieten. Auch dem Verbraucher bliebe es möglich, die Preise weiterhin zu vergleichen und zum Hauptaspekt seiner Kaufentscheidung zu machen. Die Frage der Geeignetheit in Bezug auf eine Verringerung des Preiskampfes wäre daher davon abhängig, inwieweit sich die Verbraucher beim Kauf von Fleischprodukten von Werbung leiten lassen. Die Eignung für eine Verringerung des Preiswettbewerbs dürfte jedenfalls gering sein, wenn es um Bioprodukte geht, da diese preislich ohnehin nicht mit den konventionellen Produkten konkurrieren und der Preis daher für den Verbraucher auch nicht das im Vordergrund stehende Kriterium für den Kauf ist. Geht man davon aus, dass durch die Werbebeschränkung der Preiswettbewerb insgesamt verringert würde, so bliebe allerdings die Problematik bestehen, dass diese Auswirkung nicht gezwungenermaßen Verbesserungen für den Tierschutz nach sich zöge. Zwar dürfte ein Zusammenhang zwischen 22 Vgl. BVerfGE 30, 292 (316); 99, 202 (211). 23 BVerfGE 36, 47 (59); 103, 1 (10); 123, 186 (238). 24 Vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Auflage 2018, Art. 20 Rn. 314. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 191/20 Seite 9 dem ökonomischen Preisdruck und den Produktionsbedingungen einschließlich des Wohls der zur Fleischverarbeitung gehaltenen Tiere nicht von der Hand zu weisen sein. Verbesserungen könnten sich aber durch die Werbebeschränkung nur dann ergeben, wenn die Händler aufgrund des geringeren Preisdrucks nicht mehr so niedrige Preise festsetzen und deshalb auch den Produzenten höhere Preise zahlen. Falls die Produzenten dann ebenfalls die höheren Preise weitergeben an die Landwirte bzw. Tierhalter, könnten diese sich weniger dazu gezwungen fühlen, die Kosten für die Tierhaltung so gering wie möglich zu halten. Sie könnten sich dann dazu entschließen, die Tierhaltung zu verbessern, da ihnen mehr finanzieller Spielraum zur Verfügung stünde. Es bliebe jedoch jedem Beteiligten in der Kausalkette unbenommen, die finanziellen Vorteile für sich zu behalten anstatt sie weiterzugeben bzw. die Bedingungen zu verbessern. Aufgrund der sehr hypothetischen Überlegungen , die hinter der Einführung der Werbebeschränkung stehen, dürfte die Geeignetheit mit erheblichen Zweifeln belegt sein. Letzten Endes besteht allerdings bei Berufsausübungsregelungen allgemein25 und speziell auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik ein weiter Prognosespielraum des Gesetzgebers.26 Bei Regelungen mit Prognosecharakter ist der Gesetzgeber allerdings verpflichtet, die weitere Entwicklung zu beobachten und ggf. Anpassungen vorzunehmen, wenn die Maßnahme sich letztlich nicht als geeignet erweist.27 3.2.3. Erforderlichkeit Der Eingriff müsste auch erforderlich sein. Dies bedeutet, dass kein gleich wirksames, aber weniger stark einschränkendes Mittel zur Verfügung stehen darf.28 In Betracht käme etwa eine umfangreichere behördliche Aufsicht über Betriebe der Tierhaltung zur konsequenten Umsetzung bereits bestehender Tierschutzregeln. Zudem käme auch die Schaffung neuer, strengerer Tierschutzregeln für die Masthaltung infrage. Die Lebensmittelhändler wären von solchen Regelungen nicht unmittelbar betroffen, sodass aus ihrer Sicht grundsätzlich ein milderes Mittel vorläge. Vorschriften, die die Haltungsbedingungen betreffen würden, griffen aber wiederum wesentlich intensiver in die Berufsfreiheit der Tierhalter ein. Für die Suche nach einem milderen Mittel darf die Belastung nicht lediglich auf Dritte umgeschichtet werden: „Das mildere Mittel muss zur Zielerreichung gleich geeignet sein, es darf aber Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belasten.“29 Regelungen, die die Haltungsbedingungen betreffen, dürften daher im Vergleich mit Werbebeschränkungen nicht als milderes Mittel in Betracht kommen. 25 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, 90. EL Februar 2020, Art. 12 Rn. 340. 