© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 183/19 Alternativen zu einer Grundgesetzänderung für die Regelung der Gesetzgebungskompetenz im Grundsteuer- und Bewertungsrecht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 183/19 Seite 2 Alternativen zu einer Grundgesetzänderung für die Regelung der Gesetzgebungskompetenz im Grundsteuer- und Bewertungsrecht Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 183/19 Abschluss der Arbeit: 26. Juli 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 183/19 Seite 3 1. Einleitung Der Sachstand befasst sich im Hinblick auf die anstehende Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts mit Fragen der Gesetzgebungskompetenz. Das Bundesverfassungsgericht hat die bestehenden Regelungen des Grundsteuer- und Bewertungsrechts mit Urteil vom 10. April 2018 für verfassungswidrig erklärt und eine Frist zur Neuregelung bis zum 31. Dezember 2019 gesetzt.1 Die Bundesregierung hat im Juni 2019 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes (GG) in den Bundestag eingebracht, nach welcher die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz in Art. 105 Abs. 2 GG ausdrücklich dem Bund zugewiesen werden soll, ohne dass es künftig auf die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG ankäme.2 Die Länder erhielten zudem in Art. 72 Abs. 3 GG die Möglichkeit nach einer bestimmten Frist von den bundesgesetzlichen Grundsteuerregelungen abzuweichen.3 Der Gesetzentwurf benennt als einfachgesetzliche Optionen anstelle der geplanten Grundgesetzänderung zum einen, dass der Bundesgesetzgeber mittels eines Freigabegesetzes bestimmen könnte, dass das Grundsteuer- und Bewertungsrecht in vollem Umfang durch Landesrecht ersetzt werden kann. 4 Als zweite Möglichkeit könnte der Bundesgesetzgeber die bestehenden Regelungen des Grundsteuer- und Bewertungsrechts aufheben. Im Folgenden wird ein Überblick über die kompetenzrechtlichen Grundlagen dieser Optionen gegeben. 2. Einfachgesetzliche Alternativen zu einer Änderung des Grundgesetzes 2.1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes Nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 3 a. F. und Art. 72 Abs. 2 GG a.F. GG hatte der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für den ursprünglichen Erlass der Regelungen zur Grundsteuer. Diese Gesetzgebungskompetenz erfasste auch die Kompetenz für die Regelung ihrer Bemessungsgrundlage und dazu erforderlicher Bewertungsregeln.5 Seit der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG im Jahr 1994 hat der Bund über die ihm im GG ausdrücklich zugewiesenen Bereiche hinaus nur die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz, wenn und soweit eine bundesgesetzliche Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechtsoder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich ist. Eine ausdrückliche Regelung zur Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der Grundsteuer beinhaltet das GG derzeit 1 BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 -, juris. 2 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 72, 105, 125b) vom 25. Juni 2019, BT- Drs. 19/11084. 3 Hierzu Greve, Verfassungsrechtliche Anforderungen an eine Länderöffnungsklausel im Rahmen der Novellierung der Grundsteuer, in: NVwZ 2019, S. 701, 703 f. 4 Gesetzentwurf vom 25. Juni 2019, BT-Drs. 19/11084, S. 2 f. 5 BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 –, juris, Rn. 82 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 183/19 Seite 4 nicht. In der Literatur ist die Kompetenz des Bundes zur Neuregelung der Grundsteuer daher umstritten .6 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage in seiner Entscheidung zur Grundsteuer ausdrücklich offengelassen und darauf verwiesen, dass sich diese jedenfalls entweder aus Art. 105 Abs. 2 i. V. m. Art. 72 Abs. 2 GG oder aber aus Art. 125a Abs. 2 S. 1 GG ergibt.7 Sofern man annimmt, dass aus Art. 105 Abs. 2 i. V. m. Art. 72 Abs. 2 GG eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Grundsteuerrecht folgt, umfasst diese sowohl die vollständige Neuregelung als auch die Aufhebung der bundesrechtlichen Bestimmungen zur Grundsteuer. Im letzten Fall hätten die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG die Kompetenz, eigene Grundsteuergesetze zu erlassen. Sofern eine bundeseinheitlichen Regelung nicht mehr erforderlich sein sollte (Art. 72 Abs. 2 GG), könnte der Bund gemäß Art. 72 Abs. 4 GG aber auch durch ein Freigabegesetz bestimmen, dass die betreffende Regelung durch Landesrecht ersetzt werden kann. Geschieht dies nicht, gilt die bundesgesetzliche Regelung fort. Wenn derzeit keine Kompetenz des Bundes zur Neuregelung des Grundsteuerrechts bestehen sollte, ordnet aber jedenfalls Art. 125a Abs. 2 S. 1 GG die grundsätzliche Fortgeltung des bestehenden Bundesrechts an. Der Bund besitzt auch eine begrenzte Änderungs- und Fortschreibungskompetenz , bei der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch die wesentlichen Elemente der in dem fortgeltenden Bundesgesetz enthaltenen Regelungen beibehalten werden müssen.8 Eine grundlegende Neukonzeption der Grundsteuer einschließlich der Einheitsbewertung für Grundbesitz könnte damit nicht auf Art. 125a Abs. 2 S. 1 GG gestützt werden und fand seit der Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG im Jahr 1994 auch nicht statt.9 Die bestehenden Regelungen könnten aber durch den Bundesgesetzgeber aufgehoben werden.10 Nach Art. 125a Abs. 2 S. 2 GG kann der Bund zudem durch Gesetz bestimmen, dass das Bundesrecht durch Landesrecht ersetzt werden kann. Mit einem solchen Freigabegesetz können die Länder zur vollständigen oder partiellen11 Ersetzung der bisherigen bundesrechtlichen Bestimmungen durch Landesgesetze ermächtigt werden.12 Nach dem Wortlaut des Art. 125a Abs. 2 S. 2 GG („kann“) steht der Erlass eines solchen Freigabegesetzes im Ermessen des Bundesgesetzgebers. Hat der Bund be- 6 Einen Überblick zur Frage der aktuellen Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer gibt der Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste zum Thema: Öffnungsklausel für abweichende Landesgesetzgebung bei einer reformierten Grundsteuer, WD 4 – 3000 – 076/19, S. 4 ff. 7 BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 –, juris, Rn. 87 ff. 8 BVerfG, Urteil vom 9. Juni 2004 – 1 BvR 636/02 –, juris, Ls 1. 9 Schmidt, Gesetzgebungskompetenz zur Neuregelung der Grundsteuer, in: NVwZ 2019, S. 103, 104 f. 10 Seiler, in: Epping/Hillgruber, GG, 41. Auflage, Stand: 15.2.2019, Art. 125a Rn. 4. 11 Zur Zulässigkeit der Übertragung lediglich einzelner Regelungsbereiche vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Februar 2004, - 2 BvR 834/02 -, juris, Rn. 157; Wolff, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Auflage 2018, Art. 125a Rn. 39. 12 Uhle, in: Maunz/Düring, GG, 86. EL Januar 2019, Art. 125a, Rn. 44 ff.; Schmidt, Gesetzgebungskompetenz zur Neuregelung der Grundsteuer, in: NVwZ 2019, S. 103, 104 f.. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 183/19 Seite 5 stimmte Regelungsbereiche freigegeben, sind die Länder jedoch nicht zur Schaffung landesrechtlicher Bestimmungen verpflichtet. Das Bundesrecht gilt vielmehr solange fort, bis das Land eigene Regelung trifft.13 *** 13 Uhle, in: Maunz/Düring, GG, 86. EL Januar 2019, Art. 125a, Rn. 46 f.