WD 3 - 3000 - 182/19 (24. Juli 2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Es stellt sich die Frage, ob der Bund die Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe hat. Der Bund hat nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Bereich der öffentlichen Führsorge (ohne das Heimrecht). Davon umfasst ist auch die Kinder- und Jugendhilfe .1 Der Bund hat durch den Erlass des Achten Buchs des Sozialgesetzbuchs – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII)2 hiervon Gebrauch gemacht. Durch die Föderalismusreform von 2006 hat sich an der Zuordnung zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nichts geändert.3 Voraussetzung für ein Gesetz des Bundes ist nach Art. 72 Abs. 2 GG, dass eine bundeseinheitliche Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich ist. Der Handlungsspielraum des Bundes wird im Bereich von Art. 72 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht zunehmend enger ausgelegt .4 Teilweise wird daher die Kompetenz des Bundes für einige in den letzten Jahren im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe erlassenen Gesetze bezweifelt.5 Das Erfordernis einer bundeseinheitlichen Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit muss allerdings nur für Bundesgesetze bestehen, die nach der Änderung von Art. 72 Abs. 2 GG im Jahr 1994 erlassen wurden. 1 Vgl. BVerfGE 22, 180; 97, 352; Wiesner, in: ders., SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Einleitung Rn. 52; Winkler, in: Rolfs/ Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, 53. Edition Stand: 1. Juni 2019, § 15 SGB VIII Rn. 1. 2 In der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022). 3 Siehe hierzu bereits Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Kinder- und Jugendhilfe, WD 3 - 3000 - 386/06. 4 Wiesner, in: ders., SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Einleitung Rn. 52; BT-Drs. 17/12200, S. 375 mit Verweis auf BVerfGE 106, 62. 5 Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 1 SGB VIII Rn. 19; Wiesner, in: ders., SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Einleitung Rn. 52 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Gesetzgebungskompetenz für die Kinder- und Jugendhilfe Kurzinformation Gesetzgebungskompetenz für die Kinder- und Jugendhilfe Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Nach Art. 125a Abs. 2 S. 1 GG besteht dasjenige Recht, „das auf Grund des Artikels 72 Abs. 2 in der bis zum 15. November 1994 geltenden Fassung erlassen worden ist, aber wegen Änderung des Artikels 72 Abs. 2 nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte“ als Bundesrecht fort. Dies betrifft auch das SGB VIII, das gemäß der weniger strengen Regelung von Art. 72 Abs. 2 GG a.F., die nur das Bedürfnis einer bundesgesetzlichen Regelung als Voraussetzung vorsah, erlassen wurde. Bundesrecht, das aufgrund der Regelung in Art. 125a Abs. 2 S. 1 GG fortbesteht, darf grundsätzlich durch den Bund geändert werden, auch wenn die Voraussetzungen von Art. 72 Abs. 2 GG nicht vorliegen.6 Dies gilt allerdings nicht, wenn durch die Änderung eine wesentliche Neukonzeption des Gesetzes vorgenommen werden soll.7 In diesem Fall wären – bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen von Art. 72 Abs. 2 GG – die Länder für die Gesetzesänderung zuständig. Diese müssten aber zuerst durch den Bund dazu ermächtigt werden.8 *** 6 BVerfGE 111, 10 (29 ff.); 111, 226 (268). 7 BVerfGE 111, 10 (31). 8 BVerfGE 111, 10 (31).