© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 186/19 Mietobergrenze und Vertrauensschutz Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 186/19 Seite 2 Mietobergrenze und Vertrauensschutz Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 186/19 Abschluss der Arbeit: 30. Juli 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 186/19 Seite 3 1. Fragestellung In Berlin wird derzeit die Einführung einer Obergrenze für Mietpreise geplant.1 Mieter sollen dazu berechtigt werden, den Mietpreis ihrer Wohnung überprüfen zu lassen. Im Falle eines Übersteigens der Obergrenze soll die Miete auf die zulässige Höhe gesenkt werden. Da diese Regelung auch für bestehende Mietverhältnisse gelten soll, wird gefragt, ob sie gegen das Rückwirkungsverbot bzw. das Prinzip des Vertrauensschutzes verstößt. Da eine konkrete Prüfung nur anhand des – bislang nicht vorliegenden – Gesetzeswortlauts möglich wäre, können nur allgemeine Ausführungen erfolgen. 2. Vertrauensschutz und Rückwirkung Der Grundsatz des Vertrauensschutzes wird aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitet.2 Er schützt das Vertrauen des Bürgers in das Fortbestehen einer Rechtslage.3 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes wird berührt, wenn durch Gesetzesänderungen bestehende schutzwürdige Rechtspositionen der Normadressaten nachteilig verändert werden.4 Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet bei der Beurteilung solcher Gesetzesänderungen zwischen der „echten“ und der „unechten“ Rückwirkung. Danach liegt eine echte Rückwirkung vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift.5 Solche Gesetze sind grundsätzlich unzulässig , wenn nicht ausnahmsweise zwingende Gründe des Allgemeinwohls oder ein nicht oder nicht mehr vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen eine Durchbrechung gestatten.6 Ein Fall der unechten Rückwirkung liegt vor, wenn die neue Rechtsnorm zwar nur für die Zukunft gilt, dabei aber auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen einwirkt.7 Die unechte Rückwirkung von Gesetzen ist grundsätzlich zulässig, wenn nicht 1 Das Eckpunktepapier der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen ist abrufbar unter https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnraum/mietendeckel/download/Senatsbeschluss_Eckpunkte _Mietengesetz.pdf (Stand: 30. Juli 2019). 2 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 292. 3 Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 86. EL Januar 2019, Art. 20 VII Rn. 69. 4 Vgl. Schwarz, Rückwirkung von Gesetzen, JA 2013, 683 ff. (684). 5 BVerfG NJW 2011, 1058 ff. (1060); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 156 m.w.N. 6 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 158 m.w.N. 7 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 86. EL Januar 2019, Art. 20 VII Rn. 76; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 41. Edition Stand 15. Februar 2019, Art. 20 Rn. 187. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 186/19 Seite 4 die Abwägung der gegenüberstehenden Interessen ausnahmsweise ergibt, dass der Vertrauensschutz des Gesetzesadressaten die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele überwiegt.8 Maßgeblich für die Bestimmung der Rückwirkungsart ist die Frage, ob die Regelung auf einen bereits abgeschlossenen Lebenssachverhalt einwirkt. In Bezug auf ein Mietverhältnis stellen die in der Vergangenheit bereits getätigten Zahlungen des Mietpreises solche abgewickelten Sachverhalte dar. Von einer echten Rückwirkung wäre nur dann auszugehen, wenn die vorgesehene Reduzierung des Mietpreises auf die zulässige Höhe auch für den in der Vergangenheit bereits gezahlten Mietpreis gelten und daher einen Rückforderungsanspruch begründen würde. Dies ist allerdings bei der geplanten Regelung nicht ersichtlich. Im Eckpunktepapier der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen heißt es dazu: „Auf Antrag der Mieterinnen und Mieter ist eine Überprüfung der Miete auf Mietpreisüberhöhung möglich. In Form eines Absenkungsbegehrens wird die Miete dann auf die zulässige Miete reduziert, die sich an einer zu definierenden allgemeingültigen Mietobergrenze orientiert. Die Mietobergrenzen sollen ausgehend von einem Zeitpunkt bestimmt werden, als der Berliner Wohnungsmarkt noch nicht in Schieflage geraten ist.