© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 189/16 Zum Truppenbesuchsrecht der Mitglieder des Bundestages bei Auslandseinsätzen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/16 Seite 2 Zum Truppenbesuchsrecht der Mitglieder des Bundestages bei Auslandseinsätzen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 189/16 Abschluss der Arbeit: 10. August 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/16 Seite 3 1. Fragestellung Dieser Ausarbeitung liegt die Frage zugrunde, ob sich aus dem besonderen Charakter der Bundeswehr als „Parlamentsheer“ Fürsorge- und Kontrollbefugnisse des Bundestages ableiten lassen, die auch ein Truppenbesuchsrecht der Abgeordneten bei Auslandseinsätzen beinhalten. Ferner wird auf die Frage eingegangen, ob eine zeitweise oder dauerhafte Verweigerung bzw. Unmöglichkeit von Truppenbesuchen durch Abgeordnete bei Auslandseinsätzen ein Hindernis hinsichtlich der Erteilung oder Verlängerung entsprechender Bundestagsmandate darstellt. Abschließend wird die Frage behandelt, ob eine Verweigerung derartiger Truppenbesuche einen so gravierenden Eingriff in die Fürsorge- und Kontrollbefugnisse des Bundestages darstellt, dass dadurch auch bereits erteilte Mandate neu bewertet werden müssen. 2. Truppenbesuchsrecht von Abgeordneten bei Auslandseinsätzen? Zu prüfen ist, ob den Abgeordneten nach dem Grundgesetz bei Auslandseinsätzen ein Truppenbesuchsrecht zusteht. Das Grundgesetz kann als nationale Verfassung nicht ausländische Regierungen zur Einräumung eines Truppenbesuchsrechts verpflichten. Die folgende Untersuchung beschränkt sich daher auf die Frage, inwieweit innerstaatlich den Abgeordneten ein Truppenbesuchsrecht bei Auslandseinsätzen zusteht. 2.1. Verantwortung des Bundestages für die Bundeswehr als Parlamentsheer im Außeneinsatz Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die grundgesetzlichen Regelungen der Wehrverfassung darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern sie als Parlamentsheer in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen.1 Der Bundestag ist danach beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht lediglich in der Rolle eines nachvollziehenden, nur mittelbar lenkenden und kontrollierenden Organs, sondern zur grundlegenden konstitutiven Entscheidung berufen. Ihm obliegt die Verantwortung für den bewaffneten Außeneinsatz der Bundeswehr, wobei die militärisch-operative Führung in den Händen der Exekutive liegt.2 Das Bundesverfassungsgericht weist in diesem Zusammenhang auch auf das erhebliche Risiko für Leben und Gesundheit deutscher Soldaten hin, das mit Einsätzen bewaffneter Gewalt verbunden ist.3 Unbestritten ist, dass eine umfassende Information des Parlaments über die wesentlichen Umstände eines bewaffneten Einsatzes der Bundeswehr im Ausland eine entscheidende Bedeutung bei der Wahrnehmung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts besitzt.4 Im Fokus der rechtswissenschaftlichen Erörterung stehen dabei die Informationspflichten der Bundesregierung 1 BVerfGE 90, 286 (381 f.); BVerfGE 121, 135 (153 f.). 2 BVerfGE 121, 135 (161). 3 BVerfGE 121, 135 (161). 4 Wiefelspütz, Der Auslandseinsatz der Bundeswehr und das Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2. Aufl. 2012, S. 499, m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/16 Seite 4 gegenüber dem Bundestag, insbesondere die entsprechenden Regelungen im Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG).5 So verpflichtet § 6 Abs. 1 ParlBG die Bundesregierung dazu, den Bundestag regelmäßig über den Verlauf der Einsätze und über die Entwicklung im Einsatzgebiet zu unterrichten. Konkretisierende Ausführungen zu der Unterrichtungspflicht finden sich in den Gesetzesmaterialien zum Parlamentsbeteiligungsgesetz.6 Danach soll die Bundesregierung mit Blick auf bevorstehende