© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 189/20 Gruppenauskünfte aus dem Melderegister zur Schaffung von sog. Wahlkreisräten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/20 Seite 2 Gruppenauskünfte aus dem Melderegister zur Schaffung von sog. Wahlkreisräten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 189/20 Abschluss der Arbeit: 27. August 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/20 Seite 3 1. Fragestellung Als eine Variante der direkten Bürgerbeteiligung werden u.a. Wahlkreisräte vorgeschlagen, die die im Wahlkreis direkt gewählten Abgeordneten dabei unterstützen, die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger ihres Wahlkreises in ihre Arbeit einzubeziehen. Die Mitglieder eines solchen Wahlkreisrats sollen durch ein Losverfahren bestimmt werden. Gefragt wird, ob § 46 Abs. 1 Bundesmeldegesetz (BMG) als Rechtsgrundlage für Auskünfte aus dem Melderegister herangezogen werden kann, um auf Grundlage der übermittelten Daten die potentiellen Mitglieder eines Wahlkreisrats im Losverfahren zu bestimmen. Dabei soll insbesondere darauf eingegangen werden, ob eine solche Gruppenauskunft im nach § 46 BMG erforderlichen „öffentlichen Interesse“ liegt und dieses im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsabwägung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der durch die Datenerhebung Betroffenen überwiegt . 2. Zulässigkeit von Gruppenauskünften nach § 46 BMG zur Aufstellung von Wahlkreisräten § 46 BMG regelt die Voraussetzung für sog. Gruppenauskünfte, d.h. für Melderegisterauskünfte über eine Vielzahl nicht namentlich bezeichneter Personen. Diese dürfen nur erteilt werden, wenn sie im öffentlichen Interesse liegen, § 46 Abs. 1 S. 1 BMG. Bei Anfragen an verschiedene Meldebehörden eines Landes wird das öffentliche Interesse durch die gemeinsame Aufsichtsbehörde einheitlich festgestellt. Bei landesübergreifenden Fällen soll durch die jeweiligen Innenresorts eine Abstimmung stattfinden.1 Für die Bestimmung der Zusammensetzung der Personengruppe , über die die Auskunft erteilt werden soll, dürfen gemäß § 46 Abs. 1 S. 2 BMG nur die folgenden Daten herangezogen werden (Auswahldaten): das Geburtsdatum, das Geschlecht, die derzeitige Staatsangehörigkeit, die derzeitigen Anschriften, das Einzugs- und Auszugsdatum sowie der Familienstand mit der Angabe, ob ledig, verheiratet, geschieden, verwitwet, eine Lebenspartnerschaft führend, Lebenspartnerschaft aufgehoben oder Lebenspartner verstorben. Außer der Tatsache der Zugehörigkeit zu der abgefragten Gruppe dürfen im Rahmen der Melderegisterauskunft die Vor- und Familiennamen, der Doktorgrad, das Alter, das Geschlecht, die Staatsangehörigkeit , die derzeitige Anschrift und die gesetzlichen Vertreter der von der Gruppenauskunft erfassten Personen mit Vor- und Familiennamen sowie der Anschrift mitgeteilt werden (Mitteilungsdaten ), § 46 Abs. 2 BMG. Die Verwendung der erhaltenen Mitteilungsdaten ist nach § 47 Abs. 1 S. 1 BMG zweckgebunden. Die Daten sind nach Erfüllung des Zwecks, dem Zusammentreten des Wahlkreisrats, zu löschen. 2.1. Voraussetzungen des § 46 BMG Ein Antrag auf Gruppenauskunft nach § 46 BMG zur Verfolgung der unter Ziffer 1 dargelegten Zielsetzung wäre, soweit keine Auskunftssperre nach §§ 50, 51 BMG eingetragen ist, zulässig. Ein privatrechtlicher Verein gehört dem Kreis der berechtigten Antragssteller an und die Zielsetzung lässt sich mit statthaften Auswahlkriterien erreichen. Berechtigt sind nach § 46 BMG alle privaten, also nicht-öffentlichen Personen. Dabei gilt der Personenbegriff des § 44 Abs. 1 S. 1 BMG, wonach alle natürlichen oder juristischen Personen des privaten Rechts antragsberechtigt 1 Süßmuth, in: Süßmuth, Bundesmeldegesetz, 36. EL, § 46, BMGVwV zur Gruppenauskunft. