© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 189/14 Diskussionsstand zur verfassungsrechtlichen Bewertung von Investitionsschutzabkommen mit Schiedsgerichtsklauseln Unter besonderer Berücksichtigung der geplanten Regelungen im TTIP Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 189/14 Seite 2 Diskussionsstand zur verfassungsrechtlichen Bewertung von Investitionsschutzabkommen mit Schiedsgerichtsklauseln Unter besonderer Berücksichtigung der geplanten Regelungen im TTIP Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 189/14 Abschluss der Arbeit: 29.08.2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 189/14 Seite 3 1. Fragestellung Vor dem Hintergrund des Freihandelsabkommens, das derzeit zwischen der Kommission der Europäischen Union und den USA verhandelt wird (TTIP), ist die Frage aufgeworfen worden, ob die in dem Abkommen möglicherweise enthaltenen Investitionsschutzklauseln mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar sind. Zur Einführung in diese Problematik wurde gebeten, den aktuellen Diskussionsstand zu dieser Frage in einer Dokumentation darzustellen. Die Problematik von Investitionsschutzabkommen besteht – grob zusammengefasst - darin, dass diese häufig Schiedsgerichtsregelungen1 enthalten. Diese erlauben es privaten Investoren, den Investitionsstaat, d.h. den Staat, in dem sie Investitionen getätigt haben, in einem Schiedsgerichtsverfahren mit der Begründung zu verklagen, der Staat habe durch eine bestimmte Maßnahme , z.B. die Verschärfung von Umweltschutzvorschriften, gegen die Investitionsschutzklauseln verstoßen, die in dem völkerrechtlichen Vertrag zwischen dem Investitionsstaat und dem Herkunftsstaat des privaten Investors vorhanden sind. Diese Schiedsgerichte sind typischerweise nicht mit Richtern, sondern mit Personen besetzt, die von den Streitparteien bestimmt werden. Sie können in der Regel auf der Basis des völkerrechtlichen Investitionsschutzabkommens den Investitionsstaat verpflichten, dem privaten Investor eine Entschädigung zu zahlen, wenn der Investitionsstaat tatsächlich gegen das Abkommen verstoßen hat. Häufig nimmt der betroffene Investitionsstaat die streitbefangene Maßnahme zurück, um die Entschädigungszahlung zu vermeiden . Diese Problematik wird unter verschiedenen Aspekten diskutiert. Neben den verfassungsrechtlichen Äußerungen (dazu sogleich unter Ziff. 2.), gibt es auch z.B. aus umweltpolitischer, aus landwirtschaftlicher und aus verbraucherschutzrechtlicher Sicht eine lebhafte Diskussion.2 Da die Themenvielfalt zum geplanten TTIP und seinen Investitionsschutzklauseln sehr breit ist, wird nachfolgend nur die aktuelle verfassungsrechtliche Diskussion nachgezeichnet. Dabei erhebt die nachfolgende Darstellung der Äußerungen nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Es wurden die Aufsätze und Kommentare herausgegriffen, die nach hiesiger Auffassung die verfassungsrechtliche Bedeutung der Investitionsschutzklauseln am stärksten in den Fokus nehmen. Monographien zum Thema Investitionsschutz wurden nicht berücksichtigt, da sie in der Regel auf die besondere, aktuelle Situation des geplanten TTIP nicht eingehen. Zudem hätte dies nicht nur den Umfang der Dokumentation erheblich erweitert, sondern auch die Bearbeitungszeit unangemessen verlängert. 1 Bei den Schiedsgerichtsverfahren handelt es sich um die sogenannten investor-state dispute settlements. 2 Siehe dazu z.B. die Diskussion im Ausschuss des Deutschen Bundestages für Ernährung und Landwirtschaft am 30.06.2014 zum geplanten Handelsabkommen EU-USA (TTIP) und am 02.06.2014 zum geplanten Handelsabkommen EU-Kanada (CETA) sowie die jeweiligen Stellungnahmen der Experten, auf der Internetseite des Bundestages aufrufbar unter: http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/a10/anhoerungen; sowie die umfassende Darstelllung mit Schwerpunkt auf den umweltpolitischen Aspekten von Gerstetter/Meyer-Ohlendorf, Investor-state dispute settlement under TTIP – a risk for environmental regulation? (in englischer Sprache), Dezember 2013, im Internet aufrufbar unter: http://www.ecologic.eu/de/10400. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 189/14 Seite 4 2. Stand der verfassungsrechtlichen Diskussion Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Diskussion finden sich Positionen gegen (dazu unten 2.1.) und für (dazu unten 2.2.) Investitionsschutzregelungen mit Schiedsgerichtsklauseln. Die Vertreter beider Positionen sind sich allerdings häufig darüber einig, dass das Rechtsregime sowie die Verfahren der Schiedsgerichte in den neuen Handelsabkommen (zumindest) besser ausgestaltet werden müssen (dazu unten 2.3.). 2.1. Argumente gegen die Vereinbarkeit von Investitionsschutzklauseln mit dem Grundgesetz Gegen die Verfassungsmäßigkeit von Investitionsschutzregelungen mit Schiedsgerichtsklauseln werden Argumente vorgebracht, die insbesondere Einschränkungen des Demokratieprinzips, des Rechtsstaatsprinzip und des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes unter verschiedenen Aspekten zum Gegenstand haben. 2.1.1. Einschränkung des Demokratieprinzips Eine solche Einschränkung wird sehr eindringlich vertreten von Flessner, TTIP und Verfassungsrecht , Verfassungsblog, 13.05.20143, beigefügt als Anlage 1. Nach Meinung von Flessner fordere das Demokratieprinzip grundsätzlich die Freiheit von Fremdbestimmung (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG), da der deutsche Staat seine Legitimität nur aus der Verfassung und vom Volk durch Wahlen und Abstimmungen erhalte. Die Bundesrepublik als unabhängiger Staat dürfe sich daher nur so weit übergeordneten Rechtssystemen und Institutionen unterwerfen, wie das Grundgesetz dies zulasse. Das Grundgesetz erlaube nach Maßgabe der spezifischen Verfassungsnormen die Einordnung Deutschlands in die europäische Integration (Art. 23 GG), in „zwischenstaatliche Einrichtungen“, in kollektive Sicherheitssysteme und in Schiedsgerichtssysteme „zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten“ (Art. 24 GG). Investitionsschutzabkommen mit Schiedsgerichtsklauseln seien davon nicht erfasst (S. 2). Selbst wenn eine Behördenentscheidung den grundgesetzlichen Gleichheitssatz und den Eigentumsschutz (Art. 3 und Art. 14 GG) nicht verletzte, sei es einem Investor möglich, im Rahmen des Schiedsverfahrens eine für ihn günstige Entscheidung zu erhalten. Zudem schaffe die tatsächliche Verurteilung des Investitionsstaates zur Zahlung einer Entschädigung an den privaten Investor durch das Schiedsgericht eine Verbindlichkeit des Staates ohne Zustimmung des Parlaments und verletze daher dessen Haushaltshoheit (S. 2) 3 Im Internet aufrufbar unter: http://www.verfassungsblog.de/ttip-und-das-verfassungsrecht/#.U_3YTVOM54k. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 189/14 Seite 5 Die Problematik der Haushaltshoheit bei exorbitant hohen Entschädigungssummen sieht auch Bernstorff, Streitigkeiten über gemeinwohlorientierte Regulierung von Investoren gehören im demokratischen Rechtsstaat vor die nationalen Gerichte, Verfassungsblog, 15.05.2014, S. 4, beigefügt als Anlage 2. Ähnlich argumentieren auch Beck und Scherrer, Investitionsschutzklauseln: Privilegierung von Konzernen auf Kosten der Demokratie, ifo Schnelldienst 2014, S. 17, beigefügt als Anlage 3. Beck und Scherrer betonen, dass mit dem vorgesehenen Investor-Staat-Schiedsverfahren auch ein Drohpotential gegen staatliche Regulierungsmöglichkeiten verbunden sei, das die Demokratie einschränke. Die Androhung einer Klage durch einen Investor könnte staatliche Stellen von der Schaffung neuer Regelungen abhalten, wenn sie keine Entschädigungszahlungen an den Investor riskieren möchten (S. 18). 2.1.2. Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes Verfassungsrechtliche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG) werden von Flessner vorgebracht (Anlage 1). Nach Art. 3 Abs. 3 GG dürfe niemand wegen seiner Heimat und Herkunft benachteiligt werden. Durch Investitionsschutzregelungen werden jedoch stets nur die jeweils ausländischen Investoren und nicht die inländischen Investoren begünstigt. Nur ein ausländisches Unternehmen (bei TTIP: US-amerikanisches Unternehmen) könne Deutschland in einem Investor-Staat-Schiedsverfahren verklagen, ein deutsches Unternehmen könne dies nicht. Dies sei unvereinbar mit Art. 3 GG (S. 3). Dies betont auch Stoll, Zur falschen Zeit am falschen Ort – Reform des Investitionsrechts auf Abwegen, Verfassungsblog, 13.05.2014, beigefügt als Anlage 4. Das Investitionsrecht schaffe, insbesondere bei Vertragspartnern mit offenen Wirtschaftsverfassungen wie der Europäischen Union und den USA, eine scharfe Positivdiskriminierung zugunsten ausländischer Unternehmen und laufe damit dem Prinzip der Wettbewerbsgleichheit entgegen (S. 3). 2.1.3. Verstoß gegen die staatlichen Entschädigungspflichten bei Eigentumsverletzungen Staatliche Entschädigungszahlungen bei Eigentumsverletzungen aufgrund eines Schiedsspruches hätten erhebliche Konsequenzen für die deutsche Rechtsprechung zum grundgesetzlichen Eigentumsschutz (Art. 14 GG) meint von Frankenberg, Rechtsstaaten vor privatem Schiedsgericht?, Deutsche Richterzeitung 2014, 2384, beigefügt als 4 Auf diesen Aufsatz wurde bereits in dem Auftrag zu dieser Dokumentation Bezug genommen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 189/14 Seite 6 Anlage 5. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Naßauskiesungsentscheidung klar gestellt, dass gesetzgeberische Eigentumsverletzungen nicht eine Entschädigungszahlung nach sich ziehen würden , sondern mit einer Änderung oder Aufhebung des Gesetzes behoben werden sollen. Schließlich sei es Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der Gerichte, den Inhalt und die Schranken von Art. 14 GG zu bestimmen. Die Schiedsgerichte könnten dennoch bei Eigentumsverletzungen Deutschland zum Schadensersatz verpflichten und damit die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betonte Konsequenz der Gewaltenteilung umgehen (S. 241). Auch Stoll (Anlage 4) ist der Aufassung, dass die Auferlegung von Entschädigungszahlungen zu Lasten eines Staates durch ein Schiedsgericht mit der Rechtsprechung zu Art. 14 GG nur schwer vereinbar wäre. Das Investitionsschutzrecht laufe auf das Motto „Dulde und Liquidiere“ hinaus, dem das Bundesverfassungsgericht in der Naßauskiesungsentscheidung im Jahr 1981 eine Absage erteilt habe. Es sei daran zu erinnern, dass das Gericht in seinem Beschluss auf die zentrale Bedeutung des parlamentarischen Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Sozialbindung des Eigentums und der Grenzziehung zur Enteignung hingewiesen hat (S. 3 f.). Schließlich könnten diese Unterschiede im Eigentumsschutz auch Sequenzprobleme hervorrufen , meint Krajewski, Umweltschutz und internationales Investitionsschutzrecht am Beispiel der Vattenfall-Klagen und des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (TTIP), ZUR 2014, 396, beigefügt als Anlage 6. Ein solches Problem ergäbe sich, wenn die Streitigkeit sowohl vor einem Schiedsgericht als auch vor dem nationalen Verfassungsgericht ausgetragen würde, wie dies in dem Verfahren Vattenfall gegen Deutschland II der Fall war.5 Wenn das Schiedsgericht dem ausländischen Investor Entschädigungen zusprechen würde, das deutsche Verfassungsgericht jedoch das Gesetz, gegen das der Investor sich in dem Schiedsverfahren gewandt hat, später für nichtig erklären würde, würde sich die Frage stellen, ob der Investor anschließend die Entschädigung zurückzahlen müsse. Dieses Problem entstehe auch deshalb, weil im internationalen Investitionsschutzrecht grundsätzlich sofort Schadensersatz zugesprochen und nicht die Änderung oder Aufhebung der rechtswidrigen Maßnahme verlangt würde (S. 400). 