© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Verbot von Wahlplakaten mit ehr- oder menschenwürdeverletzenden Inhalten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 2 Verbot von Wahlplakaten mit ehr- oder menschenwürdeverletzenden Inhalten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Abschluss der Arbeit: 20.10.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung (Ziff. 1, 2, 3 und 5) WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung (Ziff. 4) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Wahlplakatwerbung von politischen Parteien 4 3. Polizeirechtliche Rechtsgrundlagen für inhaltsbezogene Verbote von Wahlplakaten 4 4. Zivilrechtliche Rechtsgrundlagen für inhaltsbezogene Verbote von Wahlplakaten 6 4.1. Anspruch 6 4.1.1. § 823 Absatz 1 BGB (Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts) 6 4.1.2. § 823 Absatz 2 BGB (Strafbare Äußerungen) 7 4.1.3. Rechtsfolgen 8 4.2. Anspruchsdurchsetzung 8 4.2.1. Grundsatz: keine eigenmächtige Rechtsdurchsetzung 8 4.2.2. Zivilverfahren und Einstweiliger Rechtsschutz 8 5. Ehr- oder menschenwürdeverletzende Wahlplakataussagen 9 5.1. Abwägungs- und Deutungsebene 10 5.2. Rechtsprechung zu Wahlplakaten 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 4 1. Einleitung Das Wahlplakat einer politischen Partei, das unter der Aufschrift „Wir lassen die Luft raus aus der Asylpolitik“ die Zeichnung eines mit drei Flüchtlingen besetzten Schlaubootes zeigt, ist wegen seiner inhaltlichen Aussagen umstritten. Vor diesem Hintergrund wird gefragt, unter welchen Bedingungen Wahlplakate mit ehr- oder menschenwürdeverletzenden Inhalten verboten werden können und mit welcher Verfahrensdauer in diesen Fällen üblicherweise zu rechnen ist. Darüber hinaus sollen diejenigen rechtlichen Maßstäbe erläutert werden, die bei der Bewertung von Wahlplakataussagen als ehr- oder menschenwürdewidrig entscheidend sind. 2. Wahlplakatwerbung von politischen Parteien Die Wahlplakatwerbung von politischen Parteien unterfällt dem Schutz der Parteienfreiheit aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG, dem Schutz der Wahlfreiheit aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG sowie dem Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1.1 Einfachgesetzlich richtet sich die Aufstellung von Wahlplakaten nicht nach einer spezifischen Rechtsgrundlage z.B. des Bundeswahl- oder des Parteiengesetzes. Vielmehr sind verschiedene bundes-, landes- und kommunalrechtliche Vorschriften einschlägig.2 Im Zentrum stehen dabei die landesrechtlichen Vorgaben des Straßenrechts, nach denen für die Plakatwerbung im öffentlichen Straßenraum die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis erforderlich ist.3 Bei der Erteilung einer solchen Sondernutzungserlaubnis sind straßenrechtliche Belange, wie insbesondere die Verkehrssicherheit zu berücksichtigen. So kann die Aufstellung von Wahlplakaten an Standorten unterbunden werden, an denen die konkrete Gefahr einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit gegeben ist, etwa, weil die Sicht auf eine gefährliche Kreuzung oder eine Ampelanlage versperrt wird.4 Auf einer anderen Ebene hingegen liegen die hier fraglichen Einschränkungen der Wahlplakatwerbung , die ihren Grund in den inhaltlichen Aussagen von Wahlplakaten haben. Bei ehr- oder menschenwürdeverletzenden Wahlplakataussagen kommen für inhaltsbezogene Verbote von Wahlplakaten polizeirechtliche und zivilrechtliche Rechtsgrundlagen in Betracht. 3. Polizeirechtliche Rechtsgrundlagen für inhaltsbezogene Verbote von Wahlplakaten Mangels spezialgesetzlicher Rechtsgrundlagen kann ein ordnungsbehördliches Einschreiten gegen Wahlplakate allein auf die polizeilichen Generalklauseln, die in den Polizeigesetzen der Länder geregelt sind, gestützt werden. Danach sind die zuständigen Behörden berechtigt, die notwendigen 1 Siehe nur Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zulässigkeit und Grenzen von Wahlkampfbeschränkungen der Parteien (WD 3 - 3000 - 315/14), 4 m.w.N. 2 Ausführlich dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Wahlkampfplakatierung – Rechtliche Rahmenbedingungen im Überblick (WD 3 - 3000 - 107/13). 