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/20 Seite 4 sind. Die Abgrenzung zu öffentlichen Stellen erfolgt dabei anhand der Rechtsform.2 Statthafte Auswahlkriterien sind ausschließlich die in § 46 BMG genannten Auswahldaten. Die Aufzählung der Auswahl- und Meldedaten ist abschließend.3 Nur anhand dieser Daten darf die Gruppe, über die Auskunft zu erteilen ist, von der Behörde ermittelt und zusammengestellt werden.4 Die der Anfrage beiliegenden Unterlagen geben Aufschluss darüber, dass eine Auswahl anhand des Alters , des Geschlechts und der Adresse erfolgen soll. Diese drei Kriterien sind zulässige Auswahldaten des § 46 Abs. 1 BMG, sofern die Frage nach dem Alter durch eine Intervallbestimmung des Geburtsdatums erfolgt – „Personen die seit dem 1. Januar 1950 geboren sind“ beziehungsweise „Personen die vor dem 1. Januar 2000 geboren sind“. Der Antrag wäre begründet, sofern die Auskunft über eine Vielzahl nicht namentlich bekannter Personen im öffentlichen Interesse liegt. Ersterer Umstand ist trivial, da der auskunftbegehrenden Person die Auskunftssubjekte typischerweise unbekannt sind und es ihr gerade auf den Erhalt einer umfassenden Auskunft und nicht auf Einzelpersonen ankommt.5 Entscheidendes Kriterium ist somit das öffentliche Interesse. 2.2. Das öffentliche Interesse Das Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Interesses soll nach der gesetzgeberischen Intention die Entstehung nur schwer kontrollierbarer Datensammlungen größeren Umfangs – sog. Adresspooling6 – verhindern.7 Dieses Ziel wird zudem durch den § 47 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BMG weiter gefördert.8 Ein öffentliches Interesse ist gegeben, wenn der Zweck der Anfrage die Förderung der Belange der Allgemeinheit zum Gegenstand hat und nicht ausschließlich die Ziele einzelner Privater verfolgt. Dabei sind nur innerstaatliche Interessen erfasst. Über rein hoheitliche Interessen hinaus, sind gerade auch soziale, gesellschaftliche oder kulturelle Bezüge immanente Bestandteile des Interesses der Allgemeinheit.9 Im öffentlichen Interesse können beispielweise 2 Wüstenberg, Der Bürgerrat als Ergänzung der Gesetzgebung: kommunale Gruppenauskunft versus Datenschutzrecht , NJ 2020, S. 253 (255). 3 Breckwoldt, in: ders., Melderechtskommentar, 3. Auflage 2019, BMG, § 46 Rn. 10. 4 Wüstenberg, (Fn. 2), (255). 5 Wüstenberg, (Fn. 2), (255). 6 Zu diesem Begriff: Wilfer, Neues Bundesmeldegesetz: Auswirkungen für die Werbewirtschaft, GRUR-Prax 2015, 223 (224). 7 So bereits für das MRRG: Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Melderechtsrahmengesetzes (MMRG), BT-Drs. 8/3825, S. 24; Wüstenberg, (Fn. 2), (254). 8 Wilfer, (Fn. 6), (224). 9 Süßmuth, (Fn. 1) Rn. 5f.; von Lewinski, Melderegisterdaten als Grundlage für empirische Sozialstudien, VR 2017, S. 1 (3). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/20 Seite 5 die Tätigkeiten von karitativen Einrichtungen, Markt-, Meinungs- und Forschungsinstituten, wissenschaftlichen Forschungsprojekten und Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen liegen.10 Das mit dem Auskunftsbegehren verfolgte Interesse muss benannt werden und von gewissem Gewicht sein. Dieses Gewicht besteht, wenn dem Interesse der Allgemeinheit nicht genügt werden kann ohne die begehrten Daten bekannt zu geben.11 Dabei wird ein öffentliches Interesse bereits dann bejaht, wenn die mit der Auskunft verfolgte Zielsetzung primär eine kommerzielle ist, aber die Möglichkeit einer positiven Auswirkung auf die Allgemeinheit besteht.12 Das öffentliche Interesse wird nur dann abgelehnt, wenn das Vorhaben ausschließlich dem privaten oder gewerblichen Interesse dient – beispielsweise bei Klassentreffen. Anders formuliert, liegt ein Gruppenauskunftsbegehren nur dann im öffentlichen Interesse, wenn es sich formell und materiell durch Bundes- oder Landesrecht zum Wohle des Volkes plausibel begründen lässt.13 Die Etablierung von Wahlkreisräten zur Beratung und Unterstützung der direkt gewählten Abgeordneten lässt sich dabei auf Art. 20 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1 S. 1 und Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG stützen . Die Staatsgewalt geht vom Volke aus und wird von diesem primär in Wahlen ausgeübt. Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Zudem wirken die Parteien an der politischen Willensbildung mit, woraus sich ergibt, dass diese die Willensbildung nicht alleine ausüben, sondern dafür auf die Mitwirkung der Bürger angewiesen sind. Ein, auf Basis anerkannter stochastischer Verfahren zusammengesetzter, Wahlkreisrat kann die Rückkopplung des Direktmandats an die politischen, realen und emotionalen Stimmungen der Wähler erhöhen und so die demokratische Beteiligung stärken. Auch solche Stimmen können einen gleichen Anteil an Einfluss erhalten, die, verallgemeinernd gesprochen, aus politikfernen Hintergründen kommen, üblicherweise eine gewisse Politikabneigung mitbringen und sich wenig bis gar nicht politisch betätigen . Unabhängig von der Frage des freilich nur schwer zu bemessenden Erfolgs dieser Maßnahme , besteht zumindest die Möglichkeit, dass durch die Einführung von Wahlkreisräten ein positiver Effekt für die Allgemeinheit entsteht. Dieses öffentliche Interesse ist zudem von gewissen Gewicht, denn ohne Erhalt der Daten von den Meldebehörden lässt sich ein zufällig zusammengesetzter Wahlkreisrat nur mit erheblichem Mehraufwand einrichten.14 3. Rechtsfolgen Entscheidend ist, ob die Meldebehörde bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 46 BMG zur Auskunftserteilung verpflichtet ist. Dies wäre dann der Fall, wenn es sich bei § 46 10 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Meldewesens (MeldFortG), BT-Drs. 17/7746, S. 45; Ehmann, Das neue Bundesmeldegesetz ab 1. November 2015: Eine Zäsur auch für Unternehmen, DSB 2015, S. 13 (14). 11 Wüstenberg, (Fn. 2). (256). 12 Wüstenberg, (Fn. 2), (256); wohl auch: von Lewinski (Fn. 9), (3). 13 Wüstenberg, (Fn. 2), (256). 14 Zu diesem Kriterium auch: Zilkens, Datenschutz im Melderecht nach dem neuen Bundesmeldegesetz, RDV 2013, S. 280 (286). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/20 Seite 6 BMG um eine gebundene Entscheidung handeln würde, welche der Behörde kein Ermessen einräumte . 3.1. Existenz behördlichen Ermessens Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Vorgängervorschrift des BMG, dem Melderechtsrahmengesetz (MRRG) aus, dass die behördliche Auskunft nur dann im Sinne des § 6 S. 3 MRRG vorgeschrieben sei, wenn eine „Mussvorschrift“ vorliege. Diese schließe einen Ermessensspielraum der Behörde aus. Nur in diesem Fall könne angenommen werden, der Normgeber habe die nötige Interessenabwägung eigenständig und abschließend vorgenommen, so dass diese im Einzelfall von der Verwaltung nicht mehr zu prüfen sei. Die Auskunftserteilung nach § 21 MRRG stehe dagegen im behördlichen Ermessen und lasse Raum für eine ergänzende Einzelfallabwägung im Sinne des § 6 MRRG.15 Diese Wertung des Bundesverwaltungsgerichts ist auf die Gruppenauskunft nach dem BMG übertragbar. Der § 46 BMG entspricht im Kern seiner Vorgängervorschrift , dem § 21 Abs. 3 MRRG.16 Der § 6 MRRG entspricht dem § 8 BMG. Grundsätzlich besteht für die Meldebehörden somit keine Auskunftspflicht. 