© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 188/13 Minderheitsregierung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/13 Seite 2 Minderheitsregierung Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 188/13 Abschluss der Arbeit: 18. Oktober 2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/13 Seite 3 1. Einleitung Das Grundgesetz und auch die Regierung betreffende einfachgesetzliche Bestimmungen1 sowie weitere Regelwerke wie z. B. die Geschäftsordnung der Bundesregierung kennen weder eine „Mehrheitsregierung“ noch eine „Minderheitsregierung“. Dort werden vielmehr allein die Begriffe „Bundesregierung“ bzw. „Regierung/Regierungen“ und „Landesregierung/Landesregierungen“ verwendet. „Minderheitsregierung“ ist demnach kein Rechtsbegriff, sondern wird im allgemeinen Sprachgebrauch verwandt, um eine Regierung zu beschreiben, deren sie stützende Mehrheit im Parlament rechnerisch nicht über die absolute Mehrheit der Parlamentssitze verfügt.2 In der Geschichte des Deutschen Bundestages hat es dieses Phänomen bislang nur selten und nur kurzfristig gegeben.3 Auf Landesebene in Deutschland hatten Minderheitsregierungen eine längere Dauer.4 In anderen europäischen Staaten tritt diese Art der Regierung häufiger und in den skandinavischen Ländern Dänemark, Norwegen und Schweden gar als Regelfall auf.5 Erst in jüngster Zeit formierten sich in Schweden und Norwegen wieder Mehrheitsregierungen. Nachfolgend werden die (verfassungs-)rechtlichen Rahmenbedingungen der Bildung, Tätigkeit und vorzeitigen Beendigung einer Minderheitsregierung auf Bundesebene in Deutschland skizziert sowie die Situation von Minderheitsregierungen in anderen europäischen Staaten beleuchtet . 2. Bildung 2.1. Zu Beginn einer Wahlperiode In einer neuen Wahlperiode nach einer Bundestagswahl, die mit dem erstmaligen Zusammentreten des Bundestages, der Konstituierung beginnt (Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG), wird eine Minderheitsregierung - wie jede andere Regierung - durch die Wahl des Bundeskanzlers (Art. 63 GG) und die Ernennung der Bundesminister durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bun- 1 So z.B. das Bundesministergesetz (BMinG). 2 Thomas, Der Weizsäcker-Senat. „Minderheitsregierung“ und „informelle Koalition“ in Berlin 1981 bis 1983, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl) 2007, S. 101 ff., S. 107. 3 Es werden zumeist drei Fälle genannt: 1966 und 1982 infolge von Regierungswechseln und 1972 kurz vor der vorzeitigen Auflösung des Bundestages, siehe hierzu: Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1999 Bd. 1, 1999, Kap. 6.6, S. 1133 u. Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1994 bis 2003, 2005, Kap. 6.6., S. 296; so auch: Funk, Labiles Wesen, Der Tagesspiegel vom 27. September 2013. 4 Zu nennen sind z. B. die Minderheitskabinette in Berlin unter Richard von Weizsäcker (CDU) von 1981 bis 1983 und in Sachsen-Anhalt von 1994 bis 2002 unter Reinhard Höppner (SPD), siehe hierzu: Funk, Labiles Wesen, Der Tagesspiegel vom 27. September 2013; ausführlich: Minderheitsregierungen auf Länderebene seit 1990, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Aktueller Begriff Nr. 50/10 (27. Juli 2010). 5 Strohmeier, Minderheitsregierungen in Deutschland auf Bundesebene – Krise oder Chance? Ergebnisse eines internationalen Vergleichs, in: ZfP 2009, S. 260 ff., S. 261. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/13 Seite 4 deskanzlers (Art. 64 Abs. 1 GG) gebildet. Bei der Kanzlerwahl ist in Bezug auf eine Minderheitsregierung wie folgt zu differenzieren: 2.1.1. Kanzlerwahl mit absoluter Mehrheit Auch der Bundeskanzler einer Minderheitsregierung im Sinne der obigen Definition kann mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages ins Amt (sog. Kanzlermehrheit) gewählt werden (Art. 63 Abs. 2, 3, u. 4 S. 2 GG), sofern für die Wahl eine ausreichende Zahl von Unterstützern aus anderen Fraktionen im Bundestag mobilisiert werden konnte, die den Kanzlerkandidaten wählen. Das erscheint dann möglich, wenn