© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 184/16 Einsatz der Bundeswehr im Innern Übernahme von hoheitlichen Aufgaben der Polizei durch die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 184/16 Seite 2 Einsatz der Bundeswehr im Innern Übernahme von hoheitlichen Aufgaben der Polizei durch die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 184/16 Abschluss der Arbeit: 27. Juli 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 184/16 Seite 3 1. Einleitung Gefragt wird nach der Möglichkeit der Übernahme von hoheitlichen Aufgaben der Polizei durch die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe vor dem Hintergrund der Debatten um das neue Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik 20161 sowie der Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2012.2 2. Verfassungsrechtliche Regelungen zur Amtshilfe und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz der Bundeswehr im Innern Nach den Regeln des Grundgesetzes ist für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit nach Art. 91 Abs. 2 GG vorrangig die Polizei zuständig. Aufgabe der Streitkräfte ist hingegen gemäß Art. 87a Abs. 1 Grundgesetz (GG) in erster Linie die Verteidigung, d.h. die Abwehr eines Angriffes auf das Bundesgebiet von außen. Die Frage nach den Befugnissen der Bundeswehr, in dem Fall, dass sie der Polizei „allgemeine“ Amtshilfe leistet, ist vergleichsweise einfach zu beantworten. Die Bundeswehr kann im Rahmen der Amtshilfe im Innern nach Art. 35 Abs. 1 GG eingesetzt werden. Amtshilfe ist der ergänzende Beistand, den eine Behörde auf Ersuchen einer anderen Behörde leistet, um dieser die Durchführung ihrer öffentlichen Aufgaben zu ermöglichen oder zu erleichtern.3 Einfachgesetzlich ist die Amtshilfe in den §§ 4 ff. VwVfG4 geregelt. Auch der militärische Teil der Bundeswehr ist eine Behörde in diesem Sinne, die zur Amtshilfe verpflichtet werden kann.5 Liegen alle Voraussetzungen für die Leistung von Amtshilfe vor,6 darf die ersuchte Behörde im Rahmen der Amtshilfe, hier die Bundeswehr, jedoch nur solche Aufgaben wahrnehmen, die der ersuchenden Behörde, hier der Polizei, zustehen.7 Dies gilt auch für hoheitliche Maßnahmen. Folglich darf danach die Bundeswehr, wenn sie der Polizei allgemeine Amtshilfe leistet, auch hoheitliche Maßnahmen 1 Das Weißbuch vom 13. Juli 2016 ist auf der Internetseite der Bundesministeriums der Verteidigung veröffentlicht : https://www.bmvg.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzIz- MDMwMzAzMDMwMzAzMDY5NzE3MzM0Nzc2YzYyMzcyMDIwMjAyMDIw/Weissbuch2016_barrierefrei.pdf. 2 BVerfGE 132, 1 – 39. 3 BVerfG (K) NVwZ 2011, 1254, 1255; Bauer, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 3. Auflage 2015, Art. 35 Rdnr. 13 m.w.N. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010) geändert worden ist. 5 Dazu ausführlich Dietz, Die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes für Amtshilfe- und Unterstützungsmaßnahmen sowie Einsätze der Bundeswehr, DÖV 2012, 952, 953 m.w.N. 6 Siehe dazu neben Art. 35 Abs. 1 GG insbesondere die einfachgesetzlichen Voraussetzungen der Amtshilfe in den §§ 4 ff. VwVfG. 7 von Danwitz, von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 6. Auflage 2010, Art. 35 Rdnr. 22; Bauer, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 3. Auflage 2015, Art. 35 Rdnr. 19 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 184/16 Seite 4 übernehmen, jedoch nur solche, die auch die Polizei zulässigerweise durchführen dürfte. Militärische Mittel darf sie somit nicht einsetzen. Bei der in der Frage angesprochenen Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2012 ging es im Schwerpunkt um den Einsatz der Bundeswehr im Innern bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen im Sinne von Art. 35 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG (sog. Katastrophennotstand). Diese Verfassungsnormen sehen Sonderfälle bundesstaatlicher Hilfe vor.8 In diesem Rahmen unterliegt der Einsatz der Bundeswehr sehr strengen Voraussetzungen. Nach tradierter Auffassung des Bundesverfassungsgerichts9 war der Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG in Anlehnung an die Möglichkeiten der allgemeinen Amtshilfe auf diejenigen Mittel beschränkt, die nach dem Gefahrenabwehrrecht auch der Polizei zur Verfügung stehen . Der Einsatz