3 Wissenschaftliche Dienste (Fn. 2), 3 ff. 4 Wissenschaftliche Dienste (Fn. 1), 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 5 Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung treffen.5 Notwendige Maßnahmen in diesem Sinne können Verfügungen sein, die Wahlplakate insofern „verbieten“, als sie die Unterlassung ihrer Aufstellung oder ihre Beseitigung anordnen. Voraussetzung für solche Anordnungen ist, dass die Wahlplakataussagen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellen. Insoweit kommt insbesondere eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Betracht, und zwar in Bezug auf die Strafrechtsordnung, die Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist. Die Ordnungsbehörden haben insoweit zu prüfen, ob die fraglichen Äußerungen objektiv Straftatbestände, z.B. den Straftatbestand der Beleidigung nach § 185 Strafgesetzbuch (StGB) oder den Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB, erfüllen und damit eine Gefahr oder eine Störung der öffentlichen Sicherheit begründen. In diesem Fall liegt es im pflichtgemäßen Ermessen der Ordnungsbehörden , die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr oder zur Beseitigung der Störung zu treffen. Trifft die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensausübung eine Unterlassungs- oder Beseitigungsanordnung , kann sie diese zur Beschleunigung mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung) versehen, mit der Folge, dass der Widerspruch der betroffenen politischen Partei keine aufschiebende Wirkung entfaltet und die notfalls zwangsweise Durchsetzung nach den einschlägigen Vollstreckungsvorschriften der Länder erfolgen kann. Im Rahmen eines einstweiligen Verfahrens kann die betroffene politische Partei jedoch versuchen, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs zu erwirken, so dass Angaben zur üblichen Verfahrensdauer nicht möglich sind. Allerdings kommt auch eine unmittelbare Entfernung von Wahlplakaten durch die Ordnungsbehörden ohne vorherige Unterlassungs- oder Beseitigungsverfügung in Betracht, wenn die Voraussetzungen der landesrechtlichen Vorschriften zum sog. Sofortvollzug vorliegen. Der Sofortvollzug erlaubt die Ausübung von Verwaltungszwang ohne vorausgehende Grundverfügung, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen bzw. drohenden Gefahr notwendig ist und die Behörde innerhalb ihrer Befugnisse handelt.6 Eine andere Frage ist es, ob auch Private ein ordnungsbehördliches Vorgehen gegen Wahlplakate verlangen können. Dazu müsste zunächst das den Ordnungsbehörden im Rahmen der polizeilichen Generalklauseln zustehende Ermessen in Bezug auf die Fragen, ob und wie sie einschreiten, in der Weise auf Null reduziert sein, dass nur die von den Privaten begehrten Maßnahmen eine pflichtgemäße und insbesondere verhältnismäßige Ermessensbetätigung darstellen würde. Darüber hinaus besteht ein Anspruch von Privaten auf ein bestimmtes ordnungsbehördliches Einschreiten nur dann, wenn es gerade um die Abwehr einer Gefahr für ihre eigenen subjektiven Rechte geht. Im Fall strafbarer Äußerungen könnten also nur die persönlich Betroffenen ein ordnungsbehördliches Einschreiten verlangen. So konnte ein Privater sein Begehren auf ordnungsbehördliches Einschreiten gegen ein Wahlplakat nicht durchsetzen, da es an einer subjektiven Rechtsverletzung des Privaten fehlte. In der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes heißt es hierzu: 5 Siehe nur die polizeiliche Generalklausel des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes des Landes Berlin in § 17 Abs. 1: „Die Ordnungsbehörden und die Polizei können die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 18 bis 51 ihre Befugnisse besonders regeln.“ 6 Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht (15. Aufl., 2013), Rn. 393. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 6 „Im vorliegenden Fall ist vom Ast. nicht aufgezeigt und auch sonst nicht ersichtlich, dass er durch das in Rede stehende Wahlplakat der Beigel. ‚Geld für die Oma statt für Sinti und Roma‘ möglicherweise in eigenen Rechten verletzt sein kann. Zwar ist menschlich ohne Weiteres nachvollziehbar, dass sich der Ast. gerade im Hinblick darauf, dass er nach seinen Angaben Angehöriger des jüdischen Glaubens ist, durch die besagten Wahlplakate der Beigel. in seinen Gefühlen verletzt sieht. Dies reicht aber zur Geltendmachung einer zumindest möglichen Verletzung eigener Rechte im Verständnis des § 42 II VwGO nicht aus. