© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 183/13 Normenkontrollverfahren in den Mitgliedstaaten der EU Darstellung der Rechtslage in Frankreich, Lettland, Österreich, Finnland, Spanien und Bulgarien Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 183/13 Seite 2 Normenkontrollverfahren in den Mitgliedstaaten der EU Darstellung der Rechtslage in Frankreich, Lettland, Österreich, Finnland, Spanien und Bulgarien Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 183/13 Abschluss der Arbeit: 7. November 2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 183/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Situation in den Mitgliedstaaten 4 2.1. Frankreich 5 2.2. Lettland 7 2.3. Österreich 7 2.4. Finnland 9 2.5. Spanien 10 2.6. Bulgarien 11 3. Zusammenfassung 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 183/13 Seite 4 1. Einleitung Der Zugang zu den Verfassungsgerichten und die rechtlichen Möglichkeiten der parlamentarischen Minderheit, eine Normenkontrolle anzustoßen ist Gegenstand dieser Ausarbeitung. Dargestellt wird die Situation in ausgewählten Mitgliedstaaten der EU (Frankreich, Lettland, Österreich, Finnland, Spanien und Bulgarien). In Deutschland kann ein Viertel der Mitglieder des Bundestages eine abstrakte Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beantragen. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.Vm. § 13 Nr. 6, § 76 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) weist dem Bundesverfassungsgericht die Zuständigkeit zur Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundes- oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht zu.1 Das die Normenkontrolle kennzeichnende Prüfen von niederrangigen Rechtssätzen an höherrangigen erfolgt allein am Maßstab des Rechts und der Verfassung. Die Antragsberechtigung steht nur einem festgelegten Kreis von Antragsberechtigten (Bundesregierung , eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages) zu. Eine Erweiterung des Kreises der Antragsberechtigten im Wege der Auslegung oder Analogie ist ausgeschlossen.2 Dieses für die parlamentarische Minderheit wichtige Instrument kann dazu führen, dass die Opposition die verlorene parlamentarische Auseinandersetzung mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts zu korrigieren versucht. 2. Situation in den Mitgliedstaaten In zahlreichen Mitgliedstaaten der EU bestehen ähnliche Rechte für die parlamentarische Minderheit bzw. eine genau festgelegte Zahl von Abgeordneten des Parlaments. Einen groben Überblick bot der Sachstand WD 3 – 3000 – 180/13, der auf der Arbeit des Zentrums für Europäische Politik: „Die Verfassungsgerichte der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft – Überblick über die Zuständigkeiten und Zugänge“3 basierte. Ergänzende Angaben stammen aus der Dissertation von Sylvia Bednarik “Präventive Normenkontrolle durch die Verfassungsgerichte – Eine staatsrechtliche und rechtsvergleichende Untersuchung im europäischen Raum“ von 2012. 1 Rozek in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2013, § 13 BVerfGG Rn. 1. 2 Rozek in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2013, § 13 BVerfGG Rn. 7. 3 http://www.cep.eu/fileadmin/user_upload/Die_Europaeische_Union/Verfassungsgerichte_der_Mitgliedstaaten.pdf (letzter Aufruf 11.10.2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 183/13 Seite 5 2.1. Frankreich Bis zum konstitutionellen Gesetz vom 29. Oktober 1974 durften allein die vier höchsten Ämter des Staats ein vom Parlament verabschiedetes, aber noch nicht verkündetes Gesetz (zur Überprüfung) vor den Verfassungsrat in Paris bringen: der französische Staatspräsident, der Premierminister, der Präsident der Nationalversammlung und der Senatspräsident. Die Änderung des Art. 61 der französischen Verfassung hat dieses Recht der abstrakten Normenkontrolle auf 60 Abgeordnete oder 60 Senatoren ausgedehnt.4 Damit erhielt eine parlamentarische Minderheit in der Nationalversammlung und im Senat die Möglichkeit, ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz vor seiner Verkündung durch den französischen Staatspräsidenten auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen. Diese Reform der Verfassung hat zu einem deutlichen Anstieg der Zahl der Einsprüche geführt und damit den Verfassungsrat zu einem wirkungsvollen Hüter der Menschenrechte und Grundfreiheiten gemacht. Artikel 61 Die verfassungsausführenden Gesetze müssen vor ihrer Verkündung, die in Artikel 11 aufgeführten Gesetzesvorschläge vor Abhaltung eines Volksentscheides und die Geschäftsordnungen der parlamentarischen Kammern vor ihrem Inkrafttreten dem Verfassungsrat vorgelegt werden, der über ihre Verfassungsmäßigkeit befindet. Zum gleichen Zweck können Gesetze vor ihrer Verkündung vom Präsidenten der Republik, vom Premierminister, vom Präsidenten der Nationalversammlung, vom Präsidenten des Senats oder von sechzig Abgeordneten oder sechzig Senatoren an den Verfassungsrat verwiesen werden. In den in den beiden vorangehenden Absätzen genannten Fällen muss der Verfassungsrat binnen eines Monats entscheiden. Bei Dringlichkeit wird jedoch diese Frist auf Ersuchen der Regierung auf acht Tage verkürzt. In denselben Fällen wird durch die Anrufung des Verfassungsrates die Verkündungsfrist ausgesetzt . Artikel 61-1 Wird bei einem vor einem Gericht anhängigen Rechtsstreit vorgebracht, eine gesetzliche Bestimmung verletze die von der Verfassung garantierten Rechte und Freiheiten, kann nach Überweisung durch den Staatsrat oder den Kassationsgerichtshof der Verfassungsrat zu dieser Frage angerufen werden. Der Staatsrat oder der Kassationsgerichtshof äußern sich in einer festgelegten Frist. Das Nähere regelt ein verfassungsausführendes Gesetz. 4 Text der französischen Verfassung, abzurufen unter: http://www.conseil-constitutionnel.fr/conseil-constitutionnel/root/bank_mm/allemand/constitution_allemand.pdf Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 183/13 Seite 6 Die Überweisung des Gesetzestextes zur Überprüfung an den Verfassungsrat durch die Nationalversammlung und den Senat muss während der Verkündungsfrist des Textes von 15 Tagen (nach Verabschiedung) erfolgen. Die Anrufung des Verfassungsrats unterbricht die Verkündungsfrist des Textes. Der Verfassungsrat entscheidet innerhalb eines Monats über die Übereinstimmung des Gesetzes mit der Verfassung. Wenn der Verfassungsrat das Gesetz für verfassungsgemäß erklärt, kann es verkündet werden. Umgekehrt verhindert eine Entscheidung des Verfassungsrats, mit der das ganze Gesetz für verfassungswidrig erklärt wird, seine Verkündung (Art. 62 der Verfassung). Der Gesetzgebungsprozess, der zur Annahme eines solchen Gesetzes geführt hat, wird aufgehoben. Das Gesetz muss dann neu eingebracht werden und das Gesetzgebungsverfahren neu angestoßen werden, es sei denn dass der Grund für fehlende Verfassungskonformität beispielsweise durch eine vorhergehende Verfassungsänderung selbst ausgeräumt werden kann. Schließlich kann der Verfassungsrat entscheiden, dass ein Gesetz teilweise im Einklang mit der Verfassung ist. In einem solchen Fall, der häufiger ist als der Fall der kompletten Verfassungswidrigkeit, kann das in Frage stehende Gesetz mit Ausnahme der verfassungswidrigen Teile (und vorausgesetzt, dass diese Teile vom Gesetz als Ganzes „abtrennbar“ sind) verkündet werden und in Kraft treten. Das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle wird auf der Internetseite des Verfassungsrats in mehreren Sprachen, darunter auch deutsch, detailliert dargestellt: http://www.conseil-constitutionnel.fr/conseil-constitutionnel/francais/le-conseilconstitutionnel /la-saisine/le-circuit-d-une-saisine/le-circuit-d-une-saisine.25720.html Als Beispiel ist ein Link mit einer aktuellen Entscheidung des Verfassungsrates zum Gesetz über die Transparenz im öffentlichen Leben beigefügt, zu dessen Überprüfung der Verfassungsrat von 60 Senatoren und 60 Abgeordneten angerufen worden war.5 Diese Entscheidung ermöglicht, die verschiedenen Phasen des Verfahrens (Überweisung zur Überprüfung durch 60 Abgeordnete, 60 Senatoren, Stellungnahme