© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 188/15 Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung – Brand et al. (BT-Drucks 18/5373) – Gesetzgebungskompetenz des Bundes und Bestimmtheitsgebot Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/15 Seite 2 Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung – Brand et al. (BT-Drucks 18/5373) – Gesetzgebungskompetenz des Bundes und Bestimmtheitsgebot Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 188/15 Abschluss der Arbeit: 24. August 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Regelungsinhalt 4 2. Formelle Verfassungsgemäßheit – Gesetzgebungskompetenz 4 2.1. Bundeskompetenz für das Strafrecht – Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG 4 2.2. Zulässiges bundesgesetzgeberisches Handeln im Bereich des Lebensschutzes 5 2.3. Keine Kollision mit Länderkompetenz 7 3. Materielle Verfassungsgemäßheit 8 3.1. Bestimmtheitsgebot 8 3.2. Geschäftsmäßigkeit – Definition nach der Gesetzentwurfsbegründung 8 3.3. (Vorhersehbarkeit) der Strafbarkeit suizidhilfeleistender Ärzte? 10 4. Fazit 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/15 Seite 4 1. Regelungsinhalt Nachdem in der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste WD 3 – 155/15 bereits zwei der insgesamt vier vorgelegten Gesetzentwürfe Gegenstand der Untersuchung waren1, soll nun auch der Entwurf Brand et al. (BT-Drucks 18/5373) auf verfassungsrechtliche Bedenken überprüft werden . Wie der Entwurf Sensburg et al. (BT-Drucks 18/5376)2, schlägt dieser Entwurf die Einfügung eines speziellen Straftatbestandes in den Sechsten Abschnitt des StGB vor, der Straftaten gegen das Leben betrifft3. Anders als der hinsichtlich der Strafandrohung am weitesten gehende Entwurf Sensburg et al. will der vorliegend zu überprüfende Entwurf jedoch kein vollständiges strafbewehrtes Verbot der Beihilfe zum Suizid schaffen. Vielmehr soll in einem nach der strafbaren Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) einzufügenden § 217 Abs. 1 StGB die „abstrakt das Leben gefährdende Handlung“4 der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verboten werden. Abs. 2 des § 217 StGB-E sieht vor, Angehörige oder andere dem Suizidwilligen nahestehende, sich nur als Teilnehmer an der Tat beteiligende Personen, von der Strafandrohung auszunehmen5. 2. Formelle Verfassungsgemäßheit – Gesetzgebungskompetenz 2.1. Bundeskompetenz für das Strafrecht – Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Nach Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht6. Seit der Föderalismusreform I ist der Bund nicht mehr an die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG7 gebunden; auch ein Abweichungsrecht der Länder nach Art. 72 Abs. 3 GG besteht nicht. Zum Regelungsbereich des Strafrechts gehört die Regelung aller, auch nachträglicher, repressiver oder präventiver staatlicher Reaktionen auf Straftaten, die an die Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung 1 Die Entwürfe von Künast et al. (BT-Drucks 18/5375) und von Hintze et al. (BT-Drucks 18/5374): Gesetzentwürfe zur Sterbebegleitung. Gesetzgebungskompetenz des Bundes und Bestimmtheitsgebot, Ausarbeitung (WD 3 – 3000 – 155/15 –), 5. August 2015, 2015. 2 Vgl. BT-Drucks 18/5376, S. 5; dieser Entwurf sieht jedoch vor, die Hilfe zur Selbsttötung unbegrenzt unter Strafe zu stellen. 3 Vgl. StGB – Besonderer Teil – Straftaten gegen das Leben - §§ 211 bis 222. 4 BT-Drucks 18/5373, S. 3. 5 BT-Drucks 18/5373, S. 3. 6 Vgl. hierzu auch schon die Ausarbeitung WD 3 – 155/15 – S. 5. 