17 Gestützt wird die Wertung des Bundesverwaltungsgerichts durch den juristischen Auslegungskanon. Der Wortlaut „darf … erteilen“ spricht für die Annahme einer Ermessenentscheidung der Behörde und gegen einen Rechtsanspruch auf die Auskunft.18 Der systematische Vergleich zu § 50 Abs. 4 BMG, wonach die Meldebehörde die Auskunft zu erteilen „hat“, zeigt, dass bei gebundenen Behördenentscheidungen ein abweichender Wortlaut verwendet wurde.19 In den Gesetzesmaterialien findet sich in der „Tabelle III zu Bürokratiekosten Bundesmeldegesetz“ eine Auflistung aller Tatbestände mit Informationspflichten der Meldebehörden. Enthalten sind die besonderen Auskunftsarten der §§ 50, 51 BMG sowie neun weitere Vorschriften mit verpflichtendem Charakter. Nicht enthalten sind §§ 44 bis 46 BMG. Der Umkehrschluss ergibt, dass der Gesetzgeber § 46 BMG nicht als Auskunftspflicht der Behörden beurteilte.20 Sinn und Zweck des § 46 BMG führen nicht zu einer vergleichbar eindeutigen Beurteilung. So wird vertreten, dass angesichts des staatlichen Sammlungsmonopols auf Bürgerdaten eine Auskunftspflicht bei sonstigem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen müsse.21 Andererseits ließe sich anführen, dass die Einräumung eines behördlichem Ermessens gerade dem Sinn und Zweck des § 46 BMG entspreche, da so die Auflösung des 15 Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. Juni 2006, Az.: 6 C 5/05, BVerwGE 126, S. 140 (Rn. 21). 16 BT-Drs. 17/7746, (Fn. 10), S. 45; auf die geringfügigen Unterschiede hinweisend: Breckwoldt, (Fn. 3), Rn. 6; Süßmuth, (Fn. 1), Rn. 1. 17 Zustimmend: von Lewinski, (Fn. 9), (2f.); dagegen wohl eine generelle Auskunftspflicht annehmend und die Einzelfallabwägung anhand des Kriteriums des „öffentlichen Interesses“ vornehmend: Süßmuth, (Fn. 1), Rn.7; Wüstenberg, (Fn. 2), (256f.); zu letztem Punkt zustimmend: Zilkens, (Fn. 14), (285 Fn. 111). 18 Wüstenberg, (Fn. 2), (256); So zu §§ 44, 45 BMG auch: Gamp, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts , 6. Auflage 2018, Teil V: Melde-, Pass- und Ausweisrecht, Rn. 23. 19 Wüstenberg, (Fn. 2), (256). 20 Wüstenberg, (Fn. 2), (256). 21 Wüstenberg, (Fn. 2), (257). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/20 Seite 7 Spannungsverhältnisses zwischen Geheimhaltungs- und Auskunftsinteresse einzelfallgerecht gewährleistet werden könne. 3.2. Ausübung behördlichen Ermessens Die Ausübung des behördlichen Ermessens wird durch § 8 BMG, der einfachrechtlichen Konkretisierung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dahingehend vorgegeben, dass eine Einzelfallabwägung zwischen den widerstreitenden Interessen vorzunehmen ist.22 Im Rahmen dieser behördlichen Abwägung sind folgende Einzelinteressen gleichranging nebeneinander einzustellen: Belange der Meldebehörde, der forschenden Stelle, der Betroffenen und der Allgemeinheit. Diese sind in der Abwägung gegeneinander aufzuwiegen und zu einem möglichst schonenden Ausgleich zu bringen.23 Die Behörde ist vor Überforderung zu schützen und ihre Funktionsfähigkeit zu erhalten.24 Die forschende Stelle kann für ihr Auskunftsinteresse insbesondere den Zweck der Auskunft (Stärkung demokratischer Beteiligung) geltend machen. Für die Bürger sind die aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung abzuleitenden Geheimhaltungsinteressen zu berücksichtigen. Aus Sicht der Allgemeinheit besteht ein Interesse daran, große und unkontrollierte Datensammlungen in privater Hand zu vermeiden. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet und gewährleistet die grundsätzliche Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen.25 Eine Melderegisterauskunft greift beeinträchtigend in dieses Recht ein. Allerdings wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne muss vielmehr Einschränkungen aufgrund eines Gesetzes im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen.26 Das Bundesmeldegesetz stellt eine entsprechende gesetzliche Grundlage zum Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, welches den jeweiligen Datenschutzgesetzen als spezielleres Gesetz vorgeht . 27 Der Eingriff müsste aber auch im Einzelfall verhältnismäßig sein und die widerstreitenden Interessen zu einem schonenden Ausgleich bringen. Dabei ist die Interessenabwägung im Regelfall vorgegeben, denn nach der in § 46 BMG zum Ausdruck kommenden Wertung kann sich der Einzelne nicht ohne nachhaltigen Grund seiner Umwelt gänzlich entziehen. Einen abstrakt generellen Belästigungsschutz gibt es nicht.28 Das Informationsbedürfnis ist als grundsätzlich überwiegendes, den Grundrechtseingriff rechtfertigendes 22 Dies als Inhalt der Ermessensentscheidung statuierend: Gamp, (Fn. 18), Rn. 23. 