der Regierung etc.) nachzuvollziehen. http://www.conseil-constitutionnel.fr/conseil-constitutionnel/francais/les-decisions/acces-pardate /decisions-depuis-1959/2013/2013-676-dc/decision-n-2013-676-dc-du-09-octobre- 2013.138228.html Das vorbeugende Normenkontrollverfahren vor dem Verfassungsrat ist abstrakt und ähnelt dem der Normenkontrolle durch das BVerfG.6 Aufgrund des knappen Zeitfensters prüft der Verfassungsrat schwerpunktmäßig die konkret durch den oder die Antragssteller beanstandete Reglung, er kann aber auch das gesamte Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen.7 Eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle und damit die Aufhebung geltender Gesetze durch den Verfassungsrat ist seit der Verfassungsreform 2008 ebenfalls vorgesehen. 5 Entscheidung Nr. 2013-676 DC vom 9. Oktober 2013. 6 Bednarik, Sylvia, Präventive Normenkontrolle durch die Verfassungsgerichte – Eie staatsrechtliche und rechtsvergleichende Untersuchung im europäischen Raum, Marburg, 2012, S. 235. 7 Bednarik, Sylvia, Präventive Normenkontrolle durch die Verfassungsgerichte – Eie staatsrechtliche und rechtsvergleichende Untersuchung im europäischen Raum, Marburg, 2012, S. 241. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 183/13 Seite 7 2.2. Lettland Das Verfassungsgerichtsgesetz Lettlands ermöglicht einer parlamentarischen Minderheit, das Verfassungsgericht anzurufen. Gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 des Verfassungsgerichtsgesetzes kann eine Minderheit von mindestens 20 der insgesamt 100 Abgeordneten des Parlaments eine Prüfung beim Gericht beantragen. In Art. 16 des Gesetzes sind sechs verschiedene Prüfungsgegenstände vorgesehen: – Vereinbarkeit von Gesetzen mit der Verfassung, – Vereinbarkeit von unterschriebenen oder ratifizierten internationalen Abkommen mit der Verfassung, – Vereinbarkeit von einfachem („regulatory enactments“) mit höherrangigem Recht, – Rechtmäßigkeit von Akten des Parlaments, des Kabinetts, des Parlamentssprechers und des Ministerpräsidenten (ausgenommen Verwaltungsakte), – Rechtmäßigkeit einer vom Kabinett autorisierten Anordnung eines Ministers, die Entscheidung einer Lokalregierung auszusetzen, – Vereinbarkeit von nationalem Recht mit internationalen Verträgen, die von Lettland ratifiziert wurden und im Einklang mit der Verfassung stehen. Prozessual ist ein schriftlicher Antrag beim Verfassungsgericht einzureichen, der die staatliche Stelle benennt, die den umstrittenen Akt oder das entsprechende Gesetz erlassen hat (Art. 18 des Verfassungsgerichtsgesetzes). Ferner muss der Antrag die einschlägige Rechtsgrundlage, eine Begründung und das Klagebegehren beinhalten. In Ausnahmefällen dürfen mehrere Gegenstände gleichzeitig verhandelt werden. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn das in Frage stehende einfache Recht zugleich Rechtsgrundlage für weitere Normen niederen Ranges ist. Ebenso ist eine Klagehäufung möglich, wenn Entscheidungen oder Verordnungen von einer staatlichen Stelle ergehen, die selber nicht rechtmäßig geschaffen wurde oder deren Mitarbeiter nicht rechtmäßig gewählt oder ernannt wurden. Alle Abgeordneten, die den Antrag unterstützen, haben diesen zu unterzeichnen. 2.3. Österreich In Österreich kann die parlamentarische Opposition eine abstrakte Normenkontrolle vor dem Verfassungsgerichtshof beantragen, sofern genügend Abgeordnete den Gesetzesprüfungsantrag unterstützen . Gemäß Art. 140 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) entscheidet der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Bundesgesetzen u.a. auf Antrag eines Drittels der Mitglieder des Nationalrates oder eines Drittels der Mitglieder des Bundesrates. Das bedeutet, die parlamentarische Opposition muss für einen zulässigen Gesetzesprüfungsantrag ein Drittel der Mitglieder des Nationalrates (bei 183 Abgeordneten mindestens 61 Mitglieder) bzw. des Bundesrates (bei 61 Mitgliedern mindestens 21) gewinnen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 183/13 Seite 8 Gemäß Art. 140 Abs. 3 B-VG