7 Vgl. den Wortlaut der Fassung vom 27.10.1994, gültig bis 31.8.2006 – Art. 72 Abs. 2: Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/15 Seite 5 auch aus der Anlasstat beziehen8. Die Gesamtheit der Rechtsnormen, die für eine rechtswidrige Tat eine Strafe, Buße oder Maßregel der Besserung und Sicherung festsetzen, ist danach dem Strafrecht zuzuordnen9. Unter die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Strafrecht fällt außerdem das Ordnungswidrigkeitenrecht10. Aus dieser eher formalen Beschreibung des Regelungsbereichs des Strafrechts folgt indes nicht, dass der Bund sich gewissermaßen durch (beliebige) Sanktionsandrohungen seine Gesetzgebungskompetenz selbst schaffen kann: „Da die Kriminalstrafe mit einem ethischen Schuldvorwurf verbunden ist, kann der Bundesgesetzgeber im Rahmen dieser Kompetenz nicht Normen beliebigen Inhalts aufstellen, sondern nur die Normen, die ‚das ethische Minimum kennzeichnen , ohne das die soziale Gemeinschaft nicht bestehen kann‘“11. Zum konkreten Inhalt, also der Materie, die der Bundesgesetzgeber strafrechtlich regeln kann, stellt das Bundesverfassungsgericht in frühen Entscheidungen auf das Merkmal des „Traditionellen “ und „Herkömmlichen“ ab12. Soweit ein Regelungsbereich ohnehin dem Strafgesetzbuch zuzuordnen ist, kann sich der Bundesgesetzgeber auch bei der weiteren Gestaltung an diesen Inhalt halten. 2.2. Zulässiges bundesgesetzgeberisches Handeln im Bereich des Lebensschutzes Anders als der Entwurf Künast et al.13, formuliert der vorliegend zu beurteilende Entwurf keine spezifischen neuen (strafbewehrten) Verhaltenspflichten, sondern stellt die (bisher straflose) geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe. Systematisch lässt sich der Straftatbestand in den Bereich des Lebensschutzes einordnen, der herkömmlich im StGB geregelt ist14. Die Gesetzentwurfsbegründung verweist insoweit unter Bezugnahme auf (statistische) Untersuchungen der EKD, des Deutschen Ethikrates, des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland (NaSPro), der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DSG) und der Diakonie 8 BVerfGE 109, 190 (212); 134, 33 (55 f.). 9 BVerfGE 109, 190 (212 f.). 10 BVerfGE 27, 18; 29, 16; 31, 141 (144). Zur Unterscheidung: Zum Kernbereich des Strafrechts gehören alle bedeutsamen Unrechtstatbestände, während das Ordnungswidrigkeitenrecht Fälle mit geringerem Unrechtsgehalt erfasst, Sannwald, Rüdiger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 74 Rn. 34. 11 Maunz, Theodor, in: Ders./Dürig, Günter (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 73. Erg. Liefg. 2014, Art. 74 Rn. 64 mit Hinweis auf Graf Dohna, Beziehungen und Begrenzungen von Strafrecht und Verwaltungsrecht, VerwArch. Bd. 30, S. 233 ff. 12 Vgl. BVerfGE 13, 367 (372); 23, 113, (124 f.). 13 Vgl. § 9 Abs. 1 des Entwurfs BT-Drucks 18/7375, der für den Verstoß gegen in den §§ 3, 7 und 8 des Entwurfs formulierte Verhaltensgebote eine Strafandrohung formuliert. 14 Vgl. hierbei insbesondere den Bezug zur aktiven Sterbehilfe – der nach § 216 StGB strafbaren Tötung auf Verlangen . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/15 Seite 6 Deutschland darauf, dass Angebote der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid bei alten und/oder schwer kranken Personen einen Erwartungsdruck erzeugen könnten, diese Angebote auch wahrzunehmen , um die eigene Familie und die Gesellschaft als Ganzes von der in ihrem eigenen Leben gesehenen Last zu befreien15. Die Handlungsbedürftigkeit zieht der Entwurf im Weiteren daraus , dass die Zahl der geschäftsmäßig assistierten Suizide in Deutschland „nach allen bekannten Daten“ zunehme16 