spezifisch-militärischer Waffen war somit auch im Rahmen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG ausgeschlossen. Mit der Plenarentscheidung vom 3. Juli 2012, dem die abstrakte Frage der Zulässigkeit eines Einsatzes der Streitkräfte zur Abwehr besonders schwerer von Luftfahrzeugen ausgehender Unglücksfälle zu Grunde lag, gab das BVerfG seine bisherige Auffassung jedoch auf. Der Einsatz spezifisch -militärischer Waffen durch die Streitkräfte ist seitdem im Rahmen Art. 35 Abs. 2 und 3 GG unter engen Grenzen grundsätzlich zulässig. Allerdings dürfen einerseits die strengen Anforderungen eines Einsatzes der Streitkräfte nach Art. 87a Abs. 4 GG (sog. innerer Notstand) nicht umgangen werden. Nach Art. 87 a Abs. 4 GG ist ein Einsatz der Streitkräfte insbesondere zur Unterstützung der Polizei bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer zwar erlaubt. Dies gelte allerdings nur im Hinblick auf die Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche-demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes . Andererseits dürften die Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG (sog. Katastrophennotstand ) nur in besonders schweren Unglücksfällen katastrophischer Dimension10 eingesetzt werden . Seit der Änderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2012 ist somit ein Einsatz spezifisch-militärischer Waffen durch die Streitkräfte in Innern nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG unter den engen Grenzen des Art. 87 a Abs. 4 GG bei Gefährdung der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung und in Unglücksfällen katastrophischen Ausmaßes zulässig. 3. Aussagen zum Einsatz der Bundeswehr im Innern im Weißbuch 2016 Das Weißbuch 2016 der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr wurde am 13. Juli 2016 vom Bundeskabinett verabschiedet. Hinweise zum Einsatz der Bundeswehr im Innern und der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben finden sich an zwei Stellen im Weißbuch. So werden im Kapitel 5.3 allgemein die Aufgaben der Bundeswehr11 unter anderem 8 Danwitz, von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 6. Auflage 2010, Art. 35 Rdnr. 25. 9 BVerfGE 115, 118. 10 BVerfGE 132, 1 (16-17). 11 Weißbuch 2016 (Fn. 1), S. 92. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 184/16 Seite 5 als Hilfeleistung in Fällen von Naturkatastrophen, schweren Unglücksfällen und bei innerem Notstand sowie zur Amtshilfe und als Beiträge zur Terrorabwehr im Rahmen der verfassungsmäßigen Voraussetzungen beschrieben. Ferner wird unter Kapitel 8.1 „Rechtliche Rahmenbedingungen“12 ausgeführt, dass die Streitkräfte im Inland im Rahmen der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG tätig werden können, diese aber auf technisch-logistische Unterstützung - unterhalb der Schwelle zum Einsatz - beschränkt sei. Zwangsmaßnahmen und die Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch die Bundeswehr seien auf dieser Grundlage nicht zulässig. Allerdings sei ein Einsatz der Streitkräfte gemäß Art. 35 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen, deren Vorliegen auch bei terroristischen Großlagen in Betracht komme, zulässig. Laut Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dürften die Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte bei der wirksamen Bekämpfung des Unglücksfalls unter engen Voraussetzungen auch hoheitliche Aufgaben unter Inanspruchnahme von Eingriffsund Zwangsbefugnissen wahrnehmen. Des Weiteren könnten die Streitkräfte nach Art. 87a Abs. 3 GG im Verteidigungs- und Spannungsfall für Aufgaben des Objektschutzes und der Verkehrsregelung sowie im Falle des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 GG eingesetzt werden. 4. Bewertung der Aussagen des Weißbuchs 2016 im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG Die Aussagen im Weißbuch 2016 zum Einsatz der Bundeswehr im Innern sowie deren Möglichkeiten zur Wahrnehmung von hoheitlichen Aufgaben unter Inanspruchnahme von Eingriffs- und Zwangsbefugnissen sind sehr allgemein gehalten. Im Ergebnis dürften diese Aussagen den verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie das Bundesverfassungsgericht insbesondere in seiner Plenarentscheidung aus dem Jahr 2012 konkretisiert hat, entsprechen. Ende der Bearbeitung 12 Weißbuch 2016 (Fn. 1), S. 110.