es im Vorfeld z. B. Absprachen über eine Tolerierung der Minderheitsregierung im Hinblick auf deren weitere Regierungstätigkeit gegeben hat. Zumindest denkbar ist aber auch der Fall, dass die Unterstützung der Regierungskoalition nur für die Kanzlerwahl zugesichert wird.6 2.1.2. Kanzlerwahl mit relativer Mehrheit Das zwingende Erfordernis einer Kanzlermehrheit gilt aber nur für die ersten beiden möglichen Wahlphasen der Kanzlerwahl, der ersten Wahlphase nach Art. 63 Abs.2 GG und – falls in diesem die absolute Mehrheit verpasst wird – ein zweiter Wahlgang erforderlich wird, Art. 63 Abs. 3 GG. Ist die absolute Mehrheit hier nicht erreicht worden, so findet eine dritte Wahlphase statt, in welcher die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (einfache Mehrheit) nach Art. 63 Abs. 4 S. 1 GG ausreichend ist.7 „Mehrheit der abgegebenen Stimmen“ bedeutet, dass die Ja-Stimmen die Nein- Stimmen überwiegen; Enthaltungen und ungültige Stimmen bleiben unberücksichtigt.8 Dies bedeutet bei der Sitzverteilung im 18. Deutschen Bundestag konkret, dass in dem Fall, in dem die vorgeschlagene Kandidatin allein von der stärksten Fraktion (CDU/CSU) unterstützt wird (311 Stimmen), die Abgeordneten aller anderen Fraktionen aber mit „Nein“ stimmen (320 Stimmen), die Kandidatin nicht gewählt wäre. Ist die Zahl der Enthaltungen aber so groß, dass die Ja- Stimmen gegenüber den Nein-Stimmen überwiegen, dann würden von der Opposition zur erfolgreichen Wahl der Kandidatin zur Bundeskanzlerin keine weiteren Ja-Stimmen benötigt. Enthaltungen wären in diesem Falle ausreichend, um der Kandidatin ins Amt zu verhelfen. Denn sie werden – wie soeben dargelegt - nicht berücksichtigt, sondern es wird bei der Prüfung der einfachen Mehrheit allein das Verhältnis von Ja- zu Nein-Stimmen betrachtet. Wird hier der Kandidat dennoch mit der absoluten Mehrheit gewählt, muss er vom Bundespräsidenten ernannt werden (Art. 63 Abs. 4 S. 2 GG). Erzielt er nur die einfache Mehrheit im soeben beschriebenen Sinne, so hat der Bundespräsident zwei Möglichkeiten: Ernennung des Gewählten zum Bundeskanzler oder Auflösung des Bundestages (Art. 63 Abs. 4 S. 3 GG) mit der Rechtsfolge von Neuwahlen (Art. 39 Abs. 1 S. 3 GG). Der nur mit einfacher Mehrheit gewählte und er- 6 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Grundgesetz, Kommentar, Bd. V, Art. 63 Rn. 54 (Stand: Mai 2008). 7 Siehe zum Verfahren auch: Bundeskanzlerwahl (Artikel 63 Grundgesetz), Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Aktueller Begriff Nr. 29/13 (25. September 2013). 8 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl., 2012, Art. 42 Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/13 Seite 5 nannte Bundeskanzler wird in der staatsrechtlichen Literatur als (echter) Minderheitskanzler bezeichnet.9 2.2. Im Verlauf einer Wahlperiode Zu nennen ist weiter der Fall, dass im Verlauf einer Wahlperiode eine ursprüngliche Mehrheitsregierung zur Minderheitsregierung wird, etwa weil der Koalitionspartner aus der Regierung aussteigt. Tritt der Bundeskanzler nicht zurück und kommt es nicht zum konstruktiven Misstrauensvotum (Art. 67 GG) mit anschließenden Neuwahlen, dann bleibt der Bundeskanzler als Regierungschef einer Minderheitsregierung im Amt.10 3. Regierungstätigkeit und Handlungsmöglichkeiten 3.1. Kein Kanzler minderen Rechts Ein Bundeskanzler in einer Minderheitsregierung, den (echten) Minderheitskanzler eingeschlossen , besitzt nach dem Grundgesetz dieselben Rechte und Pflichten wie ein Bundeskanzler, der mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages gewählt wurde. Er ist trotz der mit einer solchen Konstellation einhergehenden Schwierigkeiten in der praktischen politischen Arbeit „kein Kanzler minderen Rechts“11. Aus juristisch-dogmatischer Sicht gibt es keine Bedenken gegen eine Minderheitsregierung (siehe aber 3.3.1). 