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die Aussagen auf den in Rede stehenden Wahlplakaten für den Ast. einen ehrverletzenden Inhalt haben. Denn durch die beanstandeten Plakate wird der Ast. weder in seiner Person noch als Angehöriger seines Glaubens angesprochen. Eine eigene Rechtsposition wird dem Ast. auch nicht dadurch vermittelt, dass die Angehörigen der in den umstrittenen Wahlplakaten angesprochenen Minderheiten ebenso wie die Angehörigen jüdischen Glaubens durch die Nationalsozialisten verfolgt wurden.“7 4. Zivilrechtliche Rechtsgrundlagen für inhaltsbezogene Verbote von Wahlplakaten 4.1. Anspruch Das Zivilrecht kennt keinen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch. Voraussetzung für einen Anspruch – also das Recht, auf zivilrechtlichem Weg von einem anderen Privatrechtssubjekt ein Tun oder ein Unterlassen verlangen zu können (§ 194 Absatz 1 BGB) – ist das Bestehen einer einschlägigen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlage gegen den Anspruchsgegner. Bei Fehlen einer vertraglichen Beziehung zum Anspruchsgegner kann sich eine Anspruchsgrundlage grundsätzlich nur aus einem so genannten gesetzlichen Schuldverhältnis ergeben.8 In dem Fall, dass jemand Plakate missliebigen Inhalts öffentlich sichtbar aufhängt, kommt als Anspruchsgrundlage gegen den Handelnden oder den Eigentümer des Plakats im Wesentlichen das Verbot unerlaubter Handlungen (§§ 823 ff. BGB) in Betracht. So ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen nach § 823 Absatz 1 BGB zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Die gleiche Verpflichtung trifft gemäß § 823 Absatz 2 BGB denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz (sog. Schutzgesetz) verstößt. 4.1.1. § 823 Absatz 1 BGB (Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts) Voraussetzung für einen Anspruch aus § 823 Absatz 1 BGB ist, dass eines der dort aufgezählten „absoluten“ Rechte verletzt wird. Bei mittels eines Plakats getroffenen Äußerungen kommt als tangiertes Recht im Sinne des § 823 Absatz 1 BGB das so genannte Allgemeine Persönlichkeitsrecht in Betracht. Es schützt das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner personalen und sozialen 7 OVG Saarland NVwZ RR 2014, 671. 8 Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl. 2017, Überbl v § 311 Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 7 Identität sowie Entfaltung und Entwicklung seiner individuellen Persönlichkeit gegenüber dem Staat und im privaten Rechtsverkehr.9 Im Bereich der Sozialsphäre schützt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht grundsätzlich auch die persönliche Ehre und kann damit einen Abwehranspruch gegen ehrverletzende Äußerungen einräumen.10 Ob eine mittels eines Plakats öffentlich getätigte Meinungsäußerung eine im Ergebnis tatbestandsmäßige und rechtswidrige Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt, kann dabei nur konkret im jeweiligen Einzelfall entschieden werden. Grundsätzlich muss die Beeinträchtigung eine konkrete Person betreffen, was etwa bei der Verwendung einer Kollektivbezeichnung in der Regel nicht der Fall ist, wenn es sich um einen unüberschaubaren Personenkreis handelt.11 Wenn eine konkrete Person betroffen ist, so ist in der nachfolgenden Gesamtabwägung unter anderem auch von Bedeutung, welchen Zweck der Äußernde verfolgt hat und in welcher Art und Weise der Eingriff erfolgt ist.12 So genießen Beiträge zur Auseinandersetzung mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage höheren Schutz als die Verfolgung lediglich privater Interessen, ebenso wie Artikel 5 GG13 im Rahmen des geistigen Meinungskampfes und freier Diskussion bei wertenden Urteilen über Fragen von allgemeiner Bedeutung auch hinsichtlich der Art und Form der Äußerung große Freiheit gewährt:14 „Die subjektive Meinung darf gerade in Streitpunkten des allgemeinen Interesses hart, scharf und überspitzt, provokativ, abwertend, übersteigert, polemisch und ironisch geäußert werden. Auch abwertende Kritik darf, solange sie sachbezogen ist, scharf, schonungslos, ausfällig sein. Die Meinungsfreiheit hat im Grundsatz Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz , soweit eine Äußerung … Bestandteil der für eine freiheitliche demokratische Ordnung schlechthin konstituierenden ständigen geistigen Auseinandersetzung in Angelegenheiten von öffentlicher Bedeutung ist.