Einsätze insbesondere über vorbereitende Maßnahmen und Planungen zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte unterrichten. Die Unterrichtung über den Verlauf der Einsätze und die Entwicklung im Einsatzgebiet erfolgt schriftlich. Darüber hinaus soll die Bundesregierung jährlich einen bilanzierenden Gesamtbericht über den jeweiligen Einsatz und die politische Gesamtentwicklung im Einsatzgebiet vorlegen. Die Unterrichtungspflicht aus § 6 Abs. 1 ParlBG wird dabei im Zusammenhang mit dem Rückholrecht des Bundestages aus § 8 ParlBG (siehe hierzu auch unten unter 3.2.) betrachtet.7 In Bezug auf Unterrichtungspflichten im Vorfeld von bewaffneten Einsätzen wird auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen, nach der die Bundesregierung verpflichtet ist, den mitentscheidenden Bundestag in – gemessen an seiner Entscheidungskompetenz – hinreichender Weise mit den erforderlichen Informationen über den Einsatzzusammenhang und gegebenenfalls über im Gang befindliche Planungen in Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit zu versorgen.8 Ob den Abgeordneten neben diesen Unterrichtungspflichten der Bundesregierung speziell ein Truppenbesuchsrecht bei Auslandseinsätzen zusteht, wird in Rechtsprechung und Literatur – soweit ersichtlich – nicht erörtert.9 Allerdings finden sich Stimmen in der Literatur, nach denen der Bundestag neben dem Recht, über die Entsendung deutscher Soldaten in das Ausland, zu entscheiden, auch die Pflicht hat, dabei in der gebotenen Sorgfalt alle möglichen Erkenntnismittel auszuschöpfen, um sich ein objektives Bild von der Notwendigkeit, der Rechtmäßigkeit sowie der politischen Zweckmäßigkeit eines Einsatzes verschaffen zu können.10 5 Rau, Auslandseinsatz der Bundeswehr: Was bringt das Parlamentsbeteiligungsgesetz, AöR 44 (2006), S. 93 (106 f.); Scherrer, Das Parlament und sein Heer, 2010, S. 325 ff.; Wiefelspütz, Der Auslandseinsatz der Bundeswehr und das Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2. Aufl. 2012, S. 499 ff. 6 BT-Drs. 15/2742, S. 6. 7 Rau, Auslandseinsatz der Bundeswehr: Was bringt das Parlamentsbeteiligungsgesetz, AöR 44 (2006), S. 93 (107); Scherrer, Das Parlament und sein Heer, 2010, S. 324. 8 BVerfGE 121, 135 (169). 9 Dies bejahend die Fraktion DIE LINKE. in ihrem Antrag auf Rückholung der Bundeswehreinheiten aus der Türkei in BT-Drs. 18/9028: „Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee (Artikel 87a Absatz 1 GG). Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben das Recht und sogar die Pflicht, sich auch über die Dienstausübung der Bundeswehr im Auslandseinsatz vor Ort zu informieren.“ 10 Scherrer, Das Parlament und sein Heer, 2010, S. 323; Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration, 2005, S. 172; Wiefelspütz, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 18.3.2005, NVwZ 2005, S. 496 (500). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/16 Seite 5 Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Frage der Parlamentsbeteiligung bei sog. verteidigungsfremden Sekundäreinsätzen innerhalb der Bundesrepublik betont hat, dass sich aus der im Kontext von Auslandseinsätzen verwendeten Bezeichnung der Bundeswehr als Parlamentsheer alleine keine Befugnis des Bundestages ableiten lässt.11 Weiter ist darauf hinzuweisen, dass es sich beim Truppenbesuchsrecht nach Darstellung in der Literatur um ein scharfes Kontrollinstrument handelt, dass in dieser nicht Form nicht ohne weiteres zu den Mitteln parlamentarischer Kontrolle gerechnet werden könne und einer gesetzlichen Grundlage bedürfe.12 Eine solche fehlt jedoch für ein allen Mitgliedern des Bundestages zustehendes Truppenbesuchsrecht. 