3.2. Richtlinienkompetenz und Ressortprinzip Hier sei in Bezug auf die Minderheitsregierung auf Folgendes hingewiesen: Der Bundeskanzler einer Minderheitsregierung hat wie ein Mehrheitskanzler das Recht, die Richtlinien der Politik zu bestimmen.12 Art. 65 GG, der die Richtlinienkompetenz formuliert, spricht die Verteilung der Verantwortlichkeiten in der Bundesregierung13 und nicht das Verhältnis zum Bundestag an, in dem der Minderheitskanzler nicht über die absolute Mehrheit verfügt. Hier wird die Durchsetzung des poltischen Programms ungleich schwerer als im Falle der Mehrheitsregierung. Dies ist aber mit der Richtlinienkompetenz nicht angesprochen. Auch die vom Bundeskanzler gebildete Minderheitsregierung unterliegt keinen besonderen rechtlichen Voraussetzungen. Die Bundesminister besitzen die gleichen Rechte und Pflichten 9 So etwa: Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Bd. V, Art. 63 Rn. 54; Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl., 2010, Art. 63 Rn. 37. 10 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Bd. V, Art. 63 Rn. 54. 11 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Bd. V, Art. 63 Rn. 55. 12 Siehe zur Richtlinienkompetenz im Einzelnen auch: Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Aktueller Begriff Nr. 15/09. 13 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 65 Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/13 Seite 6 wie die einer Mehrheitsregierung angehörenden Kabinettsmitglieder.14 Es gilt das Ressortprinzip (Art. 65 S. 2 GG). 3.3. Durchsetzbarkeit der politischen Zielsetzungen 3.3.1. Einschränkte Durchsetzbarkeit aufgrund des Mehrheitsprinzips Bei der Durchsetzung von Gesetzesinitiativen (Art. 76 GG) im Bundestag und bei besonderen parlamentarischen Zustimmungserfordernissen (z. B. nach dem Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland - Parlamentsbeteiligungsgetz) dürften sich Schwierigkeiten ergeben, da das Grundgesetz Mehrheitserfordernisse formuliert, an denen eine Minderheitsregierung scheitern könnte. Denn Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG bestimmt, dass ein Beschluss des Bundestages die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erfordert, sofern das Grundgesetz nichts anderes bestimmt (einfache Mehrheit). Eine solche abweichende Regelung stellt beispielsweise Art. 79 Abs. 2 GG für verfassungsändernde Gesetze auf, für die die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates verlangt wird (verfassungsändernde Mehrheit). Bereits die für Beschlüsse des Bundestages grundsätzlich erforderliche einfache Mehrheit besitzt die Minderheitsregierung gerade nicht. Die vom Grundgesetz geforderte Mehrheit kann sie bei Abstimmungen über Regierungsvorlagen – abgesehen von Zufallsmehrheiten - durch Tolerierungsabsprachen erzielen. Als Tolerierungsmodell ist zum einen eine Vereinbarung mit einer weiteren nicht in der Regierung vertretenen Fraktion denkbar, die in ihrer Verlässlichkeit einer Koalitionsvereinbarung gleichkommt („informelle Koalition“)15 und zum anderen der mühevollere Weg, dass sich die Minderheitsregierung zumindest für jedes einzelne Vorhaben die erforderliche Mehrheit sichert. 3.3.2. Gesetzgebungsnotstand In der staatsrechtlichen Literatur16 wird im Kontext der soeben geschilderten Problematik der u.U. bestehenden Durchsetzungsschwäche einer Minderheitsregierung auch der Gesetzgebungsnotstand gemäß Art. 81 GG erwähnt. Ein solcher tritt allerdings nur unter engen Voraussetzungen ein und ist sowohl zeitlich als auch sachlich begrenzt17: Der Gesetzgebungsnotstand setzt zunächst voraus, dass der Bundeskanzler die Vertrauensfrage gemäß Art. 68 GG erfolglos gestellt und der Bundespräsident den Bundestag nicht aufgelöst hat. Der Bundespräsident kann sodann für eine Gesetzesvorlage auf Antrag der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates den Gesetzgebungsnotstand erklären, wenn der Bundestag diese abgelehnt hat, obwohl die Bundesregierung sie als dringlich bezeichnet (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG) oder wenn der Bundeskanzler die Vertrauensfrage mit einer Gesetzesvorlage verbunden hat (Art. 81 Abs. 1 S. 2 GG). Nach der Er- 14 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Bd. V, Art. 63 Rn. 55. 