“15 4.1.2. § 823 Absatz 2 BGB (Strafbare Äußerungen) Ein Anspruch nach § 823 Absatz 2 BGB setzt voraus, dass der Handelnde mit dem Zurschaustellen des Plakats gegen ein Schutzgesetz verstößt. Als Schutzgesetz kommen hierbei insbesondere auch Straftatbestände in Betracht. 9 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rn. 86. 10 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rn. 87. 11 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rn. 93 m.w.N. 12 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rn. 99 ff. 13 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347) geändert worden ist. 14 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rn. 99 f. 15 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rn. 103. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 8 Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass der Straftatbestand zumindest auch gerade dazu dient, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen und dass der Anspruchsteller in den persönlichen Schutzbereich des Schutzgesetzes fällt.16 Als Schutzgesetze in diesem Sinne kommen aus dem Strafgesetzbuch namentlich § 185 StGB (Beleidigung), § 186 StGB (Üble Nachrede) und § 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen) in Betracht.17 Der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) hingegen – sollte er überhaupt im Einzelfall vorliegen18 – zählt nicht hierzu. 4.1.3. Rechtsfolgen Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 823 BGB vor, gewährt er einen Anspruch auf Schadensersatz. Bei Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann dies je nach Fallkonstellation Unterlassung, Beseitigung, Gegendarstellung und Geldentschädigung umfassen.19 4.2. Anspruchsdurchsetzung 4.2.1. Grundsatz: keine eigenmächtige Rechtsdurchsetzung Dem staatlichen Gewaltmonopol entsprechend stehen der Schutz und die Durchsetzung von Rechten grundsätzlich nicht dem jeweiligen Gläubiger selbst zu, sondern sind Aufgabe des Staates, der zu diesem Zweck das in den Prozessgesetzen geordnete Gerichts- und Vollstreckungsverfahren zur Verfügung stellt.20 Gläubigern ist es daher grundsätzlich untersagt, Ansprüche im Wege der Selbsthilfe durchzusetzen.21 Missliebige Plakate dürften mithin nicht einfach unkenntlich gemacht oder abgerissen werden. 4.2.2. Zivilverfahren und Einstweiliger Rechtsschutz Grundsätzlich ist zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aus § 823 BGB das – regelmäßig zeitintensive – ordentliche Zivilverfahren zu beschreiten. Daneben gewährt die Zivilprozessordnung unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes. 16 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rn. 58 f. 17 Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 Rn. 525. 18 Vgl. etwa OLG München, NJW 2010, 2150. 19 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rn. 129 f. 20 Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl. 2017, Überbl v § 226 Rn. 1. 21 Haertlein, in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 916–945 b ZPO Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 9 Namentlich bei Unterlassungsansprüchen kommt hierfür das Beantragen einer einstweiligen Verfügung nach § 935 ZPO22 in Betracht. Das Verfügungsverfahren ist ein summarisches Verfahren; ein Verfügungsantrag ist begründet, wenn der Verfügungsgläubiger einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund glaubhaft macht (§§ 936, 920 Absatz 2 ZPO).23 Der Grund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung liegt in einem solchen Fall im drohenden, in Kürze zu befürchtenden oder andauernden Rechtsverstoß, weshalb ein Hauptsacheverfahren nicht rechtzeitig durchgeführt werden kann.24 Zu beachten