© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 186/15 Erörterung der Verfassungsmäßigkeit der von CETA vorgesehenen regulatorischen Kooperation in der rechtswissenschaftlichen Literatur Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 186/15 Seite 2 Erörterung der Verfassungsmäßigkeit der von CETA vorgesehenen regulatorischen Kooperation in der rechtswissenschaftlichen Literatur Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 186/15 Abschluss der Arbeit: 25. August 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 186/15 Seite 3 1. Fragestellung Das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada (CETA: Comprehensive Economic and Trade Agreement) enthält Bestimmungen über eine regulatorische Zusammenarbeit, in deren Rahmen unter anderem das „CETA Joint Committee“ sowie weitere Fachausschüsse eingerichtet werden sollen. Vor diesem Hintergrund wird gefragt, wie die Vereinbarkeit einer solchen Zusammenarbeit mit dem Grundgesetz von der rechtswissenschaftlichen Literatur bewertet wird. Insbesondere wird danach gefragt, wie weitreichend nach der Literatur die im Rahmen der Zusammenarbeit übertragenen Kompetenzen sein dürfen und wie bestimmt die Kompetenzen nach Ansicht der Literatur formuliert sein müssen. 2. Erörterung der Verfassungsmäßigkeit der CETA-Ausschüsse in der rechtswissenschaftlichen Literatur Soweit sich die rechtswissenschaftliche Literatur mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit von CETA befasst, steht der Aspekt der Investor-Staat-Schiedsverfahren im Vordergrund und nicht die vorgesehene regulatorische Kooperation.1 Eine Ausnahme bildet der Aufsatz von Prof. Dr. Andreas Fisahn und Ridvan Ciftci „Rechtliche und politische Probleme von Freihandelsabkommen am Beispiel von CETA“:2 Zunächst gehen die Autoren auf die Aufgaben der CETA-Ausschüsse ein. So habe das Joint Committee die Aufgabe, die Spezialausschüsse zu kontrollieren und ihnen Vorgaben zu machen. Unter anderem solle es Bestimmungen über Regelungen der Zollbefreiung, über die Rules of Origin sowie über die Einbeziehung von Immaterialgüterrechten in das Abkommen treffen. Das Committee on Services and Investment als Spezialausschuss habe beispielsweise die Aufgabe, die Schiedsverfahren zu kontrollieren und verbindliche Regeln für das Schiedsverfahren aufzustellen . Hieran anknüpfend erörtern die Autoren die Vereinbarkeit der den Ausschüssen übertragenen Befugnisse mit dem Demokratieprinzip. Die den CETA-Ausschüssen eingeräumten Befugnisse beträfen nicht die Ausweitung der Regelungsbereiche, sondern im Wesentlichen die Details der grundsätzlichen Regelungen. Es gehe also um die Kompetenz, Ausführungsbestimmungen konsensual abzuändern. Ausführungsbestimmungen seien in der Regel nicht Sache des Parlaments, so dass es mit demokratischen Grundsätzen vereinbar sei, wenn der Exekutive entsprechende sachlich begrenzte Regelungsbefugnisse eingeräumt würden. Die nationalstaatliche Exekutive sei bei der Setzung untergesetzlichen Rechts demokratisch legitimiert, weil sie vom Parlament gewählt sei. Dies gelte auch für die Europäische Kommission in abgeschwächter Weise. 1 Siehe z.B. Ohler, Die Vereinbarkeit von Investor-Staat-Schiedsverfahren mit deutschem und europäischem Verfassungsrecht , JZ 2015, S. 337 ff.; Sackmann, Im Schatten von CETA und TTIP: Zur Verfahrenstransparenz in Intra-EU-Investitionsschiedsverfahren, SchiedsVZ 2015, S. 15 ff.; Flessner, Die Anstößigkeit der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit aus verfassungs- und europarechtlicher Sicht, Betrifft Justiz 2015, S. 62 ff. 2 Fisahn/Ciftci, Rechtliche und politische Probleme von Freihandelsabkommen am Beispiel von CETA, AL 2015, S. 177 (180), dort zum Folgenden; siehe auch Fisahn, Rechtliche Probleme beim internationalen Freihandel, 2014, S. 10 ff., abrufbar unter http://www.kritik-freihandelsabkommen.de/wp-content/uploads /2015/01/TTIP_Fisahn.pdf (letzter Abruf am 24. August 2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 186/15 Seite 4 Die CETA-Ausschüsse seien jedoch aus europäischer Perspektive in Hinblick auf ihre hälftige Besetzung mit kanadischen Vertretern in keiner Weise demokratisch legitimiert. Dies sei im Rahmen eines internationalen Vertrages noch hinnehmbar, jedoch jedenfalls dann unzulässig, wenn die Entscheidungen verbindlich gegenüber der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten wirkten. Grundsätzlich könne das Parlament administrative Entscheidungen, die es für falsch halte, durch eigene gesetzliche Regelungen außer Kraft setzen. Diese Möglichkeit bestehe nicht, wenn die Exekutive Recht setze, das auch für das europäische und die nationalen Parlamente verbindlich sei und nicht abgeändert werden könne. Die Exekutive entziehe sich der demokratischen Kontrolle und der Reversibilität ihrer Entscheidungen. Dies beschneide die Rechte der Parlamente und sei nicht mit demokratischen Grundsätzen vereinbar. 