© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 186/20 Kandidatenaufstellung in Wahlkreisen Versammlungsort Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 186/20 Seite 2 Kandidatenaufstellung in Wahlkreisen Versammlungsort Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 186/20 Abschluss der Arbeit: 30. Juli 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 186/20 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung befasst sich mit möglichen Vorgaben für Mitgliederversammlungen zur Wahl eines Wahlkreisbewerbers bezüglich deren lokaler Verortung. Insbesondere wird untersucht, ob eine Mitgliederversammlung zur Wahl eines Wahlkreisbewerbers bzw. eine entsprechende Vertreterversammlung innerhalb des Gebiets des Wahlkreises stattfinden muss, für den der Bewerber aufgestellt werden soll. 2. Gesetzliche Regelungen Die Bundestagswahl ist im Bundeswahlgesetz (BWahlG) näher geregelt. Dieses macht auch Vorgaben für das Verfahren zur Aufstellung von Parteibewerbern als Kandidaten für den Deutschen Bundestag. „§ 21 BWahlG – Aufstellung von Parteibewerbern (1) Als Bewerber einer Partei kann in einem Kreiswahlvorschlag nur benannt werden, wer nicht Mitglied einer anderen Partei ist und in einer Mitgliederversammlung zur Wahl eines Wahlkreisbewerbers oder in einer besonderen oder allgemeinen Vertreterversammlung hierzu gewählt worden ist. Mitgliederversammlung zur Wahl eines Wahlkreisbewerbers ist eine Versammlung der im Zeitpunkt ihres Zusammentritts im Wahlkreis zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Mitglieder der Partei. Besondere Vertreterversammlung ist eine Versammlung der von einer derartigen Mitgliederversammlung aus ihrer Mitte gewählten Vertreter. Allgemeine Vertreterversammlung ist eine nach der Satzung der Partei (§ 6 des Parteiengesetzes) allgemein für bevorstehende Wahlen von einer derartigen Mitgliederversammlung aus ihrer Mitte bestellte Versammlung. (2) In Kreisen und kreisfreien Städten, die mehrere Wahlkreise umfassen, können die Bewerber für diejenigen Wahlkreise, deren Gebiet die Grenze des Kreises oder der kreisfreien Stadt nicht durchschneidet, in einer gemeinsamen Mitglieder- oder Vertreterversammlung gewählt werden. (…) (5) Das Nähere über die Wahl der Vertreter für die Vertreterversammlung, über die Einberufung und Beschlußfähigkeit der Mitglieder- oder Vertreterversammlung sowie über das Verfahren für die Wahl des Bewerbers regeln die Parteien durch ihre Satzungen. (6) Eine Ausfertigung der Niederschrift über die Wahl des Bewerbers mit Angaben über Ort und Zeit der Versammlung, Form der Einladung, Zahl der erschienenen Mitglieder und Ergebnis der Abstimmung ist mit dem Kreiswahlvorschlag einzureichen. (…)“1 1 Hervorhebung nur hier. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 186/20 Seite 4 Auch das Parteiengesetz (PartG) regelt die Aufstellung von Parteibewerbern partiell näher. „§ 17 PartG – Aufstellung von Wahlbewerbern Die Aufstellung von Bewerbern für Wahlen zu Volksvertretungen muß in geheimer Abstimmung erfolgen. Die Aufstellung regeln die Wahlgesetze und die Satzungen der Parteien.