“9 Eine Ausdehnung der Reduzierung auf bereits getätigte Mietpreiszahlungen und ein Rückzahlungsanspruch des Mieters für den überschießenden Teil sind somit nicht vorgesehen. Es handelt sich mithin um einen Fall der unechten Rückwirkung, da auf ein bereits bestehendes Rechtsverhältnis für die Zukunft eingewirkt wird. Wie bereits erwähnt, ist eine unechte Rückwirkung grundsätzlich zulässig, wenn nicht eine Abwägung ergibt, dass der Vertrauensschutz ausnahmsweise die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele überwiegt. Zudem hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, Übergangsvorschriften zu schaffen, um die Verhältnismäßigkeit des gesetzlichen Eingriffs zu wahren. Das Vertrauen des Betroffenen ist umso weniger schützenswert, je mehr der Gesetzgeber durch Übergangsregelungen die Veränderung der Rechtslage zeitlich abstuft.10 Der Gesetzgeber hat einen weiten Abwägungsspielraum in Bezug auf die Frage, ob und in welchem Umfang solche Übergangsregelungen geboten sind.11 3. Vereinbarkeit mit Art. 14 Abs. 1 GG Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt die Interessenabwägung bei Fällen der unechten Rückwirkung teilweise nur im Rahmen der allgemeinen Grundrechtsprüfung durch.12 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat der Grundsatz des Vertrauensschutzes in Bezug auf vermögenswerte Güter insbesondere in Art. 14 Abs. 1 GG eine eigene Ausprägung 8 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 168; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 41. Edition Stand 15. Februar 2019, Art. 20 Rn. 187. 9 Eckpunktepapier [Fn. 1], S. 4. 10 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 168. 11 Ebd. 12 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 167. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 186/19 Seite 5 gefunden.13 Entscheidend ist daher die Vereinbarkeit der Gesetzesänderung mit diesem Grundrecht . Mit dieser Frage hat sich bereits die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Gesetzgebungskompetenz für ein zeitlich begrenztes Verbot von Mieterhöhungen und Vereinbarkeit mit Art. 14 GG, WD 3 – 3000 – 149/19 (Anlage) befasst. Die Ausarbeitung betont, dass die Befugnis des Gesetzgebers zu Eingriffen in Art. 14 Abs. 1 GG umso weiter reiche, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug stehe und eine soziale Funktion erfülle. Zwar habe der Eigentümer ein Interesse an der rentabelsten Verwertung seines Eigentums. Dieses Interesse sei aber verfassungsrechtlich nicht geschützt. Gerade im Bereich der Wohnungsmiete verlange die Sozialbindung aus Art. 14 Abs. 2 GG einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen von Vermietern und Mietern, den der Gesetzgeber vorzunehmen habe. Die Ausnutzung von Mangellagen auf dem Wohnungsmarkt zur Erzielung einer höheren Miete genieße angesichts der sozialen Bedeutung der Wohnung für die hierauf angewiesenen Menschen keinen verfassungsrechtlichen Schutz. Im Übrigen könne der Gesetzgeber die jeweiligen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt berücksichtigen. Eingriffe gegenüber Vermietern dürften daher umso einschneidender sein, je angespannter die Situation auf dem Wohnungsmarkt sei. Dies bedeute aber auch, dass Mietpreisbindungen unter Umständen nur solange angemessen seien, wie die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt fortbestehe. Aus einer Mietpreisbindung dürfe sich allerdings keine Substanzverletzung des Eigentums ergeben , da ansonsten die Bestandgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG verletzt würde. Die Substanz des Eigentums sei nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht bereits dann verletzt, wenn sich nicht die höchstmögliche Rendite aus dem Eigentum erzielen lasse, sondern erst dann, wenn sich aus der Vermietung die Gefahr von Verlusten für den Eigentümer ergebe. Daher müsse zumindest die allgemeine Preissteigerung – und ggf. auch die hiervon abweichende Steigerung im Baugewerbe für Instandhaltungskosten sowie sonstige für das Grundeigentum typische Kosten – durch Mieterhöhungen ausgeglichen werden können. Auch müssten Modernisierungsmaßnahmen in angemessenem Umfang bei Neuvermietungen Berücksichtigung finden können. Um eine Substanzverletzung auch in den Fällen auszuschließen, in denen der Vermieter erhebliche Investitionen – beispielsweise im Rahmen der energetischen Sanierung alten Wohnraums oder des Neubaus von Wohnungen – getätigt habe, sei eventuell eine Ausnahme von der Anwendung einer Mietpreisbegrenzung oder zumindest eine Regelung für entsprechende Härtefälle auf Gesetzes- oder Verordnungsebene erforderlich. *** 13 BVerfGE 36, 281 (293); Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2015, Art. 14 Rn. 148.