3. Erörterung der Verfassungsmäßigkeit der CETA-Ausschüsse in rechtswissenschaftlichen Gutachten Die Frage der Vereinbarkeit der CETA-Ausschüsse mit dem Grundgesetz wird darüber hinaus auch in einer gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano und Johan Horst erörtert.3 In dem Kurzgutachten im Auftrag von attac/München problematisieren die Autoren die Vereinbarkeit des Systems der Ausschüsse mit den Grundsätzen aus Art. 38 i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Grundgesetz (GG). Weder auf der Ebene der Spezialausschüsse noch auf der des Joint Committee seien Vertreter der Mitgliedstaaten vorgesehen. Es bestehe daher keine Rückbindung mehr zum deutschen Gesetzgeber. Es entstehe ein weitgehend unkontrollierbarer Rechtsetzungsprozess , in dem neue Bereiche und Rechte unkontrolliert durchreguliert und der Geltungsbereich von CETA erweitert werden könne. Dies sei vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung äußerst problematisch. Seit dem Lissabon-Urteil4 gehöre es zur gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Art. 38 GG ein subjektives Recht auf die Gewährleistung eines demokratischen Prozesses beinhalte. Dazu gehöre insbesondere auch, dass verfahrensrechtliche Sicherungen gegen die Gefahr normativer Eigendynamiken zu ergreifen seien. Weiter verweisen die Autoren auf den OMT-Beschluss5 des Bundesverfassungsgerichts, in dem das Gericht festgehalten habe, dass sich das dem Einzelnen garantierte Wahlrecht aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG nicht in einer formalen Legitimation der (Bundes-)Staatsgewalt erschöpfe, sondern auch den grundlegenden demokratischen Gehalt des Wahlrechts umfasse. Das Wahlrecht schütze den Bürger im Anwendungsbereich von Art. 23 GG davor, dass die durch die Wahl bewirkte Legitimation von Staatsgewalt und Einflussnahme auf deren Ausübung durch die Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Deutschen Bundestages auf die europäische Ebene so entleert werde, dass das Demokratieprinzip verletzt werde. 3 Fischer-Lescano/Horst, Europa- und verfassungsrechtliche Vorgaben für das Comprehensive Economic and Trade Agreement der EU und Kanada (CETA), 2014, S. 35 f., abrufbar unter http://www.attac.de/uploads/media /CETA-Rechtsgutachten_Oktober_2014_Fischer-Lescano_Uni_Bremen.pdf (letzter Abruf am 24. August 2015); siehe auch Fischer-Lescano, TTIP und CETA – Rechtswidrig, Zeit-Online vom 30. Oktober 2014, abrufbar unter http://www.zeit.de/2014/45/ttip-ceta-freihandelsabkommen-grundgesetz-rechtswidrig (letzter Abruf am 24. August 2015). 4 BVerfGE 123, 267 ff. 5 BVerfGE 134, 366 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 186/15 Seite 5 Vor diesem Hintergrund fordern die Autoren, dass Vertreter der Mitgliedstaaten (und auch von Deutschland) in die Ausschussstruktur eingebunden werden und die deutschen Vertreter dem Bundestag gegenüber verpflichtet werden. Das vom Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil entwickelte (und im Integrationsverantwortungsgesetz umgesetzte) System von „Weisung- und Notbremserechten“ und „vorherigen Ermächtigungsgesetzen“ sei auf das Ausschusssystem von CETA zu übertragen. 4. Allgemeine Literatur zur Verlagerung politischer Verantwortung auf externe Gremien Abschließend sei auf die (allgemeine) Diskussion in der Literatur über die Verlagerung politischer Verantwortung auf externe Gremien verwiesen.6 Zu betonen ist dabei jedoch, dass die Einflussmöglichkeiten der beteiligten Externen (und damit auch die Zulässigkeit der Beteiligung) von der konkreten Beteiligungssituation, den beteiligten Akteuren und einer Reihe weiterer Faktoren abhängt.7 Solange dem Parlament die politische Bewertung des von Dritten eingebrachten Sachverstands weiterhin selbst obliegt, wird die Beteiligung Dritter als grundsätzlich unproblematisch angesehen.8 Problematisch erscheine die Einbindung Dritter jedoch, wenn eine einzelne Kommission mit einer besonderen Aura der Überparteilichkeit versehen und mit der Erarbeitung legislatorischer Leitlinien beauftragt werde, da in einem solchen Falle die Kompromissfindung als ureigene Aufgabe des Parlaments von außerparlamentarischen Foren erfüllt werde. Ende der Bearbeitung 6 Kirchhof, Demokratie ohne parlamentarische Gesetzgebung?, NJW 2001, S. 1332 (1333); Herdegen, Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?, VVDStRL 62 (2003), S. 7 (13 f.); Klein, Gesetzgebung ohne Parlament?, 2004, S. 6 ff.; siehe auch Kloepfer, Gesetzgebungsoutsourcing – Die Erstellung von Gesetzentwürfen durch Rechtsanwälte, NJW 2011, S. 131 ff. 7 Vgl. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2005, § 43 Rn. 49. 8 Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2005, § 43 Rn. 52, dort zum Folgenden .