2.1.4. Einschränkung des Prinzips des unabhängigen Richters und des Rechtsschutzsystems des Grundgesetzes Bernsdorff (Anlage 2) führt aus, dass im System der Investor-Staat-Schiedsverfahren die Entscheidungen nicht von unabhängigen Richtern, sondern oft von industrienah arbeitenden Rechtsanwälten mit wirtschaftsrechtlichem Hintergrund getroffen würden, die von den Parteien als Schiedsrichter benannt würden. Darüber hinaus gäbe es auch keinen Instanzenzug, sondern die Entscheidung der Schiedsrichter sei endgültig und bindend (S. 2). 5 Dies scheint allerdings nach den geplanten Regelungen im TTIP nicht möglich zu sein. Siehe dazu sogleich unter Ziff. 2.1.4 (Ausführungen von Flessner). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 189/14 Seite 7 Flessner (Anlage 1) erweitert diese Argumentation um den Aspekt, dass es nach herrschender Auffassung ein Kernelement der Souveränität des Staates sei, dass der einzelne Staat sein hoheitliches Handeln nicht vor fremden Gerichten verantworten müsse. Art. 24 Abs. 3 GG erlaube zwar die Einordnung in ein zwischenstaatliches Streitschlichtungssystem, beim Investor-Staat- Schiedsverfahren gehe es jedoch gerade um das Verhältnis zwischen Privaten und dem Staat. Damit sei Art. 24 Abs. 3 GG auf diese Fälle nicht anwendbar. Das Grundgesetz enthalte dafür keine Ermächtigung. Schließlich solle im TTIP vorgesehen werden, dass die Schiedsgerichte allein für die Streitigkeiten zwischen den privaten Investoren und dem Investitionsstaat zuständig sein sollen. Der ordentliche deutsche Rechtsweg wäre ausgeschlossen. Damit würde einerseits den Investoren ihr Recht genommen, den deutschen Staat vor deutschen Gerichten zu verklagen (Art. 19 Abs. 4 GG), es würde aber auch der deutsche Staat einer Gerichtsbarkeit ausgesetzt, die Art. 19 Abs. 4 GG nicht vorsehe. Diese - für das deutsche Verständnis eines Rechtsstaats zentrale Vorschrift - werde durch ein Investor-Staat-Schiedsverfahren nicht beachtet (S. 2 f.). 2.1.5. Intransparenz der Schiedsgerichtsverfahren Darüber hinaus beklagt von Frankenberg (Anlage 5) die Intransparenz der Schiedsgerichtsverfahren . Im Gegensatz zu deutschen Gerichtsverfahren beruhten diese auf wenig rechtsähnlichen Vorschriften (S. 239). Es fehle darüber hinaus an zentralen rechtsstaatlichen Sicherungen. Die Verhandlungen internationaler Schiedsgerichte seien nicht öffentlich und auch der Schiedsspruch werde oft nicht veröffentlicht. Eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit könne daher nicht stattfinden (S. 240). Die fehlende Öffentlichkeit kritisiert auch Classen, Die Unterwerfung demokratischer Hoheitsgewalt unter eine Schiedsgerichtsbarkeit, EuZW 2014, 611, beigefügt als Anlage 7. Dies stünde im Widerspruch zu dem Elementarprinzip rechtsstaatlicher und demokratischer Rechtsprechung. Allerdings würde dies durch neuere Verfahrensvorschriften der UNCITAL6 aufgefangen werden (S. 614). Die Intransparenz beanstanden auch Draper und Freytag, TTIP braucht Investitionsschutz, aber keine internationale Schiedsgerichtsbarkeit, ifo Schnelldienst 2014, S. 3, beigefügt als Anlage 8. Dies werde auch deshalb kritisiert, weil vor allem Anwälte mit angloamerikanischem Hintergrund in den Schiedsgerichten als Richter tätig seien. Auch von Frankenberg (Anlage 5) beobachtet diese Nähe der Schiedsrichter zu international tätigen Wirtschaftkanzleien (S. 239). Die Unabhängigkeit der Schiedsrichter sei auch deshalb nicht gewährleitet, weil sie von den Parteien ausgewählt und bezahlt würden. Ein Schiedsrichter, der sein Honorar nur dann erhalte, wenn er 6 Bei den UNCITAL handelt es sich um die Schiedsregeln der UN-Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht. Diese können von Vertragsparteien eines Investitionsschutzabkommens in Bezug auf das dort vereinbarte Schiedsgerichtsverfahren für anwendbar erklärt werden. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 189/14 Seite 8 überhaupt ausgewählt wird, könne ein Interesse daran haben, so zu entscheiden, dass er auch in einem nächsten Verfahren wieder ausgewählt wird (S. 240). Schließlich weist Krajewski (Anlage 6) im Zusammenhang mit dem Schiedsgerichtsverfahren Vattenfall gegen Deutschland II darauf hin, dass auch die Geheimhaltungspflicht der Bunderegierung gegenüber dem Bundestag verfassungsrechtlich bedenklich sei. Die Bundesregierung sei (im Verfahren von Vattenfall) nicht verpflichtet, das Plenum des Bundestages über das Verfahren zu informieren. Die Abgeordneten könnten lediglich unter strenger Beachtung von Geheimhaltungspflichten Zusammenfassungen der relevanten Dokumente einsehen. Anders als vor dem Bundesverfassungsgericht könne der Bundestag im Rahmen des Investitionsschutzstreites auch keine eigenen Erwägungen und Argumente vortragen. Er müsse sich vielmehr darauf verlassen, dass die Bundesregierung das Gesetz entsprechend verteidige (S. 400 f). 2.1.6. Überschreitung der Kompetenzen der Europäischen Union Flessner (Anlage 1) trägt außerdem vor, dass die Europäische Union nicht über die Kompetenz verfüge, Investitionsschutzabkommen für alle denkbaren Politikbereiche zu schaffen, wie dies aber im TTIP vorgesehen sei. Das TTIP verspräche den Schutz gegen Handelshemmnisse für alle Politikbereiche, sei es durch Steuern, Beihilfen an Konkurrenten oder an andere Wirtschaftszweige , Regelungen zur Sozialversicherung, zum Arbeitsrecht und Verbraucherschutz, durch Umweltauflagen, Energiepolitik, Sicherheitsstandards, Gewerbepolizei, Kapitalmarktregulierung bis hin zu Rechtsregeln im Schul-, Wissenschafts- und Kulturbereich. Die Europäische Union sei jedoch nur für einzelne Politikbereiche zuständig. Für Steuern und Kultur sei sie ganz klar nicht zuständig. Diese Anmaßung werde noch grundsätzlicher dadurch, dass sich die Europäische Union mit TTIP selbst und die Mitgliedstaaten vor internationale Schiedsgerichte bringen wolle. Für die Aushändigung der ihr übertragenen Hoheitsmacht an fremde Richter und für den Eingriff in den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Souveränität fehle der Europäischen Union die nötige Rechtsmacht (S. 3 f.). Im Übrigen dürfte die Bundesrepublik Deutschland einem solchen Abkommen sowohl im Rat der Europäischen Union als auch durch den Bundestag nach ihrem eigenen Verfassungsrecht nicht zustimmen, da dieser Souveränitätsverzicht, der damit einherginge, dass die Europäische Union darüber entscheiden könnte, ob sich Deutschland Schiedsgerichten unterwerfen müsste, mit dem Grundgesetz (Art. 23 und Art. 24 GG) nicht vereinbar sei (S. 5). 2.2. Argumente für die Vereinbarkeit von Investitionsschutzregelungen mit dem Grundgesetz Auch zugunsten der Investitionsschutzregelungen mit Schiedsgerichtsklauseln werden Argumente vorgebracht. Diese basieren auf der Zuständigkeitsordnung zwischen Europäischer Union und den Mitgliedstaaten, der Betroffenheit von Grundrechten und Menschenrechten oder der mangelnden Durchsetzbarkeit der Investitionsschutzreglungen vor dem Gerichtshof der Europäischen Union. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 189/14 Seite 9 2.2.1. Zuständigkeit für die Investitionsschutzregelungen und verfassungsrechtlicher Maßstab Nach der Auffassung von Classen (Anlage 7) ist für das Investitionsschutzrecht mittlerweile allein die Europäische Union zuständig. Das Demokratieprinzip der Union sei aber weniger konturenscharf als in Deutschland. Eine vollständige Beachtung aller deutschen verfassungsrechtlichen Vorgaben sei im Rahmen internationaler Zusammenarbeit nicht möglich. Z.B. sei auch die Mitwirkung Deutschlands bei den Vereinten Nationen zulässig, obwohl der Sicherheitsrat für die Mitgliedstaaten bindende Verpflichtungen begründen könne, ohne dass alle Mitglieder dem zustimmen müssten (S. 615). Zwar seien die materiellen Maßstäbe für die Entscheidungen der Schiedsgerichte vage, vor allem beim Eigentumsschutz, sie seien allerdings gerade in ihrer Allgemeinheit vom Parlament gebilligt (S. 616). 