Deutscher Bundestag Meldepflicht für Soldaten am dienstlichen Wohnsitz Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 184/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 184/12 Seite 2 Meldepflicht für Soldaten am dienstlichen Wohnsitz Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 184/12 Abschluss der Arbeit: 21. Juni 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 184/12 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung Mit der Föderalismusreform I ist die Gesetzgebungszuständigkeit für das gesamte Meldewesen in die Zuständigkeit des Bundes überführt worden. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens (MeldFortG)1 soll das bisher gültige Melderechtsrahmengesetz (MRRG)2 mit den Vorschriften der Landesgesetze zusammenführen. In § 27 Abs. 1 Nr. 5 MeldFortG-E (Gesetzentwurf) ist für Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit eine Ausnahme von der Meldepflicht an ihrem Dienstort vorgesehen, wenn sie bereits für eine Wohnung im Inland gemeldet sind und eine Gemeinschaftsunterkunft oder eine andere dienstlich bereitgestellte Unterkunft beziehen. Diese Abweichung von § 15 Abs. 1 Nr. 2 MRRG, der ein Absehen von einer Meldepflicht nur für den Fall eines Aufenthaltes von bis zu sechs Monaten vorsah , wird mit den zu erwartenden Erleichterungen für die betroffenen Personen sowie mit dem Abbau von Bürokratiekosten begründet. Allerdings könne es zu einer Minderung der Einwohnerzahl in Kommunen mit Standorten der Bundeswehr kommen.3 Derzeit liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP im Innenausschuss des Deutschen Bundestages vor, der unter anderem § 27 Abs. 1 Nr. 5 MeldFortG-E so ergänzt, dass die alte Rechtslage nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 MRRG wiederhergestellt wird. Vorliegend soll geprüft werden, ob eine Meldepflicht am Dienstort für Berufssoldaten, insbesondere für Angehörige der Marine, gegen die Grundrechte dieser Soldaten verstößt. 2. Möglicher Verstoß der Meldepflicht am Dienstort gegen Art. 3 Abs. 1 GG Art. 3 Abs. 1 GG enthält das Gebot, „weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln.“4 Nach den Bestimmungen des MeldFortG-E in der Fassung des Änderungsantrages müssen sich künftig Soldaten, die länger als sechs Monate eine Unterkunft an ihrem Dienstort beziehen, an diesem Dienstort anmelden, §§ 17, 27 Abs. 1 MeldFortG-E. Auch die Unterkunft an Bord eines Schiffes der Marine gilt als eine Wohnung im Sinne des MeldFortG-E. Soweit die Soldaten eine weitere Wohnung nutzen, wird die vorwiegend genutzte Wohnung die Haupt-, jede weitere Wohnung eine Nebenwohnung, § 21 MeldFortG-E. In Zweifelsfällen wird als Hauptwohnung die Wohnung bestimmt, in der der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners liegt, § 22 Abs. 3 MeldFortG-E. Bei verheirateten oder in Lebenspartnerschaft lebenden Soldaten ist die Hauptwohnung die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie oder Lebenspartner, § 22 Abs. 1 MeldFortG-E. Bei ledigen Soldaten gilt diese Vermutung nicht, so dass der Hauptwohnsitz die 1 BT-Drs. 17/7746. 2 Melderechtsrahmengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 2002 (BGBl. I S. 1342), das zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 28. April 2011 (BGBl. I S. 678) geändert worden ist. 3 Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 17/7746, S. 40. 4 BVerfGE 4, 144, 155; 86, 81, 87, st. Rspr. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 184/12 Seite 4 Wohnung ist, an der er sich am häufigsten aufhält, was angesichts der Dienstverpflichtungen von Soldaten und insb. von Soldaten der Marine der Dienstort bzw. Liegeort des Schiffes sein kann. Die Meldevorschriften behandeln daher ledige und verheiratete Berufssoldaten ungleich. Diese Ungleichbehandlung müsste mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sein. Die Ungleichbehandlung der beiden Gruppen muss auf „sachgerechten Erwägungen“5 beruhen und bedarf einer sachlichen Rechtfertigung. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist anerkannt, dass der Gesetzgeber zur Ordnung von Massenerscheinungen „generalisierende , typisierende und pauschalisierende Regelungen“ verwenden kann, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen.6 Bei der Regelung von Meldeangelegenheiten handelt es sich um die Ordnung von Massenerscheinungen. Dem Gesetzgeber steht bei der Regelung von Meldeangelegenheiten ein weiter Ermessensspielraum zu, da das Melderecht in erster Linie Ordnungsaufgaben erfüllt, die im öffentlichen Interesse liegen, und den Einzelnen allenfalls geringfügig berühren.7 Die Regelung des § 22 Abs. 1 MeldFortG-E erlaubt ebenso wie die Vorgängervorschrift des § 12 Abs. 2 MRRG „im Regelfall die rasche und zuverlässige Bestimmung der Hauptwohnung nach dem Ort der vorwiegend benutzten Familienwohnung, ohne dass es eines Rückgriffs auf das wesentlich schwerer zu handhabende Kriterium des Schwerpunktes der Lebensbeziehungen bedürfe.