2.2. Systematik der parlamentarischen Informationsrechte Besonderer Rechtfertigung bedarf ein allen Mitgliedern des Bundestages zustehendes Truppenbesuchsrecht bei Auslandseinsätzen auch bei Betrachtung der Systematik der parlamentarischen Informationsrechte. Die grundsätzlichen Aussagen zum verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten finden sich in Art. 38 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG).13 Der sich daraus ergebende Status der Freiheit des Mandats wird dabei unter anderem in Form von parlamentarischer Informations- und Teilnahmerechten gewährleistet.14 Diese Rechte sind Voraussetzung für die Mandatsausübung und eine effektive Kontrolle der Regierung.15 Unterschieden werden zwei Arten von parlamentarischen Informationsrechten: parlamentarische Fremdinformationsrechte und parlamentarische Selbstinformationsrechte.16 Von einer Fremdinformation spricht man, wenn die Informationen dem kontrollierenden Bundestag durch die Regierung (etwa in Form von Antworten oder Unterrichtungen) vermittelt werden, während im Rahmen einer Selbstinformation der Bundestag sich die Informationen unmittelbar selbst verschafft. Selbstinformationsrechte – zu denen auch ein Truppenbesuchsrecht zu zählen ist – sind im Grundgesetz und den Landesverfassungen nur in Ausnahmefällen vorgesehen.17 Auf der Ebene 11 BVerfGE 126, 55 (73); zustimmend Ladiges, Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, NVwZ 2010, S. 1075 (1076). 12 Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 73. EL (Dezember 2014), Art. 45b Rn. 62. 13 Roth, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, 2002, Art. 38 Rn. 106. 14 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 156. 15 Trute, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 92. 16 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 44, m.w.N. 17 Teuber, Parlamentarische Informationsrechte, 2007, S. 123. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/16 Seite 6 des Grundgesetzes finden sich Selbstinformationsrechte im Rahmen von parlamentarischen Untersuchungsverfahren (Art. 44 GG, Untersuchungsausschussgesetz), beim Verteidigungsausschuss, soweit er sich als Untersuchungsausschuss förmlich konstituiert (Art. 45a Abs. 1 S. 1 GG), beim Petitionsausschuss (Art. 45c GG, Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages) sowie beim Wehrbeauftragten (Art. 45b GG, Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages [WBeauftrG]).18 Für das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Fremd- und Selbstinformationsrechten werden sowohl praktische als auch verfassungsrechtliche Gründe angeführt.19 In praktischer Hinsicht wird darauf verwiesen, dass in der Regel die Zusammenstellung der speziell benötigten Informationen aus der großen Menge an generell vorhandenen Informationen durch die Bundesregierung erfolgsversprechender sei, als eine unmittelbare Informationserhebung durch das Parlament selbst. Auch verfassungsrechtlich entspreche es der Eigenständigkeit und Ergänzungsbedürftigkeit der beiden Verfassungsorgane, dass die Regierung die erforderlichen Informationen zunächst für ihren eigenen Bedarf sammele, sichte und aufbereite, und dem Parlament daraus – erforderlichenfalls mit den notwendigen Ergänzungen – diejenigen Informationen übermittele, die das Parlament benötigt und anfordert. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis gilt es im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, insbesondere in Anbetracht der Existenz des Wehrbeauftragten des Bundestages, der nach Art. 45b S. 1 GG zum Schutz der Grundrechte der Soldaten und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle der Bundeswehr berufen wird. Zu dessen Amtsbefugnissen gehört gemäß § 3 Nr. 4 WBeauftrG auch ein Truppenbesuchsrecht, dass grundsätzlich nur dem Wehrbeauftragten persönlich zusteht.20 Der Wehrbeauftragte wird insoweit auch als „Auge und Ohr des Parlaments in der Kaserne“ bezeichnet.21 3. Auswirkungen einer