2.2.2. Betroffenheit von Grundrechten und Menschenrechten Classen (Anlage 7) führt weiter aus, dass mit einer Schiedsgerichtsentscheidung als solcher keinerlei Grundrechtseingriff verbunden sei. Durch die aber durchaus möglichen Schadensersatzansprüche könne es dazu kommen, dass staatlichen Stellen zur Vermeidung der Zahlung die streitige Maßnahme zurücknehmen. Dies könne dann auch Grundrechtseingriffe oder zumindest eine Verringerung des grundrechtlichen Schutzes bewirken. Dies läge aber in der Verantwortung der jeweils verantwortlichen nationalen oder europäischen Stellen. Zur haushalterischen Relevanz sei daran zu erinnern, dass Schadensersatzforderungen nur durch eine Entscheidung ausgelöst werden könnten, die nach der jeweiligen Investition getroffen worden sei. Eine finanzielle Belastung sei also für den Mitgliedstaat bzw. die Europäische Union nicht unvermeidlich, sondern Folge politisch getroffener Entscheidungen (S. 616). Darüber hinaus gebe es auch ein Eigentumsinteresse der Eigentümer, die hinter den ausländischen Investoren stünden, meint Schorkopf, Investitionen – Eigentum – Menschenrechte – Gemeinwohl : Zur Vereinbarkeit des Transatlantischen Investitionsschutzes mit Rechtsstaat und Demokratie, ifo Schnelldienst 2014, 6, beigefügt als Anlage 8. Bei diesen Eigentümern handele es sich häufig auch um Bürger, die über Pensionsfonds und Anlagegesellschaften für das Alter und die Ausbildung ihrer Kinder sparen würden. Und wer meine , dass Kapitaleigentum eine mindere, d.h. weniger schutzwürdige Eigentumsform sei, der sei auf das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit in der Grundrechtecharta der Europäischen Union (Art. 16 GRCh7) verwiesen. Zudem stehe der Investitionsschutz in einem mittelbaren Zusammenhang mit Menschenrechten (S. 7). Direktinvestitionen seien ein begehrtes Gut, weil sie als ein erfolgversprechender Weg zu wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt, zu Wohlstand und Bildung gelten würden. Direktinvestitionen hätten für die Beschäftigung in einem Staat, für die Verringerung von Armut und Diskriminierung einen fördernden Effekt. In Industrieländern würde dieser Effekt semantisch nur anders codiert, es gehe dann darum, die Wettbewerbsfähig- 7 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, EU-ABl. C 303 vom 14.12.2007. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 189/14 Seite 10 keit zu stärken, die Wirtschaft zu modernisieren und das Wohlstandsniveau zu halten, um mit entsprechenden Steuern und Abgaben den Sozialstaat zu finanzieren (S. 8). 2.2.3. Mangelnde Durchsetzbarkeit der Investitionsschutzreglungen vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Schorkopf (Anlage 8) ist außerdem der Auffassung, dass völkerrechtlicher Investitionsschutz notwendig sei, weil die Freihandelsabkommen vor den europäischen Gerichten nicht anwendbar seien. Es sei das Ergebnis jahrzehntelanger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass dieser dem Welthandelsrecht die unmittelbare Anwendbarkeit in der Europäischen Union verweigere . Die bedeute, dass Bürger und Unternehmen sich vor nationalen Gerichten wie auch dem Europäischen Gerichtshof nicht auf die für sie vorteilhaften Normen des Investitionsschutzabkommens berufen könnten. Auch wenn die Europäische Union und die USA vereinbaren könnten , dass das in den Abkommen geschaffene Recht vor Gericht den Einzelnen Rechte geben soll, würde dies in der Praxis nicht geschehen (S. 8). 