und auch aktuelle Berichte über die Entwicklung in der Schweiz darauf hinwiesen , dass es sich um ein aktuelles, die Gegenwart prägendes und in der Tendenz zunehmendes Problem handele17. Dieser „beunruhigenden Entwicklung“ wolle der Gesetzgeber entgegenwirken18. Flankiert von weiteren Gesetzinitiativen solle mit dem geplanten Straftatbestand ein Rahmen zur Verhinderung der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe eine Kultur der Würde auch am Ende des Lebens gestärkt werden19; der „Gefahr fremdbestimmter Einflussnahme in Situationen prekärer Selbstbestimmung “ sei vorzubeugen20. Die mit dieser Begründung vorgesehene strafrechtliche Sanktionierung geschäftsmäßiger Sterbehilfe dürfte von der Bundesgesetzgebungskompetenz für das Strafrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 StGB gedeckt sein. Dass es dem Strafgesetzgeber aufgrund des hohen Wertes des durch Suizidbeihilfe (abstrakt ) bedrohten Rechtsguts Leben verfassungsrechtlich nicht verwehrt ist, ein Verbot der Suizidbeihilfe zu erlassen, ist zwar höchstrichterlich noch nicht entschieden, in der Literatur aber wohl weitgehend anerkannt21. 15 BT-Drucks 18/5373, S. 8, ähnlich S. 11 mit Hinweis auf BT-Drucks 17/11126, S. 1, 6 und 7, mit der die gewerbliche Selbsttötung in der letzten Legislaturperiode unter Strafe gestellt werden sollte: Durch die zunehmende Verbreitung des assistierten Suizids könne der „fatale Anschein einer Normalität“ und einer gewissen gesellschaftlichen Adäquanz, schlimmstenfalls sogar der sozialen Gebotenheit der Selbsttötung entstehen und damit könnten auch Menschen zur Selbsttötung verleitet werden. 16 BT-Drucks 18/5373 S. 9, insoweit verweist der Entwurf auf Medienberichte, die seit 2011 über organisierte Suizidbegleitung informieren. 17 BT-Drucks 18/5373, S. 9. 18 BT-Drucks 18/5373, S. 8. 19 BT-Drucks 18/5373, S. 9. 20 BT-Drucks 18/5373, S. 11 mit Hinweis auf eine Ad-hoc-Empfehlung des Deutschen Ethikrates vom 18.12.2014. 21 Vgl. nur Jarass, in: Jarass/Piertoh, Grundgesetz Kommentar, 13. Auflage 2014, Art. 2 Rn. 100; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar Band I, 3. Aufl. 2013, Art. 2, Rn. 85 m.w.N.; Lorenz, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Aktualisierung Juni 2012, Art. 2 Rn. 653 ff.; Müller-Terpitz, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Band VII, 3. Auflage 2009, § 147 Rn. 104; Henking, Der ärztlich assistierte Suizid und die Diskussion um das Verbot der Sterbehilfeorganisationen , JR 2015, 174 (180); vgl. zusammengefasst für die Zulässigkeit auch Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, S. 236. Für einen guten Überblick zu den Gründen für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines strafrechtlich sanktionierten Beihilfeverbotes vgl. ebenfalls Gavela, aaO, S. 227 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/15 Seite 7 Der Staat ist durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet , sich dort schützend und fördernd vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu stellen und sie vor Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren, wo die Grundrechtsberechtigten selbst nicht (mehr) dazu in der Lage sind22. Auch soweit wohl nicht angenommen werden kann, dass der Staat im Bereich der Sterbehilfe dazu verpflichtet ist, den Einzelnen mit den Mitteln des Strafrechts (vor sich selbst) im Bereich des assistierten Suizids zu schützen23, ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 GG wohl unstreitig jedenfalls eine Schutzbefugnis des Staates, die bislang straflose Beihilfe zur Selbsttötung strafbewehrt zu untersagen24. 