“8 Sollte in bestimmten Einzelfällen die Vermutung nicht zutreffen, würde die Regelung nicht zu einer unzumutbaren Härte für den Betroffenen führen. Ferner könnten solche Härten, die sich aus der Anknüpfung anderer Rechtsvorschriften an das Melderecht ergeben, bei Ausgestaltung und Anwendung dieser Rechtsvorschriften behoben werden.9 Für die Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1 MeldFortG-E mit dem Gleichheitsgrundsatz spricht ferner, dass das Melderecht ledigen Soldaten die Möglichkeit belässt nachzuweisen, dass bei einer quantitativen Berechnung die vorwiegend benutzte Wohnung – und damit Hauptwohnung – nicht am Dienstort, sondern an einem anderen Ort liegt. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot durch die im Änderungsantrag vorgeschlagene neue Fassung des § 27 Abs. 1 Nr. 5 MeldFortG-E ist nicht ersichtlich. 5 BVerfGE 74, 182, 200. 6 BVerfGE 100, 138, 174. 7 BVerwG NJW 2002, 2579, 2580. 8 BVerwG NJW 2002, 2579, 2580; vgl. auch zu § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Einkommenssteuergesetz BFH, NJW 1995, 982, 984. 9 BVerwG NJW 1999, 2688. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 184/12 Seite 5 3. Möglicher Verstoß gegen das Wahlrecht, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG Ferner könnte ein Verstoß gegen das in Art. 38 GG verbürgte Wahlrecht vorliegen. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verbürgt unter anderem die Allgemeinheit der Wahl. Dieser Grundsatz gebietet, dass grundsätzlich jeder Deutsche sein Wahlrecht in möglichst gleicher Weise soll ausüben können.10 Er schließt Beschränkungen des Wahlrechts oder der Wahlrechtsausübung nicht aus. Ausnahmen sind vielmehr zulässig, sofern es hierfür einen zwingenden Grund gibt.11 Als mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl vereinbar gilt, das Wahlrecht an die Sesshaftigkeit in der Bundesrepublik Deutschland – also an die Innehabung einer Wohnung oder einen sonstigen gewöhnlichen Aufenthalt – zu knüpfen.12 Diese Anknüpfung wird gerechtfertigt mit der Notwendigkeit, die doppelte Ausübung des Wahlrechts zu verhindern und mit einer Vertrautheit des Wählers mit den politischen Verhältnissen des Wahlgebiets. Auch die Anknüpfung des Wahlrechts in § 17 BWahlO13 an den Wahlbezirk, in dem die Hauptwohnung liegt, ist in verfassungsgemäßer Weise erfolgt.14 Das Wahlrecht soll nur an dem Wohnort ausgeübt werden, an dem der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen besteht und damit auch die Beziehungen zur örtlichen Gemeinschaft längerfristig und besonders eng sind. Durch den objektivierten Hauptwohnungsbegriff werden Manipulationen bei der Wahl – durch gezielten Zuzug in Wahlkreise, um personelle oder parteiliche Wahlerfolge sicherzustellen – wesentlich erschwert. Soweit Soldaten den Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen an einem anderem Ort als dem Standort haben und dort auch eine Wohnung nutzen, die sie nach quantitativen Kriterien vorwiegend gegenüber der Unterbringung am Dienstort nutzen, können sie ihre Hauptwohnung dort anmelden und erhalten dort das Wahlrecht. Ein Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 GG ist nicht ersichtlich . 4. Möglicher Verstoß gegen die Freizügigkeit der Soldaten gemäß Art. 11 Abs. 1 GG Art. 11 GG umfasst für jeden Deutschen das Recht, innerhalb des Bundesgebietes Wohnung und Aufenthalt zu nehmen.15 Unstreitig ist auch das Recht umfasst, mehrere Wohnungen im Bundes- 10 BVerfGE 58, 202 (205); Klein in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, 64. EL 2012, Art. 38 Rn. 88 (60. EL 2010). 11 Schreiber, BWahlG – Kommentar, 8. Aufl. 2009, § 12 Rn. 3. 12 BVerfGE 5, 2, 6; 58, 202, 205; Klein in: Maunz/Dürig (Fn. 10), Art. 38 Rn. 92 (60. EL 2010) m.w.N.; Schreiber (Fn. 11), §. 12 Rn. 4. 13 Bundeswahlordnung (BWO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 2002 (BGBl. I S.1376), zuletzt geändert durch Art. 1 der Zweiten Verordnung zur Änderung der Bundeswahlordnung und der Europawahlordnung vom 3. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2378). 14 Schreiber (Fn. 11), § 12 Rn. 17 mit Nachweisen der Rechtsprechung. 15 BVerfGE 110, 177, 190, st. Rspr. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 184/12 Seite 6 gebiet zu nehmen.16 In dieses Recht greifen §§ 17, 22 und 27 MeldFortG-E in der Fassung des Änderungsantrags nicht ein, da sie nicht das Recht beschränken, mehrere Wohnsitze zu nehmen .17 Auch ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Freizügigkeit ist damit nicht ersichtlich. 16 Durner in: Maunz/Dürig (Fn. 10), Art. 11 Rn. 76. 17 Vgl. BVerfG DVBl. 1993, S. 601, 602 zu § 12 MRRG.