2.3. Verbesserte Ausgestaltung der Schiedsgerichtsverfahren Im Zusammenhang mit dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP wird von den meisten Autoren , unabhängig davon, ob sie sich eher für oder gegen den Investitionsschutz aussprechen, dafür plädiert, moderne, allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechende Investitionsschutzregelungen zu schaffen. Nach Bernstorff (Anlage 2) erscheine die derzeit weltweit diskutierte und zum Teil auch schon praktizierte Verabschiedung von weitgehenden und unbestimmten Schutzklauseln im Investorschutz dringend geboten. Zumindest sollte auch für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit die allgemeine Regel gelten, dass grundsätzlich immer zuerst der nationale Rechtsweg zu beschreiten ist (S. 4). Stoll (Anlage 4) sieht im TTIP aufgrund seines enormen ökonomischen und geopolitischen Gewichtes das Potential zum game-changer in einem Geleitzug von Verhandlungen, die die USA und die EU führen und die am Ende sehr wohl die Landschaft der internationalen Wirtschaftsordnung tiefgreifend verändern könnten (S. 2 f.). Krajewski (Anlage 6) plädiert dafür, dass zukünftig die Öffentlichkeit eines Investitionsschutzverfahrens zur Regel werden sollte, von der bei begründeten Interessen (z. B. Geschäftsgeheimnissen ) Ausnahmen bestehen könnten (S. 401). Classen (Anlage 7), der gegen die Unterwerfung von Staaten unter eine Schiedsgerichtsbarkeit keine prinzipiellen Bedenken hat, sieht allerdings auch, dass die Beseitigung bestimmter Mängel den Einsatz dieses Instruments erleichtern würde. Die schwache Institutionalisierung der Schiedsgerichtsbarkeit und die fehlende Öffentlichkeit stünden sogar in einem Zusammenhang: Je stärker auch für die Öffentlichkeit Verhandlungsgegenstand und -ergebnis erkennbar werden würden, desto größer würde der Druck auf die Schiedsgerichte, bei ihren Entscheidungen spruchkörperübergreifend auf Konsistenz und Kohärenz zu achten. Dabei könnten die Organisationen , die derzeit den institutionellen Rahmen für die Schiedsgerichtsbarkeit abgeben, eine gewisse Hilfestellung leisten. Noch besser wäre es, wenn diese Organisationen selbst – zumindest Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 189/14 Seite 11 als zweite Instanz – eine ständig tätige Institution schaffen würden. Im Rahmen des TTIP wäre auch eine spezielle ständige Instanz denkbar (S. 616). Für eine spezielle ständige Instanz, aber ohne vorgeschaltetes Schiedsgericht, sprechen sich auch Draper und Freytag (Anlage 8) im Zusammenhang mit TTIP aus. Die Autoren sehen das Schiedgerichtsverfahren im Rahmen von TTIP sehr skeptisch, schlagen aber vor, den Schutz von ausländischen Direktinvestitionen vor Diskriminierung und Enteignung zu garantieren. Deshalb solle TTIP generelle Investitionsschutzklauseln enthalten, sich aber ansonsten auf die nationalen Systeme zu ihrer Durchsetzung stützen. Streitfälle würden somit vor den Gerichten des Gastlandes entschieden. Ergänzend könne man eine Schiedsstelle einrichten, die mit Mitgliedern aus den USA und der EU paritätisch besetzt werde. Sie würde nur beratend tätig und als Mediator wirken, um Streitfälle früh beizulegen, so dass Rechtsstreitigkeiten vermieden werden könnten (S. 5). Selbst Schorkopf (Anlage 9), der die Investitionsschutzregelungen mit Schiedsgerichtsklauseln für verfassungsrechtlich unbedenklich hält, sieht Verbesserungsbedarf. Es gebe berechtigte Kritik am gegenwärtigen Zustand der Institution »Investitionsschutz«. Dieser Kritik müsse zumindest mit der Einführung einer Revisionsinstanz, besserer Verfahrensgrundsätze und von Mitteln gegen die »Flucht in die Vertraulichkeit« Rechnung getragen werden. Wollten die Vereinigten Staaten und die Europäische Union mit ihrem Abkommen ein Faktum für andere Staaten setzen, könnten sie das Investitionsschutzkapitel im geplanten Abkommen vorbildhaft ausgestalten (S. 8). Demgegenüber sind Beck und Scherrer (Anlage 3) eher skeptisch, ob Verbesserungen des Investitionsschutzsystems die verfassungsrechtlichen Probleme lösen können. Damit ändere sich nichts Grundsätzliches an der Investitionsschiedsgerichtspraxis. Die Privilegierung ausländischer Investoren durch einen Sonderrechtschutzmechanismus, der die Regulierungsautonomie des Staates einschränken könne, bleibe bestehen (S. 19).