2.3. Keine Kollision mit Länderkompetenz Gesetzgebungskompetenzprobleme im Hinblick auf die bei den Bundesländern liegende Kompetenz zur Regelung ärztlicher Berufsausübung25 dürften sich bei dem vorliegenden Entwurf nicht ergeben. Anders als die Entwürfe Künast et al. und Hintze et al. formuliert der vorliegende Entwurf keine materiellen Vorgaben für das berufliche Verhalten von Ärzten und stellt insbesondere keine ausdrücklichen Kollisionsvorgaben auf, nach denen entgegenstehendes landesrechtliches Berufsrecht außer Kraft gesetzt werden soll. 22 Vgl. BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 121, 317 (356) und jüngst BVerfG, Beschluss vom 10.6.2015 – 2 BvR 1967/12 – juris, Rn. 16. 23 Vgl. statt vieler Lorenz, (Fn. 21), Art. 2 Rn. 649 m.w.N.; in diesem Zusammenhang wird auch vertreten, dass die Untersagung aktiver Sterbehilfe in § 216 StGB ihre Rechtfertigung zwar in der Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Tötungstabus, der Vorbeugung gegen Missbrauchsgefahren und der Verhinderung von (sozialem) Druck auf Patienten und Ärzte finde, diese verfassungsrechtlich jedoch nicht geboten sei, vgl. Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 7. Auflage 2014, Art. 2 Rn. 212a. 24 Vgl. Müller-Terpitz, (Fn. 21), § 147 Rn. 104.; mit Verweis auf die EMRK und das in zahlreichen anderen Rechtsordnungen bestehende Verbot Lorenz (Fn. 21), Art. 2 Rn. 654; zur Unterscheidung zwischen Verpflichtung und Befugnis des Staates zur Strafverfolgung vgl. auch Ausarbeitung WD 3 – 155/15 – S. 11 ff. 25 Vgl. zu dieser Problematik bei dem Entwurf Künast et al. (BT-Drucks 18/5375) insbesondere im Hinblick auf die §§ 3 Abs. 2, 3 Abs. 3, 7, 8 und 9 Abs. 1 sowie 6 Abs. 2 die Ausführungen in WD 3 – 155/15 – S. 7 ff.; für die ähnlich gelagerte Problematik bei dem Entwurf Hintze et al. (BT-Drucks 18/5374) im Hinblick auf den ärztliche Verhaltensanforderungen aufstellenden § 1921a Abs. 2 BGB-E die Ausführungen in WD 3 – 155/15 – S. 18 f.; siehe dafür, dass eine diesen Inhalt aufweisende gesetzliche Regelung in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen würde auch Lindner, Verfassungswidrigkeit des – kategorischen – Verbots ärztlicher Suizidassistenz, NJW 2013, 136 (138 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/15 Seite 8 3. Materielle Verfassungsgemäßheit Zur grundsätzlichen materiellen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe einführenden Gesetzes26 gibt die Dissertation von Kallia Gavela einen umfassenden Überblick27. 3.1. Bestimmtheitsgebot Eine strafrechtliche Sanktionen anordnende Verbotsnorm muss insbesondere dem für Strafgesetze in Art. 103 Abs. 2 GG normierten Bestimmtheitsgebot entsprechen. Danach ist der Gesetzgeber verpflichtet , „wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen“28. Dadurch soll zum einen sichergestellt werden, dass jeder vorhersehen kann, welches Verhalten verboten und mit Strafe bewehrt ist29. Zum anderen soll gewährleistet werden, dass der Gesetzgeber abstrakt und sodann die Gerichte konkret über die Strafbarkeit eines Verhaltens entscheiden30. Rechtsprechung und Literatur betonen jedoch, dass das Gebot der Bestimmtheit „nicht übersteigert werden darf“31. Einschränkungen ergäben sich schon aus dem abstrakt-generellen Charakter von Strafvorschriften und deren begrenzter sprachlicher Leistungsfähigkeit 32. 