© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 186/18 Asylrechtliche Handlungsfähigkeit von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 186/18 Seite 2 Asylrechtliche Handlungsfähigkeit von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 186/18 Abschluss der Arbeit: 26. Juni 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 186/18 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird, ob unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in dem Sinne geschäftsfähig sind, dass sie einen wirksamen Asylantrag stellen können. Dabei sollen insbesondere die einschlägigen Vorschriften des Asylgesetzes erläutert werden. 2. Handlungsfähigkeit von Minderjährigen im Asylverfahren Die verfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit beschreibt die Fähigkeit, durch eigenes Handeln im Verwaltungsverfahren Rechtsfolgen herbeizuführen oder durch einen Vertreter herbeiführen zu lassen. Sie umfasst sowohl die Abgabe als auch die Entgegennahme verfahrensrechtlicher Erklärungen (aktive und passive Handlungsfähigkeit). Grundsätzlich knüpft die verfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit an die Geschäftsfähigkeit im Sinne des bürgerlichen Rechts an, § 12 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG). Nach bürgerlichem Recht beschränkt Geschäftsfähige (Minderjährige nach § 106 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) können jedoch verfahrensrechtlich handlungsfähig sein, soweit sie für den Gegenstand des Verfahrens durch Vorschriften des öffentlichen Rechts als handlungsfähig anerkannt sind, § 12 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG. Eine solche Anerkennung der verfahrensrechtlichen Handlungsfähigkeit von Minderjährigen sah das bis Oktober 2015 geltende Asylverfahrensgesetz (AsylVfG a.F.) vor. Konkret waren gemäß § 12 Abs. 1 AsylVfG a.F. auch Ausländer handlungsfähig, die das 16. Lebensjahr vollendet hatten.1 Diese verfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit von Minderjährigen wurde im Oktober 2015 mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz aufgehoben.2 Nunmehr setzt die Handlungsfähigkeit im Rahmen des Asylgesetzes nach § 12 Abs. 1 AsylG die Volljährigkeit des Ausländers voraus.3 Die Volljährigkeit wiederum bestimmt sich gemäß § 12 Abs. 2 S. 1 AsylG nach den Vorschriften des BGB. 3. Asylantragstellung durch Minderjährige Das Asylgesetz unterscheidet zwischen dem materiellen Asylgesuch und der formellen Asylantragstellung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Das materielle Asylgesuch knüpft an die Vorschrift des § 13 Asylgesetz (AsylG) an, wonach ein Asylantrag vorliegt, wenn sich dem geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht. Das materielle Asylgesuch ist 1 Ausführlich hierzu und zu den unionsrechtlichen Bedenken Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht (2. Aufl., 2016), Rn. 12 ff. zu § 12 AsylVfG. 2 Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015, BGBl. I, 1722 ff. 3 Zur Rechtslage seit Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes siehe Neundorf, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht (Stand: November 2017), Rn. 7 ff. zu § 12 AsylG. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 186/18 Seite 4 grundsätzlich an der Grenze zu stellen, § 13 Abs. 3 S. 1 AsylG. Die förmliche Asylantragstellung hat nach § 14 Abs. 1 S. 1 AsylG bei einer Außenstelle des BAMF zu erfolgen. Die Anforderungen an die asylverfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit gelten unstreitig für die Stellung eines förmlichen Asylantrags beim BAMF,4 sodass minderjährige Ausländer keinen wirksamen Asylantrag im Sinne des § 14 AsylG stellen können. In Bezug auf das materielle Asylgesuch nach § 13 AsylG wird Minderjährigen jedoch eine wirksame Asylantragstellung zugestanden. Zur Begründung wird auf unterschiedliche Aspekte abgestellt. Nach einer Auffassung soll erst die förmliche Asylantragstellung nach § 14 AsylG eine Verfahrenshandlung darstellen, die die Handlungsfähigkeit des Ausländers erfordert, und nicht schon das als Realakt einzustufende materielle Asylgesuch.5 Nach anderer Auffassung sei zwar bereits die Stellung des materiellen Asylgesuchs als eine Verfahrenshandlung einzustufen,6 doch gebiete es der Minderjährigenschutz, eine solche Verfahrenshandlung auch von Minderjährigen als wirksam anzuerkennen.7 In diese Richtung dürfte auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bremen aus dem Jahr 2017 zur wirksamen Stellung eines materiellen Asylgesuchs durch einen Minderjährigen zu deuten sein.8 Konkret heißt es in der Entscheidung: „Ein solches Asylgesuch hat der Kläger bereits durch seine Meldung in der Erstaufnahmeeinrichtung abgegeben. Dem steht auch seine Minderjährigkeit nicht entgegen. Ein formloses Asylgesuch muss zu seinem Schutz auch der Minderjährige vorbringen können, auch wenn die folgenden Verfahrenshandlungen mit Blick auf § 12 AsylG durch den Vormund vorgenommen werden müssen bzw. seiner Genehmigung bedürfen.“9 *** 4 Siehe nur Neundorf (Fn. 3), Rn. 11 zu § 12 AsylG. 5 Vgl. Neundorf (Fn. 3), Rn. 11 zu § 12 AsylG. Siehe auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage aus dem Jahr 1996 in BT-Drs. 13/4861, 9: „Beim Asylgesuch handelt es sich um eine bloße Willensäußerung, die grundsätzlich jeder unabhängig von der verfahrensrechtlichen Handlungsfähigkeit abgeben kann.“ 6 Vgl. hierzu Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht (12. Aufl., 2018), Rn. 4 zu § 12 AsylG mit Verweis auf die Rechtsfolgen, die schon das materielle Asylgesuch auslöst, namentlich in Bezug auf Mitwirkungspflichten und die Aufenthaltsgestattung. 7 Bruns (Fn. 1), Rn. 14 f. zu § 12 AsylG; ders. (Fn. 1), Rn. 9 zu § 13 mit Verweis auf die unionsrechtlichen Anforderungen an den Minderjährigenschutz in Asylverfahren. In diese Richtung auch Bergmann (Fn. 6), Rn. 8 zu § 12 AsylG. 8 VG Bremen, Beschl. v. 12.01.2017 – 5 K 3131/16 –, juris. 9 VG Bremen (Fn. 8), Rn. 8.