darf der Verfassungsgerichtshof ein Gesetz aufgrund eines solchen Gesetzesprüfungsantrages nur insoweit als verfassungswidrig aufheben, als seine Aufhebung ausdrücklich beantragt wurde (genau bezeichnete Gesetzesstelle; strenge Bindung an die vorgebrachten Normbedenken). Gelangt der Verfassungsgerichtshof jedoch zu der Auffassung, dass das ganze Gesetz von einem nach der Kompetenzverteilung nicht berufenen Gesetzgebungsorgan erlassen oder in verfassungswidriger Weise kundgemacht wurde, so hat er das ganze Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben. Nähere verfahrensrechtliche Regelungen finden sich im Verfassungsgerichtshofgesetz (VfGG),8 insbesondere in §§ 62 ff. VfGG. Anträge der Mitglieder des Nationalrates bzw. des Bundesrates müssen entweder durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden oder von allen Antragstellern unterzeichnet sein (§§ 17 Abs. 3 und 62 Abs. 2 VfGG). Im letzteren Fall muss einer oder mehrere Bevollmächtigte namhaft gemacht werden (§ 62 Abs. 2 VfGG). Siehe auch § 86 Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrates (GOG-NR): § 86. (1) Ein Drittel der Abgeordneten kann gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG begehren, daß entweder ein Bundesgesetz seinem ganzen Inhalte nach oder daß bestimmte Stellen eines solchen Gesetzes vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben werden. Das Begehren hat die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Bundesgesetzes sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen. (2) Die Abgeordneten, die ein Begehren im Sinne des Abs. 1 gestellt haben, haben außerdem einen oder mehrere Bevollmächtigte für ihre Vertretung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu bezeichnen. Begehren auf Aufhebung eines Bundesgesetzes durch den Verfassungsgerichtshof gemäß § 86 GOG-NR sind schriftlich mit den eigenhändigen Unterschriften der Abgeordneten an den/die Präsidenten/in des Nationalrates zur weiteren verfassungsmäßigen Behandlung, d.h. Prüfung zu richten (§ 106 GOG-NR). Die Berechtigung zur Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages beim Verfassungsgerichtshof steht in Österreich ebenfalls nur dem in der Bundesverfassung festgelegten Kreis von Antragsberechtigten zu. Dazu gehören derzeit: der Oberste Gerichtshof, die zur Entscheidung in zweiter Instanz zuständigen Gerichte, die unabhängigen Verwaltungssenate, der Asylgerichtshof, der Verwaltungsgerichtshof , das Bundesvergabeamt; weiter die Bundesregierung (in Bezug auf Landesgesetze), die Landesregierung (in Bezug auf Bundesgesetze) und – sofern dies landesverfassungsgesetzlich vorgesehen ist – auch ein Drittel der Mitglieder des Landtages (in Bezug auf Landesgesetze) sowie Personen, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behaupten, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlass eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist (Individualantrag). Mit der am 1. Januar 2014 in Kraft tretenden Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle wurde auch der Kreis der Antragsberechtigten für die Normenkontrolle nach dem BV-G geändert. Die unabhängigen 8 BGBl. 1953/85 idF BGBl. I 33/2013. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 183/13 Seite 9 Verwaltungssenate, der Asylgerichtshof und das Bundesvergabeamt sind künftig nicht mehr unmittelbar antragsberechtigt. An den Rechten für die parlamentarische Minderheit ändert sich nichts. Art. 140 Abs. 1 B-VG idF der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle lautet ab dem 1. Januar 20149: Artikel 140. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Verfassungswidrigkeit 1. von Gesetzen a) auf Antrag des Obersten Gerichtshofes, eines in zweiter Instanz zuständigen ordentlichen Gerichtes, eines Verwaltungsgerichtes oder des Verwaltungsgerichtshofes; b) von Amts wegen, wenn er das Gesetz in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte; c) auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist; 2. von Bundesgesetzen auch auf Antrag einer Landesregierung, eines Drittels der Mitglieder des Nationalrates oder eines Drittels der Mitglieder des Bundesrates; 3. von Landesgesetzen auch auf Antrag der Bundesregierung oder, wenn dies landesverfassungsgesetzlich vorgesehen ist, auf Antrag eines Drittels der Mitglieder des Landtages. Auf Anträge gemäß Z 1 lit. c ist Art. 89 Abs. 3 sinngemäß anzuwenden. Die Normenkontrolle erfolgt in Österreich ähnlich wie in Deutschland in erster Linie repressiv, d.h. bereits in Kraft getretene Gesetze werden auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft.10 Bei Zuständigkeitskonflikten über die Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern besteht die Möglichkeit einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung bereits vor der Verkündung der Norm. Allerdings ist diese Prüfung auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Kompetenzen begrenzt; eine weitergehende verfassungsrechtliche Prüfung findet nicht statt. 2.4. Finnland Die Verfassung Finnlands sieht kein Verfassungsgericht vor. Die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einzelner Gesetzesvorschläge erfolgt durch das parlamentarische Verfassungskomitee (Constitutional Law Committee of the Parliament). Die genannte präventive abstrakte Kontrolle ist geregelt in Art. 74 der Verfassung (Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit): 9 BGBl. I Nr. 51/2012. 10 Bednarik, Sylvia, Präventive Normenkontrolle durch die Verfassungsgerichte – Eie staatsrechtliche und rechtsvergleichende Untersuchung im europäischen Raum, Marburg, 2012, S. 244. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 183/13 Seite 10 Artikel 74 Auf Anfrage gibt das Verfassungskomitee eine Stellungnahme zu Gesetzesvorschlägen und anderen Angelegenheiten zu deren Verfassungsmäßigkeit und Vereinbarkeit mit internationalen Menschenrechtsverträgen ab. Die Kontrolle erfolgt vor der Bestätigung des Gesetzesvorschlags in der zweiten Lesung des Plenums . Der Gesetzesvorschlag wird an das Verfassungskomitee weitergeleitet, wenn das Plenum dies verlangt. In der Praxis wird diese Entscheidung meist einstimmig beschlossen. Im Falle der Uneinigkeit im Plenum, entscheidet die Mehrheit der Stimmen. Die parlamentarische Minderheit hat keine speziellen Rechte, einen Gesetzesvorschlag vor das Verfassungskomitee zu bringen. Eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle von Gesetzen nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ist seit der Verfassungsänderung 1999 in den Art. 106, 107 der Verfassung geregelt. Danach kann ein Gericht bei einer anhängigen Sache, in der die Anwendung einer einfach gesetzlichen Norm gegen höherrangiges Recht verstoßen würde, eine Art Normenkontrolle durchführen. Dabei kann es im Ergebnis Normen, die gegen höherrangiges Recht oder gegen die Verfassung verstoßen außer Acht lassen.11 2.5. Spanien In den Art. 159 ff. sieht die spanische Verfassung ein Verfassungsgericht vor. Die Zuständigkeiten und Verfahren dieses Gerichts sind im Organgesetz über das Verfassungsgericht vom 3. Oktober 1979 näher geregelt.12 Nach Art. 27 Abs. 1 des Organgesetzes garantiert das Gericht den Vorrang der Verfassung. Art. 27 Abs. 2 des Organgesetzes sieht die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit für folgende Gesetze und Akte vor: – Autonomiestatute und andere Organgesetze, – Andere nationale Gesetze und Verordnungen, die Rechtskraft besitzen, – Internationale Verträge, – Verfahrensregeln des Senats und des Kongresses sowie des Cortes Generales (besteht aus beiden Häusern), – Gesetze, Verordnungen und Regelungen der Autonomieregionen, die Rechtskraft besitzen, – Verfahrensregel der gesetzgebenden Versammlung der Autonomieregionen. 11 Bednarik, Sylvia, Präventive Normenkontrolle durch die Verfassungsgerichte – Eie staatsrechtliche und rechtsvergleichende Untersuchung im europäischen Raum, Marburg, 2012, S. 269. 