© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 188/17 Härtefallverfahren in sog. Dublin-Fällen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 188/17 Seite 2 Härtefallverfahren in sog. Dublin-Fällen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 188/17 Abschluss der Arbeit: 12.10.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 188/17 Seite 3 1. Fragestellung Es wird die Frage gestellt, ob die Durchführung von Härtefallverfahren im Sinne des § 23a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auch in Bezug auf Ausländer in Betracht kommt, deren Asylanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a) Asylgesetz (AsylG) als unzulässig abgelehnt wurden, da nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr.604/2013 (Dublin-III-Verordnung) ein anderer EU-Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (Dublin-Fälle). 2. Härtefallverfahren nach § 23a AufenthG Nach § 23a Abs. 1 S. 1 AufenthG darf die oberste Landesbehörde anordnen, dass einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, wenn die Härtefallkommission des Landes darum ersucht.1 Ein Härtefallersuchen wiederum kann ergehen, wenn die Härtefallkommission dringende humanitäre oder persönliche Gründe feststellt, die die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen, § 23 Abs. 2 S. 4 AufenthG. Die Annahme eines Härtefalls ist nach § 23 Abs. 2 S. 4 AufenthG in der Regel ausgeschlossen, wenn der Ausländer Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat oder wenn ein Rückführungstermin bereits konkret feststeht. Die Regelung des Härtefallverfahrens in § 23a AufenthG ist in zweifacher Hinsicht besonders. Zum einen stellt das Härtefallverfahren „lediglich“ ein gerichtlich nicht überprüfbares, rein humanitär ausgestaltetes und gegenüber allen anderen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes extralegales Entscheidungsverfahren dar, dem absoluter Ausnahmecharakter zukommt.2 Die Befugnis zur Aufenthaltsgewährung steht ausschließlich im öffentlichen Interesse und begründet keine eigenen Rechte des Ausländers, § 23a Abs. 1 Satz 4 AufenthG, die Härtefallkommissionen werden ausschließlich im Wege der Selbstbefassung tätig, § 23a Abs. 2 Satz 2 AufenthG, und Dritte können nicht verlangen, dass eine Härtefallkommission sich mit einem bestimmten Einzelfall befasst oder eine bestimmte Entscheidung trifft, § 23a Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Zum anderen besteht keine Verpflichtung zur Einrichtung von Härtefallkommissionen. Vielmehr sind die Landesregierungen nach § 23a Abs. 2 AufenthG bloß ermächtigt, durch Rechtsverordnung eine Härtefallkommission einzurichten und das weitere Verfahren auszugestalten. Mittlerweile hat jedoch jedes Bundesland eine Härtefallkommission eingerichtet.3 3. Härtefallverfahren in Dublin-Fällen Fraglich ist, ob Härtefallverfahren in Dublin-Fällen ausgeschlossen sind. Ein Ausschluss von Härtefallverfahren wegen der in Dublin-Fällen festgestellten Unzuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens kommt nicht in Betracht. In der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG wird der Asylantrag wegen der Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats für die Durchführung 1 Ausführlich zum Härtefallverfahren Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Rechtsstellung und Befugnisse der Härtefallkommission nach dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (WD 3 - 3000 - 322/15). 2 Wissenschaftliche Dienste (Fn. 1), 4 f. m.w.N. 3 Vgl. die Auflistung bei Göbel-Zimmermann, in: Huber, Aufenthaltsgesetz (2. Aufl., 2016), Rn. 10 zu § 23a. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 188/17 Seite 4 des Asylverfahrens als unzulässig abgelehnt. Die Durchführung anderer aufenthaltsrechtlicher Verfahren verletzt diese Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats jedoch nicht. Dies gilt auch für Härtefallverfahren, denn das Härtefallverfahren ist kein weiteres „Härtefall-Asylverfahren“, sondern es stellt ein aufenthaltsrechtliches Verfahren dar, das zudem – wie oben erwähnt – als ein extralegales Entscheidungsverfahren einzuordnen ist. Ein Ausschluss von Härtefallverfahren in Dublin-Fällen könnte sich aber aus den bundesrechtlichen Vorgaben des § 23a AufenthG und aus den landesrechtlichen Vorgaben der einschlägigen Härtefallkommissionsverordnungen der Länder ergeben. 3.1. Vorgaben des § 23a AufenthG Die Vorschrift des § 23a Abs. 1 S. 1 AufenthG enthält die Vorgabe, dass sich Härtefallverfahren ausschließlich auf vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer beziehen können. Diese Vorgabe schließt Härtefallverfahren in Dublin-Fällen nicht aus. Vielmehr sind auch die wegen der Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG abgelehnten Asylbewerber bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen gemäß § 58 Abs. 2, § 50 Abs. 1 AufenthaltsG und § 67 Abs. 1 AsylG vollziehbar ausreisepflichtig. 3.2. Landesrechtliche Vorgaben Die einschlägigen landerechtlichen Regelungen sind nicht einheitlich ausgestaltet. Insbesondere die in § 23 Abs. 2 S. 1 AufenthG vorgesehenen Befugnis, „Ausschlussgründe“ des Verfahrens zu bestimmen , haben die Landesregierungen sowohl in Bezug auf die verfahrensrechtliche Anknüpfung als auch inhaltlich in unterschiedlicher Weise genutzt. So bestimmt beispielsweise § 3 der Härtefallkommissionsverordnung Berlin, dass schon die Beratung über ein Härtefallersuchen in bestimmten Fällen ausgeschlossen ist.4 Nach der Bayerischen Härtefallkommissionsverordnung hingegen schließen die Ausschlussgründe eine Befassung der Härtefallkommission mit dem Fall nicht aus. Vielmehr darf ein „Härtefallersuchen nicht gestellt werden“, wenn die näher bezeichneten Ausschlussgründe vorliegen. Aber auch dann kommt nach der Bayerischen Härtefallkommissionsverordnung ausnahmsweise eine Härtefallersuchen durch die Härtefallkommission in Betracht, wenn dies „besondere Umstände in der Person des Ausländers rechtfertigen“ oder „mit dem alsbaldigen Wegfall des Ausschlussgrundes gerechnet werden kann“.5 Auch inhaltlich gibt es große Unterschiede bei der Art und der Anzahl der Ausschlussgründe. Einige Härtefallkommissionsverordnungen sehen beispielsweise den Ausschluss von Verfahren zugunsten von Personen vor, die gegen Mitwirkungspflichten verstoßen oder die Ausländerbehörden über aufenthaltsrechtliche Umstände getäuscht haben.6 Andere Härtefallkommissionsverordnungen enthalten Ausschlussgründe, 4 Die Berliner Härtefallkommissionsverordnung ist abrufbar unter: http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/gesetzgebung /HaertefallVO_Berlin_261004.pdf. 5 Die Bayerische Härtefallkommissionsverordnung ist abrufbar unter: http://www.gesetze-bayern.de/Content /Document/BayHFKomV-5, vgl. insbesondere die §§ 3, 5. 6 Siehe dazu § 5 S. 2 Nr. 1 der Bayerischen Härtefallkommissionsverordnung (Fn. 5) und § 6 Nr. 3 der Härtefallkommissionsverordnung des Landes Sachsen-Anhalt, abrufbar unter: https://mi.sachsen-anhalt.de/fileadmin /Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MI/MI/3._Themen/Auslaenderrecht/Haertefallkommission/HFK- VO_und_Erste_Verordnung_zur_AEnderung_HFK-VO__GVBl._.