“2 3. Verortung der Mitgliederversammlung zur Wahl Aus § 21 BWahlG, den im Grundgesetz (GG) geregelten Wahlgrundsätzen und den weiteren Vorschriften zur Bundestagswahl können keine Vorgaben für die lokale Verortung einer Mitgliederversammlung zur Wahl entnommen werden. Lediglich § 21 Abs. 6 S. 1 BWahlG schreibt vor, dass der Versammlungsort in der Niederschrift über die Wahl aufzuführen ist. Dies soll der leichteren Identifizierung und Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben dienen.3 Daraus folgt keine Einschränkung auf einen bestimmten Ort oder Umkreis. Auch das Schrifttum zum Parteienund Wahlrecht und die Rechtsprechung begründen – soweit ersichtlich – keine weiteren Einschränkungen . Mithin sprechen zwar rein praktische Argumente – wie die wahrscheinlich bessere Erreichbarkeit durch die Teilnehmer der Versammlung – aber keine zwingenden rechtlichen Argumente für einen Versammlungsort innerhalb des Wahlkreises. Hinzuweisen ist darüber hinaus darauf, dass bei einer Versammlung, die außerhalb des Wahlkreises stattfindet, für den ein Kandidat nominiert werden soll, die Möglichkeit der Anwesenheit von nicht stimmberechtigten Parteimitgliedern zunimmt. Solange die Partei jedoch alle gebotenen und zumutbaren Vorkehrungen in organisatorischer Hinsicht trifft, um zu gewährleisten, dass alle wahlberechtigten Mitglieder, aber auch keine darüber hinaus, an der Abstimmung teilnehmen können,4 begründet dies keine Zweifel an einem auswärtigen Versammlungsort. Dazu gehören beispielsweise die Kontrolle der Wohnorte anhand des Personalausweises am Eingang zum Versammlungsraum und die Frage zum Beginn der Veranstaltung, ob Zweifel an der Stimmberechtigung eines Mitgliedes bestehen.5 § 21 Abs. 5 BWahlG regelt zudem, dass das Nähere, insbesondere das Verfahren zur Aufstellung von Parteibewerbern durch die Satzungen der Parteien bestimmt werden kann. Auch § 17 S. 2 PartG verweist auf die nähere Regelung durch das Satzungsrecht. Die Kandidatenaufstellung durch 2 Hervorhebung nur hier. 3 Vgl. Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, Kommentar, 10. Aufl., 2017, § 21, Rn. 44. 4 SaarlVerfGH, Urteil vom 29.9.2011 − Lv 4/11, NVwZ-RR 2012, 169; Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, Kommentar, 10. Aufl., 2017, § 21, Rn. 15. 5 SaarlVerfGH, Urteil vom 29.9.2011 − Lv 4/11, NVwZ-RR 2012, 169; Morlok, Parteiengesetz, 2. Aufl., 2013, § 17, Rn. 2; ders., NVwZ 2012, 913, 915. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 186/20 Seite 5 die Parteien ist eine der wichtigsten Aufgaben der politischen Parteien und gehört zu ihren wesentlichen verfassungsrechtlichen Funktionen (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. § 1 Abs. 2 PartG).6 Insofern entspricht eine eigenständige Regelung der Kandidatenaufstellung durch die Parteien auch deren verfassungsrechtlichen Stellung. Nur bei schweren Rechtsverstößen erfolgt im Einzelfall eine Überprüfung der Einhaltung satzungsrechtlicher Normen bei der Zulassung der Wahlvorschläge nach § 26 BWahlG. Dabei wird ein Wahlvorschlag in der Regel nur dann zurückgewiesen, wenn er auf verfassungs- oder gesetzeswidrigem Satzungsrecht beruht und wahlrechtlich relevant ist.7 Sollte eine satzungsrechtliche Vorschrift bestehen, die eine Begrenzung des Versammlungsortes auf eine bestimmte Region vorsieht , so ist nicht ersichtlich, dass diese verfassungs- oder gesetzeswidrig wäre. Verstöße gegen Verfahrensregelungen der jeweiligen Parteiensatzung, die nicht zugleich auch einen Verstoß gegen höherrangiges