© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 – 183/14 Aberkennung der Ehrenbürgerwürde von NS-Kriegsverbrechern Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 – 183/14 Seite 2 Aberkennung der Ehrenbürgerwürde von NS-Kriegsverbrechern Verfasser: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 – 183/14 Abschluss der Arbeit: 5. September 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 – 183/14 Seite 3 1. Vorbemerkung Auch 70 Jahre nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes hält der politische Diskurs um die Frage der Aberkennung der Ehrenbürgerschaften von NS-Kriegsverbrechern an. Adolf Hitler war zu Lebzeiten Ehrenbürger in ca. 4.000 Städten und noch heute ist der Umgang mit dem Thema der Aberkennung dieser Ehre in vielen Städten und Gemeinden umstritten.1 In den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nahmen viele Gemeinden eine Aberkennung vor, wie zum Beispiel 1945 die Stadt Uetersen und 1948 die Stadt Berlin. Darüber hinaus fanden bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts nur vereinzelte Entziehungen der Ehrenbürgerwürde statt – in vielen Städten und Gemeinden waren diese Anerkennungen in Vergessenheit geraten. Erst in den letzten Jahren distanzierten sich deutsche Kommunen rein symbolisch von der Ehrenbürgerschaft Adolf Hitlers, so 2013 in Goslar2 und 2014 in Bad Oyenhausen.3 Diesem symbolischen Schritt schlossen sich nicht alle betroffenen Städte und Gemeinden ungeteilt an. Gegen die Entziehung der Ehrenbürgerwürde wird dabei das Argument angeführt, dass Geschichte nicht nachträglich geändert werden sollte. Außerdem sei eine solche Aberkennung juristisch nicht möglich, da die Ehrenbürgerschaft oft bereits mit dem Tod erloschen sei und somit nicht mehr existiere. Dem wird wiederum entgegengehalten, dass eine zusätzliche deklaratorische Aberkennung als Schritt der Distanzierung erforderlich sei.4 Mit der vorliegenden Arbeit wird einerseits der Charakter der Akte der Verleihung und Entziehung von Ehrenbürgerschaften untersucht und andererseits der Frage nachgegangen, ob sich in der Geschichte der Bundesrepublik der Parlamentarische Rat, Bundestag oder Bundesrat zur Frage der Aberkennung von Ehrenbürgerschaften konstitutiv oder deklaratorisch positioniert haben. 2. Rechtliche Situation 2.1. Gesetzgebungskompetenz Die Gesetzgebungskompetenz für Regelungen über die Verleihung, Aberkennung und Entziehung von Ehrenbürgerschaften liegt bei den Bundesländern. Diese setzen gemäß Art. 70 Abs. 1 Grund- 1 Lästige Vergangenheitsbewältigung, Süddeutsche Zeitung vom 16. Oktober 2008, online verfügbar unter: http://www.sueddeutsche.de/panorama/ehrenbuerger-hitler-laestige-vergangenheitsbewaeltigung-1.826248 (zuletzt abgerufen am: 5. September 2014). 2 NS-Vergangenheit: Adolf Hitler ist nicht mehr Ehrenbürger von Goslar, Spiegel Online vom 30. Oktober 2013, online verfügbar unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/adolf-hitler-ist-kein-ehrenbuerger-von-goslarmehr -a-930777.html (zuletzt abgerufen am: 5. September 2014). 3 Stadt streicht Adolf Hitler von Ehrenbürgerliste, die Welt vom 8. Mai 2014, online verfügbar unter. http://www.welt.de/regionales/duesseldorf/article127768972/Stadt-streicht-Adolf-Hitler-von- Ehrenbuergerliste.html (zuletzt abgerufen am: 5. September 2104). 