12 http://www.tribunalconstitucional.es/en/tribunal/normasreguladoras/Lists/NormasRegPDF/LOTC-en.pdf (Stand: 1. November 2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 183/13 Seite 11 Eine Minderheit von 50 Abgeordneten oder 50 Senatoren kann gemäß Art. 32 Abs. 1 c) und d) des Organgesetzes über das Verfassungsgericht innerhalb von drei Monaten ab Verkündung eines Gesetzes, einer Verordnung oder einer Regelung deren verfassungsrechtliche Prüfung beantragen (Art. 33 Abs. 1 Organgesetz über das Verfassungsgericht). In seinem Antrag hat der Antragsteller das Gesetz, die Verordnung oder die Regelung zu nennen und darzulegen, inwieweit sich daraus ein Verstoß gegen die Verfassung ergibt. Im Falle der Zulässigkeit des Antrags, leitet das Verfassungsgericht diesen an den Kongress, den Senat, die Regierung oder die zuständigen Stellen der Autonomieregion weiter, damit diese im Verfahren anwesend sein und sich zur Sache äußern können. Innerhalb von 15 Tagen können sie vor Gericht erscheinen und ihre Rechtsauffassung darstellen. 10 Tage nach Verstreichen dieser Frist veröffentlicht das Gericht seine Entscheidung. Bei Bedarf kann diese Periode um maximal 20 Tage verlängert werden. Grundsätzlich ist die spanische Normenkontrolle repressiv ausgestaltet. Gleichwohl wurde auch ein Verfahren der präventiven Normenkontrolle durch das Verfassungsgericht vorgesehen.13 Die Intention war, gesetzgeberische „Auswüchse“ der Autonomieregionen“ zu verhindern. Der präventive Normenkontrollantrag nach Art. 79 Abs. 1 des Organgesetzes über das Verfassungsgericht a.F. war innerhalb einer Frist von drei Tagen ab der Verabschiedung des Gesetzes einzulegen. Mit der Anrufung des Verfassungsgerichts wurde das Gesetzgebungsverfahren unterbrochen. Es konnte bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit nur fortgesetzt werden, wenn das Parlament eine entsprechende Änderung oder Aufhebung des Entwurfs vornahm. Das Verfahren der präventiven Normenkontrolle wurde von der parlamentarischen Opposition zunehmend genutzt, um wichtige Gesetzesvorhaben zu blockieren.14 Daher wurde 1985 die präventive Normenkontrolle auf die Kontrolle internationaler Verträge gemäß Art. 95 Abs. 2 der Verfassung beschränkt. 2.6. Bulgarien Die Bulgarische Verfassung sieht in den Art. 147 ff. ein Verfassungsgericht vor, das nach Art. 149 Abs. 1 Nr. 2 auch die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und anderen von der Nationalversammlung verabschiedeten Akten sowie Akte des Präsidenten überprüft. Im bulgarischen Rechtssystem fehlt es aber sowohl an festgeschrieben Rechten für eine parlamentarische Minderheit als auch an einer angemessenen Definition des Begriffs "Opposition". Hinsichtlich der Möglichkeit die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes überprüfen zu lassen, ist entscheidend, ob die Opposition parlamentarisch oder außerparlamentarisch ist. Gemäß Art. 150 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung können die Mitglieder der im Parlament vertretenen politischen Kräfte das Verfassungsgericht anrufen. Antragsberechtigt sind mindestens ein Fünftel der Volksvertreter , der Präsident, der Ministerrat, das Oberste Kassationsgericht, das Oberste Verwaltungsgericht und der Generalstaatsanwalt. Auch der Ombudsmann kann den Verfassungsgerichtshof mit einer Petition befassen, die die Verletzung von Rechten und Freiheiten der Bürger rügt (Art. 150 Abs. 3 13 Bednarik, Sylvia, Präventive Normenkontrolle durch die Verfassungsgerichte – Eie staatsrechtliche und rechtsvergleichende Untersuchung im europäischen Raum, Marburg, 2012, S. 256. 14 Bednarik, Sylvia, Präventive Normenkontrolle durch die Verfassungsgerichte – Eie staatsrechtliche und rechtsvergleichende Untersuchung im europäischen Raum, Marburg, 2012, S. 259. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 183/13 Seite 12 der Verfassung). In Bezug auf das Fünftel der Abgeordneten macht die Verfassung keinen Unterschied , ob dies ein Teil der Mehrheit ist oder zur Opposition gehört. Alle Mitglieder des Parlaments haben das Recht, das Verfassungsgericht anzurufen, wenn der Antrag von mindestens einem Fünftel, also 48 Abgeordneten, getragen wird. Der Antrag auf Prüfung der Verfassungsgemäßheit eines Gesetzes oder eines Teils eines Gesetzes muss die Unterschriften der oben genannten Mindestzahl von Abgeordneten enthalten. Gemäß Art. 152 der Verfassung sind die Organisation und die Verfahrensregeln des Verfassungsgerichts durch Gesetz festzulegen (Verfassungsgerichts-Gesetz). Bezüglich der formalen Anforderungen an den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes besagt Art. 17 Abs. 1 und 2 des Verfassungsgerichts-Gesetzes Folgendes: Artikel 17 (1) Anträge vor dem Verfassungsgericht sind schriftlich mit Begründung und Beweisen einzureichen . (2) Anträge zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Gesetze und Rechtsakte nach Art. 12 Abs. 1, Nr. 2 können ab dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung gestellt werden. Weitere Anforderungen für die Prüfung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes sind in der Verordnung über die Arbeitsweise des Verfassungsgerichts niedergelegt: Artikel 18 (1) Anträge vor dem Verfassungsgericht müssen schriftlich und begründet vorgebracht werden. (2) Anträge sind in der bulgarischen Sprache abgefasst und enthalten: 1. Hinweis des Gerichts; 2. Name und Sitz (Hauptsitz) der Organe oder Personen, die den Antrag eingebracht haben. Wenn der Antrag durch eine Fraktion oder Gruppe der Nationalversammlung vorgelegt wird, so gilt der erste in der Liste als ihr Vertreter, es sei denn eine andere Person ist ausdrücklich bestimmt. 3. Name und Sitz (Adresse) von zu befassenden Institutionen und Personen, die im Hinblick auf die Person, die den Antrag gestellt hat, an den Beratungen teilnehmen müssen; 4. eine Erklärung der Umstände, auf denen der Antrag beruht; 5. das Ziel des Antrags; 6. Referenznummer des antragsstellenden Organs; 7. Unterschrift der den Antrag einreichenden Person. (3) Der Nachweis der Umstände, auf denen der Antrag beruht, ist zusammen mit dem Antrag zu erbringen. (4) Im Falle von Streitigkeiten gemäß Art. 149 Abs. 1, Art. 3 der Verfassung ist ein schriftlicher Nachweis dem Antrag beizufügen, dass die Anforderungen aus Art. 17 Abs. 3 des Verfassungsgerichts -Gesetzes eingehalten wurden. (5) Der Antrag kann im Sekretariat des Verfassungsgerichts eingereicht werden oder durch Mail mit ausreichenden Kopien der Anlagen für die angegebene Anzahl von interessierten Institutionen und Personen zugeleitet werden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 183/13 Seite 13 Artikel 19 (1) Wenn der Antrag nicht den formalen Anforderungen des Art.18 entspricht, kann der Vorsitzende des Gerichts eine Frist zur Beseitigung dieser Mängel setzen. (2) Wenn die Antragsteller die Mängel nicht innerhalb der gesetzten Frist beseitigen, legt der Vorsitzende den Antrag auf Überprüfung dem Verfassungsgericht vor, das über eine Annahme oder Ablehnung entscheidet. (3) Das Verfassungsgericht kann während des gesamten Verfahrens der verfassungsrechtlichen Überprüfung die Beseitigung von Mängeln verlangen. Die Verfassung steht über allen Gesetzen und diese dürfen ihr nicht widersprechen. Daher prüft das Verfassungsgericht die Übereinstimmung der Gesetze nur am verfassungsrechtlichen Maßstab und nicht die Vereinbarkeit einfachgesetzlicher Normen untereinander. 3. Zusammenfassung Mit Ausnahme von Finnland verfügen über eine Art Verfassungsgericht , das einer parlamentarischen Minderheit die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Normenkontrolle eröffnet. Hinsichtlich der Quantität der parlamentarischen Minderheit besteht in Frankreich (60 von 577 Abgeordneten des Unterhauses) die kleinste und in Österreich (1/3 der Mitglieder des Bundesoder Nationalrates) die höchste Hürde. Zusätzlich unterscheiden sich die Systeme in ihrer präventiven oder repressiven Ausrichtung. Während mittlerweile die Möglichkeit vorsehen, auch nach Verabschiedung eines Gesetzes deren Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen, ist dies vor der Verkündung uneingeschränkt nur in Frankreich möglich. Die anderen Länder wie Spanien und Österreich sehen die präventive Kontrolle nur ausnahmsweise vor.