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 188/17 Seite 5 die sich u.a. auf parallele Verfahren, begangene Straftaten und die Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.7 Eine Regelung, die sich spezifisch auf den Ausschluss von Dublin-Fällen bezieht, enthalten die Härtefallkommissionsverordnungen der Länder – soweit ersichtlich – nicht. Die vorgesehenen Ausschlussgründe erfassen aber auch Dublin-Fälle, wenn die Voraussetzungen der jeweils einschlägigen Vorschriften erfüllt sind. Ein in mehreren Härtefallkommissionsverordnungen vorgesehener Ausschlussgrund könnte für Dublin-Fälle besonders relevant sein. Dieser Ausschlussgrund bezieht sich auf den Ausschluss von Fällen, die inhaltlich auf eine Prüfung derjenigen Gründe hinauslaufen würde, die bereits Gegenstand des Asylverfahrens waren und vom BAMF geprüft worden sind. So ist die Annahme eines Härtefalls nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 der Härtefallkommissionsverordnung des Landes Baden-Württemberg in der Regel ausgeschlossen, wenn „das Vorbringen im Wesentlichen einen Sachverhalt betrifft, der nach dem Asylverfahrensgesetz vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu prüfen ist“.8 Betrifft nun das Vorbringen im Härtefallverfahren die im Asylverfahren geltend gemachten Fluchtgründe oder die gegen die Überstellung in den zuständigen EU-Mitgliedstaat vorgebrachten Einwände, könnte das Härtefallverfahren ausgeschlossen sein, da diese Gründe im Rahmen des Asylverfahrens „vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu prüfen sind“ (vgl. §§ 24, 29 AsylG). Da § 6 Abs. 1 Nr. 2 der Härtefallkommissionsverordnung des Landes Baden- Württemberg die Annahme eines Härtefalls in dieser Konstellation jedoch nur „in der Regel“ als ausgeschlossen ansieht, bleibt Raum für die Annahme von Härtefällen in atypischen Konstellationen. Eine ähnliche, das Verhältnis zum Asylverfahren regelnde Vorschrift enthält § 3 Abs. 2 Nr. 7 der Berliner Härtefallkommissionsverordnung.9 Danach sind Anträge für eine Person unzulässig, „deren Asylantrag abgelehnt und der Abschiebungsschutz nicht gewährt wurde, sofern sie lediglich Gründe vorbringt, die als herkunftsstaatsbezogene Gründe abschließend vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geprüft worden sind.“ In diesem Fall wäre ein Vorbringen im Rahmen des Härtefallverfahrens nur dann ausgeschlossen, wenn es sich auf abschließend vom BAMF geprüfte herkunftsstaatsbezogene Gründe bezieht. In Dublin-Fällen hat das BAMF kein vollständiges Asylverfahren durchgeführt, sondern über die (Un)Zulässigkeit des Asylverfahrens wegen der Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats entschieden, § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG, so dass in Härtefallverfahren Raum für Vorbringen bestehen dürfte, das sich auf herkunftsstaatsbezogene Gründe bezieht. Zu beachten ist aber, dass das BAMF auch bei unzulässigen Asylanträgen nach § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG 7 Vgl. nur den ausführlichen Katalog von Ausschlussgründen in § 3 der Sächsischen Härtefallkommissionsverordnung , abrufbar unter: http://sab.landtag.sachsen.de/de/der-saechsische-landesbeauftragte/haertefallkommission /haertefallkommissionsverordnung-6991.cshtml. 8 Die Härtefallkommissionsverordnung des Landes Baden-Württemberg ist abrufbar unter: http://www.landesrecht -bw.de/jportal/portal/t/9mr/page/bsbawueprod.psml/action/portlets.jw.MainAction;jsessionid =9C663F0C185D48ACDCED88481CC2334A.jp91?p1=7&eventSubmit_doNavigate=searchInSubtree- TOC&showdoccase=1&doc.hl=0&doc.id=jlr-AufenthG%C2%A723aVBWpP6&doc.part=S&toc.poskey =#focuspoint. 9 Siehe Fn. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 188/17 Seite 6 zu prüfen hat, die sich dann allerdings auf den Drittstaat beziehen, in den die Abschiebung/Überstellung erfolgen soll.10 Im Ergebnis kommt es also für die Frage nach dem Ausschluss von Härtefallverfahren in Dublin- Fällen maßgeblich auf die jeweils einschlägigen landesrechtlichen Regelungen und auf das konkrete Vorbringen im Härtefallverfahren an. *** 10 Heusch, in: Klutz/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht (Stand: August 2017), Rn. 20 zu § 31 AsylG.