Unmöglichkeit von Truppenbesuchen durch Abgeordnete auf die Zustimmung des Bundestages zu Auslandseinsätzen 3.1. Hindernis für Zustimmung des Parlaments zum Auslandseinsatz? Wie bereits oben unter 2.1. angesprochen, gibt es Stimmen in der Literatur, nach denen der Bundestag verpflichtet ist, bei der Wahrnehmung des Parlamentsvorbehalts mit der gebotenen Sorgfalt alle möglichen Erkenntnismittel auszuschöpfen, um sich ein objektives Bild von der 18 Ausführlich zu den einzelnen Selbstinformationsrechten Teuber, Parlamentarische Informationsrechte, 2007, S. 123 ff. 19 Magiera, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 52 Rn. 58 f. 20 Vertiefend zum Truppenbesuchsrecht Busch, Der Wehrbeauftragte, 5. Aufl. 1999, S. 131 f. 21 Busch, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand der Kommentierung: Zweitbearbeitung (Mai 1984), Art. 45b Rn. 26. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/16 Seite 7 Notwendigkeit, der Rechtmäßigkeit sowie der politischen Zweckmäßigkeit eines Einsatzes verschaffen zu können.22 Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in seinem Urteil zu den Out-of-area-Einsätzen 1994 klargestellt, dass es jenseits der im Urteil dargelegten Mindestanforderungen und Grenzen des Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte Sache des Gesetzgebers sei, die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten.23 Zu prüfen ist also, ob die Möglichkeit eines Truppenbesuchsrechts der Mitglieder des Bundestages bei den Soldaten im Auslandseinsatz zu den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Mindestanforderungen des Parlamentsvorbehalts gehört. Hiervon ist nicht auszugehen, da das Gericht ein solches Truppenbesuchsrecht in seinen Ausführungen zum Prinzip der konstitutiven Beteiligung des Parlaments nicht erwähnt.24 In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Parlamentsbeteiligung beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte die Möglichkeit der Wahrnehmung eines Truppenbesuchsrechts als Voraussetzung für die Zustimmung des Bundestages vorgesehen hat. Dies ist nicht der Fall. Der Gesetzgeber hat im Parlamentsbeteiligungsgesetz Form und Ausmaß der Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutsche Streitkräfte im Ausland geregelt . Ein Truppenbesuchsrecht ist jedoch nicht vorgesehen (siehe oben unter 2.1.). Es gelten damit die allgemeinen Grundsätze des freien Mandats aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, nach dem die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Danach ist ein Abgeordneter verpflichtet, alle im Zusammenhang mit der Ausübung seines Mandats zu treffenden parlamentarischen Entscheidungen nach seiner eigenen politischen Überzeugung zu treffen.25 Bei einer Unmöglichkeit von Truppenbesuchen kann also der einzelne Abgeordnete für sich entscheiden, inwieweit er diesen Umstand bei seiner Entscheidung über die Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland berücksichtigt. 3.2. Anlass für Neubewertung eines erteilten Mandats? Die Beantwortung der Frage, ob die Unmöglichkeit von Truppenbesuchen durch Abgeordnete im Ausland zur Folge hat, dass die Entsendeentscheidung des Bundestages neu bewertet werden muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von dem jeweiligen Zustimmungsbeschluss des Parlaments, ab. 22 Scherrer, Das Parlament und sein Heer, 2010, S. 323; Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration, 2005, S. 172; Wiefelspütz, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 18.3.2005, NVwZ 2005, S. 496 (500). 23 BVerfGE 90, 286 (389). 24 BVerfGE 90, 286 (387 ff.). 25 Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 60. EL (Oktober 2010), Art. 38 Rn. 195. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/16 Seite 8 Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Rechtsprechung mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen ein neuer Zustimmungsbeschluss des Bundestages erforderlich wird, wenn sich rechtliche oder tatsächliche Umstände eines Streitkräfteeinsatzes nach Erteilung einer parlamentarischen Zustimmung verändern.26 Dabei befasst sich das Gericht zunächst mit der Verpflichtung der Bundesregierung eine erneute konstitutive Zustimmung des Bundestages herbeizuführen, wenn nachträglich tatsächliche oder rechtliche Umstände offensichtlich wegfallen, die der Zustimmungsbeschluss selbst als notwendige Bedingungen für einen Einsatz nennt.27 Der Bundesregierung obliege schon deshalb eine entsprechende Handlungspflicht, weil dem Bundestag das Initiativrecht für einen neuen Einsatzbeschluss fehle. Als Beispiel für eine notwendige Bedingung in diesem Sinne nennt das Gericht die explizite Verknüpfung einer Zustimmung mit dem Fortbestand eines völkerrechtlichen Mandats des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Das Gericht stellt gleichzeitig klar, dass ein parlamentarischer Zustimmungsbeschluss zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht schon dann seine Wirkung verliert, wenn der Fortbestand von Umständen, an die der Bundestag seine Zustimmung geknüpft hat, lediglich zweifelhaft wird.28 Der konstitutive Parlamentsvorbehalt erfordere es, dass bestehende Unsicherheiten nicht das einmal erteilte parlamentarische Mandat des Bundestages eo ipso entfallen ließen. Der Bundestag könne notfalls durch Ausübung seines Rückholrechts aus § 8 ParlBG29 seine politische Verantwortung betätigen.30 Die Regelung des § 8 ParlBG mache den Bundestag zum Herrn über seine Zustimmungsentscheidungen, indem sie deren jederzeitige Widerruflichkeit festlege. Der Bundestag könne daher auch die Änderung solcher Umstände, die er in seiner Zustimmungsentscheidung nicht erkennbar als wesentliche Einsatzbedingungen bewertet habe, stets zum Anlass nehmen, seine Zustimmung nachträglich zu revidieren. Auch die herrschende Meinung Literatur sieht in § 8 ParlBG ein jederzeitiges und grundsätzlich voraussetzungsloses Rückholrecht des Bundestages.31 Von einzelnen Stimmen wird das Rückholrecht dabei jedoch unter Verweis auf den Grundsatz der Verfassungsorgantreue dahingehend 26 BVerfGE 124, 267 (276 ff.). 27 BVerfGE 124, 267 (276). 28 BVerfGE 124, 267 (277). 29 Mit der Regelung des § 8 ParlBG wurde die früher bestehende Unsicherheit, ob der Bundestag die einmal getroffene Entsendeentscheidung aus eigenem Recht wieder rückgängig machen kann oder nicht, beendet (siehe BT-Drs. 15/2742, S. 6). 30 BVerfGE 124, 267 (277 f.). 31 Rau, Auslandseinsatz der Bundeswehr: Was bringt das Parlamentsbeteiligungsgesetz, AöR 44 (2006), S. 93 (111); Burkiczak, Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2012, § 8 Rn. 3. Ausführlich zur Diskussion des Rückholrechts in der Literatur Wiefelspütz, Der Auslandseinsatz der Bundeswehr und das Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2. Aufl. 2012, S. 504 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 189/16 Seite 9 eingeschränkt, dass dieses nur bei Vorliegen triftiger32 bzw. sachlich erheblicher Gründe33 ausgeübt werden dürfe. Zudem wird auf Grenzen aufgrund des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) hingewiesen.34 Teilweise wird vor diesem Hintergrund gefordert, das Ermessen des Bundestages aus § 8 ParlBG verfassungskonform einzuschränken.35 Ende der Bearbeitung 32 Pofalla, Die Bundeswehr im Ausland – Eine Zwischenbilanz des Gesetzgebungsverfahrens, ZRP 2004, S. 221 (224). 33 Wiefelspütz, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 18. 3. 2005, NVwZ 2005, S. 496 (500). 34 Pofalla, Die Bundeswehr im Ausland – Eine Zwischenbilanz des Gesetzgebungsverfahrens, ZRP 2004, S. 221 (224). 35 Kokott, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 87a Rn. 49.