15 Thomas, in: ZParl 2007, S. 101 ff. 16 So etwa Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Bd. V, Art. 63 Rn. 56. 17 Siehe zum Ganzen auch: Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 81 Rn. 4 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/13 Seite 7 klärung des Gesetzgebungsnotstands gilt für eine erste Gesetzesvorlage Folgendes: Das Gesetz gilt als zustande gekommen, wenn die Bundesregierung die Gesetzesvorlage erneut in den Bundestag einbringt, der Bundestag diese - wieder ablehnt oder - nur in einer für die Bundesregierung unannehmbaren Fassung annimmt oder - innerhalb von 4 Wochen nach der erneuten Einbringung nicht verabschiedet und der Bundesrat ihr zustimmt (Art. 81 Abs. 2 GG). Nach der ersten Erklärung des Gesetzgebungsnotstands unterliegt das Zustandekommen von Gesetzen ohne Beschluss des Bundestages geringeren Anforderungen (Art. 81 Abs. 3 S. 1 GG). Der Gesetzgebungsnotstand ist auf sechs Monate nach der ersten Erklärung des Gesetzgebungsnotstands begrenzt. Er darf nach Ablauf dieser Frist innerhalb der Amtszeit nicht noch einmal erklärt werden (Art. 81 Abs. 3 S. 2 GG). Eine Grundgesetzänderung im Wege des Gesetzgebungsnotstands ist ausgeschlossen (Art. 81 Abs. 4 GG). 3.3.3. Verweigerung der Gegenzeichnung Etwa für den Fall, dass auf Initiative der die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages stellenden Oppositionsfraktionen ein Gesetz zustande gekommen ist, wird zum Teil die Frage aufgeworfen, ob die Minderheitsregierung die Pflicht hat, dieses ihren politischen Vorstellungen nicht entsprechende Gesetz gegenzuzeichnen.18 Art. 82 Abs. 1 GG sieht vor, dass die nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung (Art. 58 GG) ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Die Gegenzeichnung ist Wirksamkeitsvoraussetzung eines Gesetzes.19 Hiermit vollzieht die Bundesregierung den parlamentarischen Willen. Nach wohl überwiegender Auffassung wird der Bundesregierung ein Prüfungsrecht in Bezug auf die gegenzuzeichnenden Gesetze -entsprechend den Kompetenzen des Bundespräsidenten in Bezug auf die Ausfertigung - zugestanden.20 Ungeachtet der streitigen Reichweite dieses Prüfungsrechts (formelle oder auch materielle Verfassungsmäßigkeit ), herrscht Einigkeit darüber, dass ein politisches Prüfungsrecht nicht besteht,21 welches dazu berechtigen könnte, die Ausfertigung bzw. Gegenzeichnung bei politisch missliebigen Vorlagen zu verweigern. 3.3.4. Exekutive Gestaltungsmöglichkeiten Des Weiteren wird vor dem Hintergrund der beschriebenen möglichen Schwierigkeiten, vor denen eine Minderheitenregierung steht, Gesetzesinitiativen im Bundestag erfolgreich durchzusetzen , mitunter darauf hingewiesen, dass eine solche Regierung gut daran tue, ihre Politik so zu gestalten, dass sie möglichst wenige förmliche Gesetze benötige, und dass sie die Möglichkeiten 18 So etwa Funk, Labiles Wesen, Der Tagesspiegel vom 27. September 2013. 19 Nierhaus, in: Sachs, GG, 5. Aufl., 2009, Art. 82 Rn. 18. 20 Nierhaus, in: Sachs, GG, 5. Aufl., 2009, Art. 82 Rn. 18. 21 Nierhaus, in: Sachs, GG, 5. Aufl., 2009, Art. 82 Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/13 Seite 8 exekutiver Gestaltungsmöglichkeiten, z. B. Rechtsverordnungen nach Art. 80 GG und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, weitestgehend ausschöpfen solle. 22 Allerdings ist hier zu bedenken, dass es eine Reihe von Beteiligungsrechten des Bundesrates und auch des Bundestages gibt23, die auch diese Tätigkeit einer Minderheitenregierung erschweren können: Nach Art. 80 Abs. 2 GG muss der Bundesrat in der Regel zustimmen, wenn die Bundesregierung oder ein Bundesminister Rechtsverordnungen über Grundsätze und Gebühren in Bezug auf das Postwesen, die Telekommunikation und die Eisenbahnen erlassen will. Die Zustimmungspflicht des Bundesrates für Rechtsverordnungen kann sich auch aus dem zum Erlass der Rechtsverordnung ermächtigenden Bundesgesetz ergeben, nämlich dann, wenn dieses Gesetz zustimmungsbedürftig ist oder im Auftrag des Bundes