Recht darstellen, beeinflussen die Wirksamkeit der Aufstellung der Wahlbewerber nicht.8 Daraus folgt, dass selbst wenn eine Partei in ihrer Satzung den Versammlungsort für die Aufstellung der Parteibewerber auf den jeweiligen Wahlkreis festlegt, jedoch tatsächlich außerhalb tagen würde, dies nicht zur Unwirksamkeit der Wahlbewerberaufstellung führen würde. Schließlich gelten im Rahmen der Aufstellung der Parteibewerber stets, wenn auch in abgeschwächter Form, die rechtlichen Maßstäbe für einen staatlichen Wahlakt.9 In diesem Zusammenhang ist also insbesondere auf den Grundsatz der Chancengleichheit10 der Wahlbewerber hinzuweisen. So darf beispielsweise nicht allein durch den Versammlungsort die Wahlchance eines Bewerbers eingeschränkt werden, zum Beispiel weil der Ort nicht barrierefrei zugänglich ist und so einem Bewerber mit Handicap eine eingeschränkte Möglichkeit zur Vorstellung und Teilnahme bietet. 4. Folgen für die konkrete Wahl des Versammlungsortes Aus dem Fehlen einer gesetzlichen Regelung des Versammlungsortes und der Möglichkeit der Regelung durch die Parteiensatzung folgt eine weitgehende Freiheit der Parteigliederung(en) bei der Festlegung des Ortes der Wahlversammlung. Dies ist auch durch die bereits erwähnte Wirksamkeit der Aufstellung auch bei Abweichung von einer eventuellen satzungsrechtlichen Regelung in dieser Frage bedingt. Insofern kann auch ein Versammlungsort außerhalb des Wahlkreises gewählt werden. Dies ist nicht davon abhängig, ob ein Versammlungsort innerhalb des Wahlkreises zur Verfügung stehen würde, der die Anforderungen an Größe und Ausstattung für die Versammlung 6 Wißmann, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), PartG und europäisches Parteienrecht, Kommentar, 2009, § 17, Rn. 1; Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, Kommentar, 10. Aufl., 2017, § 21, Rn. 5; Morlok, Parteiengesetz, 2. Aufl., 2013, § 17, Rn. 1; Jürgensen/Orlowski, DÖV 2019, 141. 7 BVerfG, Beschluss vom 20.10.1993 – 2 BvC 2/91, BVerfGE 89, 243, 252 f.; ausführlich Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, Kommentar, 10. Aufl., 2017, § 26, Rn. 20, 21 und 23; vgl. auch: Ipsen, in: ders. (Hrsg.), PartG, Kommentar, 2. Aufl. 2018, § 17, Rn. 12 ff.; Morlok, Parteiengesetz, 2. Aufl., 2013, § 17, Rn. 4. 8 BVerfG, Beschluss vom 20.10.1993 – 2 BvC 2/91, BVerfGE 89, 243, 252 f.; Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, Kommentar, 10. Aufl., 2017, § 21, Rn. 40. 9 BVerfG, Beschluss vom 20.10.1993 – 2 BvC 2/91, BVerfGE 89, 243, 252 f.; SaarlVerfGH, Urteil vom 29.9.2011 − Lv 4/11, NVwZ-RR 2012, 169, 3. LS; vgl. auch Ipsen, in: ders. (Hrsg.), PartG, Kommentar, 2. Aufl., 2018, § 17, Rn. 11 f. 10 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Kommentar, 90. EL, Februar 2020, Art. 38, Rn. 118. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 186/20 Seite 6 erfüllen würde. Vielmehr können auch andere Aspekte wie Kosten, Erreichbarkeit oder Belegungszeitraum mögliche Auswahlkriterien darstellen. Welches Gremium oder welcher Funktionsträger innerhalb einer Partei die Auswahl für den Tagungsort der jeweiligen Wahlversammlung bestimmt, obliegt ebenfalls satzungsrechtlichen Regelungen. Gesetzliche Vorgaben bestehen auch diesbezüglich nicht, da dies eine Frage der inneren Parteienorganisation darstellt. ***