© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 182/16 Fragen zur Organisation und den Entscheidungsformen des Bundesverfassungsgerichts Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 182/16 Seite 2 Fragen zur Organisation und den Entscheidungsformen des Bundesverfassungsgerichts Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 182/16 Abschluss der Arbeit: 15.07.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 182/16 Seite 3 1. Fragestellung Zu den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wurden die folgenden Fragen gestellt: 1. Wann ergeht eine Kammer- und wann ergeht eine Senatsentscheidung? 2. Wann erfolgt eine Entscheidung als Urteil und wann als Beschluss? 2. Erläuterungen 2.1. Kammer- und Senatsentscheidungen Das Bundesverfassungsgericht setzt sich zusammen aus zwei Senaten mit jeweils acht Richtern (§ 2 BVerfGG1). Jeder Senat beruft für die Dauer des Geschäftsjahres mehrere Kammern, bestehend aus je drei Richtern (§ 15a Abs. 1 BVerfGG). Aktuell hat jeder Senat drei Kammern berufen. Überdies besteht eine so genannte Beschwerdekammer, bestehend aus je zwei Richtern der beiden Senate. Sie ist zuständig für Beschwerden über Verzögerungen eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht (§§ 97a - 97c BVerfGG). Die Kammern bilden jeweils eigenständige Spruchkörper innerhalb des Senats und sind daher genauso „das Bundesverfassungsgericht“ wie die beiden Senate. Sie dienen insbesondere der Entlastung der Senate.2 Abgesehen von der Beschwerdekammer werden die Kammern gemäß § 15a BVerfGG nur in den Verfahren der konkreten Normenkontrolle (so genannte Richtervorlagen)3 und bei Verfassungsbeschwerden 4 tätig. Bei der Richtervorlage können die Kammern nur die Unzulässigkeit der Vorlage beschließen (§ 81a Abs. 1 BVerfGG) und damit das Verfahren formell beenden. Über Zulässigkeit und Begründetheit entscheidet der Senat. Bei Verfassungsbeschwerden bestehen für die Kammern zwei Entscheidungsmöglichkeiten. Zum einen kann die Kammer die Annahme der Verfassungsbeschwerde ablehnen (§ 93b 1. Fall BVerf GG). Geschieht dies nicht, entscheidet der Senat über die Annahme (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) und sodann über Zulässigkeit und gegebenenfalls über die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde. Zum anderen kann die Kammer unter folgenden Voraussetzungen die Verfassungsbeschwerde annehmen und ihr stattgeben (§ 93c BVerfGG): Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473), das zuletzt durch Artikel 8 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist. 2 Zum Absatz vgl. Ulsamer, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Loseblattsammlung , 16. Ergänzungslieferung (Stand: März 1998), § 15a Rdnr. 4. 3 Art. 100 GG, § 80 BVerfGG; wobei die Kammern nicht zuständig sind für Vorlagen von Verfassungsgerichtshöfen und obersten Bundesgerichten (§ 81a Satz 2 BVerfGG). 4 Art. 93 I Nr. 4a und 4b GG, § 90 BVerfGG. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 182/16 Seite 4 Gerichtsurteil oder einen Exekutivakt, ihr darf keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommen (§ 93a Abs. 2 lit. a BVerfGG), die für die Beurteilung maßgebliche Frage muss durch einen Senat des Bundesverfassungsgerichts bereits entschieden und die Verfassungsbeschwerde danach offensichtlich begründet sein. Eine weitere Besonderheit ergibt sich im einstweiligen Rechtsschutz nach § 32 BVerfGG (Eilverfahren ). Hier kann die Kammer gemäß § 93d Abs. 2 BVerfGG eine einstweilige Anordnung erlassen oder ablehnen, sofern der Senat das Verfahren noch nicht angenommen hat. Geht es in dem Eilverfahren darum, die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise außer Kraft zu setzen, darf die Kammer den Eilantrag nur ablehnen (§ 93d Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Sie darf ihm nicht stattgeben. Gesetze dürfen auch im Eilverfahren nur von den Senaten außer Kraft gesetzt werden. Der Beschluss vom 8. Juni 20165 ist ein Beispiel dafür, dass eine Kammer über ein solches Eilverfahren entschieden hat. Im Wege der einstweiligen Anordnung begehrten die Antragsteller, die eingeführte Vorratsspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten und damit ein Gesetz teilweise außer Kraft zu setzen. Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts war befugt, diesen Antrag abzulehnen (§ 93d Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Die Kammern entscheiden stets ohne mündliche Verhandlung und einstimmig. 2.2. Urteile und Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts Ergeht eine Entscheidung aufgrund einer mündlichen Verhandlung, so entscheidet das Bundesverfassungsgericht durch Urteil. Ergeht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, so ergeht die Entscheidung als Beschluss (§ 25 Abs. 2 BVerfGG). Gesetzlicher Regelfall ist eine mündliche Verhandlung mit anschließender Entscheidung durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung findet daher immer statt, wenn nicht das BVerfGG eine anderweitige Regelung trifft oder die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung verzichten (§ 25 Abs. 1 BVerfGG). Das BVerfGG sieht für Kammerentscheidungen über die Zulässigkeit einer Richtervorlage (§ 81a BVerfGG) und über die Annahme von Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung (§§ 93b, 93d Abs. 3 BVerfGG) ausdrücklich keine mündliche Verhandlung, sondern Entscheidungen durch Beschluss vor. Die Entscheidung vom 8. Juli 20166 erging daher ohne mündliche Verhandlung als Beschluss. Ende der Bearbeitung. 5 Die Entscheidung kann aufgerufen werden unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen /DE/2016/06/rk20160608_1bvr022916.html. 6 Vgl. Fn. 5.