3.2. Geschäftsmäßigkeit – Definition nach der Gesetzentwurfsbegründung Anders als der 2012 von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf über die Strafbarkeit der Sterbehilfe33 sieht der vorliegende Entwurf vor, nicht erst die gewerbsmäßige, sondern bereits 26 Vgl. grundsätzlich für die materiellen verfassungsrechtlichen Anforderungen, denen Strafnormen entsprechen müssen, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, Zur Verfassungsgemäßheit nach Personengruppen differenzierter Strafmaßregelungen (WD 3 - 3000 - 147/15 – 2015), S. 3 ff. 27 Vgl. Gavela (Fn. 21), insbesondere zur Rechtfertigung des in der Strafandrohung liegenden Eingriffs allgemein durch einen legitimen Zweck S. 234 ff.; speziell für die Einführung von Straftatbeständen für Suizidhilfeorganisationen S. 251 ff. 28 BVerfGE 126, 170 (195), unter Bezugnahme auf BVerfGE 75, 329 (340 f.). 29 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 13. Auflage 2014, Art. 103 Rn. 51. 30 Siehe Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 103 Rn. 67, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 31 BVerfG, NJW 1977, 1815 (1815); siehe auch Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 103 Rn. 66. 32 Radtke/Hagemeier, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK zum Grundgesetz, Stand 2015 Edition 25, Art. 103 Rn. 24. 33 Vgl. den der Diskontinuität anheimgefallenen Entwurf BT-Drucks 17/11126. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/15 Seite 9 die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe zu stellen. Insoweit entspricht er einem 2006 durch den Bundesrat vorgesehenen Regelungsvorschlag34. Zur Begründung führt der vorliegend zu überprüfende Entwurf aus, dass eine nur gewerbsmäßige Beihilfe unter Strafe stellende Regelung zu kurz greife. Das Leben gefährdende Interessenkollisionen seien nicht allein aufgrund einer Kommerzialisierung zu befürchten, sondern entstünden immer dort, wo ein Eigeninteresse der Suizidhelferinnen und -helfer an der Durchführung der Selbsttötung bestehe. Werde das Verbot auf die gewerbsmäßig Handelnden beschränkt, entfalle damit die Möglichkeit, selbst gegen die regelmäßig wiederkehrende oder serielle Unterstützung der Selbsttötung vorzugehen35. Nach der Gesetzentwurfsbegründung soll der Begriff der Geschäftsmäßigkeit auf eine in unterschiedlichen Rechtsbereichen mit einem weitgehend einheitlichen Begriffsverständnis verwendete Terminologie rekurrieren36. Unter Bezugnahme auf § 206 Abs. 1 StGB, § 4 Nr. 4 PostG und § 3 Nr. 10 TKG, die in einem strafrechtlichen Verständnis die Geschäftsmäßigkeit als „das nachhaltige Betreiben oder Anbieten gegenüber Dritten mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht“ definieren 37, führt die Begründung aus, dass es für die Geschäftsmäßigkeit im Gegensatz zur Gewerbsmäßigkeit genüge, wenn jemand die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegenstand seiner Beschäftigung machen wolle38. Geschäftsmäßig im Sinne des § 217 Abs. 1 StGB-E handele daher, wer „die Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung der Gelegenheit zur Selbsttötung zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil seiner Tätigkeit macht, unabhängig von einer Gewinnerzielungsabsicht und unabhängig von einem Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit“39. Entscheidend sei weiterhin, dass die Suizidhelferinnen und -helfer spezifische, typischerweise auf die Durchführung des Suizids gerichtete Eigeninteressen verfolgten und ihre Einbeziehung damit eine autonome Entscheidung der Betroffenen in Frage stelle40. 34 Vgl. Bundesratsdrucksache 230/06. 35 Vgl. für alles BT-Drucks 18/7353, S. 11. 36 BT-Drucks 18/5373, S. 16. 37 BT-Drucks 18/5373, S. 16 unter Bezugnahme auf Altenhain, in: Münchner Kommentar zum StGB, Band 4, 2. Auflage 2012, § 206 Rn. 15 ff.; Kargl, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg,), StGB Kommentar, 4. Auflage. 