ist im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens grundsätzlich das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache: Einstweilige Verfügungen bezwecken die Sicherung einer späteren Befriedigung des Gläubigers, nicht die Befriedigung selbst; die Verfügungsentscheidung soll die in der Hauptsache zu treffende Entscheidung nicht ersetzen, sondern inhaltlich hinter ihr zurückbleiben , weshalb grundsätzlich keine irreversiblen Maßnahmen angeordnet werden sollen.25 Gerade bei persönlichkeitsrechtsbezogenen Unterlassungsansprüchen kann aber der Grundsatz des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache aufgrund des durch Zeitablauf drohenden Zustands je nach Fallkonstellation auch zurücktreten: So sei namentlich bei „drohenden nicht unerheblichen Persönlichkeitsrechtsverletzungen … in der Regel ohne Weiteres ein irreparabler Schaden anzunehmen .“26 5. Ehr- oder menschenwürdeverletzende Wahlplakataussagen Die Grundrechte der persönlichen Ehre (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) und der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) werden einfachgesetzlich durch Strafgesetze, Sicherheits- und Ordnungsgesetze und durch Vorschriften des Zivilrechts geschützt. Strafrechtlich relevant sind beispielsweise der Angriff auf die persönliche Ehre eines anderen durch Äußerungen der Nicht-, Gering- oder Missachtung (Beleidigung, § 185 StGB) oder der Angriff auf die Menschenwürde anderer durch Beschimpfung, böswillige Verächtlichmachung oder Verleumdung, wenn er geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören (Volksverhetzung, § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Ein Angriff auf die Menschenwürde im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB wird insbesondere angenommen, wenn „den angegriffenen Personen ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten abgesprochen und sie als minderwertige Wesen behandelt werden“.27 Ob solche Angriffe auf die persönliche 22 Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 11 Absatz 15 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert worden ist. 23 Haertlein, in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 935–945 b ZPO Rn. 9. 24 Haertlein, in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2015, § 935 ZPO Rn. 21. 25 Haertlein, in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2015, § 935 ZPO Rn. 33. 26 Haertlein, in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2015, § 935 ZPO Rn. 42. 27 BVerfG NJW 2009, 3503 f., Hervorhebung nicht im Original. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 10 Ehre oder die Menschenwürde anderer durch Wahlplakataussagen ein polizei- oder zivilrechtliches Vorgehen gegen Wahlplakate rechtfertigen, hängt jedoch davon ab, ob die übrigen Tatbestandsmerkmale der Strafvorschriften sowie die Voraussetzungen der polizei- oder zivilrechtlichen Rechtsgrundlagen vorliegen. Eine solche Prüfung kann nicht abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände erfolgen. Unabhängig davon geht es bei der Strafbarkeit von Äußerungen stets um die Frage, ob die umstrittenen inhaltlichen Aussagen noch vom Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gedeckt sind. Das verfassungsrechtliche Grundproblem , das bei der Auslegung und Anwendung der einfachgesetzlichen Rechtsgrundlagen – also hier bei den einschlägigen Vorschriften des Strafrechts, des Sicherheits- und Ordnungsrechts sowie des Zivilrechts – zu berücksichtigen ist, besteht darin, die betroffenen Grundrechte miteinander in Einklang zu bringen. 