oder in eigener Angelegenheit Bundesgesetze ausgeführt wird. Die Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundestages sind nicht wörtlich in Art. 80 GG aufgeführt. In der Praxis finden sich jedoch in Einzelgesetzen explizit festgelegte Mitwirkungsmöglichkeiten. Für den Erlass von Verwaltungsvorschriften, die keine Außenwirkung gegenüber dem Bürger haben, gibt es keine mit Art. 80 GG vergleichbaren, ausdrücklich im Grundgesetz vorgesehenen Beteiligungsrechte. Erlässt jedoch die Bundesregierung eine Verwaltungsvorschrift zur bundesweit einheitlichen Ausführung eines Gesetzes, so ist der Bundesrat nach Art. 84 Abs. 2 GG zu beteiligen. Gleiches gilt nach Art. 85 Abs. 2 S. 1 GG, wenn die Länder Bundesgesetze im Auftrag des Bundes ausführen. 4. Vorzeitige Beendigung und Neuwahlen Ist die Minderheitsregierung im Amt, dann gelten wie für deren Tätigkeit auch für die vorzeitige Beendigung dieselben rechtlichen Regeln wie im Falle der Mehrheitsregierung: Neuwahlen können durch eine Minderheitsregierung nur über die Vertrauensfrage gemäß Art. 68 GG in die Wege geleitet werden. Wurde die Frage erfolglos gestellt, dann hat der Bundespräsident die Entscheidung zu fällen, ob er den Bundestag auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen auflöst (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG) und so der Weg frei ist für Neuwahlen (Art. 39 Abs. 1 S. 3 GG).24 Wie auch in der Konstellation der Mehrheitsregierung erlischt das Recht zur Auflösung, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt (Art. 68 Abs. 1 S. 2 GG). Für den Fall einer CDU/CSU-Minderheitsregierung, die von ihrer Fraktion von 311 Abgeordneten im 18. Deutschen Bundestag gestützt wird, könnte die Opposition , die insgesamt aus 320 Abgeordneten besteht, einen neuen Kanzler mit eigener Kanzlermehrheit wählen. Erforderlich ist konkret eine Mehrheit von mehr als der Hälfte der 631 Mitglieder des Bundestages, also von 316 Mitgliedern. 22 So etwa Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Bd. V, Art. 63 Rn. 57. f. 23 Die nachfolgenden Ausführungen basieren im Wesentlichen auf: Mitwirkungsmöglichkeiten des Parlaments beim Erlass von Rechtsverordnungen, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Sachstand WD 3 – 3000 – 067/11. 24 Siehe zum Ganzen auch: Auflösung des Bundestages und vorzeitige Neuwahlen, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Aktueller Begriff Nr. 31/05. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 188/13 Seite 9 5. Vergleich mit Minderheitsregierungen in anderen europäischen Ländern am Beispiel Skandinaviens Anders als in den skandinavischen Ländern Dänemark, Norwegen und Schweden wird einer Minderheitsregierung auf Bundesebene in Deutschland aufgrund der negativen Erlebnisse in der Weimarer Republik und mangelnder Erfahrung in der Bonner/Berliner Republik häufig Skepsis entgegengebracht.25 Während sich die Struktur der Parteiensysteme zwischen Deutschland und den skandinavischen Ländern in jüngster Zeit angenähert hat,26 besteht weiterhin ein wesentlicher Unterschied bei den verfassungsrechtlichen Hürden zur Einsetzung einer Minderheitsregierung . In Dänemark und Norwegen können Minderheitsregierungen beispielsweise ohne jedwede Beteiligung des Parlaments durch den Monarchen eingesetzt und nur durch ein eingebrachtes Misstrauensvotum des Parlaments (mit einfacher Mehrheit) gestürzt werden.27 Auch hinsichtlich der Handlungsfähigkeit sind die Voraussetzungen in den skandinavischen Ländern wie Dänemark , Norwegen und Schweden beispielsweise durch Einkammerparlamente günstiger,28 so dass insgesamt bessere Rahmenbedingungen für Minderheitsregierungen in diesen Ländern gegeben sind. 25 Preker/Haas, Flexibilität und Effektivität vor Stabilität. Ein Beitrag zur Diskussion von Minderheitsregierungen auf Bundesebene am Beispiel der politischen Praxis Dänemarks, in: ZfP 2012, S. 453ff., S. 479 f. 26 Strohmeier, in: ZfP 2009, S. 260 ff., S. 265. 27 Strohmeier, in: ZfP 2009, S. 260 ff., S. 270. 28 Strohmeier, in ZfP 2009, S. 260 ff., S. 280.