2013, § 206 Rn. 8; Lackner, in: Lackner/Kühl, StGB Kommentar, 28. Auflage 2014, § 206 Rn. 2; Fischer, StGB Kommentar, 62. Auflage 2015, § 206 Rn. 2; Weidemann, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Beckscher Online Kommentar zum StGB, Stand 2/2015, § 206 Rn. 5. 38 BT-Drucks 18/5373, S. 16 f., mit weiteren Nachweisen auf Rechtsprechung und Literatur. 39 BT-Drucks 18/5373, S. 17. 40 BT-Drucks 18/5373, S. 17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/15 Seite 10 3.3. (Vorhersehbarkeit) der Strafbarkeit suizidhilfeleistender Ärzte? Fraglich ist, ob sich aus der Formulierung des § 217 Abs. 1 StGB-E in einer dem Bestimmtheitsgebot genügenden Weise zweifelsfrei ergibt, ob und unter welchen Voraussetzungen sich Ärzte, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit Sterbehilfe leisten, strafbar machen. Die Gesetzentwurfsbegründung stellt zu diesem Bereich des (palliativmedizinischen) Verhaltens von medizinischem Personal41 unter Verweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs zur Sterbehilfe aus der letzten Legislaturperiode42 fest, dass in palliativmedizinischen Einrichtungen grundsätzlich kein assistierter Suizid erfolge43. In der damaligen Begründung wurde ausgeführt, dass Ärzte bereits deshalb keine gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung leisten könnten, weil dieses Handeln nicht zu ihrem beruflichen Selbstverständnis gehöre44. Mangels Abrechnungsmöglichkeit in der Honorarordnung scheide ein gewerbsmäßiges Handeln von Ärzten von vornherein aus45. Ob aus dem faktischen (berufsständischen) Verbot für die Ärzteschaft auf ein tatsächliches Unterlassen der Ärzteschaft geschlossen werden kann, sei dahingestellt. Der vorliegende Entwurf greift diese Ausführungen jedenfalls zustimmend auf46 und stellt anschließend fest: „Eine Strafbarkeit ist ferner auch nach der Neufassung nicht gegeben, wenn im Einzelfall nach sorgfältiger Untersuchung und unter strikter Orientierung an der freiverantwortlich getroffenen Entscheidung einer zur Selbsttötung entschlossenen Person Suizidhilfe gewährt wird. Der vorliegende Tatbestand stellt schließlich klar, dass im Einzelfall und aus altruistischen Motiven erfolgende Fälle von Hilfestellung bei der Selbsttötung nicht erfasst sind“47. Ähnlich postuliert die Begründung kurz darauf, dass die Hilfe zum Suizid nicht dem Selbstverständnis der Heilbehandelnden Berufe entspreche und daher grundsätzlich auch nicht von diesen gewährt werde. Soweit „im Einzelfall aber gleichwohl von diesem Personenkreis Suizidbeihilfe gewährt“ werde, geschehe „dies typischerweise gerade nicht ‚geschäftsmäßig‘, also in der Absicht, dies zu einem wiederkehrenden oder dauernden Bestandteil der Beschäftigung zu machen.“ „Daher“ bedürfe es auch keiner besonderen Ausschlussregelung48. 41 Vgl. insbesondere BT-Drucks 18/5373, S. 17 f. 42 BT-Drucks 17/11126, insbesondere S. 10. 43 BT-Drucks 18/5373, S. 18. 44 BT-Drucks 17/11126, S. 10, so zitiert in BT-Drucks 18/5373, S. 18. 45 BT-Drucks 17/11126, S. 10. Vgl. dazu, dass dieser Umstand nicht dazu führt, dass ein gewerbsmäßiges Handeln von Ärzten von vornherein ausgeschlossen ist, da insbesondere im Zusammenhang mit abrechenbaren Beratungsleistungen die beratenden Tätigkeit bei der Suizidhilfe kaum von den im Rahmen des Behandlungsverhältnisses zu erhaltenden Leistungen zu trennen ist, Ausarbeitung WD 3 – 155/15 – S. 14 f. 46 BT-Drucks 18/5373, S. 18. 47 BT-Drucks 18/5373, S. 18. 