5.1. Abwägungs- und Deutungsebene Bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts werden die betroffenen Grundrechte grundsätzlich durch Abwägung miteinander in Einklang gebracht, wobei die besondere, für die Demokratie schlechthin konstituierende Bedeutung der Meinungsfreiheit zu beachten ist.28 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbietet Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in Bezug auf den Ehrschutz eine Auslegung der §§ 185 ff. StGB, von der ein abschreckender Effekt auf den Gebrauch des Grundrechts ausgeht, der dazu führt, dass aus Furcht vor Sanktionen auch zulässige Kritik unterbleibt.29 Bei der Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrschutz ist u.a. zu berücksichtigen , ob der Betroffene selbst den Anlass zur Äußerung gegeben hat oder ob es sich um eine öffentliche Auseinandersetzung über gesellschaftlich oder politisch relevante Fragen handelt.30 Für Auseinandersetzungen zwischen politischen Parteien im Wahlkampf betont das Bundesverfassungsgericht die „Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede mit der Folge, dass gegen das Äußern einer Meinung in äußersten Fällen eingeschritten werden darf“.31 Soweit jedoch das Grundrecht der Menschenwürde verletzt ist, findet keine Abwägung mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit statt. In diesem Fall muss die Meinungsfreiheit stets zurücktreten.32 Voraussetzung für die Abwägung der Meinungsfreiheit mit dem Ehrschutz oder für die Feststellung einer Menschenwürdeverletzung ist aber zunächst die Deutung der Meinungsäußerungen. Da schon mit der Deutung von Meinungsäußerungen Vorentscheidungen über deren Zulässigkeit getroffen werden, stellt das Bundesverfassungsgericht an die Deutung hohe Anforderungen. Der objektive Sinngehalt einer Meinungsäußerung müsse zutreffend erfasst werden und verfassungskonforme Deutungsalternativen seien zu berücksichtigen und ggf. auszuschließen. Konkret führt das Bundesverfassungsgericht hierzu aus: 28 BVerfGE 7, 198, 208. 29 BVerfGE 93, 266, 292. 30 BVerfGE 93, 266, 293. 31 BVerfGE 61, 1, 11. 32 BVerfGE 93, 266, 293. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 11 „Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist allerdings, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. (…) Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. (…) Urteile, die den Sinn der umstrittenen Äußerung erkennbar verfehlen und darauf ihre rechtliche Würdigung stützen, verstoßen gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben (vgl. BVerfGE 82, 43 [52]). Dabei braucht das Gericht freilich nicht auf entfernte, weder durch den Wortlaut noch die Umstände der Äußerung gestützte Alternativen einzugehen oder gar abstrakte Deutungsmöglichkeiten zu entwickeln, die in den konkreten Umständen keinerlei Anhaltspunkte finden. Lassen Formulierung oder Umstände jedoch eine nicht ehrenrührige Deutung zu, so verstößt ein Strafurteil, das diese übergangen hat, gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.“33 In der Praxis reicht es demnach nicht aus, Meinungsäußerungen mit einer schlüssigen Begründung einfach einen bestimmten Aussagegehalt beizumessen. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Prüfung, die – nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums – den Kontext und die Begleitumstände berücksichtigt und sich ausdrücklich mit möglichen Deutungsalternativen auseinandersetzt. Diese anspruchsvolle Deutungsarbeit steht auch im Zentrum bei der Bewertung von Wahlplakaten. 5.2. Rechtsprechung zu Wahlplakaten Gegenstand einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Wahlplakat mit der Aufschrift „Polen-Invasion stoppen!”.34 Das Plakat enthält zudem eine grafische Darstellung von drei Krähen in Verbindung mit einem Bündel Euro-Scheinen, nach dem eine der Krähen mit dem Schnabel pickt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Nichtannahmebeschluss die vorangegangene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Mecklenburg-Vorpommern (OVG M-V)35 und damit die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Untersagungsverfügung gegen das Wahlplakat wegen Verstoßes gegen § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Volksverhetzung) bestätigt. In Bezug auf die Deutung der Wahlplakataussage sei es nicht abwegig, „in der Kombination von Bild und Text einen Vergleich der in Deutschland lebenden Polen mit krähenartigen Vögeln, ‚die sich über Geld hermachen‘, und hierdurch die […] Voraussetzungen eines Angriffs auf die Menschenwürde erfüllt zu sehen“. Das OVG M-V schließt eine Deutung des Bildes als überspitzte Darstellung zur 33 BVerfGE 93, 266, 295 f. (Hervorhebung nicht im Original). 34 BVerfG NJW 2009, 3503. 35 OVG M-V, Beschluss vom 19.09.2009 – 3 M 155/09 –, juris. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 12 Verdeutlichung einer politischen Auffassung aus und begründet den Verstoß gegen die Menschenwürde wie folgt: „Durch die Kombination der Bilddarstellung mit dem Text setzt der Antragsteller die in Deutschland lebenden polnischen Staatsangehörigen mit schwarzen Vögeln gleich, die sich in Art von Krähen oder vergleichbaren Vögeln über Geld hermachen. Dieser Personenkreis wird dadurch als raffgierig und ohne eigene Leistung sich bereichernd dargestellt. Insbesondere die auf einen objektiven Betrachter abstoßend wirkende Darstellung der Vögel hat zum Ziel, diese Bevölkerungsgruppe als minderwertig und verachtenswert zu charakterisieren . Diese Gleichsetzung erfolgt offensichtlich aus ausländerfeindlichen und damit aus verwerflichen Motiven. Eine irgendwie geartete sittlich achtenswerte Rechtfertigung für eine solche Meinungsäußerung ist nicht zu erkennen. Darin liegt ein Angriff auf die Menschenwürde anderer. Mit einer solchen Darstellung wird nicht mit den Mitteln einer Karikatur ein einzelner Wesens- oder Charakterzug eines Menschen oder eines durch einen solchen Wesenszug charakterisierten Teils der Bevölkerung überspitzt dargestellt, um durch die Überspitzung eine bestimmte politische Auffassung zu verdeutlichen, sondern die angesprochenen Personen sind als Gesamtpersönlichkeit gemeint; ihnen wird ihr Menschsein abgesprochen, und sie werden als unterwertig dargestellt.“36 Eine andere Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (VG Berlin) betrifft eine ordnungsbehördliche Untersagungsverfügung in Bezug auf zwei Wahlplakate.37 Das eine Plakat zeigt unter der Überschrift „Guten Heimflug“ drei gezeichnete ausländische Personen auf einem fliegenden Teppich sitzend, das andere Plakat zeigt den Bundesvorsitzenden der Partei auf einem Motorrad sitzend mit entsprechender Bekleidung und dem weiteren Zusatz „GAS geben!“. Bei der Prüfung, ob die inhaltlichen Aussagen der Wahlplakate Straftatbestände erfüllen (u.a. den Straftatbestand der Volksverhetzung), betont das VG Berlin die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die zutreffende Sinnermittlung der Wahlplakataussagen unter Berücksichtigung nicht strafbarer Deutungsalternativen. Im Rahmen dieser Sinnermittlung kommt das VG Berlin zu dem Ergebnis, die Wahlplakate enthielten auch nicht strafbare Deutungsalternativen, die nicht mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden könnten. Zur Deutung des Wahlplakats „Guten Heimflug“ wird ausgeführt: „Die mit dem Satz ‚Guten Heimflug‘ geäußerte Meinung, die bildlich dargestellten Bevölkerungsgruppen mögen die Bundesrepublik Deutschland verlassen und in ihre Heimatländer zurückkehren, mag ein politisches Ziel der Antragstellerin zum Ausdruck bringen; allerdings ist hieraus allein noch nicht erkennbar, dass damit Ausländern das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft bestritten und ihre Menschenwürde in Frage gestellt oder gar angegriffen wird. Das alleinige Bestreiten des Aufenthaltsrechts der Ausländer an sich genügt hierfür nicht (…).“38 Mit der Mehrdeutigkeit des Wahlplakats „Gas geben!“ geht das VG Berlin wie folgt um: 36 OVG M-V (Fn. 35), Rn. 24. 37 VG Berlin, Beschluss vom 07.09.2011, BeckRS 2011, 55483. 38 VG Berlin (Fn. 37), Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 13 „Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Antragstellerin, deren Angehörige sich selbst oft in die Nähe nationalsozialistischen Gedankenguts begeben, mit der Plakataufschrift durchaus bezweckt hat, Assoziationen zu den Gräueltaten der nationalsozialistischen Herrschaft , bei denen Menschen fabrikmäßig durch den Einsatz von Giftgas ermordet wurden, zu wecken. Jedoch ist ebenso nicht auszuschließen, dass sie damit auch nur auf eine eher volkstümliche Formulierung der Beschleunigung, hier von politischen Entscheidungsprozessen , hinweisen wollte. Die Formulierung ‚Gas geben‘ im Zusammenhang mit dem auf einem Motorrad sitzenden Bundesvorsitzenden der NPD kann deshalb gerade auch bedeuten , dass die Antragstellerin bestimmte politische Vorhaben schnell voranbringen, etwas bewegen und beschleunigen will. In einem solchen Fall der Mehrdeutigkeit dürfen Gerichte gerade nicht von der eine Strafbarkeit begründenden Deutung ausgehen, sofern sie nicht andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen haben. Ein Ausschluss der auf eine Forcierung politischer Entscheidungen abzielenden Deutung des hier streitigen Plakats ist mit tragfähigen Gründen aber nicht möglich.