23 von Lewinski, (Fn. 9), (4). 24 von Lewinski, (Fn. 9), (4). 25 Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 15. Dezember 1983, Az.: 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, S. 1 (43). 26 Bundesverfassungsgericht, (Fn. 25), (43ff.); Bundesverwaltungsgericht, (Fn. 15) (Rn. 24). 27 von Lewinski, (Fn. 9), (2). 28 von Lewinski, (Fn. 9), (4). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/20 Seite 8 Allgemeininteresse anzusehen.29 Dies gilt auch vor dem Hintergrund neuerer Entwicklungen im Datenschutzrecht.30 Allerdings kann sich hier aus § 8 BMG eine abweichende Beurteilung ergeben , wenn die allgemeine gesetzgeberische Interessenbewertung den Einzelfall nicht hinreichend erfasst. Eine solche Besonderheit besteht hier in dem anvisierten Umfang der Auskunft. Sie zielt auf die Mitteilung der Daten aller wahlberechtigten Bürger eines Wahlkreises. Dabei besteht die naheliegende Vermutung, dass Wahlkreisräte nicht nur in einem, sondern in möglichst vielen Wahlkreisen eingerichtet werden sollen. Bei 299 Wahlkreisen und circa 62 Millionen wahlberechtigten Bürgern entfallen auf jeden Wahlkreis durchschnittlich 207.000 Wahlberechtigte. Die hieraus folgende Möglichkeit zur Entstehung großer und unkontrollierter Datensammlungen in privater Hand widerspricht stark obigem Interesse der Allgemeinheit. Aus dieser Erwägung heraus, ist die Ausübung des behördlichen Ermessens nicht durch den § 46 BMG vorgegeben. Vielmehr ist sie, vom verfassungsmäßigen Rahmen abgesehen, frei. Hinsichtlich des Umfangs der begehrten Auskunft bestehen erhebliche Zweifel an der Erforderlichkeit. Als gleich geeignetes, aber milder in die Rechte der Betroffenen eingreifendes Mittel käme die Übermittlung einer bereits zuvor von der Behörde getroffenen Zufallsauswahl in Betracht. Im Rahmen der Angemessenheit, als Zweck-Mittel-Relation, wäre zu berücksichtigen, dass eine Gruppenauskunft nach ihrem Sinn und Zweck keine Auskunft über die gesamte Bevölkerung bieten sollte. Eine meldebehördliche Auswahl sei der Gruppenauskunft immanent.31 Sie würde das Eingriffsgewicht reduzieren und somit die Angemessenheit erhöhen. Hierbei wäre zudem zu berücksichtigen , ob dieses Vorgehen in die Rechte des Auskunftssuchenden eingriffe. Dabei gelte es zu beachten, dass der Antragssteller durch das im Melderecht geltende Antragsprinzip auch die Auswahl des anzuwendenden Zufallsverfahrens verbindlich bestimmen könnte. Zumindest soweit hierdurch die Funktionsfähigkeit der Meldebehörde nicht beeinträchtigt würde.32 Darüber hinaus müsste die behördliche Ermessensentscheidung eine Vielzahl weiterer Aspekte berücksichtigen . Beispielsweise sei hier die Auswirkung der Löschpflicht aus § 47 Abs. 1 BMG und die Folgen einer Vorlage eines schlüssigen Datenschutzkonzepts33 durch den Antragssteller zu nennen . Beide könnten sich positiv auf die Angemessenheit auswirken. *** 29 Bundesverwaltungsgericht, (Fn. 15), (Rn. 25); vgl. hierzu bereits: BT-Drs. 8/3825, (Fn. 7), S. 24; vgl. VG Hannover , Urteil vom 25. Oktober 2016, Az.: 10 A 13/16, BeckRS 2016, 111469; von Lewinski, (Fn. 9), (5). 30 Das BMG wurde durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens (MeldFortG) eingeführt – BGBl. I, 2013, S. 1084 – und angesichts der Datenschutzgrundverordnung wesentlich durch das Zweite Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 geändert – BGBl. I, 2019, S. 1626 (1638) – eine Änderung des § 46 BMG erfolgte trotz dieser Möglichkeit nicht; die Folgen prognostizierend: von Lewinski, (Fn. 9), (7). 31 von Lewinski, (Fn. 9), (3). 32 Vgl. Von Lewinski, (Fn. 9), (3f.). 33 Vgl. Zilkens, (Fn. 14), (285).