4 Dietramszell distanziert sich, Bayerischer Rundfunk vom 18. Dezember 2013, online verfügbar unter: http://www.br.de/nachrichten/oberbayern/dietramszell-hitler-hindenburg-ehrenbuerger-100.html (zuletzt abgerufen am: 5. September 2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 – 183/14 Seite 4 gesetz5 (GG) das Kommunalverfassungsrecht6 (Gemeindeordnungen), in dem in der Mehrzahl der Bundesländer die einschlägigen Bestimmungen verankert sind. Ist dies nicht der Fall, ergibt sich die Verleihungsbefugnis der Gemeinden aus ihrem verfassungsrechtlich verbürgten Selbstverwaltungsrecht gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.7 2.2. Akt der Verleihung und der Entziehung einer Ehrenbürgerschaft Die Verleihung einer Ehrenbürgerschaft ist ein begünstigender und mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt i.S.d. §§ 35 S.1, 48 Abs. 1 S. 2 der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder8 (LVwVfG). Mit dieser muss sich die geehrte Person einverstanden erklären.9 Die Entziehung der Ehrenbürgerschaft stellt einen belastenden Verwaltungsakt dar und benötigt somit eine rechtliche Grundlage. Diese Ermächtigungsrundlage findet sich spezialgesetzlich in der jeweiligen Kommunalordnung, andernfalls erfolgt die Entziehung nach allgemeinem Verwaltungsrecht gemäß § 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 4 LVwVfG.10 2.3. Akt der posthumen Aberkennung einer Ehrenbürgerschaft Der rechtliche Charakter einer posthumen Aberkennung der Ehrenbürgerschaft ist rechtswissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Mit dem Tod der geehrten Person erlischt die Ehrenbürgerschaft ohnehin, da es sich um ein höchstpersönliches Recht handelt. Der Akt der Verleihung erledigt sich hier gemäß § 43 Abs. 2 LVwVfG „auf andere Weise“; einer Aufhebung bedarf es nicht. Davon ausgenommen sind mit der Ehrung verbundene Rechte wie die Eintragung im Ehrenbuch der Stadt und ein Ehrengrab.11 In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird erörtert, die häufig geforderte und bereits praktizierte zusätzliche symbolische Aberkennung im Fall von NS-Kriegsverbrechern könnte als feststellender Verwaltungsakt zu qualifizieren sein. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass in diesem Fall der konkretisierte, abgrenzbare personale Adressatenkreis fehle, an den sich diese Maßnahme richten würde; dabei handele es sich um Voraussetzungen, die durch die von den 5 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) 6 Art. 70 Abs. 1 GG weist den Ländern unbenannte Gesetzgebungsbefugnisse zu, die vor dem Hintergrund der grundgesetzlich enumerativ umschriebenen Bundeszuständigkeiten konkretisierbar sind. Nach der Norm steht den Ländern die Gesetzgebungsbefugnis auf jenen Sachgebieten zu, die nicht nach Maßgabe der grundgesetzlichen Bestimmungen dem Bund zugewiesen sind oder die – im Falle einer konkurrierenden Zuständigkeit – nicht vom Bund in Anspruch genommen werden. Zu den Subtatbeständen der Kompetenzgeneralklausel von Art. 70 Abs. 1 GG gehört auch das Kommunalverfassungsrecht. Vgl. Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 70. Ergänzungslieferung 2013, Art. 70 GG, Rn. 104. 7 Barczak, DÖV 2014, 643, 651. 8 Die Bestimmungen der §§ 35 und 48 des bundesrechtlichen Verwaltungsverfahrensgesetzes und der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder stimmen – mit Ausnahme einer redaktionellen Abweichung in Schleswig Holstein – überein. Vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 35, Rn. 364, § 48 Rn. 290. 9 Barczak, DÖV 2014, 643, 652. Als Ausnahme wird das Land Brandenburg aufgeführt, das auch eine posthume Verleihung zulässt. 10 Barczak, DÖV 2014, 643, 652. 11 Barczak, DÖV 2014, 643, 653. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 – 183/14 Seite 5 Kommunen praktizierte öffentliche Bekanntmachung im Amtsblatt und auf der offiziellen Verwaltungswebsite nicht erfüllt werden. Die Aberkennung einer Ehrenbürgerschaft als symbolischer Akt nach dem Tod des Geehrten wird schließlich als schlicht-hoheitlicher Verwaltungsakt charakterisiert.12 3. Historischer Rückblick auf allgemeine Bestimmungen zur Aberkennung 3.1. Die 38. Direktive des Alliierten Kontrollrates Art. 8 Abs. 2 lit. i der 38. Kontrollratsdirektive (KRD)13 sah vor, dass sog. sonstige Hauptschuldige 14 i.S.d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 KRD, alle ihnen erteilten Approbationen, Konzessionen und Vorrechte verlieren können. Diese Entziehung gehörte zu einem Katalog von Sühnemaßnahmen, die gegen sonstige Hauptschuldige verhängt werden konnten. Zu den von der Bestimmung erfassten Vorrechten zählten auch Ehrenbürgerschaften. Für deren Aberkennung war die gerichtliche Entscheidung einer Spruchkammer erforderlich, die in einem dem Strafprozess ähnlichen Verfahren herbeizuführen war.15 Ein solches Verfahren war gegen Verstorbene nicht durchführbar, folglich konnten beispielsweise die Ehrenbürgerschaften Hitlers nicht auf dieser Grundlage entzogen bzw. aberkannt werden. Die Direktive wurde 1955 für die Bundesrepublik Deutschland außer Wirkung gesetzt durch Art. 2 des Gesetzes Nr. A-37 der Alliierten Hohen Kommission vom 5. Mai 1955 (ABl. AHK S. 3268). Die gleiche Entscheidung fällte der Ministerrat der UdSSR für die DDR mit seinem Beschluss vom 20. September 1955 über die Auflösung der Hohen Kommission der Sowjetunion in Deutschland.16 3.2. Keine Positionen des Bundestages und des Bundesrates Wie bereits ausgeführt, hat der Bund keine Gesetzgebungskompetenz für Regelungen zur Verleihung und Aberkennung von Ehrenbürgerschaften. Folglich scheiden gesetzgeberische Aktivitäten im Bundesparlament aus. Eine Recherche des Referats Parlamentsdokumentation der Verwaltung des Deutschen Bundestages in den parlamentarischen Dokumenten und Plenarprotokollen zu Positionen hinsichtlich der Frage der Verleihung oder Aberkennung von Ehrenbürgerschaften blieb ohne Ergebnis. 12 Barczak, DÖV 2014, 643, 654. 13 Direktive Nr. 38 des Alliierten Kontrollrats vom 12. Oktober 1946 über die Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen, Textfassung online verfügbar unter: http://www.verfassungen.de/de/de45- 49/kr-direktive38.htm (zuletzt abgerufen am 5. September 2014). 14 Die Bestimmung differenziert zwischen Hauptschuldigen, die wegen Kriegsverbrechen verurteilt wurden (Art. VIII Abs. 1 KRD) und sonstigen Hauptschuldigen (Art. VIII Abs. 2 S. 1 KRD), für die ein Katalog von Sühnemaßnahmen vorgesehen war, die nach dem Grad der individuellen Verantwortlichkeit verhängt werden konnten (Art. VII KRD). 15 Barczak, DÖV 2014, 643, 645. 16 Vgl. Fn. 13. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 – 183/14 Seite 6 Der Vollständigkeit halber ist auf die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN „NS-Justiz“ auf BT-Drs. 10/656617 zu verweisen. Darin enthält sich die Bundesregierung einer Stellungnahme zur Frage der Verleihung von Ehrenbürgerschaften durch Gemeinden an Verantwortliche des NS-Regimes. Mit Verweis auf die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes und den Subsidiaritätsgrundsatz schließt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Umgang mit der NS-Vergangenheit“ auf BT-Drs. 17/813418 eine Zuständigkeit des Bundes für den vergleichbaren Sachverhalt der kommunalen Gedenkstättenarbeit aus. 17 Das Dokument ist online verfügbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/10/065/1006566.pdf (zuletzt abgerufen am: 5. September 2014). 18 Das Dokument ist online verfügbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/081/1708134.pdf (zuletzt abgerufen am: 5. September 2014).