26 BVerfGE 103, 293 (307); 113, 167 (252); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Auflage 2020, Art. 12 Rn. 50 m.w.N. 27 Vgl. Wieland, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2013, Art. 12 Rn. 119. 28 BVerfGE 126, 112 (144 f.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Auflage 2020, Vorbemerkung vor Art. 1 Rn. 46, Art. 20 Rn. 119. 29 BVerfGE 113, 167 (259); vgl. auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Auflage 2020, Art. 20 Rn. 119. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 191/20 Seite 10 Eine Maßnahme, die auch die Ebene der Händler beträfe, wäre etwa die Festlegung von Mindestpreisen für Fleischprodukte. Dies wäre aber ein ungleich schärferer Eingriff, da er die Möglichkeit, sich durch den Preis von den Mitbewerbern abzusetzen, völlig unterbinden würde. In Bezug auf die Verbraucher käme in Betracht, diese mehr über das Zustandekommen von Preisen in der Fleischindustrie, die Kosten artgerechter Tierhaltung und entsprechende wirtschaftliche Zusammenhänge zu informieren. Dies wäre ein milderes Mittel, da kein Eingriff in die Grundrechte der Verbraucher damit einherginge. Ob dieses Mittel aber auch in gleicher Weise geeignet wäre, dem Zweck des Tierschutzes zu dienen, unterliegt letztlich der Beurteilung durch den Gesetzgeber. Wie bei der Geeignetheit hat der Gesetzgeber auch auf der Ebene der Erforderlichkeit einen Einschätzungs - und Beurteilungsspielraum.30 3.2.4. Angemessenheit Die Werbebeschränkung müsste sich nach Abwägung der unterschiedlichen Interessen als angemessen erweisen. Hier steht auf der einen Seite der Tierschutz als gewichtiger Gemeinwohlbelang, der auch in der Verfassung Anerkennung als Staatszielbestimmung erfahren hat (Art. 20a GG). Er ist grundsätzlich geeignet, die Einschränkung von Grundrechtspositionen zu rechtfertigen, wobei aber ein differenzierter Ausgleich zu finden ist.31 Auf der anderen Seite der Abwägung steht insbesondere die Berufsfreiheit als wohl am stärksten betroffenes Grundrecht. Die Schwere eines Eingriffs in die Berufsfreiheit durch Werbebeschränkungen hängt von der Reichweite und Strenge des Verbots sowie von der jeweiligen Marktstruktur ab.32 Durch die Werbebeschränkungen werden Wettbewerbsmöglichkeiten reduziert. Allerdings bleibt den Händlern der Wettbewerb mit niedrigeren Preisen im Handelsgeschäft selbst unbenommen. Zudem ist eine Vielzahl von Mitteln denkbar, die weit stärker in den Wettbewerb eingreifen würden (etwa Mindestpreise). Allerdings muss berücksichtigt werden, dass eine generell geltende Werbebeschränkung sich auf einige Gruppen, die Fleischprodukte anbieten, stärker auswirken würde als auf andere. Da ein Lebensmittelhändler typischerweise eine Vielzahl von Waren verkauft, wäre durch die Regelung nur die Werbung für einen geringen Teil des Sortiments beschränkt. Anderes gilt für Metzger, die grundsätzlich fast ausschließlich Fleischprodukte verkaufen und somit den Großteil ihrer Produkte nicht mehr bewerben könnten. Für diese Gruppe würde sich die Werbebeschränkung daher wie ein völliges Werbeverbot auswirken. Die Angemessenheit einer Regelung ist stets mit Blick auf die gesamte betroffene Berufsgruppe zu beurteilen.33 Werden durch eine Berufsausübungsregelung, die im Ganzen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, innerhalb der betroffenen Berufsgruppe bestimmte Gruppen ohne hinreichende sachliche Gründe wesentlich stärker belastet, kann Art. 12 30 BVerfGE 104, 337 (347 f.); 65, 116 (126); Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Auflage 2020, Art. 20 Rn. 123. 31 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Auflage 2015, Art. 20a Rn. 61; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, 90. EL Februar 2020, Art. 20a Rn. 63 ff. m.w.N. 32 Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatrechts, Band VIII, 3. Auflage 2010, § 171 Rn. 37. 