“39 In einem weiteren Fall hat das Verwaltungsgericht Kassel (VG Kassel) ebenfalls wegen nicht strafbarer Deutungsalternativen dem Begehren der betroffenen politischen Partei stattgegeben und angeordnet, ihre Wahlplakate wieder aufhängen zu lassen.40 Zur Deutung der Wahlplakate mit der Aufschrift „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ heißt es in der Entscheidung des VG Kassel: „Die Plakate mit der Aufschrift ‚Geld für die Oma statt für Sinti und Roma‘, auf denen außer dem Logo der Antragstellerin im Hintergrund das Konterfei einer älteren Frau zu sehen ist, könnten allenfalls eine Aufforderung zu Willkürmaßnahmen darstellen. Willkürmaßnahmen sind rechtswidrige, diskriminierende, auf Schädigung oder Benachteiligung abzielende Maßnahmen (…). Es ist denkbar, die Aussage des Plakats dahingehend auszulegen , dass den Sinti und Roma unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) und damit diskriminierend, rechtswidrig und willkürlich die ihnen zustehenden sozialen Leistungen genommen werden und das so ersparte Geld der älteren Generation zukommen soll. Genauso ist es denkbar, die Aussage des Plakats dahingehend auszulegen, dass weitere staatliche Mittel eher der älteren Generation als der Bevölkerungsgruppe der Sinti und Roma zukommen sollen; diese Forderung würde keine Volksverhetzung darstellen. Das Gericht sieht sich außer Stande, diese zweite Auslegungsvariante mit schlüssigen Gründen auszuscheiden.“ Die Judikate zeigen, dass es bei der rechtlichen Einordnung von Wahlplakaten maßgeblich auf die Deutungsebene ankommt. Zugleich wird aber auch deutlich, dass es sich bei der Deutung von Wahlplakaten, die nicht selten mit der Mehrdeutigkeit „spielen“, um einen schwierigen Vorgang handelt. Bei den Plakaten „Guten Heimflug“, „GAS geben!“, „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ hielten die Gerichte alternative, nicht strafbewehrte Deutungsmöglichkeiten für möglich. Beim Plakat „Polen-Invasion stoppen!” hingegen wurde die Möglichkeit einer überspitzten Darstellung ausgeschlossen und allein eine strafbewehrte Aussage angenommen. Welche Deutungen 39 VG Berlin (Fn. 37). 40 VG Kassel, Beschluss vom 09.09.2013 – 4 L 1117/13.KS, BeckRS 2013, 55607. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 184/17, WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 14 und Deutungsalternativen die Gerichte für maßgeblich oder für unmaßgeblich halten, lässt sich daher für den konkreten Einzelfall kaum einschätzen. In Bezug auf das eingangs erwähnte umstrittene Wahlplakat „Wir lassen die Luft raus aus der Asylpolitik“ wird ebenfalls die Deutungsebene entscheidend sein. Insoweit wird man eine Deutung in Betracht ziehen müssen, die auf eine restriktive Asylpolitik und auf das Kentern von Schlauchbooten unter Inkaufnahme des Todes von Flüchtlingen abzielt. Nach dieser Deutung hätte das Plakat zwei Aussagen, eine unproblematische politische Aussage zur Änderung der Asylpolitik und eine in Bezug auf die Menschenwürde problematische Aussage zum Lebensrecht von Flüchtlingen. Mehrfache Aussagen sind aber nicht gleichzusetzen mit mehrdeutigen Aussagen. So würde die problematische Aussage zum Lebensrecht von Flüchtlingen nicht schon dadurch relativiert, dass das Plakat auch eine unproblematische Aussage zur Asylpolitik enthält. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Deutung von Meinungsäußerungen sind aber auch Deutungsalternativen zu prüfen. Insoweit wird man Deutungen der Text- und Bildaussagen des Wahlplakats in Betracht ziehen müssen, die nicht auf das tatsächliche Kentern von Flüchtlingsschlauchbooten abzielen, sondern die für solche Änderungen der Asylpolitik stehen, die Flüchtlingen generell die Möglichkeiten und Anreize zur Flucht entziehen sollen, z.B. durch verschärfte Grenzsicherungen oder durch Abschaffung des Asylgrundrechts. ***