48 BT-Drucks 18/5373, S. 18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/15 Seite 11 Ob diese Ausführungen so zutreffen, anders gesagt, ob sich aus dem Wortlaut des Tatbestandes derart bestimmt und eindeutig ergibt, dass ein den sterbewilligen Patienten behandelnder Arzt, der diesen auch aktiv bei dem Sterbevorgang unterstützt, sich nicht nach § 217 Abs. 1 StGB-E strafbar macht, ist zweifelhaft49. Insbesondere palliativmedizinisch tätig werdende Ärzte könnten regelmäßig aus einem ohnehin bestehenden Behandlungsverhältnis dazu übergehen, ihre Patienten auch hinsichtlich der Sterbehilfe zu beraten und Medikamente zu verschreiben50. Insoweit ist naheliegend, dass gerade im Bereich der Intensiv- und Palliativmedizin tätige Ärzte nicht nur einmal aus bereits bestehenden Behandlungsverhältnissen in derartige Situationen geraten würden ; soweit sie auf die Wünsche ihrer Patienten eingingen, wäre schnell die Schwelle erreicht, bei der auch das Leisten von Sterbehilfe zu einem wiederkehrenden Bestandteil ihrer Tätigkeit würde. Allein der Umstand, dass Ärzte ihre Tätigkeit nicht bewusst auf die wiederholte Suizidberatung anlegten, ließe ihren Vorsatz, suizidberatende Hilfe zu leisten, nicht entfallen51. Der bloße Tatbestand des § 217 Abs. 1 StGB-E stellt angesichts der enthaltenen Formulierung „geschäftsmäßig “, die allgemein anerkannt bei wiederholten Tätigkeiten vorliegt, eine Straflosigkeit von Suizidhilfe leistenden Ärzten wohl nicht hinreichend klar52. Die Anderes suggerierende Gesetzentwurfsbegründung führt insofern – auch da sie nicht in Gesetzeskraft erwächst – nicht weiter 53. 4. Fazit Die Untersuchung hat gezeigt, dass hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Bundes keine verfassungsrechtlichen Bedenken an dem vorgelegten Entwurf bestehen. Ob er im Hinblick auf die unter Strafe gestellte geschäftsmäßige Sterbehilfe dem verfassungsrechtlich geforderten Bestimmtheitsgebot genügt, ist jedoch zweifelhaft. Ende der Bearbeitung 49 Vgl. zum Merkmal der Geschäftsmäßigkeit im Rahmen strafbarer Suizidbeihilfe umfassend Gavela (Fn. 21), S. 263 ff. Diese bezweifelt darüber hinausgehend in Übereinstimmung mit Roxin (Fn. 51), dass die Geschäftsmäßigkeit eines an sich erlaubten Verhaltens als solche schlechterdings einen Bestrafungsgrund abgeben könne, da nicht ersichtlich sei, welches Rechtsgut durch ein solches Verhalten verletzt sein sollte, vgl. 265. 50 Für die hieraus folgende ebenso bestehen Möglichkeit, dass im Rahmen ihrer Berufstätigkeit Suizidhilfe leistende Ärzte auch in den Verdacht der Gewerbsmäßigkeit kommen können vgl. Ausarbeitung WD 3 – 155/15 – S. 14 f. 51 Vgl. dafür, dass ein Arzt, der suizidhelfend tätig würde, schon bei der zweiten Assistenz wegen Geschäftsmäßigkeit in die Strafbarkeitszone geriete: Roxin, Zur strafrechtlichen Beurteilung der Sterbehilfe, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Auflage 2007, 313 (345) und 4. Auflage 2010, 75 (110); ähnlich Schroth, Sterbehilfe als strafrechtliches Problem, GA 2006, 549 (570). 52 Anders als die Gesetzentwurfsbegründung in BT-Drucks 18/5373, S. 18 ausführt. 53 Vgl. für eine ähnlich gelagerte Kritik an der Gesetzentwurfsbegründung zum Bundesratsentwurf (Bundesratsdrucksache 230/06), mit dem die geschäftsmäßige Sterbehilfe 2006 unter Strafe gestellt werden sollte und die gleichermaßen in der Begründung ausführte, dass die nach bisherigem Recht zulässigen unterstützenden ärztlichen Handlungsweisen auch zukünftig straffrei blieben (Bundesratsdrucksache 230/06, S. 5 Begründung II) schon Neumann/Saliger, Sterbehilfe zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung – Kritische Anmerkungen zur aktuellen Sterbehilfedebatte, HRRS 2006, 280 (288 Fn. 82).