33 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Auflage 2013, Art. 12 Rn. 103; BVerfGE 30, 292 (315 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 191/20 Seite 11 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sein.34 Da keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die stärkere Betroffenheit von Metzgern ersichtlich ist, dürften Ausnahmeregelungen für diese Untergruppe erforderlich sein. Für die Frage der Angemessenheit dürfte auch entscheidend sein, für welche Form der Werbung die Beschränkung gilt. Während etwa große Handelsketten wohl im Wesentlichen mit Werbeprospekten oder Plakaten werben, dürften kleine Geschäfte eher Schaufensterwerbung und andere Formen der Werbung, die eine wesentlich geringere Reichweite aufweisen, einsetzen. Eine Regelung, die für alle Arten der Werbung gilt, könnte kleine Geschäfte, die ohnehin kaum am Preiswettbewerb teilnehmen können, unangemessen benachteiligen. Es dürfte daher erforderlich sein, die Beschränkung auf solche Arten von Werbung zu beschränken, die eine hohe Reichweite haben. Problematisch dürfte ferner eine Regelung sein, die auch für Bioprodukte bzw. Produkte aus artgerechter Tierhaltung gilt. Da diese Produkte zum einen nicht gleichermaßen am Preiswettbewerb teilnehmen und zum anderen weniger problematisch in Bezug auf den Tierschutz sind, wäre eine Einbeziehung wohl unangemessen (siehe auch bereits die Ausführungen zur Geeignetheit unter 3.2.2.). Es dürften deshalb Ausnahmetatbestände für diese Produkte erforderlich sein. 3.3. Allgemeiner Gleichheitssatz Neben den Freiheitsgrundrechten könnte durch die Werbebeschränkung auch der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sein. Auf Grundlage des allgemeinen Gleichheitssatzes darf „weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich“ behandelt werden.35 Geprüft werden muss vorliegend, ob es eine Gruppe gibt, die von den Werbebeschränkungen nicht wie die unter 3.1. genannten Grundrechtsträger betroffen ist, obwohl sie mit den Grundrechtsbetroffenen vergleichbar ist. Eine Ungleichbehandlung kommt hier insbesondere auf der Ebene der Produzenten tierischer Lebensmittel sowie der Tierhalter in Betracht. Milch und Eier sind beispielsweise ebenso wie Fleisch tierische Produkte, deren Erzeugung mit Interessen des Tierschutzes kollidieren kann. Bei Haltern von Kühen und Hühnern sowie bei weiterverarbeitenden Betrieben, die Milch und Eier erzeugen, kann es sich daher um geeignete Vergleichsgruppen zu denjenigen Betrieben handeln, die für die Fleischindustrie tätig sind. Da die angedachte Werbebeschränkung nur Fleischprodukte beträfe, würde eine Ungleichbehandlung der Gruppen bestehen. Ungleichbehandlungen können allerdings verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft, die er also im Rechtssinn als gleich ansehen will.36 Die Auswahl des Gesetzgebers muss aber sachlich vertretbar sein.37 Bei Ungleichbehandlungen , die sich auf die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig auswirken, 34 BVerfGE 25, 236 (251). 35 BVerfGE 4, 144 (155), Hervorhebung nur hier. 36 BVerfGE 90, 145 (196). 37 BVerfGE 90, 145 (196); BVerfGE 103, 242 (258). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 191/20 Seite 12 müssen für die Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können.38 Grund für die Ungleichbehandlung könnte hier die Annahme sein, dass gerade auf dem Markt für Fleischprodukte ein besonders starker Preiskampf vorherrscht, der sich in hohem Maße negativ auf das Wohl der gehaltenen Tiere auswirkt.39 Die stetige Senkung von Preisen für Produkte, die zwangsläufig mit der Tötung von Tieren verbunden sind, könnte aus Tierschutzgründen besonders problematisch sein. Eine Ungleichbehandlung könnte daher grundsätzlich sachlich gerechtfertigt sein. Die oben angeführten Bedenken, insbesondere gegenüber der Geeignetheit der Regelung, kommen allerdings auch an dieser Stelle zum Tragen. *** 38 BVerfGE 108, 52 (68). 39 Siehe etwa Die Welt, „Dumpingpreise für Fleisch im Supermarkt unterbinden“, 28. August 2020, S. 4.